Abgestellt (Kurzlösung)
Klage Heins wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist.
I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)
(+), streitentscheidende Normen solche des öffentl. Rechts: §§ 59 ff., § 71 BauO Bln (Baugenehmigung)
(P) Umstr., welche Klageart gegen Widerrufsvorbehalt (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG) die richtige ist
1. Statthaftigkeit der „isolierten Anfechtungsklage“ gegen Nebenbestimmungen
Gefestigte Rechtsprechung des BVerwG: alle Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG können mittels der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO „isoliert“ angefochten werden
Arg.: Nebenbestimmungen „abtrennbare“ Bestandteile eines Verwaltungsakts i.S.d. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO
=> stattgebendes Anfechtungsurteil wirkt nicht – wie sonst – nur kassatorisch sondern reformatorisch
Gerade diese reformatorische Wirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils gegen Nebenbestimmungen mit seiner „Aufdrängungswirkung“ wird vielfach als nicht vertretbar angesehen.
Andererseits kann Behörde den Hauptverwaltungsakt zumindest nach § 48 VwVfG zurücknehmen, wenn sie Ermessen beim Erlass hatte (Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung „infiziert“ dann Hauptverwaltungsakt und führt zu dessen Rechtswidrigkeit, weil Ermessensentscheidung der Behörde fehlerhaft war); Vertrauensschutzgründe stehen i.d.R. nicht entgegen, da Behörde mit dem Erlass der rechtswidrigen Nebenbestimmung deutlich gemacht hat, dass sie Verwaltungsakt jedenfalls nicht ohne Nebenbestimmungen erlassen wollte;
hatte Behörde kein Ermessen und musste Haupt-VA erteilen, hat sie auch kein berechtigtes Interesse an der Versagung desselben
=> Keine zwingenden Argumente gegen Zulässigkeit einer „isolierten Anfechtungsklage“ gegen Nebenbestimmungen
2. Statthaftigkeit (nur) der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO gerichtet auf Neuerlass des Hauptverwaltungsakts ohne (oder nur mit rechtmäßigen) Nebenbestimmungen
Lit.: Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen nur in der Form, dass mittels der Verpflichtungsklage Neuerlass des beantragten Verwaltungsaktes ohne die als rechtswidrig empfundene Nebenbestimmung erstritten werde.
Arg.: Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes mit Nebenbestimmung als (Teil-)Ablehnung des beantragten nebenbestimmungsfreien Verwaltungsaktes aufzufassen: der durch den Verwaltungsakt Begünstigte erhalte weniger als beantragt
Dagegen: so wird Kläger unangemessen benachteiligt; würde gezwungen, die bereits erhaltene Begünstigung (Hauptverwaltungsakt mit nicht genehmen Nebenbestimmungen) insgesamt zur Disposition von Behörde und Gericht zu stellen
Aber: Diese Annahme nur dann zutreffend, wenn vorausgesetzt, dass in Antrag auf Neuerlass eines Verwaltungsakts zwingend Antrag enthalten ist, auch die bereits (durch die gewährte Begünstigung) erhaltene Teilerfüllung des geltend gemachten Anspruchs vollständig aufzuheben
Umstand allein, dass der Begünstigte einen Verwaltungsakt ohne Nebenbestimmung will, rechtfertigt aber nicht die Aufhebung des bereits erhaltenen Verwaltungsakts
3. Statthaftigkeit der „isolierten Anfechtungsklage“ nur bei bestimmten Nebenbestimmungen
„Vermittelnde Lösung“:
gegen diejenigen Nebenbestimmungen, die mit dem Hauptverwaltungsakt nur „verbunden“ werden (Auflage und Auflagenvorbehalt), ist „isolierte Anfechtungsklage“ statthaft,
gegen diejenigen Nebenbestimmungen, „mit denen der Hauptverwaltungsakt erlassen“ wird (Bedingung, Befristung und Widerrufsvorbehalt), Rechtsschutz nur mittels der Verpflichtungsklage auf Neuerlass eines nebenbestimmungsfreien Verwaltungsakts
Maßgeblich: Wird einem Verwaltungsakt nachträglich Nebenbestimmung hinzugefügt, wird gegen diesen Verwaltungsakt, der den ursprünglich nebenbestimmungsfreien Hauptverwaltungsakt verändert, nach allen Auffassungen die Anfechtungsklage für statthaft gehalten. Dies rechtfertigt auch bei Nebenbestimmungen, die dem Verwaltungsakt von Anfang an beigegeben werden, ungeachtet ihrer Rechtsnatur mit dem BVerwG die „isolierte Anfechtungsklage“ für zulässig zu erachten, weil so die statthafte Klageart gegenüber Nebenbestimmungen ungeachtet davon bestimmt werden kann, zu welchem Zeitpunkt sie dem Hauptverwaltungsakt beigefügt wurden.
i.E.: Anfechtungsklage (+), gerichtet auf Aufhebung des Widerrufsvorbehalts, der der Baugenehmigung beigefügt ist
III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)
Nur möglich, wenn ein Anspruch auf eine (jedenfalls teilweise) nebenbestimmungsfreie Begünstigung besteht
(+), könnte sich hier aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ergeben
(+)
V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)
(+), § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)
(+), § 61 Nr. 1 VwGO
VII. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)
(+), § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO
BVerwG: Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn offensichtlich ist, dass Hauptverwaltungsakt auch nach gerichtlicher Aufhebung der belastenden Nebenbestimmung nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht rechtmäßigerweise bestehen kann; hier unproblematisch
Aber: es kann nicht Aufgabe des Gerichtes sein, über Streitgegenstand der bei ihm anhängigen Klagen hinaus für die Herstellung rechtmäßiger Verwaltungsakte zu sorgen
Möglichkeit besteht, dass rechtswidrige Nebenbestimmung auch bei rechtswidrigem Hauptverwaltungsakt zusätzliche Beschwer darstellt
Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls nicht ausgeschlossen
(+)
Klage ist begründet, soweit der der Baugenehmigung beigefügte Widerrufsvorbehalt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO)
I. Rechtswidrigkeit des Widerrufsvorbehalts
(P) Kann Baugenehmigung in Anbetracht von § 71 Abs. 3 BauO Bln als grundsätzlich gebundene Entscheidung überhaupt mit Widerrufsvorbehalt versehen werden?
Kann dahinstehen, wenn bereits aus anderen Gründen rechtswidrig.
Voraussetzungen des Widerrufsvorbehalts richten sich mangels spezialgesetzlicher Regelungen und weil auf Erlass einer Baugenehmigung ein Anspruch besteht, sofern die Vorschriften, die im bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, dem Vorhaben nicht entgegenstehen (§ 71 Abs. 1 BauO Bln), nach § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG
Bestimmt sich grundsätzlich nach den Regelungen, die auch für den Hauptverwaltungsakt gelten
Zuständigkeit: Bezirksamt als Bauaufsichtsbehörde (§ 58 Abs. 1 BauO Bln, § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat Ord)
Begründungspflicht für schriftliche VA bei Baugenehmigungen nach § 71 Abs. 2 BauO Bln i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG ausgeschlossen
Nach § 28 Abs. 1 VwVfG erforderliche Anhördung wurde im Widerspruchsverfahren durchgeführt, so dass vorheriger Fehler jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG unbeachtlich.
=> (+)
2. Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG)
Zweifel an Bestimmtheit, weil der Widerrufsvorbehalt es Hein selbst überlässt, zu entscheiden, wie er der Pflicht des § 48 Abs. 2 BauO Bln nachkommen will.
Da aber verschiedene Möglichkeiten bestanden, der Pflicht des § 48 Abs. 2 BauO Bln nachzukommen und zudem genau erläutert wird, wie die Behörde die Anforderungen des § 48 Abs. 2 BauO Bln im vorliegenden Fall versteht, ist Widerrufsvorbehalt auch i.S.d § 37 Abs. 1 VwVfG hinreichend bestimmt.
=> (+)
Widerrufsvorbehalt müsste entsprechend § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG sicherstellen, dass gesetzliche Voraussetzungen der Baugenehmigung erfüllt werden
a) Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens
hier: Baugenehmigung nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 BauO Bln wegen Erklärung der Bauaufsichtsbehörde erforderlich
b) Gesetzliche Voraussetzungen der Baugenehmigung
Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren (§ 63 BauO Bln): Voraussetzung der Erteilung der Baugenehmigung ist, dass dem Vorhaben keine nach § 63 BauO Bln zu prüfenden Vorschriften entgegenstehen
Es kommt allein § 48 Abs. 2 BauO Bln in Betracht.
Verstoß gegen Norm liegt vor, insb. ist unerheblich, an wen Hein vermieten will
Norm aber grds. nicht vom Prüfungsumfang im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erfasst
=> Baugenehmigung wäre nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln nebenbestimmungsfrei zu erteilen gewesen
Aber: § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln – Bauaufsichtsbehörde kann bei Verstoß gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften Bauantrag ablehnen
(P) Nur auf offensichtliche Verstöße anwendbar?
Kann dahinstehen, Verstoß hier offensichtlich
=> Baugenehmigung konnte abgelehnt werden
c) Widerrufsvorbehalt als Nebenbestimmung zur Sicherstellung der Voraussetzungen der Baugenehmigung
Baugenehmigung hätte nach § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln abgelehnt werden können,
§ 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG ermöglicht als milderes Mittel zur Ablehnung des Antrags den begehrten Verwaltungsakt mit sichernder Nebenbestimmung zu erlassen
Aber: § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG ermöglicht der Behörde keinen Verzicht auf Anspruchsvoraussetzungen
Daher ist es zweckwidrige (§ 40 Alt. 1 VwVfG) Ausübung des von § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG eingeräumten Ermessens, wenn Behörde eine Nebenbestimmung wählt, die nicht wirklich sicherstellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit des Verwaltungsakts erfüllt werden
=> Hier war Beifügung eines Widerrufsvorbehalts ein ungeeignetes Mittel, um sicherzustellen, dass die noch offene Anspruchsvoraussetzung des § 48 Abs. 2 BauO Bln zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Baugenehmigung erfüllt wird
Beifügung des Widerrufsvorbehalts nicht von § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG gedeckt.
Andere Rechtsgrundlagen für die Beifügung des Widerrufsvorbehalts nicht erkennbar
=> materiell rechtswidrig
=> Ob überhaupt bei Baugenehmigungen zulässig (s.o. B.I), bedarf keiner Entscheidung.
II. Verletzung der Rechte des Hein durch den rechtswidrigen Widerrufsvorbehalt
Hein hatte keinen Anspruch auf Erlass der beantragten Baugenehmigung, da Anspruchsvoraussetzungen des § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln nicht erfüllt waren.
=> Rechtsverletzung liegt nicht vor
Klage des Hein zwar zulässig, aber unbegründet
=> hat keine Aussicht auf Erfolg.
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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Februar 2017