Klimaklage (Kurzlösung)
A) Zulässigkeit
I. Eröffnung Verwaltungsrechtsweg § 40 VwGO
- § 40 I VwGO (+):
Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, da die streitentscheidenden Normen (Klimaschutzgesetz und Grundrechte) Träger öffentlicher Gewalt als solche berechtigen und verpflichten (modifizierte Subjektstheorie). Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art.
Zudem wird keine Verpflichtung der Bundesregierung zur Initiierung einer förmlichen Gesetzesänderung begehrt (etwa weitergehende Klimaschutzmaßnahmen), was nur vom BVerfG durchgesetzt werden kann.
II. Statthafte Klageart
- § 88 VwGO
Nicht Verpflichtungsklage, da kein konkretes Einschreiten durch VA begehrt wird.
Allgemeine Leistungsklage (+): Kann auf Unterlassen einer hoheitlichen Beeinträchtigung (bei Annahme eines Eingriffs in subjektive Rechte) oder als originäre Leistungsklage auf hoheitliches Einschreiten (Schutzpflichten) gerichtet sein.
III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
1. „Aktionsplan Klimaschutz 2021“ und Kabinettsbeschlüsse
a) Rechtliche Verbindlichkeit
Der Aktionsplan ist nach Wortlaut und Kontext nicht rechtsverbindlich. Der Wortlaut (politische Leitlinien) zeigt bereits, dass hier keine Verrechtlichung gewollt war.
b) Subjektive Rechte
Subjektive Rechte werden nach der Schutznormtheorie nur durch solche Rechtsvorschriften begründet, die nichtausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind, sondern auch dem Schutz Einzelner dienen.
Bei den Klimazielen handelt es sich nach der Schutznormlehre nicht um „Regelungen“, die Einzelnen subjektive Rechte zuerkennen. Vielmehr dienen die Bestimmungen dem Schutz der Allgemeinheit. Der Schutz für Einzelne ist bloßer Rechtsreflex.
c) Zwischenergebnis
Aus dem Aktionsplan und den Kabinettsbeschlüssen lässt sich keine Klagebefugnis ableiten.
2. Klimaschutzgesetz (KSG)
Das (fiktive) KSG hat für 2021 keine Ziele festgelegt. Der eindeutige Wortlaut und Zweck des § 4 I 7 KSG spricht entschieden gegen die Begründung subjektiver Rechtspositionen durch das Gesetz.
3. Grundrechte
a) Landwirt L
aa) Art. 14 GG
Eine Verletzung des Art. 14 I GG erscheint jedenfalls möglich, denn die durch den Klimawandel bereits verursachten Hitzewellen und noch zu erwartenden Temperaturrekorde wirken sich unmittelbar auf die Substanz des Eigentums des L aus (Ernteausfall). Auch drohende Grundrechtsverletzungen sind relevant, sofern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt einer Verletzung besteht, lediglich ein nicht vermeidbares „Restrisiko“ genügt nicht. Hier ist von einer ernstzunehmenden und hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Substanzverletzungenauszugehen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Einhaltung des 2021 Ziels die Gefahr für das Eigentum des L zumindest verringern würde.
- Zudem: Recht am „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ (umstr.).
bb) Art. 12 I GG
(-), Grundgesetz gewährleistet kein Grundrecht auf einen Arbeitsplatz. Auch bloße Gewinnchancen oder Erwartungen werden nicht geschützt.
b) Lisa N
aa) Art. 2 II 1 GG – körperliche Unversehrtheit
Da N Asthmatikerin ist und sich ihr gesundheitlicher Zustand bei zunehmender Hitze verschlechtern wird, erscheint eine Verletzung von Art. 2 II 1 GG jedenfalls möglich.
bb) Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20a GG
In der Literatur wird aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20a GG teilweise ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum abgeleitet. Zentraler Schutzgehalt ist nach dieser Ansicht der Erhalt einer lebenswerten und dem Menschen würdigen Umwelt. Dies würde verlangen, dass Deutschland jedenfalls darauf hinwirken müsste, dass die sogenannten Kipppunkte nicht überschritten werden. Inwiefern Kipppunkte bereits bei Verfehlen des „2021- Ziels“ überschritten werden, ist im Sachverhalt nicht dargestellt und tatsächlich wohl eher nicht anzunehmen. Daher ist eine mögliche Verletzung hier im Ergebnis ohnehin abzulehnen.
3. Zwischenergebnis
L und N sind klagebefugt.
IV. Klagegegner
Die herrschende Meinung geht von der Geltung des Rechtsträgerprinzips gem. § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch für Leistungsklagen aus. Das Rechtsträgerprinzip findet danach als allgemeiner Grundsatz des Verwaltungsprozessrechts Anwendung. Klagegegner ist damit vorliegend die Bundesrepublik Deutschland vertreten durch die Bundesregierung.
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit ist nach §§ 61, 62 VwGO für L gegeben.
Prozessfähigkeit (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) für N: Die N ist noch nicht volljährig und damit nur beschränkt geschäftsfähig. Die Prozessfähigkeit von Minderjährigen ist aber in Fällen anerkannt, in denen die Fähigkeit zur selbstständigen Grundrechtsausübung zu bejahen ist (Grundrechtsmündigkeit). Die N ist bereits seit mehreren Jahren politisch aktiv und steht mit ihren 17 Jahren auch kurz vor der Volljährigkeit. Insofern sind die erforderliche tatsächliche Einsichtsfähigkeit und Reife zur Ausübung und Durchsetzung ihrer Grundrechte (hier Art. 2 II 1 GG) zu bejahen.
VI. Form, § 81 VwGO
1. Einfache E-Mail mit Anhang
Auch eine einfache E-Mail mit angehängter Klageschrift kann, wenn die Klageschrift unterschrieben ist, die maßgeblichen Kriterien Verkehrswille und Urheberschaft erfüllen. Nach der Rechtsprechung kann eine einfache E-Mail mit signiertem Anhang (pdf) genügen. Allerdings wird verlangt, dass der Anhang bei Gericht ausgedruckt wird. Anderenfalls handelt es sich um eine rein elektronische Einreichung, die den Erfordernissen des § 55a VwGO unterfällt.
Ein Ausdruck liegt hier nicht vor. Zudem fehlt es an der Unterschrift der Klägerin oder ihrer Prozessvertreterin.
2. Anwaltspostfach (beA)
Nach § 55a VwGO genügt auch die elektronische Übersendung unter bestimmten Voraussetzungen der Schriftform des § 81 VwGO. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen der Übersendung eines Schriftsatzes mit angehängter elektronischer Signatur (§ 55a III VwGO) und der Verwendung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) bzw. eines De-Mail-Kontos (§ 55a III 2, IV Nr. 2 VwGO). Bei Letzterem setzt das Gesetz keine elektronische, sondern nur eine einfache Signatur voraus.
Die Einreichung der Klage durch R genügt diesen Kriterien. So hat die R die Klage unterschrieben und sie per beA eingereicht.
VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
1. Zulässigkeit der strategische Prozessführung
- Hier: strategic litigation
Als rechtsmissbräuchlich könnten solche Klagen angesehen werden, wenn nicht die Beseitigung der individuellen Rechtsverletzung, sondern andere Interessen im Vordergrund stünden.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger instrumentalisiert werden oder die Klage gar nicht wirklich ihrem Willen entspricht, sind hier nicht ersichtlich.
2. Justiziabilität
- Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung?
- Nicht ausforschbarer Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Regierung, der vor allem laufende Vorgänge und Verfahren betrifft. Geschützt ist primär die Freiheit und Offenheit des Willensbildungsprozesses in der Regierung, nicht aber die daraus resultierende Entscheidung an sich. Ein vollständiger Ausschluss gerichtlicher Kontrolle des Regierungshandelns bzw. -unterlassens wäre weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV GG vereinbar.
B) Begründetheit
I. Eingriffskonstellation
1. Schutzbereiche
- Art. 2 II 1 GG: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die körperliche Unversehrtheit umfasst die Gesundheit im biologisch-physiologischen und auch im psychischen Sinne. Der Schutzbereich ist für N eröffnet, da im Falle des weiteren Temperaturanstiegs sich ihr Asthma zu verschlimmern droht.
- Art. 14 I GG: alle vermögenswerten Rechte, die den Berechtigten von der Rechtsordnung zugeordnet sind und über die diese in eigenverantwortlicher Entscheidung verfügen können. Durch den Klimawandel droht sich die Substanz derBöden auf Feldern von L zu verschlechtern und die angebauten Pflanzen drohen zu vertrocknen. Damit ist der Schutzbereich eröffnet.
2. Eingriff
a) Umfassende Zurechnung
Teilweise wird in der Literatur in umweltrechtlichen Konstellationen eine sehr weitgehende Zurechnung zum Staat postuliert. Auf Grund des staatlichen Gewaltverbots und der damit verbundenen fehlenden Abwehrmöglichkeiten (Duldungspflicht) gegenüber allen nicht verbotenen Beeinträchtigungen seien alle ausdrücklich erlaubten grundrechtlichen Beeinträchtigungen durch Private auf Grund der Gestattung dem Staat zuzurechnen.
Eine so weitgehende Zurechnung anzunehmen, ist aber wenig überzeugend. Die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols ist gerade die Pflicht des Staates, die Bürger vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen undihre Interessen in Ausgleich zu bringen, nicht die Zurechnung der Beeinträchtigungen zum Staat. Für die Zurechnung reicht es nicht aus, dass der Staat bisher den Ausstoß von Treibhausgasen nicht verbietet. Andernfalls würde die dogmatisch und praktisch bedeutsame Unterscheidung zwischen Abwehr- und Schutzpflichtenkonstellationen verwischt.
b) Eingeschränkte Zurechnung
Privates Handeln ist aber in bestimmten Fallgruppen dem Staat zurechenbar. Zum Beispiel wird überwiegend der Lärm, der von Nutzern öffentlicher Einrichtungen ausgeht, dem Staat zugerechnet. Daneben ist die Zurechnung in den hier relevanten Konstellationen umstritten.
aa) Genehmigung
In neueren Entscheidungen des BVerfG wird der Gedanke der Zurechnung in Bezug auf private Luftverschmutzungverneint. Dafür spricht, dass die Genehmigung nicht zu einer Entlassung des unmittelbar Handelnden aus seiner eigenen Verantwortung führen kann. Genehmigungspflichten sind Teil des geforderten staatlichen Schutzes gegenüber Privaten, führen aber nicht zu einer Zurechnung.
bb) Bewusste staatliche Duldung
Die Figur der Zurechnung bei bewusster staatlicher Duldung wird in der Rechtsprechung des BVerfG ausdrücklich anerkannt. Auch wenn das Gericht dies nicht näher präzisiert, dürfte damit aber nicht die bewusste Duldung der Handlung, sondern des Erfolgs, also der Grundrechtsbeeinträchtigung gemeint sein. Dennoch lässt sich argumentieren, die Bundesregierung nehme die Folgen des Klimawandels – also die Grundrechtsbeeinträchtigungen selbst – bewusst in Kauf. Dagegen spricht aber, dass immerhin ein erheblicher Aufwand betrieben wird, um den Klimawandel zu begrenzen, auch wenn fraglich ist, ob dieser Aufwand ausreichend ist. Die Frage nach dem ‚genug‘ ist ein Problem der Schutzpflichten-, nicht der Eingriffskonstellation.
c) Zwischenergebnis
Danach ist das Vorliegen eines Eingriffs hier im Ergebnis abzulehnen.
II. Schutzpflichtenkonstellation
1. Bestehen einer Schutzpflicht
a) Allgemein
Sowohl aus Art. 2 II 1 GG, als auch aus Art. 14 I GG lassen sich staatliche Schutzpflichten ableiten.
b) Begrenzte Möglichkeiten Deutschlands zur Abwehr eines globalen Problems
Zunächst stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung überhaupt die tatsächlichen Möglichkeiten hat, die der deutschen Hoheitsgewalt unterworfenen Menschen wirksam vor dem Klimawandel zu schützen bzw. diesen abzuwenden. Im Gegensatz zur Abwehrkonstellation, kommt es in der Schutzpflichtenkonstellation primär darauf an, ob der Staat Grundrechte wirksam schützen kann. Deutschland träfe sogar dann Schutzpflichten hinsichtlich derKlimafolgen, wenn der Klimawandel nicht durch Menschen verursacht würde. Allerdings kann von der Bundesregierung nicht Unmögliches verlangt werden. Das heißt es muss der Bundesregierung möglich sein, die Folgen des Klimawandels für L und N abzuwenden oder zumindest abzumildern.
- Aber: Klimawandel globales Phänomen und daher globale Herausforderung.
Es erscheint in hohem Grade wertungswidersprüchlich, aus der fehlenden Umsetzung von Rechtspflichten anderer Staaten (internationaler Menschenrechtsschutz, nationale Verfassungsgarantien, Pariser-Abkommen) abzuleiten, dass die Bundesregierung von ihren Schutzpflichten freigestellt wäre.
Außerdem erhöht jede weitere Emission die Gefahr und das Ausmaß der drohenden Grundrechtsbeeinträchtigungen.Bereits Zehntelgrade können beim Temperaturanstieg eine entscheidende Bedeutung für die Auswirkungen auf die Menschen haben. Insofern kann Deutschland durch die Reduktion der eigenen Treibhausgasemissionen die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Klimawandels zumindest verringern. Daneben trifft die Bundesregierung eine Pflicht, in Verhandlungen mit anderen Staaten und internationalen Organisationen auf mehr Klimaschutz zu drängen und auf diese einzuwirken. Deshalb ist eine entsprechende Schutzpflicht anzunehmen.
2. Erfüllen der Schutzpflicht
a) Kontrolldichte
Im Bereich der Schutzpflichten wird überwiegend eine geringere Kontrolldichte der Gerichte angenommen. Um den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu respektieren, beschränkt sich das BVerfG meist auf eine Evidenzkontrolle. Eine Schutzpflichtverletzung liegt danach vor, wenn der Gesetzgeber keine Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft oder diese völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind.
Teilweise verwendet das BVerfG aber auch den Begriff des Untermaßverbots. Das genaue Verhältnis derEvidenzkontrolle zum Untermaßverbot ist nicht geklärt. Im Rahmen des Untermaßverbots wird gefordert, dass der Staatzur Erfüllung seiner Schutzpflicht ausreichende Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art ergreift, die einen angemessenen und wirksamen Schutz bewirken und auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.
b) Das Klimaschutzziel 2021 als verfassungsrechtliches Mindestmaß?
Sehr fraglich ist allerdings, ob das Klimaschutzziel 2021 das verfassungsrechtliche Mindestmaß darstellt, hinter dem die Bundesregierung nicht zurückbleiben darf.
Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Verfehlung selbst gesetzlicher oder auch internationaler Klimaziele nichtnotwendigerweise mit einem Unterschreiten des grundrechtlich geforderten Schutzes gleichzusetzen.
Dabei ist wohl davon auszugehen, dass Deutschland wirksamen Schutz (im Rahmen seiner Möglichkeiten) auch nochdurch spätere verstärkte Treibhausgasemissionsreduzierungen und intensivierte diplomatische Bemühungen erreichenkann. Dass der „point-of-no-return“ gerade durch Verfehlung des 2021 Ziels durch Deutschland erreicht wird, ist nicht ersichtlich.
Hinzu kommt, dass Deutschland mittlerweile durchaus weitergehende Ziele festgelegt (KSG) und Maßnahmenergriffen hat, um die Gefahren des Klimawandels zu beschränken. Im Rahmen der Evidenzkontrolle ist nur zu prüfen, ob sie offensichtlich unzureichend sind.
Allein durch Nichteinhaltung des 2021 Ziels ist kein evidentes Unterschreiten des grundrechtlich geforderten Minimalschutzes anzunehmen. Dafür spricht auch, dass die Bundesregierung im Jahr 2020 ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht hat.
Ergebnis
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.
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© Heike Krieger (Freie Universität Berlin) und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Andreas Buser, Christian Janssen
Stand der Bearbeitung: September 2024