Die Berliner Verträger (Kurzlösung)
Die Verfassungsbeschwerde Rita Rüstigs hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.
– Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, §§ 13 Nr. 8a, 90ff. BVerfGG
§ 90 BVerfGG = "jedermann" - alle Grundrechtsträger
hier: Rita Rüstig als natürliche Person
= Fähigkeit, Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen (+)
IV. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Akt der öffentlichen Gewalt")
Berliner Verträge und ESMV völkerrechtliche Verträge
1. Völkerrechtlicher Vertrag als Beschwerdegegenstand
Völkerrechtliche Verträge kommen durch übereinstimmende Willenserklärungen mehrerer Völkerrechtssubjekte zustande, also durch Zusammenwirken mehrerer Staaten, nicht nur Deutschlands.
Gegen die Handlungen von fremden Staaten ist die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht eröffnet: nur gegen einen "Akt der deutschen öffentlichen Gewalt" zulässig, weil auch nur diese an Grundrechte des Grundgesetzes gebunden
"Berliner Verträge" oder ESMV als solche als völkerrechtliche Verträge kein tauglicher Beschwerdegegenstand
2. Mitwirkung der Bundesrepublik am Zustandekommen der "Berliner Verträge" und ESMV als Beschwerdegegenstand
Mitwirkung der Bundesrepublik an Zustandekommen der Verträge grds. Akt deutscher öffentlicher Gewalt.
Dann jedoch jedenfalls wegen fehlender Beschwerdebefugnis unzulässig: Mitwirken hat noch keine innerstaatlichen Rechtswirkungen
3. Zustimmungsgesetz zu "Berliner Verträgen“ und ESMV als Beschwerdegegenstand
Zustimmungsgesetze nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
BVerfG prüft inzident auch die Verfassungsmäßigkeit des völkerrechtlichen Vertrages
(P) Umdeutung der Verfassungsbeschwerde
VB greift ausdrücklich EUV, AEUV und ESMV an
BVerfG darf zwar nicht den Verfahrensgegenstand im Wege der Auslegung beliebig austauschen, wenn sich allerdings mit Hilfe der Antragsbegründung Unklarheiten des Antrages selbst beseitigen lassen, sind die Grenzen der Auslegung nicht überschritten.
Hier lässt sich Antragsbegründung entnehmen, dass Rita Rüstig in der Sache darum geht, die sie unmittelbar belastende Maßnahme - also das Zustimmungsgesetz - anzugreifen.
In dieser Auslegung richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen einen Akt der deutschen öffentlichen Gewalt.
Beschwerdegegenstand ist somit das Zustimmungsgesetz zu den "Berliner Verträgen" und dem ESMV nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und 3, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, soweit es auch Art. 3a EUV und Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" und Art. 25 II ESMV zustimmt.
V. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")
Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten
= nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Maßnahme Rechte selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt
1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch das Zustimmungsgesetz i.V.m. Art. 3a EUV i.d.F. der "Berliner Verträge" und Art. 25 II ESMV
a) Möglichkeit einer Betroffenheit des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG
Nicht von vornherein ausgeschlossen:
Art. 14 GG schützt grundsätzlich auch vor Verpflichtung, sein Eigentum für bestimmte staatliche Zwecke - hier der Beflaggung – zur Verfügung zu stellen
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG schützt davor, einer bestimmten Meinung, die man nicht teilt, öffentlich zustimmen zu müssen (wie beim Hissen einer Flagge)
b) Möglichkeit eines unmittelbaren und gegenwärtigen Eingriffs in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG
Keine Zweifel an der Möglichkeit, dass Art. 3a EUV i.d.F. der "Berliner Verträge" i.V.m. dem Zustimmungsgesetz unmittelbar und gegenwärtig in die Grundrechte von Frau Rüstig aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG eingreift.
Schon dem Wortlaut nach sieht Art. 3a EUV i.d.F. der "Berliner Verträge" unmittelbar eine Belastung des Bürgers vor. Es bedarf keiner weiteren "nationalen" Durchführungsrechtsakte.
c) Möglichkeit einer Verletzung der Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG
(P) Prüfungsmaßstab bei Art. 23 I 3 GG
Grundgesetzänderungen, welche die Grundrechte des Grundgesetzes einschränken, können nicht selbst diese Grundrechte verletzen, sofern nicht Art. 79 Abs. 3 GG berührt ist.
Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG knüpft an Übertragung von Hoheitsrechten an die EU an.
Hoheitsrecht i.S.d. Art. 23 I 2 GG bezeichnet die Befugnis, Individuen einseitig, also ohne deren Zustimmung rechtlich zu verpflichten
Bisher hatte Union weder die Kompetenz, eine Beflaggungspflicht zu erlassen noch Steuern zu erheben.
Insofern wurden neue Hoheitsrechte übertragen, wodurch Art. 21 I 3 GG zum Verfahren nach Art. 79 II GG zwingt.
Materieller Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG ?
Allenfalls eine Verletzung des "Grundsatzes des Art. 1 GG" kommt in Betracht.
Verletzt Art. 3a EUV Menschenwürde?
Art. 1 Abs. 1 GG ist "unantastbar",
jedenfalls solche Aspekte des Grundrechtsschutzes können daher nicht unter diesen "Menschenwürdegehalt" fallen, deren Beschränkung im Lichte des konkreten Grundrechts gerechtfertigt werden könnte.
Art. 3a EUV i.d.F. überschreitet diese Grenze jedoch ersichtlich nicht:
Soweit Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG gerügt, "Menschenwürdegehalt" erkennbar nicht betroffen, wenn Eigentümer verpflichtet wird, alljährlich 10 Stunden sein Grundstück zu beflaggen.
Soweit eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG gerügt, wird man zwar annehmen können, dass Verpflichtung staatliche Meinung zu teilen, etwa Politikern bei offiziellen Anlässen zuzujubeln, Menschenwürdegehalt betrifft
Verpflichtung zum Hissen einer Flagge, die gleichmäßig alle Gebäudeeigentümer trifft, nicht vergleichbar:
Ist jeder Eigentümer verpflichtet, wirkt das Hissen nicht mehr wie eine individuelle Meinungsäußerung.
Staat nimmt lediglich die jeweiligen Gebäude zum Zwecke der Selbstdarstellung in Anspruch.
Daher: Verletzung der Art. 14 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG durch Art. 3a EUV i.d.F. der "Berliner Verträge" i.V.m. dem Zustimmungsgesetz von vornherein ausgeschlossen
2. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 GG durch das Zustimmungsgesetz i.V.m. Art. 113a AEUVi.d.F. der "Berliner Verträge"
Möglichkeit, dass Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" i.V.m. dem Zustimmungsgesetz Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt?
a) Möglichkeit einer Betroffenheit des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG
Art. 14 Abs. 1 GG und auch Art. 2 Abs. 1 GG können vor verfassungswidriger Besteuerung schützen.
Art. 14 Abs. 1 GG schützt den Bestand des Erworbenen.
Schutzbereich durch Besteuerung tangiert, wenn:
– an das Innehaben von vermögenswerten Rechtspositionen angeknüpft wird
– Geldleistungspflichten mit erdrosselnder Wirkung
Im Übrigen: Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG
b) Möglichkeit eines Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG durch Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" i.V.m. dem Zustimmungsgesetz
Verletzt bloßer Übertragungsakt Grundrechte Rita Rüstigs?
denkbar, wenn Art. 23 I 1 GG nicht eingehalten: Es darf nur unter der Bedingung an der EU mitgewirkt werden, dass ein „im wesentlichen gleicher Grundrechtsschutz gewährleistet“ ist.
Solange dies der Fall ist, prüft BVerfG entsprechend seiner „Solange“-Rechtsprechung EU-Rechtsakte nicht mehr.[1]Solange Verfassungsbeschwerde oder ein sonstiges verfassungsgerichtliches Verfahren, das Sekundärrecht am Maßstab der deutschen Grundrechte prüft, unzulässig
Bananenmarkt-Entscheidung: wesentlich gleich, solange europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH, nicht nur im Einzelfall, sondern generell, nicht unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken
jedenfalls seit dem Vertrag von Lissabon durch die Einbeziehung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in das EU-Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 EUV) und die geplante zusätzliche Bindung an die in der EMRK gewährleisteten Rechte (Art. 6 Abs. 3 und 4 EUV) gegeben
Auch vorher gewährte der EuGH jedoch bereits Grundrechtsschutz über die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, die er rechtsvergleichend aus den gemeinsamen Verfassungsgrundsätzen der Mitgliedsstaaten und der EMRK gewann
Deutsche Rechtsakte, welche vollständig durch Unionsrecht determiniert sind, werden entsprechend im Regelfall nicht kontrolliert.
Besteht hingegen ein nationaler Umsetzungsspielraum, insbesondere bei Richtlinien, so kann eine Prüfung auch nach deutschen Grundrechten stattfinden.
Dementsprechend: verletzt Zustimmungsgesetz i.V.m. Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" als Übertragungsakt nach Art. 23 Abs. 1 GG nicht bereits die (deutschen) Grundrechte der Rita Rüstig aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG
3. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 38 GG durch das Zustimmungsgesetz i.V.m. Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" und den ESMV
Maastricht-Urteil: Art. 38 GG verbürge nicht nur Wahlrechtsgrundsätze, sondern auch den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts.
Art. 38 GG solle den Wahlberechtigten das subjektive Recht an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk (Art. 20 Abs. 2 GG) auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen.
Lissabon-Entscheidung: Wahlakt zum deutschen Bundestag verliere Sinn, wenn Staatsorgan nicht über hinreichendes Maß an Aufgaben und Befugnissen verfüge Das Parlament trage konkrete Verantwortung für das Handeln des Staatsverbandes
Das Grundgesetz habe diesen legitimatorischen Zusammenhang zwischen dem Wahlberechtigten und der Staatsgewalt durch Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG für unantastbar erklärt.
Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG schließe es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages auf die europäische Ebene so zu entleeren, dass das Demokratieprinzip verletzt werde.[2] Das jedem Bürger zustehende Recht auf gleiche Teilhabe an der demokratischen Selbstbestimmung
Demokratisches Teilhaberecht könne dadurch verletzt werden, dass die Organisation der Staatsgewalt so verändert werde, dass der Wille des Volkes sich nicht mehr wirksam im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG bilden könne und die Bürger nicht mit Mehrheitswillen herrschen könnten
Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen sei sogar der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips
Anspruch auf Teilhabe sei in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert. Er gehöre zu den durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG als unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts.
Euro-Rettungsschirms (ESFM) Entscheidung:
letztlich in der Würde des Menschen wurzelnde Anspruch des Bürgers auf Demokratie hinfällig, wenn das Parlament Kernbestandteile politischer Selbstbestimmung aufgäbe und damit dem Bürger dauerhaft seine demokratischen Einflussmöglichkeiten entzöge
Der verfassungsändernde Gesetzgeber habe bei der Neufassung des Art. 23 GG deutlich gemacht, dass der Auftrag zur Entwicklung der Europäischen Union an die dauerhafte Einhaltung bestimmter verfassungsrechtlicher Strukturvorgaben gebunden sei (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) und dass hier durch Art. 79 Abs. 3 GG eine absolute Grenze zum Schutz der Identität der Verfassung gesetzt werde (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG)
Gegen eine mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbare Entäußerung von Kompetenzen durch das Parlament müsse sich der Bürger verfassungsgerichtlich zur Wehr setzen können
Art. 38 GG kann daher verletzt sein, wenn die Wahrnehmung der Kompetenzen des deutschen Bundestages so weitgehend auf ein Organ der EU übergeht, dass die nach Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG unverzichtbaren Mindestanforderungen des Demokratieprinzips nicht mehr erfüllt werden.
Dann, wenn staatliche Hoheitsgewalt in solchem Umfang auf die EU übertragen wird, dass dem Bundestag keine substantielle Entscheidungskompetenz mehr verbleibt
Auch ESMV könnte Budgetrecht des Bundestages und damit eine wesentliche Kompetenz verletzen
Daher: Rita Rüstig hinsichtlich der Verletzung ihres subjektiven Wahlrechts durch Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" und Art. 25 II ESMV i.V.m. dem Zustimmungsgesetz beschwerdebefugt
VI. Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) und "Subsidiarität" der Verfassungsbeschwerde
–Kein Rechtsweg gegen Bundesgesetze
– Subsidiarität?
abwarten, bis sie aufgrund der neuen EU-Gesetzgebung zum Steuerrecht zu Steuern herangezogen wird?
Es ist jedoch die Übertragung der Steuerkompetenz als solche, die Rita Rüstig angreift
Zumindest ist Beschwerde von allgemeiner Bedeutung
VII. Form und Frist (§§ 23 I, 93 Abs. 1 BVerfGG) (+)
zulässig, soweit eine Verletzung des Rechts aus Art. 38 GG durch Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" und Art. 25 II ESMV i.V.m. dem Zustimmungsgesetz gerügt wird
Art. 38 GG verletzt, wenn Recht auf demokratische Teilhabe an öffentlicher Gewalt durch Verlagerung von Kompetenzen auf die EU so entleert, dass das demokratische Prinzip, soweit es von Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unantastbar erklärt wird, verletzt ist
I. Verlust des Budgetrechts des Deutschen Bundestages als Aushöhlung des Art. 38 Abs. 1 GG
Lissabon-Entscheidung: ausgehend vom Souveränitätsgedanken hat BVerfG Bereiche festgelegt, deren Übertragung an die EU grundsätzlich einer weitergehenden Integration nur begrenzt zugänglich, jedenfalls "souveränitätssensibel" seien. Diese "Kernbereiche staatlichen Handelns" sind nach dem BVerfG "insbesondere"
"die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Kreditaufnahme sowie die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände, vor allem bei intensiven Grundrechtseingriffen wie dem Freiheitsentzug in der Strafrechtspflege oder bei Unterbringungsmaßnahmen. Zu diesen bedeutsamen Sachbereichen gehören auch kulturelle Fragen wie die Verfügung über die Sprache, die Gestaltung der Familien- und Bildungsverhältnisse, die Ordnung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit oder der Umgang mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis".
Entscheidung zum Euro-Rettungsschirm(ESFM):
Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand sei grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat.
Budgetrecht stelle insofern ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar.
Art. 38 I GG wird verletzt, wenn sich Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können
Bundestagsabgeordneten als Repräsentanten des Volkes müssen Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten
Demokratieprinzip verlangt, dass der Deutsche Bundestag der Ort bleibe, in dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten
Nach Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" verliert der Bundestag jedoch nicht nur jede Zuständigkeit auf dem Gebiet des Steuer- und Abgabenrechts, sondern auch die Verfügungsgewalt über die erzielten Einnahmen.
Art. 113a AEUV i.V.m. dem Zustimmungsgesetz verletzt insofern offensichtlich die oben dargelegten Grundsätze und damit Art. 38 I GG.
Fraglich ist, ob dies auch für den ESMV zutrifft
Grundsätzlich begrenzte Haftungssumme von 700 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 1 ESMV)
Anteile im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland (Anhang II zum ESMV).
Art. 8 Abs. 5 ESMV: Anteil am genehmigten Stammkapital bildet Obergrenze für sämtliche aus dem ESMV erwachsenden Zahlungspflichten und damit auch für die maximale Belastung des Bundeshaushaltes
Eine den deutschen Anteil am genehmigten Stammkapital in Höhe von 190.024.800.000 Euro übersteigende Zahlungspflicht dürfte sich wohl auch nicht aus der in Art. 25 Abs. 2 ESMV geregelten Möglichkeit eines revidierten erhöhten Kapitalabrufes ergeben
Daraus wird man jedoch nicht schließen können, dass eine Inanspruchnahme dieser Mitgliedstaaten auch jenseits der durch Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bestimmten Obergrenze ermöglicht werden soll
Die Obergrenze wäre anderenfalls funktionslos
eine Auslegung, die Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV auf diesen Fall für nicht anwendbar hält, so dass Betrag von 190.024.800.000 Euro überschritten wird, ist denkbar.
Etwa mit Argument, dass selbst bei höheren Einzahlungen keine Überschreitung dieser Obergrenze vorliege, weil der in Vorleistung tretende Mitgliedstaat Ersatzansprüche gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalte und damit ein hinreichender Gegenwert zur Verfügung stehe
auch teleologische Erwägungen in Notsituationen, für welche der ESMV ausgelegt ist, scheinen möglich, welche auf eine restriktive Interpretation von Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV hinauslaufen
Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESMV insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.
Daher: Unter dieser Bedingung ist die Ratifikation des ESMV nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden.
II. Keine Kompensation durch Steigerung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments
Da Art. 38 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG nach Ansicht des BVerfG ein Recht auf Verwirklichung des Demokratieprinzips gerade durch den Bundestag gewährt, lässt sich der Verlust des demokratischen Gehalts der Bundestagswahl auch nicht dadurch kompensieren, dass dem Europäischen Parlament weitergehende Rechte zugewiesen werden, etwa ein parlamentarisches Regierungssystem auf europäischer Ebene begründet wird.
Damit verletzt Art. 113a AEUV i.d.F. der "Berliner Verträge" i.V.m. dem Zustimmungsgesetz das grundrechtsgleiche Recht Rita Rüstigs aus Art. 38 Abs. 1 GG (i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 3, Art. 79 Abs. 3, Art. 20 Abs. 1 GG).
Die Verfassungsbeschwerde ist also insoweit begründet. Art. 25 II ESMV i.V.m. dem Zustimmungsgesetz ist hingegen unter der genannten Bedingung mit Art. 38 I GG vereinbar
(P) Ganzes oder nur Teil des Gesetzes verfassungswidrig?
Grundsätzlich erklärt das BVerfG nach § 95 Abs. 3 Satz 1 GG nur die Teile eines Gesetzes für nichtig, die tatsächlich die Grundrechte des Beschwerdeführers verletzen.
Völkerrechtliche Verträgen sind jedoch ein untrennbares Ganzes:
Bundestag kann Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 GG nur im Ganzen zustimmen oder sie im Ganzen ablehnen.
Änderungen oder Ergänzungen sind nicht möglich, weil hierfür mit dem oder den Vertragspartnern neu verhandelt werden müsste
Hieraus folgt, dass auch das BVerfG grds. ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG nur im Ganzen für nichtig erklären kann.
Der Teil des Zustimmungsgesetzes zu den „Berliner Verträgen“ ist entsprechend im Ganzen für nichtig zu erklären, der Teil zum ESMV hingegen nicht.
Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes zu den Berliner Verträge hat zunächst nur innerstaatliche Wirkung: Sie würde die völkerrechtliche Wirksamkeit der "Berliner Verträge" an sich nicht berühren.
Nach Art. 48 Abs. 4 und Abs. 2 EUV treten jedoch Primärrechtsänderungen die - wie hier - im ordentlichen Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 2 bis 5 EUV) angenommen wurden, erst in Kraft, nachdem sie "von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind.
Daher: "Berliner Verträge" auch als völkerrechtliche Verträge nicht wirksam in Kraft getreten sind.
[1] Zusammenfassend hierzu Polzin, JuS 2012, 1, 2 ff.; Schöbener JA 2011, 885, 889 f.
[2] BVerfG, 2 BvE 2/08 u. a. v. 30.6.2009, Abs. 174 f. = BVerfGE 123, 267, 330.
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes), Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer) und Heike Krieger (Freie Universität Berlin)