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Berlin Alternativ (Kurzlösung)

- da gegen zwei unterschiedliche Bescheide vorgegangen werden soll, ist eine gesonderte Untersuchung der Erfolgsaussichten der Klagen erforderlich

 

Erster Teil: Klage gegen den Bescheid vom 7. Juli

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- (+) öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, da die streitentscheidende Norm § 29 Abs. 2 StVO öffentlich-rechtlichen Charakters ist; obwohl möglicherweise Art. 8 Abs. 1 GG betroffen, keine verfassungsrechtliche Streitigkeit, weil keine Streitigkeit von Verfassungsorganen über ihre verfassungsrechtlich verbürgten Kompetenzen

 

II. Statthafte Klageart

1. Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)

- (-) Erlaubnis ist VA i.S.d. § 35 VwVfG; VA darf aber noch nicht erledigt sein (vgl. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO); Erledigung tritt ein, wenn der Verwaltungsakt keine rechtliche Wirkung mehr entfaltet und seine Aufhebung sinnlos wäre; mit Absage der geplanten Veranstaltung und dem Ablauf des für sie vorgesehenen Termins wurde eine Aufhebung der Erlaubnis sinnlos; Anfechtungsklage unstatthaft

 

2. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO)

- (-) aus der Systematik von § 113 Abs. 1 S. 1 und 4 VwGO folgt, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage nur bei nachprozessualer Erledigung statthaft ist

 

3. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog)

- analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO auf Fälle vorprozessualer Erledigung str.

e.A. keine planwidrige Regelungslücke, Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO

a.A. planwidrige Regelunglücke existiert, weil § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ausdrücklich nur die Feststellung nichtiger Verwaltungsakte erlaubt; vergleichbare Interessenlage liegt vor, weil sich die Fallklassen nur hinsichtlich des Zeitpunkts der Erledigung unterscheiden (+)

 

4. (Negative) Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO)

- Alternative Aktion e.V. vertritt die Auffassung, dass die Veranstaltung keiner Erlaubnis bedurfte: Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses; Rechtsverhältnisse i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache; (+) Frage geht, ob nach § 29 Abs. 2 StVO einer Erlaubnis für die Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV auf der Marktstraße in Spandau erforderlich ist

- § 43 Abs. 2 VwGO steht nicht entgegen, weil die Alternative Aktion e.V. ihre Rechte nicht mehr durch Gestaltungs- oder Leistungsklage, sondern allenfalls noch durch eine besondere Form der Feststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog) verfolgen kann

 

5. Ergebnis zu II.

- Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft

 

III. Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO)

- ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ist gegeben, wenn die begehrte Entscheidung des Gerichts geeignet ist, die Position des Klägers in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern; wg. angenommener Erlaubnisbedürftigkeit könnte Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG beeinträchtigt sein, wg. Durchführung der Veranstaltung BERLIN „bei nächster Gelegenheit“ besteht schutzwürdiges rechtliches Interesse an baldiger Feststellung

 

IV. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

- str., ob erforderlich; Alternative Aktion e.V. kann Möglichkeit einer Verletzung der Versammlungsfreiheit geltend machen (Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG, § 21 BGB)

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis

- ausgehend von dem in § 78 VwGO zum Ausdruck kommenden Rechtsträgerprinzip das Land Berlin

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§ 61 VwGO)

- Alternative Aktion e.V. als eingetragener Verein juristische Person (§ 21 BGB) beteiligtenfähig gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO; durch Vorstand ist sie prozessfähig, § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 26, 30 BGB; Land Berlin § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO

 

VI. Ergebnis zu A.

- allgemeine Feststellungsklage zulässig

 

B. Begründetheit

- begründet, wenn die vorgesehene Veranstaltung keiner Erlaubnis bedürfte

 

I. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 29 Abs. 2 StVO

- ist geplante Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV eine Benutzung des Marktplatzes für den Verkehr i.S.d. § 29 Abs. 2 StVO?; aus Systematik (§ 32 und § 33 StVO) wird deutlich, dass auch Gefahren, die von außerhalb auf den Straßenverkehr einwirken, erfasst sind; verkehrsübliche Inanspruchnahme von Straßen nach § 29 Abs. 2 S. 1 StVO umfasst auch die „stationäre“, verkehrsfremde Nutzung von Straßen; Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV ist wg. Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen erlaubnispflichtig

 

II. Anwendbarkeit des § 29 Abs. 2 StVO auf die Veranstaltung

1. Folge der Qualifizierung der Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV als Versammlung

- §§ 14 ff. VersG könnte die Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens nach § 29 Abs. 2 StVO spezialgesetzlich ausschließen; Schutzzweck der §§ 14, 15 VersG deckt sich mit § 29 § 29 Abs. 2 StVO: Schutz der öffentlichen Sicherheit umfasst die gesamte Rechtsordnung und erstreckt sich damit auch auf straßenverkehrsrechtliche Vorschriften wie § 29 Abs. 2 StVO; Abwägung der Gefahren wird im Rahmen des VersG getroffen (sog. „Konzentrationswirkung“ des Versammlungsrechts)

 

2. BERLIN ALTERNATIV als Versammlung i.S.d. VersG?

- Versammlungsbegriff des VersG und des Art. 8 GG im Wesentlichen deckungsgleich; Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG sind nach neuerer Rspr. des BVerfG nur örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgabe; beliebiger Zweck für gemeinschaftliche kommunikative Entfaltung danach nicht mehr ausreichend (str.)

- insoweit wie die Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV der Einwirkung auf die Öffentlichkeit bzgl. der der Spandauer Bezirkspolitik und der Förderung alternativer Lebensbedingungen dient ist sie eine Versammlung

- mit Imbissständen und kulturellen Darbietungen hat die Veranstaltung aber auch einen Unterhaltungswert, teilweise klassifizierte verlangte das BVerfG das der Schwerpunkt einer Veranstaltung nicht auf diesem Unterhaltungswert liegen dürfe; Schwerpunktbildung ist aber rein zufällig; maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Unterhaltungsveranstaltung und Versammlung muss daher sein, dass das Element der Meinungskundgabe als gemeinsamer Zweck nach außen erkennbar; hier deutlich (+) Ziel ist die Beeinflussung der Bezirkspolitik

- BERLIN ALTERNATIV ist Versammlung i.S.d. Art. 8 GG, § 14 VersG

 

3. Reichweite der Erlaubnisfreiheit aufgrund der §§ 14 ff. VersG

- Erlaubnisfreiheit aus §§ 14 VersG nur für die Kernelemente und nicht die Unterhaltungselemente, d.h. Genehmigungsbedürftigkeit der Imbissstände u.ä. nach § 29 Abs. 2 StVO?; (-) Differenzierung von Versammlung und „Begleiterscheidungen“ zumindest dann nicht zulässig, wenn letztere einen inhaltlichen Bezug zum Versammlungsthema aufweisen (Informationsstände) oder der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse dienen (Imbissstände, Toilettenwagen, Kinderbetreuungseinrichtungen) oder für die Art und Weise der Meinungsäußerung prägend sind (Podium, Lautsprecherwagen, Großbildschirm-Fernseher)

- hier dienen alle „Infrastrukturmaßnahmen“ dem Charakter der Versammlung; Versammlungsbegriff insoweit nicht teilbar ist; Erlaubnisfreiheit besteht auch hier

 

4. Ergebnis zu II.

- die Veranstaltung BERLIN ALTERNATIV im Ganzen bedurfte keiner Genehmigung nach § 29 Abs. 2 StVO

 

III. Ergebnis zu B.

- Klage begründet

 

C. Ergebnis des Ersten Teils

- Feststellungsklage zulässig und begründet, hätte Aussicht auf Erfolg

 

Zweiter Teil: Klage gegen den Bescheid vom 11. Juli

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, da streitentscheidende Norm § 15 VersG öffentlich-rechtlichen Charakters

 

II. Statthafte Klageart

1. Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)

- Bescheid ist rechtlich bindende Verpflichtung, daher VA i.S.d. § 35 VwVfG; wg. Erledigung aber unstatthaft

 

2. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO [analog])

- ist auch bei vorprozessual erledigten VAen statthaft (siehe oben Erster Teil A. II. 3)

 

3. Ergebnis zu II.

- Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S, 4 VwGO analog statthaft

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- mgl. Verletzung der Grundrechte der Alternativen Aktion e.V. aus Art. 2 Abs. 1. Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG i.V.m. § 21 BGB

 

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

- str., ob bei vorprozessualer Erledigung erforderlich; hier unerheblich, wurde durchgeführt

 

V. Klagefrist (§ 74 VwGO)

- ob bei vorprozessualer Erledigung die Frist nach § 74 VwGO einzuhalten ist, und wann diese zu laufen beginnt ist str.; hier unerheblich, da weder seit dem 1. Juli noch seit 14. Juli ein voller Monat verstrichen ist

 

VI. Feststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO)

- Wiederholungsgefahr (d.h. die begründete Erwartung, dass ein gleichartiger Verwaltungsakt gegen denselben Betroffenen ergeht), weil die Polizeipräsidentin wohl auch anlässlich der Durchführung von BERLIN ALTERNATIV „bei nächster Gelegenheit“ die gleichen Pflichten auferlegen dürfte

 

VII. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

- gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog das Land Berlin

 

VIII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

- siehe Erster Teil A. VI.

 

IX. Ergebnis zu A.

- Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog zulässig

 

B. Begründetheit

- begründet, soweit die Verfügung vom 11. Juli rechtswidrig gewesen und die Alternative Aktion e.V. in ihren Rechten verletzt worden ist (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog); bei Rechtswidrigkeit ergibt sich die Rechtsverletzung aus Art. 2 Abs. 1 oder Art. 8 Abs. 1 GG

 

I. Formelle Rechtmäßigkeit

- Polizeipräsidentin in Berlin gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 VersG, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 23 Abs. 2 ZustKat sachlich zuständig; örtliche Zuständigkeit aus § 6 ASOG; fehlende Anhörung der Alternativen Aktion e.V. im Widerspruchsverfahren geheilt (§ 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG)

 

II. Materielle Rechtmäßigkeit

- nach § 15 Abs. 1 VersG Abwehr einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erforderlich; öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen als auch den Schutz der gesamte Rechtsordnung und damit auch individuelle Rechtsgüter, nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des einzelnen; eine Gefahr liegt vor, wenn ein Verhalten bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Sicherheit ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung schädigen wird; unmittelbar ist die Gefahr, wenn der Schadenseintritt unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorsteht und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist oder bereits begonnen hat

- wg. öffentlicher Ankündigungen der Initiative „Für die Legalisierung von Haschisch“ und der darin enthaltenen Aufforderung zum gemeinsamen Konsum von Haschisch war der unbefugte Verbrauch von Haschisch als einem dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Betäubungsmittel durch Rauchen vorgesehen; Äußerung, man wolle „ständig gut breit sein“ lässt nicht unerhebliche Mengen erwarten; mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte von erheblichen Verstöße gegen das BtMG (vgl. § 29 Abs. 1 BtMG) ausgegangen werden, d.h. unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit

- Veranstalter ist richtiger Adressat, da er für den rechtmäßigen Verlauf der Versammlung erster Linie verantwortlich ist; im Übrigen verhältnismäßig

 

III. Ergebnis zu B.

- Fortsetzungsfeststellungsklage wäre unbegründet

 

C. Ergebnis des Zweiten Teils

- Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet

 

Dritter Teil: Gesamtergebnis und Zulässigkeit der Klagehäufung

- gerichtliche Überprüfung der Bescheide vom 7. und 11. Juli wäre mgl., doch hätte nur eine Klage gegen den ersten Bescheid Aussicht auf Erfolg

- Verfahren sind Fall der objektiven Klagehäufung i.S.d. § 44 VwGO; beide richten sich gegen das Land Berlin, d.h. gegen denselben Beklagten; in beiden Verfahren ist das VG Berlin nach § 45, § 52 Nr. 3 VwGO zuständig


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