Springe direkt zu Inhalt

Lösungsvorschlag

Der Antrag des Dörfle hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. 

A. Zulässigkeit

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 80 Abs. 5 VwGO vorliegen.

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 80 Abs. 5 VwGO ist zunächst, dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, also eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vorliegt, mithin die VwGO anwendbar ist. Bei der Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1 BauO Bln handelt es sich um eine Maßnahme im Rahmen des Bauordnungsrechts. Für die Streitentscheidung sind folglich die Normen des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts maßgeblich, die auf der einen Seite lediglich Träger öffentlicher Gewalt berechtigen und verpflichten, so dass insgesamt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt und der Verwaltungsrechtsweg somit eröffnet ist.

Anmerkung: Z.T. wird auch auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO abgestellt, auch das ist vertretbar.

II. Statthaftigkeit des Antrags

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur statthaft, wenn die Klage in der Hauptsache eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist, wenn sich der Antragsteller also gegen den Vollzug eines Verwaltungsakts wendet. Dörfle wendet sich in der Hauptsache gegen die Beseitigungsverfügung, diese ist ein Verwaltungsakt.

III. Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

Da vorläufiger Rechtsschutz sinnvollerweise nur zu gewähren ist, wenn auch ein Hauptsacheverfahren zulässig wäre, ist § 42 Abs. 2 VwGO auf das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO analog anzuwenden. Da Dörfle Adressat der Beseitigungsverfügung ist, ist er antragsbefugt.

Anmerkung: Siehe zur Adressatentheorie diesen Hinweis.

IV. Frist

Eine Antragsfrist besteht nicht, die Widerspruchsfrist (bzw. Klagefrist, wenn der Widerspruch schon negativ beschieden wurde) darf zumindest bei Antragstellung nicht abgelaufen sein. Dies gilt unabhängig von dem Streit, ob der Widerspruch spätestens gleichzeitig mit dem Antrag eingereicht werden muss. Der Verwaltungsakt darf also nicht unanfechtbar geworden sein, ansonsten wäre die Anordnung ja gar nicht mehr möglich. Hier hat der Dörfle den Antrag eine Woche nach Wirksamwerden der Beseitigungsverfügung eingereicht, also vor Ablauf der Widerspruchsfrist, so dass die Einlegung noch möglich war.

Anmerkung: Diese Fragen können auch im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses geprüft werden.

V. Rechtsschutzbedürfnis

Zwei Probleme sind anzusprechen:

1. Fraglich ist, ob Dörfle für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO des Rechtsschutzes bedürftig ist, da er zuvor keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO bei der Bauaufsichtsbehörde gestellt hat, sich letzteres Verfahren aber als einfacherer Weg zur Erreichung seines Rechtsschutzziels darstellen könnte. § 80 Abs. 6 VwGO lässt sich allerdings entnehmen, dass ein solcher Antrag hier nicht nötig ist, sondern nur im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zwingend geboten ist. Diese gesetzgeberische Entscheidung darf nicht durch Heranziehung allgemeiner Grundsätze unterlaufen werden, zumal die Behörde hier schon selbst durch Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit entschieden hat. 

2. Ist es nötig, dass vorab ein Widerspruch eingelegt wurde? Grundsätzlich muss ein Widerspruch eingelegt werden, es ist aber strittig, ob das vorab (oder zumindest gleichzeitig) mit der Antragstellung bei Gericht passieren muss oder ob es ausreicht, wenn zumindest vor Ablauf der Widerspruchsfrist ein Widerspruch eingelegt wurde.[1] Die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nach herrschender Meinung ausgeschlossen, wenn der Kläger neben dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keinen Widerspruch erhoben hat. Dies wird damit begründet, dass ja schließlich nur ein eingelegter Widerspruch aufschiebende Wirkung haben kann und daher eine Wiederherstellung nur in Betracht käme, wenn ein Widerspruch überhaupt erst eingelegt wurde. Daraus folgt dann, dass ohne eingelegten Widerspruch kein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen ist. Schließlich wird darauf verwiesen, dass ein Bezugsobjekt für die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bestehen müsse und dies nur Widerspruch oder Anfechtungsklage sein können (s. § 80 Abs. 1 VwGO). § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO verlangt aber keine Erhebung der Anfechtung, aber dafür die Erhebung eines Widerspruchs. Dem wird entgegengehalten, dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht allein schon deshalb entfallen könne, weil kein Rechtsbehelf eingelegt worden ist. Dies entspreche der Konstruktion des § 123 Abs. 1 VwGO und führe zu faktischen Verkürzung der Rechtsbehelfsfristen, da die Zeit, die dem Kläger nach § 74 VwGO zur Einlegung des Widerspruchs habe faktisch unterlaufen werde, wenn man sofort gezwungen werde, Widerspruch zu erheben. Außerdem wird der Richter im Normalfall erst entscheiden, wenn die Widerspruchsfrist schon abgelaufen ist und damit auch ein Widerspruch vorliegen wird. Es erscheint daher als reiner Formalismus, hier auf die vorherige Erhebung des Widerspruchs abzustellen.

Da hier der Dörfle erst nach der Stellung des Antrags Widerspruch eingelegt hat, ist dieser Streit hier zu entscheiden. Je nach Entscheid ist die Zulässigkeitsprüfung hier entweder beendet (h.M.) und es muss hilfsgutachterlich in der Begründetheit weitergeprüft werden oder der Antrag ist zulässig (Gegenmeinung). 

VI. Passive Verfahrensbefugnis

Da es sich bei dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO um ein „Nebenverfahren“ zur Anfechtungsklage handelt, ist § 78 VwGO analog anzuwenden, um ein Auseinanderfallen der Prozessführungsbefugnis im Hauptsacheverfahren und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu vermeiden. Dementsprechend ist im vorliegenden Fall gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog das Land Berlin passiv prozessführungsbefugt.

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung des § 78 VwGO diesen Hinweis.

VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO) 

Dörfle ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beteiligten- und prozessfähig. Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit des Landes Berlin ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO.

Anmerkung: Siehe zum Behördenbegriff des § 61 Nr. 3 VwGO diesen Hinweis.

VIII. Ergebnis zu A.

Das Fehlen sonstiger Zulässigkeitsvoraussetzungen ist nicht erkennbar, so dass der Antrag des Dörfle insgesamt zulässig ist.

B) Begründetheit

Für die Frage, wann ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO begründet ist, gibt die VwGO keinen Entscheidungsmaßstab vor. Nach wohl herrschender Meinung ist der Antrag jedenfalls im Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründet, wenn entweder die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entspricht oder wenn sich bei Abwägung der beteiligten Interessen ergibt, dass das Interesse des Antragstellers am einstweiligen Nichtvollzug (Suspendierungsinteresse) das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung (Vollzugsinteresse) überwiegt (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn sich nach summarischer Überprüfung ergibt, dass eine Klage im Hauptsacheverfahren begründet wäre, also ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen, und auch anzunehmen ist, dass dieser den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein Interesse bestehen kann.

Anmerkung: Summarische Überprüfung bedeutet im vorliegenden Zusammenhang meist nur, dass bezüglich der Tatsachengrundlage kein Beweis erhoben werden muss, der Sachverhalt also nicht zur vollständigen Überzeugung des Gerichts (§ 102 Abs. 1 S. 1 VwGO) feststehen muss, sondern das Gericht sich mit Wahrscheinlichkeiten begnügen kann. Rechtsfragen werden dagegen in der Regel nicht summarisch, sondern vollständig durchgeprüft (vgl. hierzu Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 80 Rn. 276, 284; zu den Grenzen der Überprüfung von Rechtsfragen in der Praxis: Jörg Schmidt, in: Eyermann, § 80 Rn. 81), und genau das wird jedenfalls auch im Examen erwartet. Eine wirkliche Abwägung zwischen Suspendierungs- und Vollzugsinteresse findet daher nur statt, wenn sich im Eilverfahren ein zwischen Behörde und Antragsteller streitiger Sachverhalt nicht vollständig ermitteln lässt und damit die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht vorhersehbar sind. Beispiel: Die Behörde erlässt eine Abbruchanordnung und gibt in der Begründung an, das Haus sei nicht standsicher. Der Eigentümer verneint dies, was er durch Sachverständigengutachten beweisen will. Hier hängt von dem tatsächlichen Umstand der Standsicherheit des Gebäudes die Rechtmäßigkeit der Abbruchverfügung ab, ohne dass diese Frage im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vollständig geklärt werden könnte. Vgl. auch den Presseflug-Fall und den Baumfällig-Fall zum Prüfungsmaßstab im Rahmen des § 123 VwGO.

I. § 80 Abs. 3 VwGO

Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit muss den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechen.

1. Zuständigkeit

Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist die Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde zuständig, das ist hier das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf.

2. Verfahren

Eine Anhörung erfolgte, ist aber nach herrschender Meinung nicht nötig, da die Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst kein Verwaltungsakt ist und damit § 28 VwVfG nicht einschlägig ist.

3. Form

§ 80 Abs. 3 VwGO verlangt, dass ein besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist. Dies ist hier geschehen. Allerdings wurde nur formelhaft der Gesetzestext wiederholt. Dies reicht nicht aus,[2] so dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung schon aus diesem Grund rechtswidrig ist.

II. Beseitigungsverfügung rechtswidrig und Rechtsverletzung des Dörfle?

Fraglich ist, ob außerdem auch die Beseitigungsverfügung i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO rechtswidrig ist und Dörfle in seinen Rechten verletzt, weil dann eine Klage in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg hat und sein Suspendierungsinteresse jedenfalls das Vollziehungsinteresse der Polizei überwiegt. Da sich die Beseitigungsverfügung als eine für Dörfle belastende Maßnahme darstellt, ergibt sich eine Verletzung seiner Rechte schon dann, wenn die Verfügung rechtswidrig ist.

1. Ermächtigungsgrundlage

Als Rechtsgrundlage für die Beseitigungsverfügung kommt hier allein § 80 S. 1 BauO Bln in Betracht. 

2. Formelle Rechtmäßigkeit 

Die Beseitigungsverfügung ist formell ordnungsgemäß erlassen worden: Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf war als Bauaufsichtsbehörde für den Erlass der Beseitigungsverfügung nach § 80 S. 1 BauO Bln gemäß § 58 Abs. 1 BauO Bln, §§ 9, 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat ASOG  zuständig und auch das Verwaltungsverfahren ist ordnungsgemäß durchgeführt, insbesondere ist auch die nach § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln[3] notwendige Anhörung vorgenommen und der Bescheid entsprechend den Vorgaben des § 39 Abs. 1 VwVfG, insbesondere des Satzes 3, hinreichend begründet worden.

3. Materielle Rechtmäßigkeit:Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 S. 1 BauO Bln 

Fraglich ist jedoch, ob die Beseitigungsverfügung auch materiell rechtmäßig ist, ob sie also von § 80 S. 1 BauO Bln gedeckt ist.

Dann müssten der Center eine "Anlage" sein (a), die in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden ist (b)  und es müssten auf andere Weise als durch eine vollständige Beseitigung des Centers rechtmäßige Zustände nicht wieder hergestellt werden können (c). Außerdem muss die Maßnahme den richtigen Adressaten treffen (d.) und ermessensfehlerfrei zustande gekommen sein (e.).

Anmerkung: Es lässt sich auch a). Anlage, b.) formelle Illegalität, c) materielle Illegalität d), e) gliedern.

a. Center als Anlage 

Der Begriff der "Anlage" wird in § 2 Abs. 1 S. 1 BauO Bln legaldefiniert. Hiernach zählen zu den Anlagen "bauliche Anlagen" und "sonstige Anlagen und Einrichtungen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 BauO Bln". Der Begriff der baulichen Anlage ist wiederum in § 2 Abs. 1 S. 2 und 3 BauO Bln legal definiert. Hiernach sind bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Bauprodukte sind  nach § 2 Abs. 9 Nr. 1 BauO Bln vor allem Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden. Der Center ist aus Bauprodukten hergestellt und fest mit dem Erdboden verbunden, da er durch eigene Schwere auf dem Boden ruht und damit eine Anlage i.S.d. § 2 Abs. 1 BauO Bln.

b. Errichtung des Centers in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften

aa) Formelle Illegalität – Genehmigungsbedürftigkeit

Eine Errichtung in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bereits vor, wenn für die Errichtung des Centers nach §§ 59 Abs. 1 ff. BauO Bln eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre und das Center ohne erforderliche Baugenehmigung errichtet würde. Fraglich ist somit zunächst, ob diese Errichtung genehmigungsbedürftig gewesen ist.

Nach § 59 BauO bedarf die Errichtung einer baulichen Anlage der Genehmigung soweit nichts anderes bestimmt ist. Dass es sich bei dem Center um eine "bauliche Anlage" i.S.d. der BauO Bln handelt, ist bereits geklärt worden. Eine Genehmigungsfreiheit nach den §§ 61-63 BauBLn  kommt nicht in Betracht. 

Damit war die Errichtung des Centers gemäß § 63 oder § 64 BauO Bln  genehmigungs­bedürftig. Für die Errichtung des Centers lag zwar eine „Baugenehmigung“ vor doch die ist wegen Art. 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG nichtig, da ein Verstoß gegen Art. 3 VwVfG vorliegt.[4] Hier hat das örtlich nicht zuständige Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf gehandelt. Nicht abzustellen ist auf die sachliche Unzuständigkeit des Gesundheitsamts, da dies von § 44 VwVfG nicht umfasst ist. Somit ist das Center i.S.d. § 80 S. 1 BauO Bln formell rechtswidrig und damit "in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften" errichtet worden.

Anmerkung: Aufgrund der Nichtigkeit der Baugenehmigung sind Ausführungen zur Legalisierungswirkung der Baugenehmigung verfehlt.

bb) Materielle Illegalität: Fehlen einer Möglichkeit, auf andere Weise als durch eine Beseitigung rechtmäßige Zustände wieder herzustellen

Anmerkung Aufbau: Eine Beseitigungsverfügung kann bei formeller Illegalität aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur ergehen, wenn auch materielle Illegalität vorliegt. Durch die nachträgliche Beantragung einer Baugenehmigung kann die formelle Legalität hergestellt werden, wenn eine Baugenehmigung erteilt werden kann. Eine Baugenehmigung kann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Diese Voraussetzungen sind im Folgenden zu prüfen. 

Fraglich ist, ob trotzdem auf andere Weise als durch die Beseitigungsverfügung rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist eine spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Beseitigungsverfügung kommt also trotz dieser formellen Baurechtswidrigkeit nur dann in Betracht, wenn nicht nachträglich eine Baugenehmigung erteilt werden kann. Damit ist zu untersuchen, ob der Center in materieller Hinsicht baurechtskonform errichtet worden sind.[5] Dies richtet sich entweder nach dem einfachen Baugenehmigungsverfahren gemäß § 63  BauO Bln oder dem Verfahren nach § 64 BauO Bln. Entscheidendes Kriterium ist die Frage, ob ein Sonderbau vorliegt.

Nach der Definition des § 2 Abs. 4 BauO Bln sind Sonderbauten Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung, die einen der Tatbestände der dortigen Nr. 1-18 erfüllen. In Betracht kommt hier § 2 Abs. 4 Nr. 4 BauO Bln, aber der Center unterschreitet das erforderliche Maß um 50 m². Damit liegt kein Sonderbau vor und die Genehmigung richtet sich nach § 63 BauO Bln.

Zu prüfen sind (aaa) die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 – 38 BauGB; (bbb) die Übereinstimmung mit den Anforderungen gemäß den §§ 4-6 BauO sowie beantragte und erforderliche Abweichungen im Sinne des § 68 Absatz 1 und 2 Satz 2 und (ccc) andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird. 

(aaa) Vereinbarkeit mit Bauplanungsrecht (§§ 29 ff. BauGB)

Das Vorhaben widerspricht insbesondere dann öffentlich-rechtlichen Vorschriften, wenn es mit den bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BauGB nicht vereinbar ist.

(1) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Dies ist nur dann möglich, wenn die §§ 29 ff. BauGB insoweit überhaupt anwendbar sind. Dies ist der Fall, wenn es sich bei dem Vorhaben des Dörfle um die Errichtung einer baulichen Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB handeln würde, also um ein Vorhaben, das unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 2 BauO Bln erfüllt sind – das Landesrecht kann nicht verbindlich über die Bedeutung bundesrechtlicher Normen bestimmen – eine gewisse "bodenrechtliche" bzw. "städtebauliche" Relevanz aufweist, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.[6] Aufgrund der nicht unerheblichen Größe des Centers muss dies vorliegend angenommen werden. Das Vorhaben des Dörfle muss daher bauplanungsrechtlichen Vorgaben genügen.

(2) Vereinbarkeit mit § 30 BauGB

Laut Sachverhalt befindet sich das Grundstück des Dörfle im unbeplanten Bereich. § 30 BauGB findet daher keine Anwendung.

(3) Vereinbarkeit mit § 34 BauGB

Fraglich ist, § 34 BauGB Anwendung findet, dafür muss es sich in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, für den kein Bebauungsplan besteht, befinden. Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex, der aufgrund der Bautenanzahl ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck organischer Siedlungsstruktur ist.[7] Nicht dazu gehören Splitter- oder Streusiedlungen. Der Bebauungszusammenhang wird mangels klarstellender Rechtsverordnung gem. § 34 IV BauGB i. V. m. § 18 AG BauGB über die Grenzen des Innenbereichs, nach allgemeinen Kriterien bestimmt. Ein Bebauungszusammenhang ist dann zu bejahen, wenn im Gebiet einer Gemeinde die aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Lücken den Eindruck von Geschlossenheit vermittelt.[8] Maßgeblich ist insoweit eine optische Bewertung der örtlichen Verhältnisse. Die im Sachverhalte erwähnte Baulücke könnte gegen einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil sprechen. Einzelne Lücken schaden aber nicht. Im Sachverhalt heißt es, die Gegend sei dicht besiedelt. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher nach § 34 BauGB. Es ist nur zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.

Laut Wörner ist das Maß nicht überschritten und es liegen auch keine sonstigen Anzeichen dafür vor. Auch die Erschließung erscheint gesichert, diesbezügliche Probleme wirft der Sachverhalt nicht auf, außerdem ist das Center ja schon eröffnet.

Fraglich ist aber, ob das Vorhaben seiner Art nach mit § 34 BauGB vereinbar ist. Dies richtet sich nach § 34 Abs. 2 BauGB, sofern die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete entspricht. Dann richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allein danach, ob das Vorhaben nach der BauNVO in diesem Baugebiet zulässig wäre. Somit ist zu fragen, ob die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete entspricht. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich allein nach dem faktischen und sichtbaren Zustand des Gebietes.[9]

Die vorhandene Bebauung könnte einem Mischgebiet, § 6 BauNVO oder einem allgemeinen Wohngebiet, § 4 BauNVO, entsprechen.

Anmerkung: Das besondere Wohngebiet, § 4a BauNVO, kommt dagegen nicht zur Bestimmung des Gebietstyps im Rahmen von § 34 II BauGB in Betracht, weil es, anders als die anderen Gebietstypen, nicht statisch auf einen Kanon zulässiger Vorhaben der Regel- und Ausnahmebebauung verweist, sondern vielmehr die planerische Entscheidung zur Erhaltung und Fortentwicklung des Gebiets voraussetzt.

Das Gebiet ist nach der Beschreibung im Sachverhalt von den typischerweise im Mischgebiet ansässigen Geschäften des Einzelhandels und von Gaststätten etc. geprägt, da es neben Wohnhäusern auch ein paar Gebäude, in denen Kanzleien, Wirtschaftsprüfer und Lobbygruppen ihre Büros haben, eine Freie Tankstelle, zwei Pensionen, drei Casinos sowie ein paar Restaurants und einen Döner-Stand gibt. Im Mischgebiet (§ 6 BauNVO) sind u.a. Einzelhandelsbetriebe zulässig. Der planungsrechtliche Begriff des Einzelhandelsbetriebs umfasst alle Arten von gewerblichen Verkaufsstellen; er reicht vom kleinen Ladenlokal bis hin zum großen Warenhaus bzw. Einkaufszentrum.“[10] Der Gartencenter ist ein Einzelhandelsbetrieb (und kein Gartenbaubetrieb) und fügt sich daher ein.

Alternativ könnte man annehmen, dass das Gebiet einem Allgemeinen Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO entspricht. Dann müsste der Center ein Laden sein, der der Versorgung des Gebietes dient. „Ein Laden ist eine Stätte gewerblicher Betätigung mit Kunden- oder Publikumsverkehr“ und kann zumindest bis 800 m² groß sein.[11] Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, so dass auch nach diesem Gebiet sich das Vorhaben einfügt.

Unabhängig davon, wie man sich hier entscheidet, ist ein Gartenbedarfsverkaufscenter in beiden Gebieten zulässig, entweder nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, da der Center v.a. auch die Bewohner des Gebietes mit Gartenwaren versorgen soll oder nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO.

Anmerkung: Sollte jemand zu dem Ergebnis kommen, dass eine eindeutige Zuordbarkeit ausscheidet und sich deshalb gegen die Anwendung der BauNVO entscheidet, so ist dies vertretbar, sofern auf die Eindeutigkeit der Zuordnung abgestellt wird. Dann muss weiter geprüft werden, ob sich das Vorhaben nach § 34 BauGB einfügt. Dies ist dann der Fall, wenn das Vorhaben den von der Umgebung vorgegebenen Rahmen in jeder Hinsicht einhält (und damit die erforderliche Rücksicht auf die unmittelbare Umgebung nimmt und keine Nutzungskonflikte auslöst) oder wenn es zwar nicht in jeder Hinsicht diesem Rahmen entspricht, es aber nicht geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen hervorzurufen oder zu verstärken.

(4) Ergebnis zu aa

Das Vorhaben des Dörfle ist damit bauplanungsrechtlich zulässig.

bbb) Vereinbarkeit mit Bauordnungsrecht

Das Vorhaben könnte darüber hinaus auch den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen (§§ 4-6 BauO Bln sowie beantragte und erforderliche Abweichungen im Sinne des § 67 Absatz 1 und 2 Satz 2BauO Bln) widersprechen.

Hier kommt aufgrund des Abstandes von 280 cm ein Verstoß gegen § 6 BauO Bln (Abstandsflächen) in Betracht. Das Center ist oberirdisches Gebäude, damit ist die Einhaltung des Abstandsgebots nach § 6 Abs. 1 S. 1 BauO Bln erforderlich. Die Größe des Abstands richtet sich nach Gebäudehöhe (§ 6 Abs. 4 BauO Bln). Gem. § 6 Abs. 4 und 5 LBO Bln entspricht die Abstandsfläche der Höhe des Gebäudes x 0,4, mindestens aber 3 Meter. Da hier der Wert von 2,80m x 0,4 unter 3m liegt, ist ein Abstand von 3m einzuhalten.

Damit reichen 2,80m nicht und das Center ist bauordnungswidrig und nicht genehmigungsfähig.

ccc) Andere öffentlich-rechtliche Vorschriften

Ein Verstoß gegen andere öffentliche-rechtliche Vorschriften ist nicht ersichtlich.

c. Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände durch andere Maßnahme als vollständige Beseitigung des Centers?

Aufgrund der materiellen Illegalität kann nicht nachträglich durch Baugenehmigung ein rechtmäßiger Zustand hergestellt werden.

Es kommt allerdings eine Abweichung nach § 6 Abs. 11 i.V.m. § 67 LBO Bln in Betracht. Über diese Vorschriften können zu geringe Abstandsflächen nachträglich legalisiert werden.

Hierfür ist aber gem. § 67 Abs. 2 LBO Bln ein Antrag erforderlich, der nicht vorliegt.

Ohnehin dürfte hier aber eine Abweichung nicht in Betracht kommen. Auch wenn keine atypische Grundstückssituation vorliegen muss (§ 6 Abs. 11 LBO Bln), sind doch keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb hier (in einer Ex-ante-Betrachtung vor Errichtung des Schwarzbaus) ausnahmsweise von den Vorschriften der Abstandsfläche eine Ausnahme gemacht werden sollte. Insbesondere ist im Sachverhalt nicht ersichtlich, dass die Schutzziele der Abstandsflächen auch bei einem geringeren Abstand gewahrt bleiben.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Behörde hier ein Ermessen hat (die Behörde „kann“ Abweichungen zulassen). Zwar könnte die Behörde im Rahmen dieses Ermessens wohl auch die hohen Kosten eines Abrisses berücksichtigen, allerdings ist auch darauf abzustellen, dass der Eigentümer hier die Nichtigkeit seiner Baugenehmigung selbst verschuldet hat (Antrag beim offensichtlich unzuständigen Bezirksstadtrat). Er kann sich also nicht auf Vertrauensschutz berufen.

 Im Ergebnis ist also eine Abweichung nach §§ 6 Abs. 11 i.V. 67 LBO Bln nicht angezeigt (a.A. vertretbar).

 Hinweis: Das Problem dürfte nur von besonders guten Bearbeiter*innen erkannt werden. Dies insbesondere deswegen, weil es im Sachverhalt nicht explizit angelegt ist.

Zudem könnten rechtmäßige Zustände dadurch hergestellt werden, dass sich der Eigentümer des Nachbargrundstücks öffentlich-rechtlich mit einer Baulast nach § 84 LBO Bln verpflichtet, den nötigen Abstand nicht zu überbauen (§ 6 Abs. 2 BauO Bln). Dabei handelt es sich aber um eine rein hypothetische Möglichkeit, die im Verantwortungsbereich des Antragsstellers Dörfle liegt. Angesichts der ablehnenden Haltung des Nachbarn Zimmer, dürfte eine Einigung über eine solche Baulast hier nicht in Betracht kommen.

Hinweis: Auch dieses Problem dürfte nur von besonders guten Bearbeiter*innen erkannt werden.

d. Inanspruchnahme des richtigen Adressaten für die  Beseitigungsverfügung?

Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung einer Beseitigungsverfügung nach § 80 S. 1 BauO Bln ist auch, dass sie an den richtigen Adressaten gerichtet ist. Allerdings ist in der BauO Bln selbst - mit Ausnahme des hier nicht anwendbaren § 53 BauO Bln - nicht geregelt, an wen eine Beseitigungsverfügung zu richten ist. Jedoch sind insoweit entsprechend § 17 Abs. 2 S. 2 ASOG die allgemeinen Vorschriften der §§ 8 ff. ASOG heranzuziehen. Hier lässt sich sowohl eine Verhaltensstörereigenschaft (abzustellen ist auf Dörfle als Bauherr) wie auch eine Zustandsstörereigenschaft (abzustellen ist auf den baurechtswidrigen Center) des Dörfle bejahen.

e.) Ermessen / Verhältnismäßigkeit

Ermessensfehler iSd § 114 VwGO sind nicht ersichtlich.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann noch problematisiert werden, ob ein Teilabriss ein milderes aber gleich geeignetes Mittel ist, um die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu erreichen.

Das BVerwG führt dazu aus:

„… in dem Verlangen auf Abbruch eines materiell rechtswidrigen Bauwerks [kann] nur in den seltensten Fällen ein Übermaß gesehen werden ..., nämlich dann, wenn von vornherein erkennbar sei, daß ein für sich allein ohne weiteres lebensfähiger, dem materiellen Baurecht entsprechender Rest-Baukörper stehen bleiben könne. Im übrigen müsse vom betroffenen Bürger verlangt werden, daß er gegenüber der Beseitigungsverfügung einer Behörde einen ganz bestimmten Gegenvorschlag für die Abänderung des Gebäudes unterbreite.“ (BVerwG, Beschluss vom 30. August 1996 – 4 B 117/96 –, Rn. 2, juris)

Vorliegend ist laut Sachverhalt ein Teilabriss aber gerade nicht möglich, da es sich bei der Grenzwand um eine tragende Wand handelt, bei deren Abriss kein Rest-Baukörper stehen bleiben würde.

C. Endergebnis

Aufgrund der formellen und materiellen Illegalität wird die Klage in der Hauptsache keinen Erfolg haben. Dennoch muss nach h.M. die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben werden, kann mit richtiger Begründung aber sofort wieder erlassen werden.

Bearbeitung für die Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Andreas Buser

Stand der Bearbeitung: 16.3.2020


[1]           Vgl. dazu einerseits Redeker/von Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 11 und 55, Loos JA 2001, 700; Schoch Jura 2002, 41; OVG Koblenz NJW 1995, 1043 und andererseits Kopp/Schenke § 80 Rn. 136.

[2]           Schoch, in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2009, § 29, Rn. 67; Schenke, VerwProzR, Rn. 981.

[3]           Im Folgenden wird auf den Verweis auf das Berliner Landesrecht verzichtet.

[4]           Vgl. Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), BeckOK VwVfG, 2013, § 44, 48 ff.

[5]           VGH München NVwZ 1997, 201, 202; Dietlein, BauR 2002, 1682, 1688; Hildebrandt, VBlBW 1999, 250, 253; Sydow, Jura 2002, 196, 201.

[6]           Vgl. Brohm, § 18 Rn. 19 ff.

[7]           BVerwGE 31, 22, 26 f.

[8]           BVerwGE 31, 20, 21 f.

[9]           BVerwG, NVwZ 1993, 1100.

[10]         Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO 2. Auflage 2003, § 5 Rn. 24.

[11]         Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO 2. Aufl. 2003, § 4 Rn. 20 und 25.


Dokumente

Zur zuletzt besuchten Textpassage | Zum Seitenanfang