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Forschungsdimensionen am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU Berlin

(Stand: April 2023)

Konkret lassen sich – die WEs übergreifend – verschiedene Dimensionen der Forschung mit Entwicklungspotential in die Zukunft identifizieren:

1. Pluralistische Dimension der Forschung

 Für eine fächerübergreifende (methodisch wie fachlich) pluralistische Dimension der Forschung stehen die Grundlagen des Rechts, die vielfältige intradisziplinäre und interdisziplinäre Anknüpfungspunkte vor allem an Philosophie, Geschichts- und Geisteswissenschaften, Sozial- und Politikwissenschaften sowie Wirtschaftswissenschaften aufweisen.

 Beispielhaft für eine plurale intradisziplinäre Perspektive steht das laufende Projekt in Kooperation mit der Universität Zürich zum Thema Zeit und Recht, welches die zeitliche Dimension von Recht, Zeit als Grundlage von Recht und als Ressource mit Regelungsbedarf und Ordnungsfaktor betrachtet. Im methodisch wie fachlich plural interdisziplinären Schnittfeld von Recht, Ökonomie, Soziologie und Philosophie bewegt sich etwa das am Fachbereich verankerte ERC-Projekt „RESOLVENCY: A Global Theory of Reflexive Debt“, in dem über eine nachhaltige Schulden- und Finanzordnung für das Anthropozän nachgedacht wird. Ebenso hochgradig interdisziplinär ist die Beteiligung des Fachbereichs am DFG-Graduiertenkolleg „Normativität, Kritik und Wandel“ zusammen mit Philosophie, Sprach-, Religions- und verschiedenen Kunstwissenschaften.

 Im Strafrecht zeigt sich dieser Grundlagenbezug z. B. in der strafrechtsphilosophischen Forschung zu Sinn und Zweck von Strafen im Hinblick auf gesellschaftliche Dynamiken. Hier knüpft auch die kriminologische Forschung zur Rolle von Strafe in der Gesellschaft an. Außerdem gibt es Forschung zu den Grundprinzipien des Strafrechts und des Strafverfahrens aus einer vergleichenden Perspektive (common law v. civil law tradition). Eine bundesweite Besonderheit des Fachbereichs ist die ungewöhnlich starke Stellung der international und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Kriminologie, die in Deutschland insgesamt zu den kleinen Fächern zählt.

 Ein gemeinsamer Forschungsschwerpunkt liegt zudem auf den Grundlagen des Privatrechts. Die Professuren tragen dabei zu Grundinstitutionen wie Eigentum, Vertrag, Delikt, (juristischer) Person, Familie oder Erbe jeweils unterschiedliche Perspektiven bei, insbesondere aus der Rechtsphilosophie, der Rechtssoziologie und Rechtsökonomik, Rechtsgeschichte, der juristischen Methodenlehre und der dogmatischen Grundlagenforschung. Die Grundlagenorientierung der Zivilrechtswissenschaft am Fachbereich spiegelt sich weiterhin in einem ausgeprägten Schwerpunkt auf der rechtsgeschichtlichen Forschung, die von der frühen römischen über die deutsche, europäische und vergleichende Rechtsgeschichte reicht. Laufende Projekte umfassen hier etwa das interdisziplinäre Vorhaben zu den „Gromatischen Traktaten des Iulius Frontinus” unter anderem zu rechtlichen Aspekten der Bodennutzung sowie die Assoziation an der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zwischen Demokratie und Despotismus: Governance-Strategien und Partizipationsformen im Alten Orient“, dem Projekt zur „Geschichte der Europäischen Höchstgerichtsbarkeit” sowie dem gemeinsamen Projekt mit der HU Berlin „Die Berliner Justizverwaltung nach 1945”.

 2. Internationalisierung und Europäisierung als Dimension der Forschung

 Die Forschung ist außerdem stark durch Internationalisierung geprägt. Nahezu alle deutschen Rechtsgebiete sind in unserer globalisierten Welt von supranationalen Vorgaben und internationalen Einflüssen durchdrungen. Das Forschungsprofil des Fachbereichs trägt dem durch die Dimension der Internationalisierung und Europäisierung Rechnung. Fächerübergreifend steht hierfür die WIN Professur „Law and (De-)Globalization in the Transatlantic Context”, die eine international vernetzte Forschung zusammen mit dem John F. Kennedy Institut der FU Berlin ermöglichen wird.

 Insoweit geht es um die Verzahnung von deutschem und europäischem Recht im offenen Verfassungsstaat des Grundgesetzes sowie die Bedeutung des Verfassungsrechts (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Grundrechte) im Staaten- und Verfassungsverbund der Europäischen Union. Drittmittelprojekte wie der von der Europäischen Kommission im Rahmen der Jean Monnet Professur geförderte „Europäische Salon“ oder interdisziplinäre Forschung im Europarecht zum Thema „Europäische Öffentliche Güter“ stehen hierfür ebenso wie z. B. die Herausgabe eines Großkommentars zum EU-Vertrag und der Berliner Online Beiträge. Insoweit bestehen zahlreiche Schnittstellen zur Internationalisierung der Rechtsordnung. Beispielhaft steht hierfür zum einen die Forschung, die sich aus völkerrechtlicher, rechtsvergleichender und interdisziplinärer Perspektive mit der Bedeutung und Rolle der Stadt im Zeitalter der Globalisierung befasst und dieses Thema auch mit internationaler Sichtbarkeit in einer Studiengruppe der „International Law Association“ verfolgt. Zum anderen aber auch dasprestigeträchtige Forschungsprojekt zur Rolle des Völkerrechts in der sich wandelnden Weltordnung in einer DFG geförderten Kolleg-Forschungsgruppe, in der die Bedeutung der „Rule of Law“ in all ihren Facetten untersucht wird. In allen Bereichen der Forschung zum Völker- und Europarecht findet zudem ein besonders enger Austausch mit der politischen Praxis statt, etwa durch Sachverständigenberatung von Bundesregierung und Bundestag oder Institutionen der Europäischen Union sowie durch deren Prozessvertretung vor Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof statt.

 Auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts werden die Einflüsse des Europarechts auf das Verwaltungsrecht sowie Fragen des Verwaltungsverfahrens, des Berliner Landesrechts, des Vergaberechts und der Digitalisierung der Verwaltung erforscht. In der Forschung zum Umwelt- und Klimaschutzrecht bestehen drittmittelfinanzierte Verbundforschungsprojekte in Form des vom BMBF geförderten universitätsübergreifenden Kompetenznetzwerks Umweltrecht sowie der von der Berlin University Alliance (BUA) geförderten Einstein Research Unit CliWac. Überdies konnten umweltrechtliche Forschungsergebnisse im Rahmen der Politikberatung (u.a. als Mitglied im dem die Bundesregierung beratenden Sachverständigenrat für Umweltfragen, SRU) in die Praxis transportiert werden. Im Steuerrecht liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Digitalisierung und Europäisierung des Steuerverfahrensrechts.

 Aber auch die Forschung im Zivilrecht weist vielfältige Verknüpfungen mit dem Europarecht und dem globalen Blick auf verschiedenste Rechtsordnungen auf. Konkret werden die methodischen und institutionellen Wechselwirkungen von Europäisierungsprozessen mit dem Bürgerlichen Recht, insbesondere dem Verbraucherprivatrecht, und dem Zivilverfahrensrecht erforscht. In der zivilrechtlichen Rechtsvergleichung wird unter Einbeziehung quantitativer und qualitativer Methoden vor allem zum Vertrags-, Eigentums- und Insolvenzrecht geforscht. Konkret wird im Internationalen Privatrecht zur europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung sowie im Rahmen des transnationalen Forschungsprojekts „Recontextualizing European Private International Law“ in Kooperation mit der Universität Lyon rechtsvergleichend gearbeitet. Zugleich findet in einer Zusammenarbeit mit dem King’s College London eine längerfristig angelegte Reihe von Workshops zum Thema „Current Topics in Insurance“ statt, die Querbezüge zu anderen Rechtsmaterien wie z. B. der Künstlichen Intelligenz und der Nachhaltigkeit (ESG) aufweist.

 Nicht zuletzt im Immaterialgüterrecht liegt ein Schwerpunkt auf rechtsvergleichenden und internationalen Aspekten. Neben den kollisionsrechtlichen Dimensionen verschiedener Schutzrechte wird etwa die Plattformregulierung aus immaterialgüter- und wettbewerbsrechtlicher Perspektive analysiert und im wirtschafts-, wettbewerbs- und immaterialgüterrechtlichen weiterbildenden Masterstudiengangs MBL-FU gelehrt.

Zudem läuft zu den Grundlagen des Immaterialgüterrechts ein großes global rechtsvergleichendes Projekt zur Bedeutung von Schutzfristen an. Überdies ist der Fachbereich Teil des zehn Universitäten umfassenden Graduiertenkollegs Recht der Informationsgesellschaft.

 Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Europäischen Arbeitsrecht, wo sich die Forschung insbesondere mit dem Recht des Betriebsübergangs, der unionsrechtlichen Dimension des Antidiskriminierungsrechts und der Auswirkungen der europäischen Integration auf die mitgliedstaatlichen Tarifvertragssysteme auseinandersetzt. In Kooperation mit dem LAG Berlin-Brandenburg organisiert der Fachbereich die Veranstaltungsreihe „Arbeitsrechtsstreit – Rechtsprechung und Wissenschaft im kontroversen Gespräch“.

 Auch das Strafrecht behandelt die Überformung durch europäische und internationale Vorgaben sowie menschenrechtliche Standards für das Verfahren, die Ausweitung Anwendung des Strafrechts sowie ihre Bedeutung in der Strafvollstreckung und im Vollzug. Ebenso spielen die Praxis internationaler Wirtschaftsstrafverfahren und Terrorismusbekämpfung, globale Digitalisierung strafrechtlichen Verhaltens und staatlicher Reaktion und Klimaschutzstrafrecht und Green Criminology eine zentrale Rolle.

 Die beschriebenen Forschungsschwerpunkte ermöglichen es den Wissenschaftlern zugleich, sich in großem Maße den Aufgaben des Wissenschaftstransfers zu widmen und sich so an der Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu beteiligen.

 3. Dimension der Empirischen Rechtsforschung

 Eine weitere, quer zu den Fächergruppen liegende Dimension der Forschung am Fachbereich Rechtswissenschaft ist die Empirische Rechtsforschung. Der Fachbereich kann dabei an eine Tradition sozialwissenschaftlich-empirischer Forschung und den seit langem bestehenden kriminologischen Forschungsschwerpunkt anknüpfen. Mit der Gründung des Freie Universität Empirical Legal Studies Center (FUELS) im Jahre 2019 hat sich der Fachbereich eine Plattform für die Empirische Rechtswissenschaft geschaffen und damit diese Dimension seiner Forschung sichtbar gemacht. FUELS überspannt nicht nur die drei großen Rechtsgebiete Privatrecht, Öffentliches Recht und Strafrecht, sondern bringt auch methodisch unterschiedliche empirische Forschungsansätze zum Tragen. Mit seinen Forschungsseminaren, Workshops, seiner Working-Paper-Reihe und der Durchführung nationaler und internationaler Tagungen (z. B. der European Association for Law and Economics 2023) wirkt FUELS in der deutschen Rechtswissenschaft maßstabsetzend.

 In der Berliner Wissenschaftslandschaft und an der Freien Universität eröffnet die empirische Dimension rechtswissenschaftlicher Forschung besonders gute Vernetzungsmöglichkeiten, weil sie die Brücke zu anderen Sozialwissenschaften und deren empirischer Ausrichtung schlägt. Dies hat sich seit der Gründung von FUELS 2019 bereits in dem Forschungsverbund LSC—The Laws of Social Cohesion niedergeschlagen, einem von der BUA geförderten Exploration Project, an dem innerhalb der Freien Universität unter anderem der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und das Otto-Suhr-Institut beteiligt sind. Im Dezember wurde ein Folgeantrag für eine Einstein Research Unit eingereicht. Ebenfalls auf dem gemeinsamen Interesse an rechtsbezogener empirischer Forschung beruht der Vorantrag für ein DFG-Graduiertenkolleg zu „Preventing Corporate Misconduct“ gemeinsam mit dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften.