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Mobilmachung (Lösungsvorschlag)

Eine mögliche bauaufsichtliche Maßnahme, die Koslowsky ergreifen könnte, ist die Anordnung der Beseitigung der Campingwagen nach § 80 S. 1 BauO Bln, falls diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sind (A). Ferner könnte sie ihr Ziel auch indirekt dadurch erreichen, Rüstig zu untersagen, das Grundstück als von den Campingwagen zu unterscheidende bauliche Anlage weiterhin als Abstellplatz zu nutzen (B).


A. Anordnung der Beseitigung der Wohnwagen nach § 80 S. 1 BauO Bln

Um eine Beseitigung der Campingwagen nach § 80 S. 1 BauO Bln anordnen zu können, müssten die Wohnwagen Anlagen i. S. d. BauO Bln sein und im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sein. Außerdem dürften rechtmäßige Zustände nicht auf andere Weise außer durch vollständige Beseitigung hergestellt werden können.

Anmerkung: Es wird dringend empfohlen, bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Abrissverfügung strikt vom Wortlaut der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage auszugehen und unter diesen zu subsumieren. Abzuraten ist von einem vorschnellen Springen auf die Begriffe „formelle und materielle Illegalität“. Siehe hierzu ausführlich: Fischer, NVwZ 2004, 1057 ff.; Lindner, JuS 2014, 118 ff.; ein Beispiel aus der Rspr.: VGH Mannheim, 3 S 2436/02 v. 16.6.2003, Abs. 31 = NuR 2004, 383, 385.

 

I. Campingwagen als „Anlagen“ i. S. d. BauO Bln

Fraglich ist daher zunächst, ob es sich bei den Campingwagen um „Anlagen“ i. S. d. § 80 S. 1 BauO Bln handelt. Anlagen i. S. d. BauO Bln sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 BauO Bln bauliche Anlagen und sonstige Anlagen i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 2 BauO Bln.

Da an Campingwagen durch die BauO Bln keine besonderen Anforderungen gestellt werden, handelt es sich bei ihnen nicht um eine sonstige Anlage nach § 1 Abs. 1 S. 2 BauO Bln.

Der Begriff der baulichen Anlage ist in § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 BauO Bln legal definiert. Hiernach sind bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Bauprodukte sind nach § 2 Abs. 10 Nr. 1 BauO Bln Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden, und nach § 2 Abs. 10 Nr. 2 BauO Bln auch aus Baustoffen und Bauteilen vorgefertigte Anlagen, die hergestellt werden, um mit dem Erdboden verbunden zu werden. Als Beispiele werden vom Gesetz Fertighäuser, Fertiggaragen und Silos genannt.

Die Begriffe „Bauteile“ und „Baustoffe“ wiederum hat die BauO Bln nicht definiert. Nach dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sind Bauteile aus Baustoffen hergestellte Teile, die dazu bestimmt sind, allein oder zusammen mit Baustoffen Bestandteile einer baulichen Anlage zu werden, wie Wände, Decken, Böden, Treppen, Türen, Fenster.[1] Dies wiederum wird als Anlass genommen, um Baustoffe als natürliche oder künstliche Stoffe, die für die Herstellung von Bauteilen bestimmt sind, zu definieren.[2] Letztlich entscheidend ist aber die Zweckbestimmung der Herstellung der Bauprodukte; sie müssen produziert werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden. Dies wiederum stellt einen nicht unproblematischen Zirkelschluss dar, liegt doch eine bauliche Anlage vor, wenn ein Gebilde aus Bauprodukten hergestellt wurde, die wiederum einer Zweckbestimmung für den Einbau in einer baulichen Anlage bedürfen.

Entscheidende Bedeutung kommt demnach dem Kriterium der festen Verbindung mit dem Erdboden zu. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BauO Bln besteht eine Verbindung mit dem Erdboden auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht oder wenn sie dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Hierbei soll es jedoch nicht darauf ankommen, ob die ortsfeste Benutzung zeitlich überwiegt. Entscheidend als Kriterium hinsichtlich der Verbindung zum Boden ist letztlich die Frage, ob die Struktur dauerhaft an einer Stelle verbleiben soll oder gelegentlicher (bestimmungsgemäßer) Bewegung ausgesetzt ist. Es geht um die Antwort auf die Frage, ob die Anlage als Ersatz für ein Gebäude dient.[3] Campingwagen jedenfalls werden grundsätzlich nicht hergestellt, um dauerhaft an einer Stelle zu stehen. Ihr Sinn besteht gerade in der durch sie gewährten Mobilität. Ihre Herstellung erfolgt nicht zur Verbindung mit dem Boden.

Sie könnten aber im konkreten Fall zur festen Verbindung und somit Anlage gewidmet sein. Dafür spricht der Umstand, dass Rüstig den Boden verdichtet hat, um ein Absinken zu verhindern. Andererseits dienen die abgestellten Campingwagen aber gerade nicht als Gebäudeersatz. Sie sollen auch nicht ortsfest genutzt werden. Rüstig stellt die Campingwagen in der Absicht auf seinem Grundstück ab, diese wieder zu verkaufen. Darüber hinaus sind die Campingwagen in ihrer ursprünglichen Widmung für die Fortbewegung vorgesehen gewesen.

Die Produkte, aus denen sie hergestellt werden, werden in der Absicht hergestellt, einen beweglichen Campingwagen zu fertigen.

Für diese Sichtweise spricht auch das Vorhandensein der Regelungen über Fliegende Bauten. An diese werden nach der BauO Bln spezielle Vorschriften gestellt. Nur so sind sie als sonstige Anlage nach § 1 Abs. 1 S. 2 BauO Bln anzusehen. Dann wiederum stellen sie grundsätzlich eben keine bauliche Anlage im bauordnungsrechtlichen Sinne dar.

Die Campingwagen Rüstigs sind demnach weder Bauprodukte, noch handelt es sich bei ihnen nicht eine bauliche Anlage i. S. d. BauO Bln.

 

II. Relevanz des bauplanungsrechtlichen Anlagenbegriffs

Möglicherweise könnten die Wohnwagen jedoch – über den Wortlaut des § 2 Abs. 1 BauO Bln hinaus – als „Anlagen“ zu verstehen sein, weil sie bauplanungsrechtlich als bauliche Anlage i. S. d. § 29 BauGB anzusehen sein könnten. Für den bauplanungsrechtlichen Begriff der baulichen Anlage ist die Herstellung aus Bauprodukten nicht entscheidend. Der bundesrechtliche Begriff der baulichen Anlage ist jedoch gegenüber dem landesrechtlichen ein eigener, und insofern unabhängiger. Dies folgt bereits aus den unterschiedlichen Zielsetzungen des (bundesrechtlichen) Bauplanungsrechts und des (landesrechtlichen) Bauordnungsrechts.[4] Er kann nicht für das Landesrecht, hier § 80 BauO Bln, fruchtbar gemacht werden.

 

III. Ergebnis zu A.

Da es sich bei den abgestellten Campingwagen nicht um eine Anlage i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 BauO Bln handelt, kann ihre Beseitigung nach § 80 S. 1 BauO Bln auch nicht angeordnet werden.

 

B. Nutzungsuntersagung hinsichtlich des Grundstücks

Gelten die Campingwagen nicht als bauliche Anlage, ist weiter fraglich, ob Rüstig aufgrund der Aufschüttung des Gartens mit Schotter und des Abstellens der Campingwagen die Nutzung seines Grundstücks derart geändert hat, dass Koslowsky Maßnahmen ergreifen kann. Erneut kommt § 80 BauO Bln als Grundlage in Betracht. Dabei ist zu beachten, dass es Koslowsky nur um die Beseitigung der Campingwagen, nicht um die Entfernung der Oberflächenbefestigung geht. Es geht ihr also nicht um eine eventuell mögliche teilweise oder vollständige Beseitigung einer baulichen Anlage.

In Betracht kommt vielmehr eine Nutzungsuntersagung nach § 80 S. 2 BauO Bln.

 

I. Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 S. 2 BauO Bln

Dann müsste es sich bei dem Grundstück um eine „Anlage“ i. S. d. § 80 S. 2 BauO Bln handeln (1), die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird (2).

 

1. Grundstück als Anlage

Bei einem (naturbelassenen) Grundstück als solchem handelt es sich nicht um eine Anlage i. S. d. § 80 S. 2 BauO Bln[5], dafür muss es sich um eine Schaffung von Menschenhand handeln.[6] Nach § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BauO Bln sind aber Lagerplätze, Abstellplätze und Ausstellungsplätze auch bauliche Anlagen i. S. d. BauO Bln. Als solche Plätze werden abgegrenzte Flächen außerhalb von Gebäuden, die für das Lagern, Abstellen und Ausstellen von Gegenständen genutzt werden, verstanden.

Die von Rüstig auf seinen Rasen aufgetragene Schotterdecke dient der Oberflächenbefestigung, um anschließend das Grundstück als Ausstellungsort für seine Campingwagen nutzen zu können. Da alle von Rüstig angestrebten Nutzungen unter § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 BauO Bln fallen, bedarf es keiner genaueren Abgrenzung zwischen den einzelnen Nutzungsarten. Es handelt sich mithin um einen Abstell-, Lager- bzw. Ausstellungsplatz. Dieser stellt jedenfalls eine bauliche Anlage dar.


2. Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften

Damit Rüstig die Nutzung seines Gartens als Abstellplatz nach § 80 S. 2 BauO Bln untersagt werden kann, müsste er diesen Garten im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften nutzen (§ 80 S. 2 BauO Bln). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Nutzung seit ihrer Aufnahme in Widerspruch zum materiellen Baurecht steht und nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist, also materiell und formell illegal ist.[7]

Anmerkung: Ob die formelle Illegalität einer Anlage allein eine Nutzungsuntersagung rechtfertigen kann, ist umstritten (dafür in st. Rspr.: OVG Saarlouis, 2 B 367/09 v. 30.6.2009 m. w. N.). Hierauf kommt es jedoch nur dann an, wenn das Vorhaben materiell legal ist. Dagegen ist eine Beseitigungsanordnung bzw. Nutzungsuntersagung ausgeschlossen, wenn ein Vorhaben nur materiell illegal ist, jedoch von einer Baugenehmigung gedeckt ist. Hier genießt das Vorhaben solange Bestandsschutz, bis die Baugenehmigung aufgehoben worden ist (deutlich Fischer, NVwZ 2004, 1057, 1059; Lindner, JuS 2014, 118, 121; Lindner/Struzina, JuS 2016, 226, 228 f.).

 

a) Formelle Illegalität

Die Nutzung des Gartens als Abstellplatz durch Rüstig wäre formell illegal, wenn sie nicht durch eine bereits erlassene Baugenehmigung gedeckt ist, eine Baugenehmigung nach §§ 59 ff. BauO Bln aber notwendig gewesen wäre.

Nach § 59 Abs. 1 BauO Bln bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung, soweit in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 BauO Bln nichts Anderes bestimmt ist.

Eine Nutzungsänderung liegt lediglich dann vor, wenn eine Änderung der funktionalen Bestimmung der Anlage erfolgt, die erneut die Genehmigungsfrage aufwirft.[8] Sie ist also nur dann bauordnungsrechtlich relevant, wenn für die Nutzung andere oder weitergehende Anforderungen nach baurechtlichen Vorschriften bestehen. Die Fläche hinter dem Haus wurde die gesamte Zeit nicht genutzt. Durch das Aufschütten mit Schotter und das Aufstellen der Campingwagen ist nun überhaupt eine, mithin eine komplett andere Nutzung gegeben.

Vorher lag das Grundstück jedoch brach, es lag mithin gar keine bauordnungsrechtliche Anlage vor (s. o.). Demnach kann es sich bei dem Aufschütten des Schotters weder um die Änderung einer Anlage, also die physische Veränderung der Anlage selbst, noch um eine Nutzungsänderung handeln.

Das mit Schotter versehene Grundstück stellt nunmehr eine bauordnungsrechtliche Anlage dar (s. o.). Somit handelt es sich beim erstmaligen Ausbringen des Schotters um die Errichtung einer Anlage.

Das Vorhaben könnte jedoch genehmigungsfrei gewesen sein.

Bei dem Vorhaben handelt es sich gerade nicht um das bloße Aufstellen der Campingwagen. Zwar sind Errichtung und erstmaliger Nutzungszweck untrennbar miteinander verknüpft, da sonst kein Fall denkbar wäre, in dem die reine Nutzungsänderung eine andere bauordnungsrechtliche Beurteilung notwendig machen könnte. Gleichwohl werden vorliegend nicht nur Campingwagen abgestellt sondern großflächig Schotter aufgebracht, weshalb eine Genehmigungsfreiheit über § 76 BauO Bln als Fliegender Bau nicht einschlägig sein kann.

Auch eine Genehmigungsfreistellung nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 BauO Bln kommt mangels Vorliegen eines qualifizierten Bebauungsplans für das Gebiet nicht in Betracht.

Es könnte jedoch Verfahrensfreiheit nach § 61 Abs. 1 Nr. 9 BauO Bln gegeben sein. Dazu müsste es sich bei dem Vorhaben um eine Aufschüttung oder Abgrabung mit einer Höhe oder Tiefe bis zu 2 m und einer Grundfläche bis zu 30 m², im Außenbereich bis zu 300 m², handeln. Fraglich ist insbesondere, ob es sich bei dem Ausbringen des Schotters um eine Aufschüttung im Sinne der Vorschrift handelt. Da jedoch die Fläche des Vorhabens, unabhängig davon, ob es im Außen- oder Innenbereich verortet ist, jedenfalls über 300 m² liegt, kann eine Entscheidung dahinstehen.

Diese Errichtung ist nicht genehmigungsfrei. Rüstig hätte mithin einer Baugenehmigung bedurft.

Tatsächlich hatte er jedoch keine Baugenehmigung für das Ausbringen des Schotters zum Zweck des Abstellens der Campingwagen auf diesem.

Da das Vorhaben des Rüstig genehmigungsbedürftig war, Rüstig aber keine Baugenehmigung für die Errichtung hatte, sind das Vorhaben sowie die spätere widmungsgemäße Nutzung desselben formell illegal.

 

b) Materielle Illegalität

Die von Rüstig vorgenommenen Errichtung könnte auch materiell illegal sein. Da Verstöße gegen Bauordnungsrecht nicht erkennbar sind, kommt hier nur ein Verstoß gegen die bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BauGB in Betracht.

Anmerkung: Im Baugenehmigungsverfahren wären im vorliegenden Fall nach § 63 S. 1 Nr. 2 BauO Bln nur sehr wenige, hier nicht betroffene Vorschriften des Bauordnungsrechts zu prüfen (und nur auf Antrag), weil die Baugenehmigung nach § 63 S. 1 BauO Bln im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu erteilen wäre (kein Sonderbau). Hierauf kommt es aber für die materielle Illegalität einer baulichen Anlage nicht an. Eine Verfügung nach § 80 BauO Bln kann vielmehr auch wegen solcher Baurechtsverstöße ergehen, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind. Die durch die Genehmigung vermittelte Legalisierungswirkung ist auf den Umfang des gesetzlichen Prüfprogramms beschränkt.[9] Dies ergibt sich bereits aus § 59 Abs. 2 S. 2, wonach das vereinfachte Genehmigungsverfahren andere bauaufsichtliche Eingriffsbefugnisse unberührt lässt.

Siehe hierzu auch den Fall „Sonnendeck“.

aa) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Fraglich ist jedoch zunächst, ob die §§ 29 ff. BauGB insoweit überhaupt anwendbar sind. Dann müsste es sich bei dem Vorhaben Rüstigs um die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB oder um eine Aufschüttung oder Abgrabung größeren Umfangs oder um eine Ablagerung einschließlich Lagerstätten handeln. Eine bauliche Anlage liegt vor bei einem Vorhaben, das, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BauO Bln erfüllt sind, eine gewisse „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz aufweist, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berührt, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.[10] Darüber hinaus kann nur dann ein „Vorhaben“ i. S. d. § 29 BauGB vorliegen, wenn Veränderungen am Grundstück vorgenommen wurden; die bloße Aufnahme einer bestimmten Grundstücksnutzung erfüllt diese Vorgaben nicht.[11]

Bei der Einrichtung einer Verkaufsfläche von 350 qm, der Abdeckung mit Schotter und dem Aufstellen von Campingwagen zu Verkaufszwecken wird der Abstellplatz i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB „gebaut“.[12] Die Errichtung einer baulichen Anlage i. S. des § 29 BauGB liegt vor.[13]

 

bb) Vereinbarkeit mit § 30 BauGB

Da jedenfalls kein qualifizierter Bebauungsplan vorliegt, sind vorliegend die Regeln der §§ 34, 35 BauGB heranzuziehen.

 

cc) Vereinbarkeit mit § 34 BauGB

Fraglich ist daher, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richtet. Dann müsste sich das Grundstück Rüstigs innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befinden. Der Bereich des Grundstücks, auf dem sich die Aufschüttung befindet, schließt hier unmittelbar an ein Gebäude an, welches das letzte Gebäude eines in Zusammenhang bebauten Ortsteils ist. Grundsätzlich endet der Innenbereich unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen unmittelbar hinter dem letzten Baukörper des im Zusammenhang bebauten Ortsteils.[14] Eine Fläche, die unmittelbar an das letzte vorhandene Gebäude des Innenbereichs anschließt, zählt damit bereits zum Außenbereich. Das Gebäude ist auf drei Seiten von anderen Wohngebäuden umgeben, aber der Grundstücksteil, auf dem Rüstig die Verkaufs- und Ausstellungsfläche errichtet hat, liegt nicht mehr im Innenbereich, sondern im Außenbereich, so dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens allein nach § 35 BauGB richtet.

 

dd) Vereinbarkeit mit § 35 BauGB

Von daher stellt sich die Frage, ob das Vorhaben mit § 35 BauGB vereinbar ist. Insoweit ist von Bedeutung, ob es sich bei dem Vorhaben um ein nach § 35 Abs. 1 BauGB sog. privilegiertes Vorhaben handelt, das schon dann zulässig ist, wenn ihm öffentliche Belange (insbesondere solche nach § 35 Abs. 3 BauGB) nicht entgegenstehen, oder um ein „sonstiges Vorhaben“ i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB, das immer dann unzulässig ist, wenn es öffentliche Belange i. S. d. § 35 BauGB beeinträchtigt.

 

(1) Zulässigkeit als privilegiertes Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB

Hier könnte allenfalls eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in Betracht kommen. Dann müsste die Ausstellungsfläche wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden können. Dabei muss das Vorhaben notwendigerweise und nicht nur zweckmäßigerweise im Außenbereich ausgeführt werden können. Eine Notwendigkeit lässt sich bejahen, wenn das Vorhaben seine Funktion nur im unbebauten Außenbereich erfüllen kann.[15]

Nach Rüstigs Vortrag ist die Ausstellungsfläche zwar zweckmäßigerweise im Außenbereich, aber keinesfalls notwendig. Zudem dient die Ausstellungsfläche allein der Gewinnerzielung einer Person. Rüstigs Vorhaben fällt damit nicht in den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.

 

(2) Zulässigkeit als „sonstiges Vorhaben“ nach § 35 Abs. 2 BauGB

Das Vorhaben könnte dementsprechend nur nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig sein. Insoweit geht die Rechtsprechung davon aus, dass – entgegen seinem Wortlaut – § 35 Abs. 2 BauGB der Behörde kein Ermessen einräumt, auch ein „sonstiges Vorhaben“ im Außenbereich also genehmigt werden muss, wenn es keine öffentlichen Belange beeinträchtigt. Begründet wird dies vor allem damit, dass die Baufreiheit Bestandteil des nach Art. 14 GG geschützten Eigentums sei und es damit allein dem Gesetzgeber vorbehalten sei, den Inhalt des Eigentums zu bestimmen.[16] Dies ist nicht unbestritten,[17] kann hier jedoch dahingestellt bleiben, wenn das Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt, da dann die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 BauGB schon tatbestandlich nicht gegeben sind. Wann öffentliche Belange beeinträchtigt sind, führt § 35 Abs. 3 BauGB in nicht abschließenden Regelbeispielen auf.

Die für den Außenbereich nicht unwesentliche Ansammlung von Campingwagen bildet einen starken Kontrast zu der im Außenbereich typischen organischen Prägung der Landschaft, stellt mithin eine Störung der natürlichen Eigenart derselben dar, bei der das Orts- und Landschaftsbild nicht unwesentlich verunstaltet wird. Dies beeinträchtigt darüber hinaus auch den Erholungswert der Landschaft. Somit greift § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB ein.

Durch das Vorhaben Rüstigs werden also öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt, so dass es auch nicht gem. § 35 Abs. 2 BauGB mit dem Bauplanungsrecht vereinbar ist.

 

(3) Ergebnis zu dd)

Das Vorhaben widerspricht somit § 35 BauGB.

 

ee) Ergebnis zu b)

Somit ist die Aufschüttung des Grundstücks zur Nutzung desselben als Abstellplatz auch materiell illegal.

 

c) Ergebnis zu 2.

Das Grundstück wird somit in Widerspruch zu öffentlichen Vorschriften genutzt.

 

3. Rüstig als richtiger Adressat der Nutzungsuntersagung

Da die Frage, wer Adressat der verschiedenen bauordnungsrechtlichen Handlungsmöglichkeiten und Verpflichtungen ist, von der BauO Bln – mit Ausnahme des hier nicht anwendbaren § 52 BauO Bln – nicht geregelt ist, sind insofern entsprechend § 17 Abs. 2 S. 2 ASOG die allgemeinen Vorschriften der §§ 13 ff. ASOG heranzuziehen.[18] Hier beruht die materiell illegale Nutzung vor allem auf dem Verhalten Rüstigs, der auf seinem Grundstück die Campingwagen aufstellt, so dass er als Verhaltensstörer (§ 13 Abs. 1 ASOG) anzusehen ist. Darüber hinaus ist er als Eigentümer des Grundstücks für dessen Nutzung nach § 14 Abs. 3 S. 1 ASOG verantwortlich.

Anmerkung: Die Frage, ob der polizeirechtlich in Anspruch Genommene überhaupt in Anspruch genommen werden darf, ist keine Frage des Entschließungs- oder gar des Rechtsfolgeermessens und damit auch keine Frage der Verhältnismäßigkeit. Sie darf auf keinen Fall mit der Frage verwechselt werden, ob die Auswahl zwischen mehreren Pflichtigen ohne Ermessensfehler getroffen wurde. Auch stellt sich diese Frage nur, wenn mehrere Personen nach den §§ 13 ff. ASOG materiell verpflichtet sind, also überhaupt als Adressaten einer Gefahrenabwehrverfügung in Betracht kommen, siehe hierzu den Fall „Baumfällig“.

 

II. Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln[19])

§ 80 S. 2 BauO Bln räumt der Bauaufsichtsbehörde bezüglich der Rechtsfolge in unterschiedlicher Weise Ermessen ein, nämlich sowohl hinsichtlich des „Ob“ des Tätigwerdens (Entschließungsermessen), hinsichtlich des Inhalts der Maßnahme (Auswahlermessen hinsichtlich des Mittels) als auch hinsichtlich des Adressaten der Maßnahme (Auswahlermessen bezüglich des Störers). Die Nutzungsuntersagung ist daher nur dann rechtmäßig, wenn kein Verstoß gegen § 40 VwVfG vorliegt.

Hinsichtlich des „Ob“ des Tätigwerdens sind keine Bedenken ersichtlich. Koslowsky überlegt ja gerade, welche Mittel ihr zur Verfügung stehen. Sie hat ihr Ermessen gemäß § 40 Alt. 1 VwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt, weil eindeutig allein bauaufsichtsrechtliche Erwägungen für die Nutzungsuntersagung maßgeblich waren.

Hinsichtlich des „Wie“ des Tätigwerdens ist vor allem auf die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gemäß § 40 Alt. 2 VwVfG zu achten, zu denen insbesondere auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip (vgl. § 11 ASOG, § 40 VwVfG) gehört.

Anmerkung: Siehe zum Verhältnismäßigkeitsprinzip diesen Hinweis.

Die Schaffung baurechtsmäßiger Zustände stellt ein legitimes Ziel dar. Die Untersagung der Nutzung des Grundstücks als Abstellfläche für Campingwagen ist geeignet, baurechtsgemäße Zustände wiederherzustellen, und insoweit auch erforderlich, weil der Bauaufsichtsbehörde andere, mildere Mittel zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands nicht zur Verfügung stehen. Rüstig kann sich darüber hinaus nicht auf Bestandsschutz berufen, weil die Nutzung eben nicht – wie festgestellt – durch eine Baugenehmigung gedeckt ist, sodass auch die Verhältnismäßigkeit i .e. S. gewahrt ist.

Mangels anderer Alternativen gab es hinsichtlich der Störerauswahl keine Möglichkeit, Ermessen auszuüben.

Somit wäre die Anordnung der Nutzungsuntersagung auch nicht ermessensfehlerhaft.

 

III. Ergebnis zu B.

Damit war die Nutzungsänderung formell und materiell illegal und kann auch ermessensgerecht untersagt werden. Daher kann Koslowsky auf der Grundlage des § 80 S. 2 BauO Bln eine Nutzung des Grundstücks als Abstellplatz untersagen.

 

C. Gesamtergebnis

Koslowsky kann zwar nicht die Beseitigung der Wohnwagen nach § 80 S. 1 BauO Bln anordnen, weil diese selbst nicht gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen, wohl aber eine weitere Nutzung des Grundstücks als Abstellplatz für Campingwagen nach § 80 S. 2 BauO Bln untersagen, was im Ergebnis letztlich auch die Beseitigung der Wohnwagen beinhaltet.

 

Siehe hierzu:

 

BVerwGE 18, 247 ff; BVerwG, IV C 33.71 v. 31.8.1973 = BVerwGE 44, 59 ff.; BVerwG, 4 C 15.90 v. 14.9.1992 = NVwZ 1993, 985 ff.; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1998, 616 ff.; OVG Greifswald, 3 L 108/11 v. 4.9.2013, Abs. 47 = NordÖR 2013, 514 ff.

 

Ihnen, NdsVbl. 2001, 315 f.; Ortloff, NVwZ 1988, 320 ff.; Scheidler, ZfBR 2016, 116 ff.

 

In bauaufsichtlichen Verfahren ist im Widerspruchsverfahren § 88 BauO Bln zu beachten; u.U. kann sich eine veränderte Zuständigkeit ergeben.

 

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Fußnoten

[1] Vgl. VGH Mannheim, 3 S 2138/82.

[2] So Jeromin, in: Jeromin, LBauO Rh-Pf, 4. Auflage 2016, § 2 Rn. 107.

[3] Für die insoweit wortgleiche Norm der LBO BaWü: Dürr, Baurecht Baden-Württemberg, 14. Aufl. 2013, Rn. 91.

[4] BVerwG, IV C 33.71 v. 31.8.1973, Rn 20 f. = BVerwGE 44, 59, 60 f.

[5] Vgl. Bitz/Schwarz/Seiler-Dürr/Dürr, Rn. IX 22.

[6] Jeromin, in: Jeromin, LBauO Rh-Pf., 4. Aufl. 2016, § 2 Rn. 8.

[7] Hahn/Radeisen, § 79 Rn. 5 (§ 79 BauO Bln war die weitgehend gleichlautende Vorgängervorschrift).

[8] Siegel, in: Siegel/Waldhoff, Öffentliches Recht in Berlin, 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 177.

[9] OVG Berlin-Brandenburg, OVG S 99.09 v. 23.6.2010, Abs. 4 = NVwZ-RR 2010, 794, 795.

[10] Vgl. Brohm, § 18 Rn. 19 ff.

[11] Ihnen, NdsVBl. 2001, 315 f.

[12] So auch BVerwG, 4 C 15.90 v. 14.9.1992, Abs. 10 = DVBl. 1993, 111.

[13] Vgl. BVerwG BauR 1993, 300f.

[14] BVerwG, 4 C 7.10 v. 16.9.2010, Abs. 12 mwN = NVwZ 2011, 436.

[15] Mitschang/Reidt, in: Battis/Krauzberger/Löhr, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 34.

[16] BVerwGE 18, 247, 249 ff.

[17] Vgl. z. B. Ortloff, NVwZ 1988, 320 ff.

[18] Hahn/Radeisen, § 58 Rn. 15.

[19] Auf den Verweis auf das VwVfG Bln wird im Folgenden verzichtet.


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)


Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Dezember 2016 (Änderungen des Dritten Gesetzes zur Änderung der BauO von Berlin sind bereits eingearbeitet)