Springe direkt zu Inhalt

Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO

Antrag auf Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO[1]

Der vorläufige Rechtsschutz orientiert sich an Grundprinzipien, die man stets im Hinterkopf haben sollte:

  1. Akzessorietät zum Hauptsacheverfahren
    Dieses Prinzip spiegelt sich in der Prüfung insbesondere darin wider, dass ein Großteil der Zulässigkeitsprüfung entlang der Linien der Zulässigkeitsprüfung in der Hauptsache verläuft.
  2. Effektivität des vorläufigen Rechtsschutzes
    Ausprägung von Art. 19 Abs. 4 GG
  3. Vorläufigkeit des „vorläufigen“ Rechtsschutzes
    Der vorläufige Rechtsschutz soll die Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen. Gleichwohl kann dies dennoch geboten sein, wenn anderweitig kein effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden kann.

 

A. Zulässigkeit des Antrags (nicht der Klage)
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

§ 80 Abs. 5 S. 1 VwGO: „das Gericht der Hauptsache“
=> Rechtsweg richtet sich nach dem Hauptsacheverfahren; Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO – s. dazu Übersicht)

II. Statthaftigkeit des Antrags

Antrag auf Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist statthaft, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. ein belastender VA muss erlassen worden sein und
  2. dem wirksam eingelegten Widerspruch / der wirksam erhobenen Klage kommt kein Suspensiveffekt zu
    2 Möglichkeiten denkbar:
    a) Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 – 3 VwGO (qua Gesetz haben hier Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung)
    b) Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (erst durch die behördliche Anordnung entfiel die aufschiebende Wirkung – Anordnung wird in der Praxis häufig im Hauptbescheid selbst vorgenommen)
    c) ggf. Annexantrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 S. 3, wenn VA bereits vollzogen

Sonderfall: (drohender) faktischer Vollzug: Verwaltung bzw. im Drittbeteiligungsfall der begünstigte Dritte setzen sich über aufschiebende Wirkung hinweg und machen von VA Gebrauch
=> Antrag analog § 80 Abs. 5 VwGO auf Feststellung, dass der Widerspruch gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat (hM; nach teilweise vertretener Ansicht [tvA] richtet sich der Antrag nach § 123 VwGO)
=> in der Begründetheit in diesem Fall: keine Interessenabwägung; allein Prüfung des § 80 VwGO und der Kriterien des Widerspruchs

III. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen

Richten sich nach der Hauptsache (Anfechtungsklage)
Möglicherweise anzusprechen: Beteiligungsfähigkeit und Prozessfähigkeit

IV. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen

1. Antragsbefugnis

Läuft entlang der Hauptsache
=> § 42 Abs. 2 VwGO maßgeblich (entweder in entsprechender oder analoger Anwendung, was aber letztlich nicht entscheidend ist, ist doch beides vertretbar)

2. Hauptsacherechtsbehelf

hM: In der Hauptsache muss Rechtsbehelf eingelegt sein, der grundsätzlich aufschiebende Wirkung auslöst (i.d.R. Widerspruchserhebung, falls nicht statthaft, (Anfechtungs-)Klage). Durchführung des Widerspruchsverfahrens muss aber nicht abgewartet werden. Maßgeblicher Zeitpunkt: gerichtliche Entscheidung über Antrag
Arg.: Systematik des § 80 VwGO

tvA: Eilantrag unabhängig von der Erhebung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zulässig
Arg.: effektiver (vorläufiger) Rechtsschutz – Art. 19 Abs. 4 GG

3. Passive Verfahrensbefugnis

§ 78 VwGO analog (Akzessorietät zum Hauptsacheverfahren)
(P) Was, wenn Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Widerspruchsbehörde verfügt worden ist und diese einem anderen Rechtsträger als Ausgangsbehörde angehört?
Nach hM unter Betonung der Akzessorietät: Ausgangsbehörde bzw. deren Rechtsträger als Antragsgegner; tvA: Widerspruchsbehörde bzw. deren Rechtsträger (Eigenständigkeit des Aussetzungsverfahrens)

4. Antragsfrist

Anders als bei Klage (§ 74 VwGO) für Eilanträge nach § 80 Abs. 5 VwGO nur, wenn gesetzlich ausdrücklich vorgesehen (zB im Ausländer- und Asylrecht)

5. Zuständigkeit

„Gericht der Hauptsache“

6. Sonderfall des § 80 Abs. 6 VwGO

In Abgaben- und Kostensachen (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1) muss vor dem Eilverfahren ein erfolgloses behördliches Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung stattgefunden haben.

V. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

Rechtlich schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Rechtsschutzziel
Fehlt nur ausnahmsweise (dementsprechend auch nur selten zu thematisieren)
Mögliche Probleme:

1. Hauptsache darf nicht offensichtlich unzulässig sein (zB wegen Verfristung)

2. Antragsteller hat andere (gleich effektive) Möglichkeiten der Geltendmachung seiner Ansprüche

 

B. Begründetheit

Unterscheidung nach den Grundfällen Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sowie den Fall des (drohenden) faktischen Vollzugs:

I. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2 VwGO) nach vorheriger Anordnung durch Behörde – in der Klausur wohl der häufigere Fall):

Obersatz (Vorschlag):

Antrag begründet, wenn Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist. Darüber hinaus begründet, wenn die gebotene umfangreiche Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Interesse am Vollzug der getroffenen Regelung (Vollzugsinteresse) Vorrang genießt.

Dementsprechend Prüfung:

  1. Vorliegen der materiellen und formellen Voraussetzungen der Vollziehungsanordnung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 VwGO)
    - Zuständigkeit der Behörde zum Erlass der Vollzugsanordnung
    - Verfahren (str., ob Anhörung notwendig; nach hM wohl nicht; Arg.: kein VA)
    - schriftliche Begründung (Ausnahme: § 80 Abs. 3 S. 2) – nicht nur formelhaft, an dieser Stelle erfolgt aber noch keine inhaltliche Bewertung der Begründung
  2. Interessenabwägung (s. Obersatz)
    Begründetheit des Wiederherstellungsantrags richtet sich in erster Linie nach Erfolgsaussichten in der Hauptsache:

„summarische“ Prüfung, d.h. keine umfangreiche Beweisaufnahme, wohl aber eine rechtlich umfassende Beurteilung
Vollzugsinteresse überwiegt, wenn VA offensichtlich rechtmäßig;
Suspensivinteresse überwiegt, wenn VA offensichtlich rechtswidrig;
falls keine Offensichtlichkeit, dann unabhängige Interessenabwägung der Folgen einer „falschen“ Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz, im Zweifel sind die Interessen des Antragstellers vorrangig (Art. 19 Abs. 4 GG)
in jedem Fall muss aber ein tatsächliches Vollzugsinteresse vorliegen; das über ein allgemeines Interesse am Vollzug hinausgeht

II. Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO)

Obersatz: Antrag ist begründet, wenn die gebotene umfangreiche Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Interesse am Vollzug der getroffenen Regelung (Vollzugsinteresse) Vorrang genießt.

Prüfung dementsprechend wie 2. beim Wiederherstellungsantrag.

III. Feststellung bei (drohendem) faktischen Vollzug
Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch (bzw. Anfechtungsklage) und der Rechtswidrigkeit des Vollzugs begründet, wenn Widerspruch (bzw. Anfechtungsklage) aufschiebende Wirkung zukommt.

Keine Interessenabwägung

IV. Ggf. noch Anordnung der Aufhebung von Vollziehungsmaßnahmen - § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO

Unselbstständiges (also vom Aussetzungsverfahren, das Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO verfolgt, abhängiges) Annexverfahren, das effektivem Rechtsschutz dient, gerichtl. Anordnung der Aufhebung der Vollziehung findet nur auf Antrag statt;

unmittelbar anwendbar auf Fälle, in denen wegen § 80 Abs. 2 VwGO (ursprünglich) rechtmäßige Vollziehungsmaßnahmen vorgenommen worden sind, die (später) wegen Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO keinen Bestand mehr haben können;

wegen Missachtung der aufschiebenden Wirkung von vornherein rechtswidrige Vollziehungsmaßnahmen (faktischer Vollzug) sind im Wege der analogen Anwendung erfasst.

 

© Markus Heintzen und Heike Krieger (Freie Universität Berlin)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Februar 2018

 

 [1] (nach Peine, Klausurenkurs im Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Rn. 303 ff., Schoch/Schneider/Bier/Schoch, VwGO, § 80 Rn. 450 ff., Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 5. Aufl., Rn. 157 und von Mannstein, Wiesbaden)