Springe direkt zu Inhalt

Klimaklage

Seit zwei Jahren demonstrieren Schüler*innen in Deutschland unter dem Motto „Fridays for future“ für mehr Klimaschutz. Doch aus Sicht ihrer Vertreter*innen hat sich in der Politik bisher wenig getan. Zwar hat die Corona Pandemie 2020 für eine Reduktion der erwarteten Treibhausgasemissionen geführt, doch mit der Verbreitung von Impfstoffen „droht“ ein wirtschaftlicher Wiederaufschwung und möglicherweise sogar ein Ausgleich der nicht emittierten Treibhausgase. Dabei hatte sich die Bundesregierung doch im Jahr 2014 selbst in einem „Aktionsprogramm Klimaschutz 2021“ (Anhang 1), welches in mehreren Kabinettsbeschlüssen Erwähnung findet, das Ziel gesetzt bis Ende 2021 die Treibhausgasemissionen um 40% gegenüber 1990 zu mindern. Dazu müssten die Emissionen von rund 1.250 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2-Äq.) im Jahr 1990 auf einen Zielwert von höchstens 750 Mio. t CO2-Äq. im Jahr 2021 zurückgeführt werden. Die Bundesregierung gesteht jedoch ein, dass das Klimaschutzziel 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt wird. Tatsächlich erreicht Deutschland nach dem Klimaschutzbericht 2018 der Bundesregierung voraussichtlich lediglich eine Reduzierung um 32 %.

Der Rechtsanwältin R kommt das gerade recht. Schon lange beschäftigt sie sich juristisch mit der Thematik Klimaschutz und sieht die Chance auf eine gerichtliche Durchsetzung des Klimaziels 2021. Um den Prozess möglichst medienwirksam zu gestalten, sucht sie gezielt nach einer möglichst großen und diversen Gruppe an Kläger*innen. Darunter befindet sich der 41-jährige Landwirt L aus Brandenburg, der seinen Hof in fünfter Generation führt und ökologische Landwirtschaft betreibt. Sein Betrieb leidet bereits heute unter den Folgen des Klimawandels. So hat etwa der Hitzesommer 2019 zu einem massiven Ernteausfall geführt.

Zudem hat sich Lisa N der Klage angeschlossen. N ist 17 Jahre alt und Schülerin. Sie fürchtet in einer durch die Erderwärmung erhitzten Welt um ihre Gesundheit, da sie als Asthmatikerin im Sommer bereits jetzt häufig unter Atemnot leidet. Sie meint das Grundgesetz gewähre auch ein Grundrecht auf Klimaschutz. Ihre Eltern halten dagegen nicht viel von ihrem Engagement von Fridays for Future, Lisa solle lieber in die Schule gehen. Die Klage unterstützen sie nicht.

R meint die Bundesregierung müsse sich an ihre eigenen Beschlüsse halten und sei den Bürger*innen direkt verantwortlich. Bei dem Aktionsprogramm handele sich nicht um eine bloße politische Absichtserklärung, sondern um einen justitiablen Rechtsakt der Beklagten. Jedenfalls das neue Klimaschutzgesetz (Anhang) vermittle auch subjektive Rechte. Zudem liege nach dem modernen Eingriffsbegriff ein Eingriff in Grundrechte der Kläger vor, der wohl kaum zu rechtfertigen sei. Die Bundesregierung nehme die durch den Klimawandel drohenden Gefährdungen bewusst in Kauf. Jedenfalls träfen die Bundesregierung Schutzpflichten, die hier offensichtlich nicht erfüllt seien. Das Klimaschutzziel 2021 sei auch – was zutrifft – jetzt noch erreichbar. Wie genau es erreicht werden könne, solle die Bundesregierung selbst entscheiden. Einer Gesetzesreform bedürfe es hierfür nicht, weil das Klimaziel 2021 auch – was ebenfalls als zutreffend zu unterstellen ist – durch positive Anreize und andere unter-gesetzliche Maßnahmen erreichbar ist.

Die Bundesregierung sieht sich dagegen global als Vorreiterin im Klimaschutz. Den Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und dem Klimawandel erkennt sie selbstverständlich an. Allerdings seien Klimaklagen per se nicht justiziabel und damit unzulässig, da politische Entscheidungen zum Kernbereich der politischen Gestaltungsbefugnisse der Bundesregierung gehörten. Weder das Aktionsprogramm 2021 noch das neue Klimaschutzgesetz (Anhang 2) begründeten subjektive Rechte. Jedenfalls sei die vorliegende Klage rechtsmissbräuchlich, da die Anwältin R sich die Kläger*innen ausgesucht habe und nicht wie üblich die Mandant*innen ihre Anwältin.

Außerdem könne keine Kausalität zwischen einzelnen Treibhausgasemissionen und konkreten Gefahren für einzelne deutsche Bürger*innen festgestellt werden. Das alles sei doch ein globales, kein deutsches Problem. Dem Staat seien zudem private Emissionen nicht zurechenbar, sonst wäre jeder Atemzug ein staatlicher Akt. Grundrechtlichen Schutzpflichten könne auch zu einem späteren Zeitpunkt genüge getan werden. Zudem habe man doch gerade ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Klimaschutz beschlossen.

Am 7.1.2021 entschließt sich das Bündnis um R schließlich gerichtlich vorzugehen. Dabei wenden sich die Beteiligten explizit nicht gegen das KSG selbst – das an und für sich eine gute Sache sei – oder ein Unterlassen des Gesetzgebers, sondern möchte zunächst erreichen, dass sich die Bundesregierung an das selbst gesteckte Ziel für 2021 hält. Zwar sei richtig, dass es sich beim Klimawandel um ein globales Problem handle, doch müsse Deutschland jedenfalls seinen Beitrag leisten. Die Reduktion des deutschen Treibhausgasausstoßes habe – was als zutreffend zu unterstellen ist – durchaus das Potential das globale Klima zu beeinflussen.

Die ordnungsgemäß bevollmächtigte – aber in „Internetdingen“ wenig erfahrene – R schickt daraufhin zunächst eine E-Mail mit angehängter Klageschrift an die allgemeine E-Mail Adresse des Verwaltungsgerichts Berlin. Eine Unterschrift enthält der Entwurf nicht. Auch eine elektronische Signatur verwendet R nicht. Am nächsten Tag erfährt sie allerdings zufällig in einem ‚Videocall‘ von einer Kollegin, dass es für die Einreichung von Dokumenten auf elektronischem Wege auch gesetzliche Voraussetzungen gibt. Daraufhin lässt sie sich von ihrem erfahrenen Rechtsanwaltsfachangestellten ein Anwaltspostfach (beA) einrichten. Darüber übermittelt sie einige Tage später die – von ihr handschriftlich signierte – Klageschrift an das VG Berlin. Eine elektronische Signatur fügt sie nicht bei.

 

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

 

 

Bearbeitervermerk:

Alle aufgeworfenen Rechtsfragen sind gutachterlich zu klären. Die im Anhang zitierten Texte sind nur insofern relevant als sie abgedruckt sind. Aus didaktischen Zwecken wurden die Texte leicht verändert, auf das echte KSG ist nicht einzugehen. Nicht abgedruckte Textstellen und §§ sind für die Bearbeitung irrelevant. Hinsichtlich der faktischen Zielerreichbarkeit ist davon auszugehen, dass das Klimaziel 2021

 

 

 

Anhang 1: Auszug aus dem „Aktionsprogramm Klimaschutz 2021“

(Das Aktionsprogramm Klimaschutz 2021 entspricht in Aufbau und Aufmachung einer Informationsbroschüre. Es enthält ein Vorwort der damaligen Bundesumweltministerin und zahlreiche Fotos, Abbildungen und Tabellen.)

„[…]

B. Zentrale politische Maßnahmen

I. Klimaschutzziel 2021

[…]

Unser nächstes Etappenziel im Klimaschutz ist es, die Treibhausgas-Emissionen bis 2021 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Damit wollen wir die Basis dafür schaffen, auch die nachfolgenden Zielsetzungen für die Jahre 2030, 2040 und 2050 zu erreichen und das europäische Klimaziel zu realisieren."

 

 

Anhang 2: Klimaschutzgesetz (KSG)

§ 1 Zweck des Gesetzes

Zweck dieses Gesetzes ist es, zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Die ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen werden berücksichtigt. Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten, sowie das Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen am 23. September 2019 in New York, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen.

 

§ 3 Nationale Klimaschutzziele

(1) Die Treibhausgasemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise gemindert. Bis zum Zieljahr 2030 gilt eine Minderungsquote von mindestens 55 Prozent.

(2) Die Möglichkeit, die nationalen Klimaschutzziele teilweise im Rahmen von staatenübergreifenden Mechanismen zur Minderung von Treibhausgasemissionen zu erreichen, bleibt unberührt.

(3) Sollten zur Erfüllung europäischer oder internationaler Klimaschutzziele höhere nationale Klimaschutzziele erforderlich werden, so leitet die Bundesregierung die zur Erhöhung der Zielwerte nach Absatz 1 notwendigen Schritte ein. Klimaschutzziele können erhöht, aber nicht abgesenkt werden.

 

§ 4 Zulässige Jahresemissionsmengen, Verordnungsermächtigung

(1) Zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele nach § 3 Absatz 1 werden ab dem Jahr 2022 jährliche Minderungsziele durch die Vorgabe von Jahresemissionsmengen für die folgenden Sektoren festgelegt:

[…]

Die Emissionsquellen der einzelnen Sektoren und deren Abgrenzung ergeben sich aus Anlage 1. Die Jahresemissionsmengen für den Zeitraum bis zum Jahr 2030 richten sich nach Anlage 2. Im Sektor Energiewirtschaft sinken die Treibhausgasemissionen zwischen den angegebenen Jahresemissionsmengen möglichst stetig. Für Zeiträume ab dem Jahr 2031 werden die jährlichen Minderungsziele durch Rechtsverordnung gemäß Absatz 6 fortgeschrieben. Die Jahresemissionsmengen sind verbindlich, soweit dieses Gesetz auf sie Bezug nimmt. Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen werden durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nicht begründet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Zur zuletzt besuchten Textpassage | Zum Seitenanfang


© Heike Krieger (Freie Universität Berlin) und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Andreas Buser

Stand der Bearbeitung: Juli 2021