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Zitronenlimonade

 

Die russische Staatsbürgerin Nadja Kunstinnig-Deinhaus (A) meldete Anfang März 2022 zusammen mit ihrem Ehemann, dem deutschen Staatsbürger Rüdiger Kunstinnig-Deinhaus (B), und dem polnischen Staatsbürger Cezary Czarek (C) bei der zuständigen Polizeipräsidentin in Berlin eine öffentliche Versammlung für den 9. Mai an.

Der 9. Mai ist in Russland als Tag des Sieges über das von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei regierte Deutsche Reich gesetzlicher Feiertag und von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Die angemeldete Veranstaltung von A, B und C soll als Autokorso mit 200 erwarteten Teilnehmenden stattfinden. Die Autos der Teilnehmenden sollen mit Russlandfahnen und Transparenten bestückt werden und so große Aufmerksamkeit erregen. Als Versammlungszweck nennen die Veranstaltenden folgendes Motto: „Gegen die Diskriminierung Russlands – Für den Frieden, gegen Nazis“. Die Veranstaltung soll am stillgelegten Tegeler Flughafen starten und von dort unter häufiger Verwendung der Hupen über den Hauptbahnhof bis zum Reichstagsgebäude führen, wo sich der Autokorso auflösen soll. Ähnliche Veranstaltungen fanden bereits in der Vergangenheit im ganzen Bundesgebiet statt und sind sowohl für den 9. Mai als auch für die darauffolgende Zeit geplant. Behörden in anderen Bundesländern sprachen für vergleichbare Aktionen Auflagen und teilweise sogar Verbote aus.

Die Polizeipräsidentin von Berlin erließ nach erfolgter Anhörung von A, B und C einen Bescheid mit folgenden „Beschränkungen“.

  • Erstens wird den Veranstaltenden aufgegeben jedes Zurschaustellen des sog. „Z-Symbols“ zu unterlassen.
  • Zweitens wird die Route dahingehend geändert, dass Start des Autokorsos nicht der stillgelegte Tegeler Flughafen ist – in welchem ein Notlager für geflüchtete Ukrainer*innerinnen untergebracht ist – sondern der nahegelegene zentrale Festplatz. Auch am Hauptbahnhof soll die Route nicht vorbeiführen, da an diesem weiterhin viele ukrainische Geflüchtete ankommen und erstversorgt werden. Vielmehr soll der Autokorso über die Müllerstraße durch den Wedding geleitet werden und schließlich am Reichstag enden.
  • Drittens soll die Versammlung nicht am 9. Mai stattfinden, da dieser zu symbolträchtig sei, und den Ukrainekrieg – der staatlichen russischen Propaganda folgend – als „Spezialoperation“ in die Nähe des Kampfes gegen das nationalsozialistische dritte Reich stelle. Zudem seien für den 9. Mai schon andere Veranstaltungen angemeldet und alle Berliner Polizisten bereits verplant. Die angemeldete Versammlung könne mangels verfügbarer Einsatzkräfte nicht vor gewaltbereiten Versammlungsgegner*innen und Ausschreitungen geschützt werden, mit denen aber nach allgemeinen Erfahrungssätzen gerechnet werden müsse.

Die Regelungen wurden in dem Bescheid für sofort vollziehbar erklärt. Zur Begründung führt die Polizeipräsidentin zudem an, das Zeigen des Z-Symbols – welches vom russischen Staat und seiner militärischen Einheiten als Zeichen für den angestrebten Sieg über die Ukraine verwendet wird – stelle sich strafrechtlich als untersagte Billigung eines Angriffskrieges dar. Da es in der Vergangenheit bei ähnlichen Versammlungen in anderen Städten zur Verwendung des Symbols gekommen ist, sei auch hier damit zu rechnen. Die zeitliche und örtliche Verlegung des Autokorsos sei notwendig, um die Symbolkraft abzumildern und die in Deutschland angekommenen ukrainischen Geflüchteten vor psychischen Belastungen zu schützen. Ein Autokorso wecke Erinnerungen an die Siegesfeiern im Rahmen von Fußballländerspielen und sei für ein solches Thema unangemessen. Schließlich sei auch die neue Streckenführung über die viel frequentierte Müllerstraße geeignet, das Anliegen der Versammlung einer breiten Öffentlichkeit zu unterbreiten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Auf dieses könnten sich B und C schon gar nicht berufen.

Die Veranstalter*innen der geplanten Veranstaltung sehen dies jedoch anders. Sie hatten sich extra große Fahnen mit dem Slogan „mmmhhh Z-itro­nen­li­mo­nade“ anfertigen lassen. Wobei das Z mit einer Größe von etwa 30cm gegenüber dem Rest des Schriftzuges (10cm) deutlich hervorsticht. Deswegen legen sie umgehend Widerspruch gegen die „Beschränkungen“ bei der zuständigen Polizeipräsidentin ein und beantragen beim VG Berlin einstweiligen Rechtsschutz. Dieser wird jedoch nicht gewährt. Auch die dagegen vor dem OVG Berlin-Brandenburg erhobene Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Verwendung des Z-Symbols sei als Billigung eines Angriffskrieges strafbar. Die örtliche Verlegung des Autokorsos lasse sich mit der Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens rechtfertigen. Die zeitliche Verlegung gebiete schon der Schutz von Gesundheit und Leben der Versammlungsteilnehmer*innen und könne im Übrigen auf § 14 Abs. 2 Nr. 3 VersFG gestützt werden.

Durch diese Beschlüsse sehen sich die Veranstalter*innen in ihren Grundrechten verletzt. Das bloße Verwenden eines Buchstabens könne wohl kaum verboten sein. Zudem sei eine „Spezialoperation“ noch lange kein „Angriffskrieg“. Die westlichen Militäreinsätze im Kosovo, im Irak und in Libyen, das seien Angriffskriege gewesen. Einen Rechtsbehelf in der Hauptsache halten Sie für nicht mehr zielführend, da ein entsprechendes Urteil ohnehin zu spät käme. Im Übrigen verweisen sie auf die besondere Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen, die sich auch in zahlreichen anderen Städten stellen würden. In vielen deutschen Städten gäbe es „diskriminierte Russen“, die sich mit ähnlichen „Beschränkungen“ bzw. „Auflagen“ konfrontiert sähen. Deswegen legen A, B und C frist- und formgemäß Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OVG beim Bundesverfassungsgericht ein. Wie sind die Erfolgsaussichten?

Bearbeitervermerk

1. Es ist davon auszugehen, dass der Einsatz des russischen Militärs gegen die Ukraine offensichtlich gegen das in der UN-Charta verankerte völkerrechtliche Gewaltverbot verstößt und alle Tatbestandsmerkmale eines Angriffskrieges iSd Völkerstrafgesetzbuches erfüllt sind.

2. Von der Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Strafvorschriften und des Berliner Versammlungsfreiheitsgesetzes (VersFG) ist auszugehen.

 

© Heike Krieger (Freie Universität Berlin)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Andreas Buser, Christian Janssen 

Stand der Bearbeitung: Juli 2024

 


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