Glashaus (Kurzlösung)
Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln, wenn Vorhaben einer Baugenehmigung bedarf und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vorliegen
I. Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens
- Vorhaben nach § 59 Abs. 1 BauO Bln genehmigungsbedürftig, wenn es um die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen geht; Anlage und bauliche Anlage in § 2 Abs. 1 S. 2 u. S. 3 BauO Bln legaldefiniert; bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen; Bauprodukte in § 2 Abs. 10 Nr. 1 BauO Bln definiert
- Gewächshaus ist bauliche Anlage und damit Anlage i. S. d. BauO Bln (+)
- keine Genehmigungsfreiheit nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. d BauO Bln, weil Firsthöhe über 5 m oder nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. h BauO Bln, weil keine Gartenlaube mit höchstens 24 qm Grundfläche in Kleingartenanlage oder nach § 61 Abs. 1 Nr. 10 lit. e BauO Bln, weil dazu geeignet, Menschen und sogar bestimmt, Pflanzen Schutz zu bieten
- Gewächshaus ist genehmigungsbedürftiges Vorhaben
II. Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens
- nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ist genehmigungsbedürftiges Bauvorhaben zu genehmigen, wenn es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, die im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren zu prüfen sind; hier vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach § 63 S. 1 BauO Bln, da das verglaste Gewächshaus kein Sonderbau i. S. d. § 2 Abs. 4 BauO Bln ist
- Anspruch auf Genehmigung, wenn Vorhaben nicht den in § 63 S. 1 Nr. 1-3 BauO Bln genannten Vorschriften widerspricht
1. Vereinbarkeit mit den §§ 29 ff. BauGB
a) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB
- Errichtung des Gewächshauses müsste Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB sein; Begriff ist NICHT identisch mit § 2 BauO Bln; Vorhaben muss gewisse „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz aufweisen, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen; (+) bei Gewächshaus von 112 qm Brutto-Grundfläche
b) Vereinbarkeit mit § 30 BauGB
- Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, Zulässigkeit daher grds. nach § 30 BauGB; Bebauungsplan enthält aber keine Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, wie es § 30 Abs. 1 BauGB verlangt; Zulässigkeit richtet sich daher insoweit nach §§ 30 Abs. 3, 34, 35 BauGB; andere Vorgaben sind eingehalten (s. Sachverhalt)
c) Vereinbarkeit mit § 34 BauGB
- Grundstück von Ritter müsste sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles befinden; Grundstück befindet sich hier am Rande des bebauten Ortsteils, dahinter endet der Innenbereich; Ritter will sein Gewächshaus aber genau zwischen der an der Grundstücksgrenze liegenden Garage und dem Wohnhaus errichten; Vorhaben somit noch im Innenbereich
- entspricht die nähere Umgebung des geplanten Vorhabens einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allein danach, ob das Vorhaben nach der BauNVO in diesem Baugebiet zulässig wäre; entscheidend: faktischer und sichtbarer Zustand des Gebietes
- Charakterisierung des Gebiets als Dorfgebiet nach § 5 BauNVO aufgrund der vorhandenen Nutzung; Gewächshaus wäre als Gartenbaubetrieb gem. § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB als Regelbebauung zulässig
d) Ergebnis zu 1.
- Gewächshaus ist bauplanungsrechtlich zulässig
2. Vereinbarkeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften
- grds. können auch Verstöße gegen nicht-baurechtliche Vorschriften der Erteilung einer Baugenehmigung nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln entgegenstehen, soweit sie im vereinfachten Verfahren nach § 63 BauO Bln zu prüfen sind
- §§ 32, 33 StVO nicht einschlägig, weil sie kein allgemeines Verbot der von Grundstücken ausgehenden Gefährdung des innerörtlichen Verkehrs enthalten; zudem sind sie nach § 63 S. 1 Nr. 3 BauO Bln nicht Teil des Prüfungsumfangs, weil die StVO nicht festlegt, dass mit einer Baugenehmigung auch eine straßenrechtliche Genehmigung vorliegt
- Vorhaben entspricht den nach § 63 BauGB zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften und ist daher genehmigungsfähig
III. Möglichkeit der Ablehnung nach § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln
- Sachbescheidungsinteresse fehlt etwa, wenn der Betroffene eine beantragte Genehmigung aus Gründen, die im Genehmigungsverfahren eigentlich nicht zu prüfen sind, wegen schlechthin nicht zu überwindender Hindernisse nicht ausnutzen kann
- § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln soll nach dem Willen des Berliner Gesetzgebers den Fall fehlenden Sachbescheidungsinteresses explizit regeln
- um Kompetenzprobleme zu vermeiden bedarf § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln teleologischer Reduktion; es kann grundsätzlich nur um Verstöße gegen diejenigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehen, deren Einhaltung die Bauaufsichtsbehörde im Anschluss an die Baugenehmigung überwacht; also insbesondere um Bauordnungsrecht
- Hier fehlt es an einem erforderlichen Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Bestimmungen; insb. kein Verstoß gegen die allgemeine Sicherheit und Ordnung nach § 3 BauO Bln, weil bei einem Gewächshaus die Sonnenstrahlen nicht auf Straßenniveau reflektiert werden – keine Verkehrsgefährdung erkennbar
- Gewächshaus ist zulässig; Ritter hat Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nach § 63 S. 1 BauO Bln aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Dezember 2016