Treffpunkt (Kurzlösung)
Anmerkung: Der Fall ist inhaltlich angelehnt an einen Spiegel-online Artikel. Die hier angesprochenen ordnungsrechtlichen Probleme sollen keine Empfehlung oder Stellungnahme in der anhaltenden Debatte sein. |
A. Möglichkeiten, gegen den „Treffpunkt“ polizeirechtlich vorzugehen
I. Zuständigkeit (§ 1 Abs. 1 S. 1 ASOG)
- Bezirksamt nach § 1 Abs. S. 1, § 2 Abs. 1, 2 ASOG für die Gefahrenabwehr zuständig; Bezirksbürgermeisterin bildet nach § 34 Abs. 1 S. 1 BezVG mit vier Bezirksstadträten das Bezirksamt; da keine Meinungsverschiedenheit besteht, kann Bezirksbürgermeisterin als Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg handeln
- örtliche Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln; instanzielle Zuständigkeit des Bezirksamts folgt aus § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG i.V.m. Nr. 37 Abs. 2 a.E. ZustKat Ord
- Bezirksamt darf aber nur präventiv das Eintreten von Schäden verhindern, keine Strafverfolgungsbehörde; bei „doppelfunktionalen Maßnahmen“ muss der Schwerpunkt des polizeilichen Handelns auf der Gefahrenabwehr liegen
II. Maßnahmen aufgrund § 1 Abs. 1 S. 1 ASOG
- § 1 Abs. 1 S. 1 ASOG ist Aufgabenzuweisung, reicht als Rechtsgrundlage für polizeiliche Tätigkeit ohne (Grund-)Rechtseingriffe (z.B. Präsenz, Kontrollgänge); für Maßnahme mit Grundrechtseingriff ist Befugnisnorm (insb. etwa die §§ 17 ff. ASOG) erforderlich
- Maßnahmen der §§ 18 ff. ASOG sind nach § 17 Abs. 1 a.E. ASOG vorrangig
1. § 21 Abs. 1 ASOG (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr)
- Umfang der Maßnahmen nach Absatz 3, offene Datenerhebung bei dem Betroffenen beinhaltend
a) Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
- „Gefahr“ liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung schädigen wird
- zur „öffentlichen Sicherheit“ gehören sowohl der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen als auch die gesamte Rechtsordnung und damit auch individuelle Rechtsgüter, nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen
- (+), hohe Wahrscheinlichkeit, dass weitere Straftaten im Bereich der Drogen- und Beschaffungskriminalität begangen werden; Gefahr der Körperverletzung unbeteiligter Dritter (etwa Kinder)
b) Inanspruchnahme der richtigen Adressaten
- „Person“ i.S.d. § 21 Abs. 1 ASOG;
e.A. Person meint die Störer i.S.d. §§ 13 ff. ASOG;
h.M. jedermann, sofern dies nach der maßgeblichen Ex-ante-Betrachtung aus der Sicht der Ordnungsbehörden dazu dienen kann, eine konkrete Gefahr abzuwehren
(+), Identitätsfeststellung dient häufig gerade der Feststellung, wer Störer i.S.d. §§ 13 ff. ASOG ist
c) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOGG, § 40 VwVfG)
- Verhältnismäßigkeit; legitimes Ziel, für die Geeignetheit der Identitätsfeststellung muss beachtet werden, dass diese zur Abschreckung, d.h. zur Abwehr der Gefahr und nicht zur Ermittlung in einem Strafverfahren eingesetzt wird, weiterhin Erforderlichkeit und Angemessenheit zu wahren
- Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 ASOG nur ausnahmsweise
2. § 21 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ASOG (Identitätsfeststellung an „gefährlichen Orten“)
- nur Polizei, d.h. grds. der Polizeipräsident in Berlin, § 5 Abs. 1 ASOG; die örtliche Zuständigkeit der Berliner Polizei besteht in ganz Berlin (§ 6 ASOG)
- Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht erforderlich; Person muss sich an einem sog. „gefährlichen“ Ort aufhalten, der unter lit. a fällt; tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass an dem „Treffpunkt“ Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben (lit. a, aa), liegen vor
- sich verbergende Straftäter (lit. a, cc) sind flüchtige, aber bereits verurteilte und zur Strafvollstreckung anstehende Personen, nach Sachverhalt unklar
- Identitätsfeststellungen aller sich am Ort aufhaltenden (gewisses Moment des Verweilens wird vorausgesetzt) Personen möglich; auf Störereigenschaft kommt es nicht an
c) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOG, § 40 VwVfG)
- Verhältnismäßigkeit; Gefahrenabwehr legitimes Ziel, Handlung geeignet zur Ermittlung der Störer und erforderlich und angemessen, weil geringer Grundrechtseingriff
- Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ASOG zulässig
3. § 21 Abs. 2 Nr. 3 ASOG (Identitätsfeststellung an besonders gefährdeten Objekten)
- „Treffpunkt“ kein besonders gefährdetes Objekt i.S.d. Bestimmung
4. § 29 Abs. 2 S. 1 ASOG (Aufenthaltsverbot)
- nur durch die Polizei möglich; Voraussetzung ist, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bestimmte Person an dem Ort Straftaten begehen wird; Delikte nach den §§ 29 ff. BtMG kommen in Betracht; für die Verhältnismäßigkeit ist § 29 Abs. 2 S. 2 bis 4 ASOG zu beachten
5. § 29 Abs. 1 S. 1 ASOG (Platzverweis)
a) Verhältnis zu § 29 Abs. 2 ASOG
- zeitliche Beschränkung auf „vorübergehende“ Maßnahmen bildet den Unterschied zum Aufenthaltsverbot nach § 29 Abs. 2 ASOG; umstritten ist die Bedeutung des Begriffs „vorübergehend“
e.A.: an der Gefahr selbst zu orientieren, d.h. Platzverweis zulässig, bis Gefahr abgewehrt ist
h.M.: „vorübergehend“ heißt „kurzfristig“ (jedenfalls nicht mehrere Wochen/Monate)
(+) h.M.; Systematik: sonst kein Unterschied zum Aufenthaltsverbot mgl., weil für dieses immer eine konkrete Gefahr vorliegen muss
- Platzverweis auch anstelle eines Aufenthaltsverbots möglich; ist immer das mildere Mittel
- Gefahr (siehe oben A. III. 1. a)); Adressat der Maßnahme ist "eine Person", Streit bzgl. der Bedeutung kann dahinstehen, wenn sich der Platzverweis ausdrücklich gegen Personen richtet, die der offenen Drogenszene zuzurechnen und damit Verhaltensstörer i.S.d. § 13 Abs. 1 ASOG sind
c) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOG, § 40 VwVfG)
- legitimer Zerck, geeignet und erforderlich, um die Gefahr von dem Kinderspielplatz fernzuhalten, verhältnismäßig i.e.S., weil relativ geringer Grundrechtseingriff
- Maßnahmen nach § 29 Abs. 1 S. 1 ASOG zulässig
6. § 30 ASOG (Ingewahrsamnahme)
- präventivpolizeiliche Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit
- zuständig allein die Polizeipräsidentin; richterliche Entscheidung wäre nach § 31 Abs. 1 S. 1 ASOG herbeizuführen, wenn in der Sache eine Freiheitsentziehung vorliegt; kann nach § 31 Abs. 1 S. 2 ASOG hinfällig sein, wenn Entscheidung erst nach Wegfall der Gefahr ergehen könnte
- § 30 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Gefahr für Leib und Leben eines berauschten Drogensüchtigen; § 30 Abs. 1 Nr. 2 unmittelbar bevorstehende Begehung von Straftaten nach den §§ 29 ff. BetäubungsmittelG; § 30 Abs. 1 Nr. 3 ASOG zur Durchsetzung eines Platzverweises oder Aufenthaltsverbots (siehe A.III.4., A.III.5.)
- Bzgl. der Störereigenschaft siehe A.III.5.b.; unproblematisch sind jedenfalls Maßnahmen gegen die Handlungsstörer i.S.d. § 13 ASOG
b) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOG, § 40 VwVfG)
- Maßnahmen nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 zum Schutz der Berauschten grds. verhältnismäßig; bei Maßnahmen nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ASOG ist wg. des Wortlauts („unerlässlich“) besonders das Übermaßverbots zu beachten; Entscheidung im Einzelfall, ob nicht der Platzverweis ausreicht und ob tatsächlich die Durchsetzung notwendig; keine Anzeichen im Sachverhalt
- Anordnungen nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 ASOG sind zum Schutze berauschter Drogensüchtiger ggf. möglich.
7. § 38 ASOG (Sicherstellung von Sachen)
- hoheitliche Begründung der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, d.h. deren Inbesitznahme (z.B. Diebstahlswerkzeuge, Rauschgift)
- gegenwärtige Gefahr; Gefahr, bei der der Schadenseintritt unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorsteht und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist oder wenn Störung bereits begonnen hat; muss vor Ort durch die Polizei jeweils geprüft werden; Drogensüchtige mit Spritzen und Rauschgift beobachtet
- Keine konkreten Anzeichen für Tatbestandserfüllung der anderen Varianten § 38 Nr. 2, 3 ASOG)
b) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOG, § 40 VwVfG)
- Maßnahmen wären zur Verhinderung von Straftaten nach dem BtMG grds. verhältnismäßig
- Maßnahmen nach § 38 Nr. 1 ASOG im Einzelfall zulässig
8. § 34 und § 35 ASOG (Durchsuchung von Personen und Sachen)
- wenn Personen Sachen mit sich führt, die nach den oben genannten Grundsätzen (siehe oben A.III.7.) sichergestellt werden dürfen
IV. Generalklausel (§ 17 Abs. 1 ASOG)
1. Allgemeines zur Anwendbarkeit der Generalklausel
- Generalklausel ist gegenüber den spezielleren Vorschriften der §§ 18 ff. ASOG subsidiär (siehe § 17 Abs. 1 a.E. ASOG); keine von den Standardmaßnahmen umfasste Handlung darf auf die Generalklausel gestützt werden; sonst werden besondere Voraussetzungen und Zuständigkeiten umgangen
- nur von Standardmaßnahmen nicht erfasste Handlungen können gegenüber den Personen am Treffpunkt auf Generalklausel gestützt werden
- Konkretes kommt dahingehend nicht in Betracht
2. Inanspruchnahme des Bezirks?
- gegenüber dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als Betreiber des Spielplatzes kann aber § 17 Abs. 1 ASOG herangezogen werden; bessere Ausleuchtung oder Sperrung des Spielplatzes; auch kein Inhalt einer Standardmaßnahme; Gefahr liegt vor (siehe oben A.III.1.a)).
a) Bezirk als Zustandsstörer nach § 14 ASOG
- Bezirk ist Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück, von dem die Gefahr ausgeht, also Zustandsstörer gem. § 14 Abs. 1 ASOG
b) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 12 Abs. 1 ASOG, § 40 VwVfG)
- je nach Lage des Falls wäre die bessere Ausleuchtung als milderes Mittel vorzuziehen
c) Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Hoheitsträgern?
- Hoheitsträger, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sind materiell an das Polizeirecht gebunden; Ordnungsbehörden sind aber nicht befugt, sie zum Erlass bestimmter Gefahrenabwehrmaßnahmen zu verpflichten; Zuständigkeitsbereich des anderen Hoheitsträgers würde verletzt; grundsätzlich liegt es aber an der Zuständigkeitsordnung wie die dem Hoheitsträger obliegenden Aufgaben (unter Beachtung seiner materiellen Polizeipflicht) zu erfüllen sind
- gilt schon dann, wenn die die Gefahrenabwehrbehörden unterschiedlichen Hoheitsträgern (z.B. Gemeinde, Land) zugehören; gilt umso mehr, wenn – wie in Berlin – die Gefahrenabwehrbehörden alle den gleichen Hoheitsträger (das Land Berlin) haben
- unbenommen bleibt, störenden Hoheitsträger an seine Polizeipflicht zu „erinnern“ und ggf. aufsichtsrechtliches Tätigwerden anzuregen
- Bezirk kann nicht in Anspruch genommen werden
- § 17 Abs. 1 ASOG allenfalls in Sonderfällen
- entsprechend der Teilergebnisse sind Maßnahmen gegen die Personen am Treffpunkt möglich, wobei Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass von mehreren möglichen Standardmaßnahmen die am wenigsten belastende ausgewählt wird
B. Verpflichtung, gegen den Treffpunkt polizeirechtlich vorzugehen
- Verpflichtung zum Eingreifen nur dann, wenn das nach § 12 Abs. 1 ASOG eröffnete Entschließungsermessen auf Null reduziert ist; der Fall, wenn nur noch eine einzige Entscheidung als rechtmäßig angesehen werden kann; Bedeutung der Rechtsgüter, Grad der Verletzung und Art der Gefahr entscheidend
- Kinder haben sich bereits verletzt; Überfall mit Verletzungen; schädigende Ereignis hat somit bereits begonnen und bedroht zumindest teilweise Leib und Leben der Anwohner, also hochwertige Schutzgüter; Ermessensreduzierung auf Null im Hinblick auf Entschließungsermessen; Auswahlermessen bzgl. der zu ergreifenden Maßnahme bleibt aber offen
- die oben geschilderten Maßnahmen sind möglich und bzgl. eines generellen Tätigwerdens sind die Behörden auch verpflichtet
Dokumente
Zur zuletzt besuchten Textpassage | Zum Seitenanfang
© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: November 2016