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Kurzlösung

A. Zulässigkeit

 

I. Zuständigkeit

BVerfG, gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG

 

II. Antragsberechtigung

Landesregierung X, Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG

 

III. Antragsgegenstand

Bundesgesetze KlimaNotG und VerfStarkG, Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG

 

IV. Antragsgrund

  • Art. 93 I Nr. 2 GG: „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln“
  • § 76 I BVerfGG: Antragsteller muss Gesetz „für nichtig“ halten

Hier: Landesregierung bezweifelt nur

  •  Art. 93 I Nr. 2 GG (+), § 76 I BVerfGG (-)
  • § 76 I BVerfGG insofern nichtig oder verfassungskonform auszulegen
  • Zweifel genügen
  • Außerdem: objektives Klarstellungsinteresse (+)

 

V. Form und Frist

  • keine Frist
  • Schriftform, Art. 23 I BVerfGG

Keine Angaben im SV, also (+)

 

VI. Ergebnis zu A.

Antrag zulässig

 

B. Begründetheit

= soweit KlimaNotG oder VerfStarkG [Antragsgegenstand] gegen GG verstoßen

 

I. Prüfungsmaßstab

  • Grds. GG
  • aber Art. 3 KlimaNotG ändert Verfassun

--> (nur) Art. 79 GG!

II. Formelle Verfassungsmäßigkeit

(Gliederung nach den angegriffenen Gesetzen auch hier schon möglich, aber nicht zwingend.)

 

1. Zuständigkeit

Bundesgesetzgeber:

  • für Art. 3 KlimaNotG nach Art. 79 II GG
  • für VerfStarkG nach Art. 94 Abs. 1 S. 1 GG
  • für Art. 1 und 2 KlimaNotG, gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 11, 16, 17, 20, 22, 29, 32 GG.

 

 

Aber: Für Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 20 22 GG: Erforderlichkeitsklausel, Art. 72 II GG

 

Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
= wenn Lebensverhältnisse erheblich auseinanderentwickeln und bundesstaatliches Sozialgefüge beeinträchtigen (könnte)

 

Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit

= Rechtszersplitterung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Wirtschaftsraums

 

Erforderlichkeit

= geeignet und notwendig, d.h. nur Bund kann Ziel erreichen (vgl. Subsidiaritätsgrundsatz, eher nicht Verhältnismäßigkeit)

 

Beachte: Prognosespielraum des Gesetzgebers

 

Hier:

  • Alle drei Ziele mit Blick auf Klimawandel denkbar, aber SV insofern nicht sehr ergiebig.
  • Mit Blick auf Prognosespielraum (+)

A.A. mangels erkennbarer Anhaltspunkte im SV vertretbar.

 

2. Verfahren

Gesetzgebungsverfahren durch BReg eingeleitet, Art. 76 I 1 Var. 1 GG (+)

 

Zustimmung BT: 455 der 600 Mitglieder

  • VerfStarkG (+), einfache Mehrheit der anwesenden Mitglieder, Art. 42 II GG
  • KlimaNotG (+): Zweidrittelmehrheit, Art. 79 II GG

 

Zustimmung BRat: Nur Land X dagegen

  • KlimaNotG (+), Zweidrittelmehrheit (mind. 46) der 69 Stimmen
    • Land X hat max. 6 Stimmen, Art. 51 II GG
  • VerfStarkG: Bedarf keiner Zustimmung des Bundesrates!
    • Nicht in Art. 94 I 1 GG vorgesehen
  • Gegenzeichnung durch BK und Ausfertigung und Verkündung durch BP, Art. 82 I, 58 S. 1 GG

 

3. Form

Art. 3 KlimaNotG muss gem. Art. 79 I 1 GG ausdrücklich Wortlaut des GG ändern (+)

Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)

 

III. Materielle Verfassungsmäßigkeit

 

1. KlimaNotG

a) Art. 1 KlimaNotG

  • allgemeinpolitische Willensbekundung/Präambelcharakter
  • vgl. schlichter Parlamentsbeschluss

unproblematisch (+)

 

b) Art. 2 KlimaNotG

(P) Art. 80 I 2 GG: Inhalt, Zweck und Ausmaß

= einheitliches Bestimmtheitsgebot

e.A.: Selbstentscheidungsformel

a.A.: Programmformel (Wesentlichkeitstheorie, Art. 20 II GG)

a.A.: Voraussehbarkeitsformel (für Bürger, Art. 20 III GG)

  • Art. 80 I 2 GG soll Selbstentmachtung des Parlaments verhindern
  • Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sind zur Konkretisierung der Anforderungen heranzuziehen
  • Gewisser Ausgestaltungsspielraum für Gesetzgeber

Hier:

  • Art. 2 KlimaNotG überträgt in toto Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 11, 14, 15, 16, 17, 20, 22, 29, 32 GG.
  • Beschränkung auf „erforderliche und dringende“ Maßnahmen schon unzureichend, erst recht aber wenn ins "Erachten" der BReg gestellt
  • unverbindliche politische Zusicherungen des Kanzlers können nicht Bestimmtheit erhöhen, diese muss sich aus Gesetz ergeben

Art. 2 KlimaNotG gibt BReg nicht berechenbare Möglichkeit zur Verordnungsgebung

= Verstoß gegen Art. 80 I 2 GG

 

c) Art. 3 KlimaNotG

  • könnte gegen Art. 1 und 20 GG verstoßen, Art. 79 III GG
    • Demokratieprinzip, Art. 20 I, II GG
    • Gewaltenteilung als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 II, III GG

 

Hier:

  • inhaltlich unbegrenzte Gesetzgebungsbefugnis
  • Möglichkeit einer „Widerspruchsgesetzgebung“ durch BT unzureichend
  • Gesetzgebung soll unter Kontrolle der Öffentlichkeit im Parlament stattfinden
  • Historisches Vorbild Ermächtigungsgesetz, Art. 79 III GG "Lehre" hieraus

= Verstoß gegen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip

 

2. VerfStarkG

"Court Packing":

  • Erhöhung der Anzahl der Richter (von 2 auf 4 Senate), § 1
  • Absenkung des Quorums für die Richterwahl von Zweidrittelmehrheit auf einfache Mehrheit, §§ 2 und 3
  • Einstimmigkeit für Erklärung der Nichtigkeit eines Gesetzes,
    § 4 VerfStarkG

 

= Kein Verstoß gegen ausdrückliche Vorgaben des GG

 

Verstoß gegen Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 93, 94 GG?

  • setzt funktionsfähiges Verfassungsgericht voraus

 

a) §§ 1-3 VerfStarkG:

  • Auswahl politisch nahestehender Richter grds. unbedenklich
    • legitimiert BVerfG mittelbar demokratisch
  • Sowohl hinsichtlich Anzahl der Richter als auch Wahlmodus grds. Ausgestaltungsspielraum (vgl. andere Verfassungsstaaten)

 

Aber, Konsequenz der vorliegenden Änderung:

  • Gericht wird auf einen Schlag zur Hälfte mit Richtern einer Regierung besetzt (zwei Senate vollständig)
  • Wirkung auch über Wahlperiode hinaus
  • Schwächt Kontrollfunktion gegenüber Regierung erheblich
  • Letztlich Rechtsmissbrauch, da (objektiv ersichtlich) nicht Ausgestaltung für effektive Verfassungsgerichtbarkeit bezweckt, sondern Besetzung des Gerichts mit politisch genehmen Richtern

--> Sicher Spielraum bzgl. Richterzahl, hier aber sehr deutlich über Bedarf hinaus und in Verbindung mit Absenkung des Wahlquorums

= Verstoß gegen Art. 20 III GG iVm Art. 93 GG

 

b) § 4 VerfStarkG

Verstoß gegen Art. 20 III GG i.V.m. Art. 93 GG?

  • Art. 93 GG sieht auch Kontrolle von Bundesgesetzen durch BVerfG vor.
  • Kontrolle muss effektiv sein
  • hieraus keine genaue Vorgabe für Quorum
    • früher erwogen: Zweidrittelmehrheit

Hier:

  • Einstimmigkeit blockiert Gericht
  • ein einziger (von Regierungspartei gewählter) Richter kann Kontrolle vollständig ausschalten
  • Einstimmigkeit national/international nirgends verlangt

 

= Verstoß gegen Art. 20 III GG i.V.m. Art. 93 GG

 

C. Ergebnis

Antrag zulässig und teils begründet.

BVerfG wird Art. 2 und 3 KlimaNotG sowie §§ 1 und 4 VerfStarkG gem. § 78 S. 1 BVerfGG für nichtig erklären.

 


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© Heike Krieger und Markus Heintzen (Freie Universität Berlin)