Zitronenlimonade (Kurzlösung)
Lösungsvorschlag
Die Verfassungsbeschwerde von A, B und C zum BVerfG hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit des BVerfG
Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG (+)
II. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jeder- mann“)
„jedermann“ im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG (+)
III. Prozessfähigkeit (+)
IV. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Akt der öffentlichen Gewalt“)
Der Beschluss des OVG ist ein Akt der rechtsprechenden Gewalt und daher ein tauglicher Beschwerdegegenstand.
V. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein“) (+)
Die Versammlungsfreiheit ist ein Deutschengrundrecht und A und C haben keine deutsche Staatsbürgerschaft.
Im Hinblick auf die Verwendung des Z-Symbols könnten sich A und C aber möglicherweise auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) berufen. Zudem greift auch im Hinblick auf die übrigen Beschränkungen jedenfalls das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).
A, B und C sind als Veranstalter auch selbst und unmittelbar betroffen.
Hier besteht die Beeinträchtigung durch den Beschluss fort. Insbesondere steht zu befürchten, dass bei ähnlichen Kundgebungen in der Zukunft vergleichbare Beschränkungen erlassen werden und diese von den Verwaltungsgerichten unbeanstandet bleiben, sodass die Beschwer noch gegenwärtig ist.
VI. Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) und „Subsidiarität“ der Verfassungsbeschwerde (+)
Der Rechtsweg nach § 90 Abs. 2 BVerfGG ist hier erschöpft.
Fraglich ist, ob die Beschwerdeführer aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zunächst das Hauptsacheverfahren durchführen müssen. Verneint werden könnte dies aufgrund schwerer und unzumutbarer Nachteile. Zudem könnte ein Fall von § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vorliegen oder die Fallgruppe der entgegenstehenden Rechtsprechung einschlägig sein. Ein solcher schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne von § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 BVerfGG kann hier kaum angenommen werden.
Es könnten aber die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BVerfGG analog gegeben sein (sog. Vorabentscheidung). § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG kommt dabei nur in Betracht, wenn der Rechtsweg wenigstens beschritten wurde oder im Zeitpunkt der Entscheidung noch beschritten werden kann. Hier wurde zumindest der vorläufige Rechtsweg beschritten.
Die erstrebte Entscheidung vermag Klarheit darüber schaffen, ob und inwieweit pro-russische Kundgebungen im Bundesgebiet, insbesondere an bestimmten Orten, zu bestimmten Zeiten und unter Verwendung bestimmter Symbole, von der Meinungs- und/oder Versammlungsfreiheit gedeckt sind und Beschränkungen gerechtfertigt sein können. Daher ist eine allgemeine Bedeutung gegeben (a. A. vertretbar). Damit ist der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt.
VII. Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG)/Form (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) (+)
B. Begründetheit
I. Meinungsfreiheit
1. Schutzbereich
a) Sachlich
aa) Abgrenzung zur Versammlungsfreiheit
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt vor Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung. Dagegen schützt Art. 8 GG primär das Zusammenkommen zum Zwecke der gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Äußerung und damit die Art und Weise der Meinungsäußerung.
bb) Abgrenzung Werturteile und Tatsachenbehauptungen
Unter Meinungsäußerung ist zunächst die Äußerung aller Werturteile zu verstehen. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens kennzeichnend, weshalb sie sich nicht als wahr oder unwahr beweisen lassen.
Bei der Verwendung des Z steht nicht die Behauptung einer Tatsache, sondern das wertende Element im Vordergrund. Zwar ist das Z als Buchstabe zunächst wertungsneutral, es ist aber nach den sozialen Anschauungen und dem Kontext mittlerweile deutlich mit einer politischen Befürwortung der Handlungen Russlands in der Ukraine verknüpft. Insofern beinhaltet es ein wertendes Element („die Spezialoperation ist legitim“). Inwiefern damit auch ein tatsächliches Element verknüpft ist – etwa „die Spezialoperation ist rechtmäßig“ – welches möglicherweise erweislich unwahr ist, kann daher offenbleiben.
b) Persönlich
(+), da „Jedermann-Grundrecht“
2. Eingriff
(+), da die ausgesprochene Beschränkung, die vom OVG nicht aufgehoben wurden, hindert die Beschwerdeführer daran, ihre Meinung ungehindert zu verbreiten.
3. Rechtfertigung
a) Schranken
- Art. 5 Abs. 2 GG: Gesetzliche Grundlage für die erste Beschränkung könnte § 14 Abs. 1 VersFG iVm § 140 Nr. 2, 138 Abs. 1 Nr. 5 letzte Var StGB, §§ 6-13 VStGB oder § 14 Abs. 2 VersFG sein, die verfassungsgemäß sind laut Bearbeitervermerk.
b) Verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes
Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz. Es wird nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts geprüft.
aa) Offensichtlich willkürliche Entscheidung
Prüfungsmaßstab ist hier das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG.
Das Sicherheitsgefühl der ukrainischen Geflüchteten wird durch die Konfrontation mit Symbolen des Aggressors beeinträchtigt. Damit erscheint die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht willkürlich.
bb) Verkennung der Bedeutung der Meinungsfreiheit
Es muss jede Einschränkung der Meinungsfreiheit ihrerseits im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG betrachtet werden (sog. Wechselwirkungslehre). Die Vorschrift des § 140 StGB ist daher eng auszulegen.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Legitimer Zweck: Schutz des öffentlichen Friedens
Das Verbot des Z-Symbols auf einer öffentlichen Versammlung ist dazu auch nicht ungeeignet.
Andere mildere Mittel (z. B. nur kleine Z-Symbole, keine Fahnen mit dem Symbol) sind nicht gleich geeignet und auch nicht unbedingt milder.
Angemessenheit: Vorliegend stehen sich abstrakt jeweils wichtige Verfassungsgüter gegenüber.
Im konkreten Fall ist die Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit durch das Verbot des Z-Symbols relativ gering. Auf der anderen Seite ist die Gefahr für den öffentlichen Frieden zumindest von mittlerem Gewicht. Im Ergebnis erscheint die Beschränkung danach auch angemessen.
4. Zwischenergebnis
Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
II. Versammlungsfreiheit
1. Schutzbereich
a) Sachlich
aa) Vorliegen einer Versammlung
Eine Versammlung ist eine Personenvereinigung von mindestens zwei Personen, die sich innerlich durch eine gemeinsame Zweckverfolgung zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs verbunden hat. Eine Versammlung liegt demnach hier vor.
b) Friedlich und ohne Waffen
Allgemeine Erfahrungssätze der Behörde, die auf gewalttätige Gegner hindeuten, reichen zur Verneinung der Friedlichkeit nicht aus. Notwendig sind vielmehr konkrete tatsächliche Hinweise, die auf einen unfriedlichen Verlauf hinweisen. Solche bestehen hier nicht.
2. Persönlich
Art. 8 GG ist als Deutschengrundrecht ausgestaltet und schützt daher grundsätzlich nur alle deutschen Staatsangehörigen iSd Art. 116 Abs. 1 GG.
B ist deutscher Staatsbürger und kann sich damit auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen. A ist als russische Staatsangehörige weder Deutsche noch EU-Ausländerin. Diese können sich nur auf die Menschenrechte (Art. 11 EMRK) sowie Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht berufen. C ist als polnischer Staatsbürger EU-Ausländer. Nach einer Ansicht können sich EU-Ausländer direkt auf Deutschengrundrechte berufen. Nach anderer Auffassung sollen allein die Menschenrechte anwendbar sein. Allerdings müsse im Bereich der Bürgerrechte ein gleichwertiger Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG gewährt werden. Hier soll der Auffassung gefolgt werden, dass eine unmittelbare Berufung auf Art. 8 Abs. 1 GG durch EU-Ausländer möglich ist.
2. Eingriff
Da die Versammlungsfreiheit grundsätzlich auch die Selbstbestimmung von Ort und Zeit umfasst, stellt sich die Verlegung auf einen anderen Tag und die Änderung der Route als Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar.
3. Rechtfertigung
Art. 8 Abs. 2 GG („Versammlungen unter freiem Himmel“) ist weit zu verstehen und umfasst alle Orte, die dem allgemeinen Publikumsverkehr offenstehen und wo dieser sich bewegt und damit besonders gefährdet ist.
a) Verfassungsmäßigkeit des Einschränkungsgesetzes (+)
b) Verfassungskonforme Anwendung des Gesetzes
aa) Zeitliche Verlegung
Die Wahl des Versammlungstages ist von der Versammlungsfreiheit umfasst.
(1) Willkürliche Anwendung des VersFG
Eine Versammlung unter dem angegebenen Motto dürfte aber (ohne die Verwendung des Z-Symbols) allein kaum als strafrechtlich relevante Billigung eines Angriffskrieges aufzufassen sein.
Gegen die angemeldete Versammlung selbst darf nur vorgegangen werden, wenn die Voraussetzungen für den polizeilichen Notstand vorliegen. Hier hat die Polizeipräsidentin nicht dargelegt, dass eine Anforderung von Polizeikräften zum Schutz der Versammlung aus den benachbarten Bundesländern nicht möglich war.
Insofern erscheint die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit willkürlich.
Es ist sehr fraglich, ob hier die unmittelbare Gefahr bestand, dass durch die Versammlung die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigt wird. Allerdings scheint es wohl nicht als völlig abwegig, dass auch Demonstrationen, wie die hier vorliegende, die unabhängig von ihrem Motto mit Kriegsverbrechern und Aggressoren sympathisieren, die Würde der Opfer des Nationalsozialismus beeinträchtigen.
Insofern erscheint die Annahme der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 3 VersFG im Hinblick auf die zeitliche Verlegung der Versammlung nicht als willkürlich (aA vertretbar).
(2) Verkennung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Legitimer Zweck: Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus und des öffentlichen Friedens.
Die zeitliche Verlegung ist geeignet.
Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich. Problematisch ist jedoch die Angemessenheit.
Abstrakt stehen sich hier die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführer und die Würde der Opfer des Nationalsozialismus gegenüber.
Konkret ist hier zu beachten, dass die Verlegung der Versammlung auf einen anderen Tag einem besonders schweren Verbot der Versammlung nahekommt. Die Versammlung selbst sympathisiert nicht mit dem Nationalsozialismus.
Danach wurde die die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführer in der Entscheidung nicht angemessen berücksichtigt (a. A. vertretbar). Die zeitliche Verlegung ist verfassungswidrig.
bb) Örtliche Verlegung
(1) Willkürliche Entscheidung
Ein Recht, mit bestimmten Meinungen nicht konfrontiert zu werden, gibt es jedenfalls in der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht. Insofern erscheint das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit hier offensichtlich nicht betroffen.
Auch die Voraussetzungen der in § 14 Abs. 2 VersFG aufgezählten Alternativen sind hier kaum einschlägig. Insbesondere wird nicht konkret zu Hass oder Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen die ukrainischen Geflüchtete aufgestachelt (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 a) VersFG) oder dieser Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 b) VersFG). Insofern kann hier gut vertretbar bereits ein Verstoß gegen das Willkürverbot angenommen werden.
(2) Verkennung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Als legitimer Zweck kann hier der öffentliche Friede angeführt werden.
Die örtliche Verlegung ist auch nicht ungeeignet.
Als mildere Maßnahme käme die örtliche Beschränkung nur im Hinblick auf den Tegeler Flughafen in Betracht. Diese ist aber nicht gleich geeignet.
Angemessenheit:
Eine Versammlung direkt vor einer Flüchtlingsunterkunft, in der sich viele Ukrainer aufhalten, hat eine besonders hohe Symbolkraft und damit auch ein hohes Risikopotential für den öffentlichen Frieden. Dagegen dürfte allein das Vorbeifahren am Hauptbahnhof kaum zusätzliches Gefahrpotential bergen. Die Verlegung ist damit im Hinblick auf die Umgehung des Hauptbahnhofs verfassungswidrig. Im Hinblick auf den Tegeler Flughafen dürfte die Beschränkung dagegen noch angemessen erscheinen. Angesichts der offensichtlich fehlenden einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für eine solche Beschränkung stellt sich der Beschluss des OVG hier aber insgesamt als verfassungswidrig dar (a. A. vertretbar).
III. Allgemeine Handlungsfreiheit der A
Als russische Staatsbürgerin kann sich A nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Diese ist hier allerdings im Lichte von Art. 11 EMRK völkerrechtsfreundlich auszulegen. Im Ergebnis dürften sich daher keine Unterschiede zu oben ergeben.
C. Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und hinsichtlich der „Beschränkungen“ zwei und drei auch begründet (a. A. vertretbar).
Dokumente
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