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Lauschangriff auf investigative Journalistin (Kurzlösung)

 

A. Zulässigkeit

 

I. Vereinbarkeit ratione loci / Art. 1 EMRK

Beschwerdeführerin lebt in Buenos Aires und arbeitet in ganz Süd- und Zentralamerika. Die gerügten Maßnahmen finden aber allesamt auf deutschem Boden statt (weshalb Banković-Rechtsprechung keine Anwendung finden kann). Die Wirkung tritt zwar im Ausland ein, darauf ist aber nicht abzustellen, wenn die Taten selbst auf eigenem Hoheitsgebiet stattfinden. Außerdem untersteht eine Deutsche kraft ihrer Staatsangehörigkeit der Herrschaftsgewalt Deutschlands.

 

II. Vereinbarkeit ratione materiae

Nach Art. 34 EMRK ist Beschwerdegegenstand jeder Akt einer der Vertragsparteien.

--> hier § 3 Abs. 1 G10

 

III. Vereinbarkeit ratione personae

 

1. Beschwerdegegner, Art. 34 EMRK

Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat ist geeigneter Beschwerdegegner

 

2. Beschwerdeführer, Art. 34 EMRK

 

a) Parteifähigkeit

Beschwerdeführerin ist als natürliche Person parteifähig.

 

b) Beschwer/Opfereigenschaft

Opfereigenschaft setzt Behauptung des Beschwerdeführers voraus, selbst durch eine Vertragspartei in einem der in der EMRK anerkannten Rechte verletzt zu sein

--> Art. 8 und Art. 10 EMRK kommen in Betracht

Einwand der Bundesregierung – der darauf abzielt, dass die Beschwer nachträglich entfallen ist – kann nicht überzeugen: Dass das BVerfG schon entschieden hat, kann den Opferstatus nur dann beenden, wenn es ein angegriffenes Gesetz vollumfänglich für nichtig erklärt

allerdings könnte gegen die Opfereigenschaft sprechen, dass die Beschwerdeführerin gar nicht sicher vorbringen kann, überhaupt von den Maßnahmen betroffen zu sein

aber: es liegt gerade im Wesen von Geheimdienstmaßnahmen, dass sie geheim sind und deshalb nicht belegbar ist, dass jemand von ihr tatsächlich betroffen ist

 

IV. Rechtswegerschöpfung gem. Art. 35 I EMRK

Dazu gehört auch die Verfassungsbeschwerde, diese wurde erfolglos erhoben

 

V. Frist und Form, Art. 35 Abs. 1 EMRK, Art. 45 VerfO EMRK

laut Sachverhalt erfüllt

 

VI. Ergebnis

Beschwerde zulässig

 

B. Begründetheit

 

I. Verstoß gegen Art. 8 EMRK

 

1. Schutzbereich

Zwar konnte die Beschwerdeführerin hier nicht nachweisen, dass sie selbst betroffen ist, dies ist aber – wie gesehen – in einem Fall wie diesem gar nicht nötig: alleine die Existenz eines Gesetzes, das das heimliche Abhören gestattet, ist eine ausreichende Bedrohung, dass jemand davon betroffen ist.

 

a. persönlicher Schutzbereich

(+), da Beschwerdeführerin natürliche Person, die unter die Hoheitsgewalt einer Hohen Vertragspartei fällt

 

b. sachlicher Schutzbereich

Der Schutz des Privatlebens umfasst die Gewährleistung eines Raumes, in dem jeder die „Entwicklung und Erfüllung“ seiner Persönlichkeit anstreben kann. EGMR legt den Schutz des Privatlebens weit aus

Unter Korrespondenz ist nicht nur die schriftliche, sondern auch die fernmündliche, also telefonische Kommunikation zu verstehen

--> Telefongespräche fallen unter beide Begriffe,

i.E.Schutzbereich eröffnet

 

2. Eingriff

Ein Eingriff ist jede Beschränkung eines Verhaltens, das in den Schutzbereich des betroffenen Menschenrechts fällt.

§ 3 Abs. 1 G10 erlaubt das Abhören als solches, Eingriff (+)

 

3. Rechtfertigung

Gerechtfertigt ist ein Eingriff in Art. 8 EMRK nach Abs. 2 „soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

 

a. Gesetz

 

aa. formell ordnungsgemäßes Zustandekommen

davon ist mangels anderer Hinweise im SV auszugehen

 

bb. Allgemein zugänglich und vorhersehbar

an allgemeiner Zugänglichkeit des Gesetzes bestehen keine Zweifel

Vorhersehbarkeit könnte deswegen zu verneinen sein, weil der Einzelne aufgrund des Gesetzes nicht vorhersehen kann, wann seine Telefonate abgehört werden und wann nicht.

--> dies ist aber gerade dem Wesen des geheimen Abhörens geschuldet: eine Vorhersehbarkeit in dem Sinne, dass der Einzelne vorhersehen kann, wann er abgehört wird und dementsprechend sein Verhalten anpassen kann, darf nicht verlangt werden.

Aber: die Regeln hinsichtlich des geheimen Abhörens von Telefonen müssen dennoch klar und detailliert sein. Es muss angemessene Hinweise geben, unter welchen Voraussetzungen die Behörden befugt sind, auf solche Maßnahmen zurückzugreifen. Außerdem muss der Umfang des den zuständigen Behörden gewährten Spielraums und die Art und Weise der Anwendung gesetzlich ausreichend klar geregelt werden, damit Personen gegen willkürliche Eingriffe angemessen geschützt sind.

Zu den Mindestvorgaben des EGMR gehören:

·         Die Benennung der Art der Straftaten, die eine Überwachungsanordnung rechtfertigen können;

·         eine Beschreibung der Personengruppen, bei denen Telefongespräche abgehört werden können;

·         die Begrenzung der Dauer der Abhörmaßnahme;

·         das Verfahren bei Auswertung, Verwendung und Speicherung der erlangten Daten;

·         die bei der Übermittlung der Daten an andere zu beachtenden Vorsichtsmaßnahmen und

·         die Umstände, unter denen die Aufzeichnungen gelöscht und die Bänder vernichtet werden müssen oder dürfen.

 

Hier: § 3 Abs. 1 G10 genügt diesen Anforderungen

 

b. legitimer Zweck

Schutz der nationalen Sicherheit und der Schutz vor Straftaten. Beides sind legitime Zwecke i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK.

 

c. Verhältnismäßigkeit

margin of appreciation (Beurteilungsspielraum) ist hinsichtlich der Art und Weise, wie Staat den legitimen Zweck zu erreichen versucht, insbesondere in geheimdienstlicher Sachverhalt, als relativ weit anzusehen

Nichtdestotrotz  muss in Anbetracht der Tatsache, dass ein System geheimer Überwachungen die Demokratie unterminieren oder gar zerstören kann, ein adäquater und effektiver Schutz gegen Missbrauch existieren

ob dem so ist, hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von Art und Dauer der möglichen Maßnahme, den Gründen, aus denen solche Maßnahmen angeordnet werden dürfen, von den für die Genehmigung, Durchführung und Überwachung zuständigen Behörden und der Art der nach staatlichem Recht vorgesehenenRechtsbehelfe

Geeignetheit (+), da durch das Abhören das Ziel des Schutzes der nationalen Sicherheit und des Schutzes vor Straftaten erreicht werden kann

Erforderlichkeit (+), da Alternativen weder im SV noch sonst ersichtlich sind

Angemessenheit nur (+), wenn die Bedeutung des verfolgten Zwecks und die Schwere des Eingriffs in einem wohlausgewogenen Verhältnis zueinander stehen:  Dabei ist entscheidend darauf abzustellen, ob das G10 in einen Regelungszusammenhang eingebettet ist, der erhebliche Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch vorsieht.

Einerseits: Gefahrenbereiche sind weit gefasst

Andererseits: eine Reihe einschränkender Voraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor mit Hilfe von Suchbegriffen eine strategische Überwachung vorgenommen wird

hier: nur schwere Straftaten sind erfasst

Verwaltungsverfahren ist vorgesehen, mit dem sichergestellt werden soll, dass derartige Maßnahmen nicht willkürlich, unvorschriftsgemäß oder ohne angemessene Prüfung angeordnet werden.

die Überwachung darf nur auf Grund eines begründeten Antrags des Präsidenten des BND angeordnet werden und nur dann, wenn die Ermittlung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Entscheidung über die Überwachung muss von dem zu diesem Zweck vom Kanzler ermächtigten Bundesminister mit Genehmigung des Parlamentarischen Kontrollgremiums getroffen werden. Der Minister hatte außerdem die Genehmigung der G10-Kommission einzuholen.

Überwachungsmaßnahmen bleiben nur für den relativ kurzen Zeitraum von drei Monaten in Kraft und können nur verlängert werden, wenn ein neuer Antrag gestellt wird und die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung noch vorliegen.

Die Überwachung muss unverzüglich beendet werden, wenn die in der Anordnung niedergelegten Voraussetzungen nicht länger erfüllt sind oder die Maßnahme nicht mehr erforderlich ist.

Außerdem sieht das G10 eine unabhängige Kontrolle durch zwei Gremien vor. Beiden kommt eine wichtige Rolle zu. Erstens gibt es das Parlamentarische Kontrollgremium, das aus neun Abgeordneten einschließlich Mitgliedern der Opposition besteht. Der die Überwachungsmaßnahmen genehmigende Bundesminister muss dem Parlamentarischen Kontrollgremium im Abstand von höchstens sechs Monaten berichten. Außerdem muss die G10-Kommission die Überwachungsmaßnahmen genehmigen; sie hat in allen Phasen der Überwachung weit reichende Befugnisse

i.E.: Angemessenheit (+)

damit kein Verstoß gegen Art. 8 EMRK

 

II. Verstoß gegen Art. 10 EMRK

 

1. Schutzbereich

Das Recht auf Pressefreiheit umfasst den Schutz der Verbreitung von Informationen über periodisch erscheinende Druckerzeugnisse.

--> Dazu gehört auch der Quellenschutz, der ein Eckpfeiler der Pressefreiheit darstellt

 

2. Eingriff

(+)

 

3. Rechtfertigung

 

a. Gesetz

 

aa. formell ordnungsgemäßes Zustandekommen

(+)

 

bb. Allgemein zugänglich und vorhersehbar

(+)

 

b. legitimer Zweck

(+)

 

c. Verhältnismäßigkeit

zwar gibt es keine besonderen Vorkehrungen für den Schutz von Journalisten – etwa, dass das Abhören sofort zu unterlassen sei, sofern sich herausstellt, dass ein Journalist von der Maßnahme betroffen ist. Dennoch enthalten die umstrittenen Regelungen zahlreiche Schutzvor­kehrungen, um den Eingriff im Bereich des Notwendigen zu halten (s.o.). Deshalb kann eine Abwägung nach Ansicht des EGMR – auch angesichts des staatlichen margins of appreciation (Beurteilungsspielraum) – keine anderen Ergebnisse zeitigen als im Rahmen des Art. 8 EMRK. Deutschland konnte davon ausgehen, dass die angestrebten Ziele gegenüber der Pressefreiheit überwogen.

 

--> ein Verstoß gegen Art. 10 EMRK liegt nicht vor.


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