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Abgeflammt (Lösungsvorschlag)

Die Klage der Hubert-Hölzl-KG hätte Erfolg, wenn sie zulässig und begründet wäre.

A. Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO gegeben sind.

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

 

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Mangels einer aufdrängenden Sonderzuweisung ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vorliegt, also die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören. Hier wird um die Erteilung eines Bauvorbescheides nach § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln gestritten. § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ist eine Norm, die dem öffentlichen Recht angehört. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht einschlägig.

 

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO), so dass das Rechtsschutzziel des Klägers ermittelt werden muss.[1] Das Begehren der Hubert-Hölzl-KG ist darauf gerichtet, den Bauvorbescheid für die geplante Fabrikhalle zu erhalten. Diesem Begehren würde die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO gerecht, wenn der Vorbescheid nach § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ein Verwaltungsakt i. S. d. VwGO wäre. Ob ein Verwaltungsakt in diesem Sinne vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach der Legaldefinition des § 35 VwVfG und der diesem entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.[2] Danach ist ein Verwaltungsakt eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalles, welche auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

Die Verwaltungsakt-Eigenschaft des Vorbescheides könnte bezweifelt werden, wenn man annimmt, durch den Vorbescheid werde keine endgültige Regelung getroffen, ihm daher nur den Charakter einer Zusicherung i. S. d. § 38 VwVfG zumisst[3] und darüber hinaus die Zusicherung i. S. d. § 38 VwVfG nicht als Verwaltungsakt sieht[4]. Hier, d. h. durch den Vorbescheid, wird aber nicht ein künftiger Verwaltungsakt in Aussicht gestellt, sondern ein Teil der Baugenehmigung vorweggenommen. Hinsichtlich der vom Bauherrn gestellten Fragen soll eine abschließende und verbindliche Entscheidung getroffen werden, so dass ein Ausschnitt aus der späteren Baugenehmigung endgültig geregelt wird.[5] Dies lässt sich auch aus der in § 75 Abs. 1 S. 4 BauO Bln angeordneten Geltung von Vorschriften über die Baugenehmigung (z. B. über die Einreichung sämtlicher Unterlagen) entnehmen. Die Annahme, es handele sich bei dem Vorbescheid um eine Zusicherung, wird demnach dem Regelungsinstitut des Vorbescheides nicht gerecht.

Also ist die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart.

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Die Hubert-Hölzl-KG müsste gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein, d. h. es müsste die Möglichkeit bestehen, sie durch die Nichterteilung des Bauvorbescheides in ihren Rechten zu verletzen. Dies ist der Fall, wenn sie einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides haben könnte. Ein solcher Anspruch könnte sich hier aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ergeben. Die Hubert-Hölzl-KG ist daher gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.

Anmerkung: Falsch wäre es hier, die Klagebefugnis auf die Adressatentheorie zu stützen, siehe hierzu diesen Hinweis. Auch aus Art. 14 Abs. 1 GG ergibt sich allenfalls ein Anspruch darauf, sein Grundstück bebauen zu können, nicht jedoch ein Anspruch gerade auf Erteilung einer Baugenehmigung: Dies zeigen deutlich die §§ 59 ff. BauO Bln, die nicht für jedes Bauvorhaben die Erteilung einer Baugenehmigung vorschreiben.

 

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Das Vorverfahren gemäß § 68 VwGO ist ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Anmerkung: Das Bezirksamt war hier nach § 27 Abs. 1 lit. b AZG Bln i. V. m. §§ 185 Abs. 2, 73 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die zuständige Widerspruchsbehörde. Die abweichende Zuständigkeit der Senatsverwaltung nach § 88 BauO Bln (= § 86 Abs. 1 BauO Bln a. F.) ist hier mangels Tatbestandserfüllung nicht einschlägig, sollte aber nie vergessen werden, obwohl sie seit der Gesetzesänderung zum 01.01.2017 erheblich an Relevanz verloren hat.

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen das Land Berlin zu richten.

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung des § 78 VwGO diesen Hinweis.

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§ 61 VwGO)

Den juristischen Personen i. S. d. § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO werden zwar solche Personenmehrheiten gleichgestellt, denen die Fähigkeit zuerkannt ist, im eigenen Namen zu klagen oder verklagt zu werden.[6] Die Beteiligtenfähigkeit ergibt sich für die Kommanditgesellschaft letztlich aber aus § 161 Abs. 2 i. V. m. § 124 HGB.[7] Die Hubert-Hölzl-KG ist somit beteiligtenfähig.

Das Land Berlin ist nach § 61 Abs. 1 Var. 2 VwGO beteiligtenfähig.

Die Hubert-Hölzl-KG und das Land Berlin handeln im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter.

Anmerkung: Siehe zum Behördenbegriff des § 61 Nr. 3 VwGO diesen Hinweis.

 

VII. Ergebnis zu A.

Eine form- (§ 81 Abs. 1 VwGO) und fristgerecht (§§ 74, 58 VwGO) erhobene Klage wäre somit zulässig.

 

B. Begründetheit

Eine Verpflichtungsklage ist – entgegen dem insoweit zumindest ungenauen Wortlaut des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO – nicht schon dann begründet, wenn die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts (teilweise) rechtswidrig ist und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 VwGO). Vielmehr kommt es nach einhelliger Auffassung[8] darauf an, ob der Kläger (jetzt noch) einen Anspruch auf den unterlassenen oder versagten Verwaltungsakt hat. Die Klage ist dementsprechend begründet, wenn die Hubert-Hölzl-KG einen Anspruch aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln auf Erteilung eines Bauvorbescheides hat, in dem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Vorhabens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung des Grundstücks festgestellt wird. Ein solcher Anspruch besteht, wenn das Vorhaben genehmigungsbedürftig und hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung mit den §§ 29 ff. BauGB vereinbar ist.

 

I. Genehmigungsbedürftigkeit

Wie sich aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ergibt, kommt die Erteilung eines Vorbescheides nur dann in Betracht, wenn das Vorhaben genehmigungsbedürftig ist.[9] Bei Genehmigungsfreiheit kann folglich ein Vorbescheid nicht verlangt werden.[10] Die Genehmigungsbedürftigkeit richtet sich nach § 59 Abs. 1 BauO Bln. Die geplante Fabrikhalle erfüllt unproblematisch die Voraussetzungen einer baulichen Anlage und somit auch der Anlage gemäß § 2 Abs. 1 BauO Bln; eine Ausnahmevorschrift (§§ 60 bis 62, 76, 77 BauO Bln) greift nicht ein, so dass die Wiedererrichtung der Fabrikhalle genehmigungsbedürftig ist.

 

II. Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Die Vereinbarkeit des Vorhabens der Hubert-Hölzl-KG mit den §§ 29 ff. BauGB könnte dahinstehen, wenn diese Bestimmungen auf das Vorhaben schon gar nicht anwendbar wären. Sie wären unanwendbar, wenn es sich bei der Fabrikhalle nicht um eine bauliche Anlage i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB handelte, also nicht um ein Vorhaben, das – unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BauO Bln erfüllt sind – eine gewisse „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz aufweist. Um diese Relevanz aufzuweisen, müsste es die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.[11] Dies ist bei einer Fabrikhalle dieser Größe gerade auch im Hinblick auf die hiervon ausgehenden Lärmemissionen (auch wenn diese das Wohnen nicht wesentlich stören) zu bejahen, so dass bei einem solchen Vorhaben die §§ 29 ff. BauGB anzuwenden sind.

Anmerkung: Keine bauliche Anlage i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB, wohl aber i. S. d. Bauordnungsrechts, soll nach OVG Hamburg[12] etwa eine „klassische“ Litfaßsäule auf einem öffentlichen Weg sein.

 

III. Vereinbarkeit mit § 34 Abs. 2 BauGB

Das Grundstück der Hubert-Hölzl-KG befindet sich in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, für den kein Bebauungsplan besteht; die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher nach § 34 BauGB. Nach dessen Abs. 1 ist in diesem Fall ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allein danach, ob das Vorhaben nach der BauNVO in diesem Baugebiet zulässig wäre. Daher ist § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung lex specialis zu § 34 Abs. 1 BauGB. Somit ist zunächst zu fragen, ob die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete entspricht. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich grundsätzlich allein nach dem faktischen und sichtbaren Zustand des Gebietes.[13] Zunächst ist daher zu untersuchen, welchen Gebietscharakter der Ortsteil nach diesen Kriterien heute aufweist und ob in diesem Gebiet die Verwirklichung des geplanten Vorhabens zulässig wäre (1.). Ist dies zu verneinen, stellt sich die Frage, ob nicht ausnahmsweise für die Gebietsbeurteilung auf den Zustand abzustellen ist, wie er sich vor dem Brand darstellte, heute aber nicht mehr sichtbar ist und ob unter diesen Voraussetzungen das Vorhaben der Hubert-Hölzl-KG als zulässig erscheint (2.).

 

1. Zulässigkeit des Vorhabens nach dem heutigen faktischen und sichtbaren Zustand

Kommt es für die Beurteilung des Gebiets grundsätzlich auf den heutigen faktischen Zustand an, folgt hieraus, dass bei der Gebietsbeurteilung das nicht realisierte Vorhaben des Gießerei- und Kunstschmiedebetriebes nicht zu berücksichtigen ist, da dieses Vorhaben eben nicht verwirklicht worden ist und damit auch die Eigenart der näheren Umgebung nicht prägt. Die alte Fabrikhalle ist vollständig abgebrannt, prägt daher heute das Gebiet nicht mehr sichtbar und kann demnach ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

 

a) Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4a BauNVO

In Betracht kommt zunächst eine Charakterisierung des Gebietes als besonderes Wohngebiet nach § 4a BauNVO.

Jedoch ist bereits fraglich, ob § 34 Abs. 2 BauGB auch auf § 4a BauNVO verweist, da die Besonderheit dieses Gebietes gerade in der diesem Gebiet von der Gemeinde (in Berlin: vom Bezirk) zugewiesenen künftigen Entwicklung liegt. Insoweit geht es darum, dass unter Berücksichtigung der Eigenart des Gebiets die „Wohnnutzung erhalten und fortentwickelt werden soll“. Die innerhalb dieses Rahmens in die Zukunft gerichteten planerischen Absichten der Gemeinde (in Berlin: des Bezirks) sind daher ein wesentliches Merkmal einer Gebietsfestsetzung nach § 4a BauNVO Sie sind jedoch einer Wahrnehmung nicht zugänglich, deren Aufgabe es ist, den tatsächlichen Gebietscharakter zu dem Zeitpunkt zu ermitteln, in dem über die Zulässigkeit des Vorhabens zu entscheiden ist. Im Hinblick darauf scheidet eine Anwendung des § 4a BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB aus.[14]

 

b) Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO

Die nähere Umgebung könnte sich jedoch heute als ein allgemeines Wohngebiet i. S. d. § 4 BauNVO darstellen.

Die Wohnhäuser wären gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO und die Kapelle wäre aufgrund von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig.

Bei den verschiedenen Läden und der kleinen Schusterwerkstatt ist davon auszugehen, dass sie hauptsächlich der Versorgung des betreffenden Gebiets dienen und daher nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässig wären.

Grundsätzlich gehören auch Asylbewerberheime zu den zulässigen Anlagen in Wohngebieten. Dabei wurde zunächst teilweise angenommen, es handele sich bei Asylbewerberheimen um Wohngebäude i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.[15] Nach zwischenzeitlich wohl überwiegender Ansicht wird jedoch eine Einstufung als Wohngebäude abgelehnt, weil fremdbestimmte Unterbringung den Begriff des Wohnens nicht erfülle. Asylbewerberheime werden stattdessen als Anlagen für soziale Zwecke i. S. d. § 4 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO eingestuft – obgleich die Nutzung eine dem Wohnen ähnliche sei.[16]

In beiden Fällen wäre das Asylbewerberheim zulässig.

Anmerkung: Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass insbesondere der VGH Mannheim in dem zitierten Beschluss (8 S 2504/12 v. 14.3.2013) keine Entscheidung treffen musste, ob es sich bei einer Asylunterkunft um eine Anlage für soziale Zwecke handelt. Für diesen Fall entschied der VGH allerdings, dass Asylunterkünften, die nach ihrer Zweckbestimmung für eine nicht nur unbeachtlich kurze Dauer Lebensmittelpunkt des einzelnen Asylbewerbers werden, wohnähnlicher Charakter zukomme, weshalb sie sich auch nicht – trotz einer Einstufung als Anlage für soziale Zwecke – mit einem Gewerbegebiet vertrügen.

Angesichts der zunehmenden (vorübergehenden) Sonderregelungen für „Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und sonstige Unterkünfte“ sowie für „Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende“ in § 246 Abs. 8 bis 17 BauGB kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass derartige Einrichtungen eine eigenständige Nutzungsart darstellen und dementsprechend nicht als Anlage für soziale Zwecke zu qualifizieren wären.[17]

Hiergegen spricht wiederum, dass dies wohl kaum dem Anliegen des Gesetzgebers gerecht würde, durch die umfangreichen Regelungen die Zulassung von Unterkünften für Asylbewerber zu erleichtern.

Die Nachbarschaft stellt sich demnach als einem allgemeinen Wohngebiet i. S. d. § 4 BauNVO entsprechend dar.

Weil in einem solchen Gebiet eine Fabrikhalle dieser Ausmaße und Art nicht allgemein zulässig wäre, wäre ihre Errichtung nach § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB grundsätzlich bauplanungsrechtlich ausgeschlossen. Es käme auch keine ausnahmsweise Zulässigkeit im Wege der Ausnahme nach § 34 Abs. 2 Hs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Betracht, handelt es sich doch bei dem geplanten Vorhaben nicht um einen nicht störenden Gewerbebetrieb.

 

c) Ergebnis zu 1.

Nach dem heute sichtbaren Zustand der näheren Umgebung wäre das Vorhaben der Hubert-Hölzl-KG folglich nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO bauplanungsrechtlich unzulässig und könnte daher allenfalls im Wege der Befreiung nach § 34 Abs. 2 Hs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB genehmigt werden, auf die jedoch kein Anspruch besteht (siehe hierzu unten die Anmerkung bei B.III.3).

 

2. Maßgeblichkeit des früheren faktischen und sichtbaren Zustands des Gebiets für die Zulässigkeit des Vorhabens

Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieses Ergebnis dem vorliegenden Sachverhalt gerecht wird, weil in dem Gebiet jedenfalls vor dem Brand mit der zulässigerweise errichteten Fabrikhalle ein störender Gewerbebetrieb ansässig war. Insoweit ist zunächst zu klären, ob nach Maßgabe des § 34 BauGB vor dem Brand die Errichtung des Vorhabens der Hubert-Hölzl KG bauplanungsrechtlich zulässig gewesen wäre (a). Ist dies zu bejahen ist zu untersuchen, ob dieses Gebiet diesen Charakter durch den Brand wirklich verloren hat (b).

 

a) Zulässigkeit des Vorhabens nach dem früheren faktischen und sichtbaren Zustand des Gebiets

Auch nach dem früheren faktischen und sichtbaren Zustand hätte sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Hubert-Hölzl KG hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB gerichtet, wenn sich das Vorhaben einem der in §§ 2 ff. BauNVO genannten Baugebiete zuordnen ließe.

 

aa) Wortlaut des § 6 BauNVO

Stellt man allein auf den Wortlaut des § 6 BauNVO ab, wäre vor dem Brand eine Einordnung als Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO in Betracht gekommen.

Die Wohnhäuser wären nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, die Läden nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO und die Kapelle nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO zulässig.

Eine kleine Schusterwerkstatt stört sicherlich das Wohnen nicht wesentlich, so dass sie gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 1 BauNVO zulässig wäre.

Das Asylbewerberheim wäre entweder nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 oder nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO zulässig.

Die (nunmehr abgebrannte) Fabrikhalle stellte einen Gewerbebetrieb dar. Die Hubert-Hölzl-KG hatte an diesem Standort über Jahrzehnte ohne Beschwerden der Umgebung produziert. Durch die von ihr ausgehenden Lärmemissionen hatte die Fabrik das Wohnen möglicherweise zwar beeinträchtigt, jedenfalls störten diese Beeinträchtigungen das Wohnen aber nicht wesentlich. Die Fabrikhalle war daher gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig.[18]

Anmerkung: Nach OVG Lüneburg (1 LB 5/07 v. 9.10.2007 = NVwZ-RR 2008, 374, 375) und OVG Münster (NVwZ-RR 1998, 218) seien bei einer gebotenen typisierenden Betrachtungsweise größere Tischlereien immer als das Wohnen wesentlich störende Gewerbebetriebe anzusehen und daher selbst in einem Mischgebiet grundsätzlich unzulässig. Noch weitergehender ist die Entscheidung des VGH München, 26 B 04.931 vom 22. Juli 2004, wonach selbst ein „Ein-Mann-Betrieb“ in Mischgebieten unzulässig sei, wenn er sich im Hinblick auf die Emissionen nicht wesentlich von einer typischen Schreinerei unterscheide. Vorliegend handelt es sich aber laut Sachverhalt bei dem Vorhaben der Hubert-Hölzl-KG um einen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb, der gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sogar ausnahmsweise in einem allgemeinen Wohngebiet zugelassen werden kann (zu den möglichen Ausnahmen: BVerwG, NJW 1971, 1266). Diese Sachverhaltsangabe ist vielleicht unrealistisch, hier aber nicht zu hinterfragen.

Damit wäre auch die Neuerrichtung der Fabrikationsgebäude nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig gewesen.

 

bb) Hinreichende Durchmischung

Der Einordnung als Mischgebiet könnte jedoch entgegenstehen, dass in dem fraglichen Gebiet Wohnnutzung und nicht wesentlich störende gewerbliche Nutzung nicht ausreichend „durchmischt“ waren. Die Eigenart des Mischgebiets als Baugebietstypus nach § 6 Abs. 1 BauNVO zeichnet sich dadurch aus, dass es sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe dient, wobei der Verordnungsgeber diese Hauptnutzungsarten nicht in ein Rangverhältnis zueinander gestellt hat. Hieraus wird zwar geschlossen, dass die Nutzungen durch Wohnen und durch die Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe gleichrangig nebeneinanderstehen. Jedoch ist das Verhältnis der beiden Nutzungsarten zueinander weder nach der Fläche noch nach den Anteilen zu bestimmen; es darf lediglich nicht eine Nutzung ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen.[19] Hier wird man daher aufgrund der Größe der Anlagen der Hubert-Hölzl-KG von einer hinreichenden Durchmischung beider Nutzungsarten ausgehen können, so dass auch entsprechend dem durch § 6 Abs. 1 BauNVO bestimmten Charakter ein Mischgebiet vorliegt.

 

cc) Fremdkörpercharakter der Fabrikhalle

Der Einordnung als Mischgebiet könnte jedoch schließlich noch entgegenstehen, dass bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 2 BauGB singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich sind, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden.[20]

Wären diese Grundsätze im vorliegenden Fall anwendbar, die Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG also als „singuläre Anlage“ zu verstehen, wäre das fragliche Gebiet damit auch vor dem Brand als allgemeines Wohngebiet einzustufen, die Errichtung der Fabrikhalle also bauplanungsrechtlich unzulässig gewesen. Es ist allerdings fraglich, ob diese Auffassung, welche bei der Bestimmung des Gebietscharakters eine wertende Entscheidung zulässt,[21] mit der Regelung des § 34 Abs. 2 BauGB vereinbar ist, welche lediglich auf die vorhandene Bebauung abstellt.[22] Unabhängig davon könnten jedoch die Voraussetzungen der Anwendbarkeit dieser Grundsätze im vorliegenden Fall nicht vorliegen.

Es könnte bereits an einer im Wesentlichen homogenen Bebauung der Umgebung fehlen. In dem durch das Bundesverwaltungsgericht[23] entschiedenen Fall war ein bestimmtes, um einen störenden Gewerbebetrieb herum gelegenes Gebiet aufgrund eines später für nichtig erklärten Bebauungsplans als „reines Wohngebiet“ i. S. d. § 3 BauNVO ausgewiesen und deshalb ausschließlich mit Wohnhäusern bebaut worden. Hiermit lässt sich die Situation im Ortskern von Buchholz nicht vergleichen, der auch ohne Berücksichtigung der Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG aufgrund der verschiedenen dort vorhandenen Nutzungsarten als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO einzustufen wäre, was eine Homogenität der vorhandenen Bebauung letztlich ausschließt.[24]

Zweifelhaft ist ebenfalls, ob die Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG in „auffälligem Kontrast“ zu ihrer Umgebung standen. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass es in dem durch das Bundesverwaltungsgericht[25] entschiedenen Fall fraglich war, ob ein bestimmtes Gebiet bei Nichtberücksichtigung des störenden Gewerbebetriebes als reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO oder als Mischgebiet nach § 6 BauNVO einzustufen ist. Hier steht jedoch bloß die Abgrenzung zwischen allgemeinem Wohngebiet und Mischgebiet in Frage, wobei die Grenze zwischen beiden Gebietsarten fließend ist, so dass schon deshalb kein „auffälliger Kontrast“ zwischen den Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG und ihrer Umgebung entstehen kann.[26]

Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass die Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG im auffälligen Kontrast zur näheren Umgebung stehen, wird man doch nach den Angaben im Sachverhalt annehmen müssen, dass sie die nähere Umgebung beherrschten und mit ihr eine Einheit bildeten. Hier spielt insoweit der historische Ablauf der Bebauung des fraglichen Gebiets eine Rolle. Anders als im Fall des Bundesverwaltungsgerichts[27] ist die bauliche Entwicklung in diesem Gebiet noch nicht zum Abschluss gekommen, was sich etwa daran zeigt, dass erst im Januar letzten Jahres die Genehmigung zur Errichtung eines größeren Gießerei- und Kunstschmiedebetriebes erteilt worden war, was den Charakter des Gebiets als Mischgebiet verfestigt hätte. Weil die heranrückende Bebauung den Betrieb der Hubert-Hölzl-KG berücksichtigen musste und die Existenz desselben nicht in Frage stellen konnte, ergibt sich schon aufgrund dieser Priorität ein prägender Charakter der Fabrikhalle der Hubert-Hölzl-KG. Im Übrigen scheinen auch die Nachbarn den prägenden und beherrschenden Charakter der Anlagen der Hubert-Hölzl-KG nicht in Frage zu stellen, da sie gegen die Wiedererrichtung der Fabrikationsanlagen der Hubert-Hölzl-KG keine Einwendungen erheben. Für einen prägenden Charakter spricht schließlich nicht zuletzt auch der Umfang der Anlagen der Hubert-Hölzl-KG insgesamt.

Die Anlagen der Hubert-Hölzl-KG stellen somit keinen unbeachtlichen Fremdkörper dar.

 

dd) Ergebnis zu a)

Folgt man dem, wäre also das fragliche Gebiet vor dem Brand aufgrund der Prägung der Umgebung durch den Betrieb der Hubert-Hölzl-KG als Mischgebiet i. S. d. § 6 BauNVO einzustufen und die Errichtung weiterer, das Wohnen nicht wesentlich störender Gewerbetriebe nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig gewesen. Auch wäre vor dem Brand eine Erweiterung der Produktionsstätte der Hubert-Hölzl-KG gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig gewesen.

 

b) Verlust der Prägung der Umgebung durch die Vernichtung der Fabrikationsanlagen in Folge des Brandes

Fraglich ist daher, ob diese vor dem Brand bestehende Prägung des Gebiets durch den Betrieb der Hubert-Hölzl-KG (nur) durch den Brand völlig verloren gehen konnte oder ob nicht unter Berücksichtigung der Interessen der Hubert-Hölzl-KG auch nach dem Brand (zunächst) noch von dem Vorliegen eines Mischgebiets auszugehen ist, um dieser den Wiederaufbau ihres Betriebes zu ermöglichen.

 

aa) Eigentumsverfestigte Anspruchsposition der Hubert-Hölzl-KG

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1974[28] in einem vergleichbaren Fall, bezogen auf den Außenbereich (vor Inkrafttreten des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB), angenommen, dass sich trotz entgegenstehender baurechtlicher Vorschriften unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ergeben könne, wenn sich die Baulandqualität eines Grundstücks schon zu „Eigentum“ i. S. d. Art. 14 GG verfestigt habe (sog. „eigentumsverfestigte Anspruchsposition“). Dies setze zweierlei voraus, „nämlich erstens, daß überhaupt irgendwann ein Anspruch auf die Zulassung der Bebauung entstanden ist, und zweitens, daß dieser Anspruch nach Art. 14 Abs. 1 GG gegen eine entschädigungslose Entziehung geschützt, also mit anderen Worten ‚Eigentum‘ im Sinne dieser Vorschrift geworden ist“[29], was insbesondere dann der Fall sein könne, wenn ein ursprünglich zulässigerweise errichtetes Gebäude durch Brand oder ein Naturereignis zerstört wird, nach der Verkehrsauffassung eine freiwillige Beseitigung des Gebäudes aber als offensichtlich unvernünftig erscheinen müsse. Die sich aus den einschlägigen baurechtlichen Vorschriften nunmehr ergebende baurechtliche Unzulässigkeit des Wiederaufbaus in der gegebenen Situation sei dann nicht vorgezeichnet, sondern die Verkehrsauffassung vermisse unter Berücksichtigung der vorhanden gewesenen und vorzeitig zerstörten Bebauung diese zerstörte Bebauung. Die Angemessenheit des Wiederaufbaus dränge sich ihr damit geradezu auf. Diese Grundsätze wurden auch im unbeplanten Innenbereich für anwendbar gehalten.[30]

Das Gebäude wurde zwar ursprünglich baurechtmäßig errichtet, aufgrund der engen Grenzen, die das Bundesverwaltungsgericht für die Anwendbarkeit der Grundsätze gezogen hat, ist es jedoch zweifelhaft, ob im konkreten Fall die Angemessenheit des Wiederaufbaus aufdrängt und dieser als verfassungsrechtlich geboten anzusehen wäre.

 

bb) Abschließende einfachrechtliche Regelung der Baurechte durch das BauGB

Das Bundesverwaltungsgericht ist in späteren Entscheidungen, insbesondere in einer Entscheidung vom 12. März 1998[31] von seiner früheren Rechtsprechung insoweit abgerückt, als dass es nicht mehr annimmt, dass sich unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung auch außerhalb der gesetzlichen Regelungen ergeben könne. Vielmehr bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nur nach Maßgabe des einfachen Rechts, das sich allerdings am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG messen lassen müsse. Damit hat das Gericht seine frühere Rechtsprechung zum Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung aufgrund eigentumsverfestigter Anspruchsposition ausdrücklich aufgegeben.

Jedoch folgt hieraus nicht, dass die den früheren Entscheidungen zur eigentumsverfestigten Anspruchsposition zu Grunde liegenden Wertungen bei der Anwendung baurechtlicher Normen keine Rolle mehr spielen können. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht seine frühere Rechtsprechung zur eigentumsverfestigten Anspruchsposition ausdrücklich insbesondere auch deshalb aufgegeben, weil seiner Ansicht nach die Fallgruppen, für die diese Konstruktion ursprünglich gedacht worden war, nunmehr vom Gesetzgeber normiert seien, was insbesondere für den Fall des Wiederaufbaus nach Brandzerstörung gelte, der mittlerweile durch § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB geregelt sei.[32]

Dies spricht für die Annahme, dass in § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB ein allgemeiner Rechtsgedanke enthalten ist, der zumindest auch bei der Auslegung des § 34 BauGB zu berücksichtigen wäre. Diese Annahme erscheint vor allem auch deshalb als gerechtfertigt, weil § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB den „alsbaldigen“ Wiederaufbau eines durch Brand zerstörten Gebäudes sogar im Außenbereich für zulässig erklärt, wo eine Bebauung grundsätzlich nur unter sehr viel stärker eingeschränkten Voraussetzungen als im Innenbereich möglich ist, so dass dieser Rechtsgedanke erst recht auch im unbeplanten Innenbereich gelten muss. Unter Anwendung dieses Rechtsgedankens auf § 34 Abs. 2 BauGB könnte man bei der Bestimmung des maßgeblichen Gebietstyps, sofern ein zulässigerweise errichtetes Gebäude durch Brand o. ä. zerstört worden ist, die Lage vor der Zerstörung zur Grundlage der Entscheidung machen, solange diese Situation unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung das fragliche Gebiet noch prägt.[33]

 

cc) Bedeutung der Einführung des § 34 Abs. 3a BauGB durch das EAG-Bau

Gegen die Zulässigkeit der Beurteilung des Gebietscharakters im Innenbereich auch unter Berücksichtigung noch fortwirkender Prägung (unfreiwillig) aufgegebener Nutzungen könnte indes die Wertung des § 34 Abs. 3a BauGB sprechen, der durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien[34] in das BauGB eingefügt worden ist. Die Bestimmung ermöglicht der Behörde u. a., eine nach § 34 Abs. 1 BauGB an sich unzulässige „Erneuerung“ eines zulässigerweise errichteten Gewerbebetriebs im Einzelfall zuzulassen, sofern das fragliche Vorhaben städtebaulich vertretbar und die Abweichung auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. § 34 Abs. 3a BauGB könnte damit als eine Vorschrift angesehen werden, die auch den Fall des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB für den Innenbereich abschließend regelt. Da sie sich ausschließlich auf § 34 Abs. 1 BauGB bezieht und damit nicht gilt, wenn und soweit § 34 Abs. 2 BauGB einschlägig ist, könnte hieraus die Wertung entnommen werden, dass für die Bestimmung des Gebietscharakters im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB ausschließlich die tatsächlich vorhandene Bebauung maßgeblich ist. Denn die Nichteinbeziehung des § 34 Abs. 2 BauGB in den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3a BauGB wurde vor allem damit begründet, dass in den Fällen des § 34 Abs. 2 BauGB auf Grund der Befreiungsmöglichkeiten des § 31 BauGB – auf den § 34 Abs. 2 Hs. 2 BauGB verweist – bereits die Möglichkeit der Befreiung, d. h. der Abweichung von den allgemeinen Zulässigkeitsregelungen bestünde.[35]

Gegen eine solche Sichtweise spricht jedoch, dass mit § 34 Abs. 3a BauGB die Möglichkeiten der Zulassung von Anlagen, die einem Betrieb dienen, erweitert, nicht jedoch die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB eingeschränkt werden sollte. Es erscheint daher nicht als sachgerecht, aus § 34 Abs. 3a BauGB zu schließen, im Rahmen der Auslegung des § 34 Abs. 2 BauGB dürfe der Rechtsgedanke des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen nicht berücksichtigt werden.

 

dd) Rechtsfolgen der fortwirkenden Prägung des Gebiets durch die abgebrannten Fabrikationsanlagen

Dementsprechend kann bei der Beurteilung des Gebietscharakters nach § 34 Abs. 2 BauGB die Situation vor dem Brand mit in die Entscheidung einbezogen werden, solange diese Situation unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung das fragliche Gebiet noch prägt.

Das Fabrikationsgebäude war zulässigerweise errichtet worden. Es war in funktionsfähigem Zustand und genoss daher Bestandsschutz. Der Betrieb hatte seit 1976 eine stetige Aufwärtsentwicklung erlebt. Die Aufgabe der Holzwarenfabrikation war einzig und allein durch den Brand bedingt. Davor gab es für die Umgebung keine Anzeichen dafür, dass sich an der Nutzung des Gebäudes in absehbarer Zeit etwas ändern würde, zumal noch die Errichtung eines weiteren störenden Gewerbebetriebes genehmigt worden war. Von einem Wandel in diesem Gebiet hin zu ruhiger Wohnbebauung konnte daher vor dem Brand nicht gesprochen werden.

Seit dem Brand und der damit verbundenen Nutzungsaufgabe ist noch nicht einmal ein Jahr verstrichen. Dieser Zeitraum ist zu kurz, um der Umgebung Zeit zu geben, sich auf die veränderte Nutzung einzustellen.

Das fragliche Gebiet ist demnach auch nach dem Brand noch durch die ursprünglich vorhandene Fabrikhalle mit der dort ansässigen Holzwarenfabrikation geprägt.[36]

 

ee) Ergebnis zu b)

Mithin wird das fragliche Gebiet weiterhin maßgeblich durch die abgebrannte Fabrikhalle geprägt.

 

c) Ergebnis zu 2.

Die nähere Umgebung des abgebrannten Fabrikationsgebäudes ist somit unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB – solange diese Prägung andauert – noch als Mischgebiet i. S. d. § 6 BauNVO zu qualifizieren.

 

3. Ergebnis zu III.

Die Errichtung der Fabrikhalle ist somit gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO der Art der baulichen Nutzung nach zulässig.

Anmerkung: Wer der hier vertretenen Ansicht nicht folgt und das fragliche Gebiet nach dem heutigen faktischen und sichtbaren Zustand als allgemeines Wohngebiet qualifiziert (s. o. B.III.1), muss prüfen, ob im vorliegenden Fall nicht eine Befreiung nach § 34 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt. Dabei ist unschädlich, dass die Hubert-Hölzl-KG ausdrücklich keinen Antrag auf die Erteilung einer solchen Befreiung gestellt hat, da ein förmlicher Antrag insoweit nicht erforderlich ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass er konkludent im Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung enthalten ist (vgl. VGH Mannheim, 3 S 1992/13 v. 21.2.2014, Abs. 24 f. = NVwZ-RR 2014, 549 f.). Bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB wird man im Übrigen immer wieder auf den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB zur Ausfüllung der in § 31 Abs. 2 BauGB enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe zurückgreifen müssen. Da die Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zudem nach wohl herrschender Ansicht im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde steht, muss darüber hinaus der Rechtsgedanke des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB zur Begründung einer Ermessensreduzierung auf Null herangezogen werden. Vertretbar dürfte es schließlich ebenso sein, sowohl eine Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB als auch einen Anspruch auf Befreiung nach § 34 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB mit der Begründung abzulehnen, dass die Abwägung der betroffenen Belange nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde sein könne, sondern es hier vielmehr einer planerischen Abwägung bedürfe. In Betracht käme insoweit etwa ein Vorhaben- und Erschließungsplan nach § 12 BauGB, wobei auch erwogen werden könnte, das Ermessen der Gemeinde (in Berlin: des Bezirks) nach § 12 Abs. 2 BauGB über die Einleitung des Bauplanungsverfahrens unter Berücksichtigung der besonderen Interessen der Hubert-Hölzl-KG zu reduzieren. Diese Argumentation könnte jedoch nicht zur Begründetheit der Klage führen, weil die Einleitung eines solchen Planungsverfahrens nicht beantragt wurde. Sie kann allenfalls zur Stützung der Argumentation dienen, dass das Ergebnis, der Hubert-Hölzl-KG keinen Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheides zu gewähren, nicht sachwidrig ist, weil ihre Interessen auf andere Weise Berücksichtigung finden können.

 

IV. Ergebnis zu B.

Da das Vorhaben hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist, hat die Hubert-Hölzl-KG einen Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheides. Dessen Versagung war mithin rechtswidrig und verletzte das Recht der Klägerin aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln, so dass die Klage begründet wäre.

 

C. Gesamtergebnis

Die Klage wäre zulässig und begründet und hätte daher Aussicht auf Erfolg.

 

Siehe hierzu: BVerwG, 4 C 10.97 v. 12.3.1998 = BVerwGE 106, 228 ff. (im Gegensatz zu BVerwG, IV C 75.71 v. 18.10.1974 = BVerwGE 47, 126 ff. und VGH Mannheim, V 2296/79 v. 8.5.1980 = BauR 1980, 555 ff.)


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Fußnoten

[1] BVerfG [K], 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Rn. 37.

[2] U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

[3] So z.B. OVG Lüneburg BRS 29, Nr. 115.

[4] Siehe hierzu U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 29 ff.

[5] BVerwG, IV C 8.67 v. 10.5.1968, Abs. 12 = NJW 1969, 73; BVerwGE 48, 242, 245; BVerwG, 4 C 44.80 v. 09.12.1983, Abs. 13 = BVerwGE 68, 241, 233; Hebeler Jura 2010, 881, 885; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 253.

[6] Kopp/Schenke, § 61 Rn. 6¸BeckOK VwGO/Kintz, 40. Ed. 2017, § 61 Rn. 5.

[7] Schoch/Schneider/Bier/Bier, 32. EL 2016, VwGO § 61 Rn. 4; BeckOK VwGO/Kintz, 40. Ed. 2017, § 61 Rn. 1.1.

[8] Zuletzt etwa BVerwG, 4 C 33/13 v. 4.12.2014, Abs. 18 = NVwZ 2015, 986 Abs. 18 m.w.N.

[9] Hahn/Radeisen, § 74 Rn. 8.

[10] So bereits zum alten Recht: OVG Saarlouis DÖV 1983, 821.

[11] Vgl. Muckel/Ogorek, § 7 Rn. 14 ff.

[12] OVG Hamburg, Bf II 13/96 v. 20.2.1997 = NVwZ-RR 1998, 616 ff.

[13] BVerwG, 4 B 209.92 v. 11.12.1992, Abs. 4 = NVwZ 1993, 1100; BVerwG, 4 B 13.12 v. 12.7.2012, Abs. 4 = NVwZ 2012, 1565.

[14] BVerwG, 4 B 209.92 v. 11.12.1992, Rn. 4 = NVwZ 1993, 1100 f.; VGH Mannheim, 8 S 1802/06 v. 4.1.2007, Abs. 2 = VBlBW 2007, 224.

[15] So etwa OVG Schleswig, 1 M 53/91 = NVwZ 1992, 590.

[16] OVG Hamburg, 2 Bs 151/13 v. 17.6.2013, Abs. 17 = NVwZ-RR 2013, 990, 992; VGH Mannheim, 8 S 2504/12 v. 14.3.2013, Abs. 14 ff. = KommJur 2013, 348, 349 f.; OVG Saarlouis UPR 1996, 280; Spindler, NVwZ 1992, 125; VG Berlin, 13 L 327.14 v. 11.12.2014, Abs. 22; offen: BVerwG, 4 C 2.96 v. 4.6.1997, Abs. 3 = NVwZ 1998, 173 f.

[17] So VG Berlin, 13 L 327.14 v. 11.12.2014, Abs. 23.

[18] Vgl. VGH München NVwZ-RR 2005, 602 f.

[19] BVerwG, 4 B 51.96 v. 11.4.1996 = NVwZ-RR 1997, 463.

[20] BVerwG, 4 C 23.86 v. 15.2.1990, Abs. 13 ff. = BVerwGE 84, 322, 325 f., BVerwG, 4 C 11/05 v. 7.12.2006, Abs. 9 = NVwZ 2007, 585, 586; ähnlich OVG Lüneburg, 1 LB 5/07 v. 9.10.2007 = NVwZ-RR 2008, 374, 375; OVG Münster OVGE 16, 214, 218.

[21] BVerwG, 4 C 23.86 v. 15.2.1990, Abs. 19 = BVerwGE 84, 322, 326; OVG Koblenz, 1 A 11166/12 v. 20.6.2013 = NVwZ 2013, 1627, 1628.

[22] Vgl. insoweit auch BVerwG, 4 C 17.91 v. 17.6.1993 = NVwZ 1994, 294 ff.

[23] BVerwG, 4 C 23.86 v. 15.2.1990 = BVerwGE 84, 322, 326.

[24] Siehe aber BVerwG, 4 C 11/05 v. 7.12.2006, Abs. 9 = NVwZ 2007, 585, 586.

[25] BVerwG, 4 C 23.86 v. 15.2.1990 = BVerwGE 84, 322, 326.

[26] Siehe aber BVerwG, 4 C 11/05 v. 7.12.2006, Abs. 9 = NVwZ 2007, 585, 586.

[27] BVerwG, 14 C 23.86 v. 15.2.1990 = BVerwGE 84, 322, 328.

[28] BVerwG, IV C 75.71 v. 18.10.1974 = BVerwGE 47, 126, 127.

[29] BVerwG, IV C 75.71 v. 18.10.1974 = BVerwGE 47, 126, 127 unter Verweis auf BVerwG, IV C 33.65 v. 27.01.1967 = BVerwGE 26, 111, 117 f.

[30] VGH Mannheim, V 2296/79 v. 8.5.1980 = BauR 1980, 555, 556.

[31] BVerwG, 4 C 10.97 v. 12.3.1998 = BVerwGE 106, 228, 233 ff.

[32] BVerwG, 4 C 3.90 v. 10.8.1990 = BVerwGE 85, 289, 294.

[33] So auch BVerwG, 4 C 58.79 v. 15.1.1982 = NVwZ 1982, 312; BVerwG, 4 C 25.82 v. 3.2.1984 = BVerwGE 68, 360, 368; BVerwG, 4 C 15.84 v. 19.9.1986 = BVerwGE 75, 34, 41; BVerwG, BauR 1988, 574, 575.

[34] Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau vom 24. Juni 2004 BGBl. I 1359.

[35] BT-Drs. 15/2996, S. 66.

[36] Vgl. VGH Mannheim, V 2296/79 v. 8.5.1980 = BauR 1980, 555, 556.


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: November 2016 (Änderungen des Dritten Gesetzes zur Änderung der BauO von Berlin sind jedoch bereits eingearbeitet)