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Stadtwerkstatt (Kurzlösung)

- Klage der BSR hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet

 

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit, dann wenn die streitentscheidenden Normen dem  öffentlichen Rechts angehören; hier, (+) § 22 Abs. 1, § 24 S. 1 BImSchG oder Normen des Berliner Verwaltungsrechts

 

II. Statthafte Klageart

- BSR wendet sich ausdrücklich gegen den Bescheid des LAGetSi in Form des Widerspruchsbescheides, gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht anwendbar, da der Widerspruchsbescheid die BSR nicht erstmalig beschwert, sondern der Beschwer durch den Ausgangsbescheid sogar (teilweise) abhilft

- drei Bestimmungen des Bescheids müssen einzeln qualifiziert werden


1. Nr. 1 des Bescheides des LAGetSi in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

- Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, wenn Nr. 1 des Bescheids ein VA i.S.d. § 35 VwVfG ist

 

a) Regelungscharakter der Maßnahme

- Feststellung ist keine Regelung, wenn nur auf geltendes Recht hingewiesen wird („Wissenserklärung“)

- mit Festlegung des Immissionsrichtwerts aber (individuelle) Verpflichtung der BSR begründet, diesen Wert auch einzuhalten; BSR muss sich an die nach BImSchG zulässigen Lärmgrenzen halten

 

b) Außenwirkung der Maßnahme

- Problem: Maßnahmen zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern wird vielfach keine Außenwirkung zugesprochen, bleiben im „staatsinternen“ Bereich; hier sogar Maßnahme zwischen den Organen desselben Rechtsträgers

- intendierten Außenwirkung ist anhand der Funktion des VA zu klären, v.a. verfahrensrechtliche Funktion, Klarstellungs- und Individualisierungsfunktion zu beachten

- (-) wenn behördliche Maßnahme gegenüber im Rahmen der Fachaufsicht ergangen ist; hier nicht der Fall, weil Rechtsaufsicht nach § 21 BerlBG bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen übertragen

- (+) Klarstellungsfunktion berührt, wenn den beteiligten Stellen des gleichen Rechtsträgers unterschiedliche Funktionen zukommen; hier (+)  zwischen LaGetSi und BSR liegt keine funktionale Identität

- Außenwirkung außerdem dann unstreitig, wenn der Verwaltungsträger letztlich wie ein Bürger in Anspruch genommen; hier (+)

 

c) Ergebnis zu 1.

- statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage (a.A. vertretbar, Feststellungsklage prüfen)

 

2. Nr. 2 des Bescheides des LAGetSi in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

- reine Empfehlung, keine Regelung, weil nur beispielhafte Aufzählung; Klagebegehrens so zu deuten, dass die BSR nicht dagegen vorgehen will, weil sie nicht belastet wird

 

3. Nr. 3 des Bescheides des LAGetSi in der Gestalt des Widerspruchsbescheides

- Regelung des Nr. 3 beseitigt Ausgangsbescheid; Klagebegehren so zu deuten, dass die BSR nicht dagegen vorgehen will, weil die Regelung den Ausgangsbescheid vollständig beseitigt und damit für die BSR nur günstig ist

 

4. Ergebnis zu II.

- statthafte Klageart gegen Nr. 1 des Bescheides des LAGetSi in Form des Widerspruchsbescheides ist die Anfechtungsklage

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- BSR kann als Teil der staatlichen Verwaltung keine subjektive öffentlichen Rechte geltend machen; als öffentlich-rechtliche Anstalt auch keine Selbstverwaltungsrechte aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG

- organschaftlichen Rechte können gegenüber einem anderen Organ geltend gemacht werden, wenn aus der rechtlich zugewiesenen Eigenständigkeit der Funktionswahrnehmung auf eine implizierte Rechtsmacht zur Verteidigung geschlossen werden kann; bes. dann, wenn Organe in Kontraststellung zueinander stehen

- hier (-) umfangreiche Aufgaben der BSR in § 3 BerlBG aber keine Kontraststellung zum LAGetSi; BSR kann kein Recht i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen; Klage unzulässig

 

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

- wurde durchgeführt

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

- § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Land Berlin

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

- BSR nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 1 BerlBG; Land Berlin  nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO

 

VII. Klagefrist (§ 74 VwGO)

- Monatsfrist nach Sachverhalt eingehalten

 

VIII. Allgemeines Rechtsschutzinteresse

- kein Rechtsschutzinteresse, wenn der Streit durch eine gemeinsame Entscheidungsspitze hätte ausgeräumt werden können; hier kann Senatsverwaltung  für Wirtschaft, Technologie und Frauen über die Rechtsaufsicht die Einhaltung der Anforderungen des BImSchG erreichen; LaGetSi ist der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz nachgeordnet ist

- nach Art. 58 Abs. 5 S. 1 VvB zwei selbstständige Geschäftsbereiche; für Meinungsverschiedenheiten aber Abstimmungsverfahren nach Art. 58 Abs. 5 S. 2 VvB; hätte zunächst gewählt werden müssen; Rechtsschutzinteresse (-)

 

IX. Ergebnis zu A.

- BSR nicht klagebefugt, kein Rechtsschutzinteresse: Klage insgesamt zulässig

 

B. Begründetheit

- Klage begründet, soweit Nr. 1 des Bescheides des LAGetSi in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtswidrig ist und die BSR in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO); Rechtsverletzung ausgeschlossen ist (siehe A. III.); Klage schon deswegen unbegründet

- Rechtsgrundlage für Bescheid: § 24 S. 1 BImSchG gestützt; Zuständigkeit; § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG i.V.m. Nr. 24 Abs. 2 lit. a ZustKat ASOG und § 67 S. 1 ASOG für den Erlass von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid; Form/Verfahren problemlos

- Bescheid ist materiell rechtmäßig, wenn die Maßnahme im Grundsatz von § 24 S. 1 BImSchG gedeckt ist (I) und die BSR als Träger öffentlicher Verwaltung an das BImSchG gebunden ist und das LAGetSi diese Bindung auch durchsetzen kann (II)

 

I. Allgemeine Vorraussetzungen einer Anordnung nach § 24 S. 1 BImSchG

1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 S. 1 BImSchG

- Kfz-Werkstätten sind zwar Anlagen i.S.d. § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG, die aber nicht genehmigungsbedürftig sind (vgl. § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG i.V.m. 4. BImSchV)

- Verstoß gegen Betreiberpflichten nach § 22 BImSchG und der auf das Gesetz gestützten Rechtsverordnungen; hier Verstoß gegen § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, weil Grenzwerte der TA-Lärm überschritten und dies auch nicht nach dem Stand der Technik (vgl. § 3 Abs. 6 BImSchG) unvermeidbar ist

 

2. Rechtsfolgen des § 24 S. 1 BImSchG

- ist Feststellung der Pflicht zum Einhalten auch eine „Anordnung“ i.S.d. § 24 S. 1 BImSchG?; ja, vom Wortlaut nicht nur Verpflichtungen zum Handeln oder Unterlassen erfasst

- keine Ermessensfehler ersichtlich

 

3. Ergebnis zu 3.

- Voraussetzungen einer Anordnung nach § 24 S. 1 BImSchG lagen vor; LAGetSi hat grds. rechtmäßig gehandelt

 

II. Besonderheiten der Inanspruchnahme eines Hoheitsträgers

- Anordnung wäre aber rechtswidrig, wenn die BSR als Hoheitsträger nicht an § 22 BImSchG gebunden ist (1) oder eine Inanspruchnahme durch einen anderen Hoheitsträgern nach § 24 S. 1 BImSchG nicht in Betracht kommt (2)


 1. Materielle Bindung der BSR an § 22 BImSchG (sog. materielle Polizeipflicht)

- Wortlaut enthält keine Einschränkungen bzgl. des Adressaten; aber die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von Vorschriften, die das Staat-Bürger-Verhältnis betreffen umfasst nicht selbstverständlich auch die Kompetenz die zwischen Verwaltungsträgern bestehenden verwaltungsorganisationsrechtlichen Rechtsverhältnisse mit zu regeln

- für materielle Bindung von Hoheitsträgern: Systematik des BImSchG; aus § 10 Abs. 11 BImSchG folgt, dass hoheitlich betriebene – der Landesverteidigung dienende – Anlagen ebenfalls der Genehmigungspflicht unterliegen; aus § 59 BImSchG folgt, dass – sofern keine abweichende Regelung für Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, getroffen ist – die für den Immissionsschutz zuständigen Landesbehörden befugt sind, die Pflichten hoheitlicher Anlagenbetreiber zu konkretisieren und festzulegen

- Gesetzgebungstitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG ermächtigt den Bund schlechthin zur Regelung der Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung

- BSR ist somit als Betreiber der Werkstatt materiell an die „Grundpflichten“ des § 22 BImSchG gebunden

 

2. Formelle Anordnungskompetenz des LAGetSi gegenüber der BSR (sog. formelle Polizeipflicht)

a) (Keine) Formelle Polizeipflicht von Hoheitsträgern im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht

- nach wohl (noch) h.M. sind die Gefahrenabwehrbehörden im Zweifel nicht ermächtigt, auf Grundlage der ihnen zustehenden allgemeinen Gefahrenabwehrbefugnisse auch Anordnungen gegenüber Verwaltungsträgern zu erlassen

- Grund: allgemeinen Gefahrenabwehrbehörden seien keine Oberbehörden, die die Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch andere Verwaltungsträger zu überwachen hätten


b) Übertragbarkeit des Grundsatzes fehlender formeller Polizeipflicht von Hoheitsträgern auf § 24 S. 1 BImSchG

- Ausnahme von diesem Grundsatz wg. Unterschied zur Rechtslage beim allgemeinen Gefahrenabwehrrecht; 1. Befugnisse der Immissionsschutzbehörden von vornherein gegenständlich beschränkt (keine Gefahr einer Oberaufsichtsbehörde); 2. Anlagenüberwachung verlangt technische Kenntnisse und Ausstattung

- Gesetzessystematik des BImSchG: § 10 Abs. 11 BImSchG ermächtigt den Bundesminister der Verteidigung zu einer abweichenden Regelung des Genehmigungsverfahrens; im Umkehrschluss müssen hoheitlich betriebene Anlagen der Genehmigungspflicht unterliegen


c) Anwendbarkeit des Grundsatzes fehlender formeller Polizeipflicht von Hoheitsträgern auf den Betrieb der Werkstatt

- Grundsatz fehlender formeller Polizeipflicht von Hoheitsträgern muss durch § 24 S. 1 BImSchG nicht einschränkt werden, wenn sich die BSR auf diesen Grundsatz hinsichtlich ihres Werkstattbetriebes ohnehin nicht berufen kann

- nach allg. Auffassung gilt der Grds. fehlender formeller Polizeipflicht nicht für  die rein erwerbswirtschaftlichen oder vermögensverwaltenden (fiskalischen) Tätigkeit eines Hoheitsträgers

- BSR mit dem Werkstattbetrieb hoheitlich tätig?

(+) notwendiger Bestandteil für die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben

(-) Reparaturen sind Realakten, die jedenfalls selbst nicht hoheitlicher Natur sind, sondern die Erfüllung hoheitlicher ebenso wie nicht-hoheitlicher Aufgaben ermöglichen sollen

(-) Wartungs- und Reparaturarbeiten an Kraftfahrzeugen Brandenburgs und des Deutschen Roten Kreuzes; Land Brandenburg ist Hoheitsträger, aber die von ihm zu erfüllenden Aufgaben sind keine der BSR; Deutsche Rote Kreuz ist Organisation privatrechtlicher Natur

- Betrieb der Kfz-Werkstatt ist keine hoheitliche Tätigkeit, so dass der Grds. fehlender formeller Polizeipflicht für diesen Bereich nicht gilt

 

d) Ergebnis zu 2.

- LAGetSi konnte damit die BSR ungeachtet des Umstandes, dass es sich hierbei um einen Hoheitsträger handelt, hinsichtlich des umstrittenen Werkstattbetriebes nach § 24 S. 1 BImSchG in Anspruch nehmen

 

3. Ergebnis zu II.

- Eigenschaft als Hoheitsträger steht der Rechtmäßigkeit der Nr. 1 des Bescheides nicht entgegen

 

III. Ergebnis zu B.

-  Bescheid des LAGetSi in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig; deswegen und wg. fehlender Rechtsverletzung (A. III.), ist die Klage unbegründet

 

C. Gesamtergebnis

- Klage der BSR ist unzulässig und unbegründet, hat keine Aussicht auf Erfolg

 

Siehe hierzu: BVerwG, 7 C 24.01 v. 25.7.2002 = BVerwGE 117, 1 ff.; VGH Kassel, NVwZ 1997, 304 ff.; NVwZ 2002, 889 ff.; Britz, DÖV 2002, 891 ff.; Glöckner, NVwZ 2003, 1207 ff.; Scheidler, UPR 2004, 253 ff.; ders. LKV 2008, 300 ff.; Schoch, Jura 2005, 324 ff.; U. Stelkens, UTR 98 (2008), S. 55 ff.

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