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Straßenschlussstrich (Sachverhalt)

 Nach heftiger Debatte hat der Berliner Senat, gestützt auf Art. 297 Abs. 1 Nr. 3 EGStGB, und entgegen den letzten Äußerungen (vgl. Berliner Morgenpost vom 16.1.2009),  eine Verordnung über das Verbot der Prostitution erlassen, nach deren § 1 es „zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes“ in einem Radius von 500 m um die Kreuzung Postdamer Straße und Kurfürstenstraße verboten ist, der Prostitution nachzugehen. Wird hiergegen verstoßen, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit nach § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG dar.

Dennoch hält sich in diesem Gebiet weiter ein Straßenstrich, auf dem zumeist drogenabhängige Frauen der Prostitution nachgehen. Demgegenüber hat sich die Polizei bisher als machtlos erwiesen: Auch oftmaliges Streifefahren führt nur zu einer kurzfristigen Besserung der Lage und die Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren zeigt gegenüber den Frauen kaum Wirkung. Im Grunde wird die Einleitung polizeilicher Maßnahmen deswegen auch als wenig sinnvoll angesehen. Die Betreiberin des in der Nähe gelegenen „30 Minutes Restaurant & Nightclub“ Lola Labelle, die sich engagiert für die Verbesserung der Lage von Prostituierten einsetzt, vermag daher den Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, Helmut Huton, davon zu überzeugen, dass es wenig sinnvoll sei, mit klassischen ordnungsrechtlichen Mitteln gegen die Frauen vorzugehen. Hier müssten neue Wege gegangen werden. Eigentliches Problem des Straßenstrichs sei weniger seine Existenz als die fehlende Gesundheitsbetreuung der Frauen, vor allem weil sie vielfach bereit seien, auf „safer sex“ zu verzichten. Hierdurch würden die Frauen selbst, aber auch die Freier (und damit vielfach auch deren Familien) gefährdet.

Tatsächlich besteht seit In-Kraft-Treten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 keine Rechtsgrundlage mehr für die früher mögliche und übliche „Zwangsuntersuchung“ von Prostituierten. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Bundesgesetzgebers, weil medizinische und sozialwissenschaftliche Forschungen ergeben haben, dass genereller staatlicher Zwang (Zwangserfassung, Anordnung von Schutzmaßnahmen, Überwachung) nur dazu führt, dass Personen mit sexuell übertragbaren Krankheiten ärztliche Kontakte und damit die erforderlichen Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten meiden und gerade dadurch selbst gefährdet werden und andere gefährden. Das Modell des IfSG setzt daher auf die Freiwilligkeit der Betroffenen: Nach § 19 IfSG haben die Gesundheitsämter bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten Beratung und Untersuchung anzubieten und sicherzustellen und sollen  hierfür auch gegebenenfalls Personen aufsuchen, deren Lebensumstände eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sich und andere mit sich bringen. Entsprechende Angebote des Gesundheitsamtes im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg werden jedoch von den betroffenen Frauen des Straßenstrichs kaum in Anspruch genommen.

In dieser Situation entwickelt das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in Zusammenarbeit mit der Polizeipräsidentin in Berlin Beatrice von Bullenberg folgendes „Schöneberger Modell“: Frauen, die im Gebiet der Verordnung angetroffen werden und offensichtlich der Prostitution nachgehen, erhalten ein Formular mit der Belehrung vorgelegt, dass sie regelmäßig mit Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und sonstigen polizeilichen Maßnahmen rechnen müssten, die ihre „Einnahmequelle“ empfindlich stören würden, falls sie das Formular nicht unterschreiben sollten. Das Formular hat folgenden Inhalt:

Das Land Berlin

handelnd durch

das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg

- nachfolgend Partei 1 genannt -,

und
die Polizeipräsidentin in Berlin

- nachfolgend Partei 2 genannt-

 

und

Frau  ........  (Name, Anschrift)

- nachfolgend Partei 3 genannt -

 

schließen folgende Vereinbarung:

 

Nr. 1: Die Parteien 1 und 2 verpflichten sich, gegenüber der Partei 3 für die Dauer von zwei Jahren ab Unterzeichnung durch alle drei Parteien davon abzusehen, Maßnahmen aufgrund des ASOG gegenüber der Partei 3 allein aus dem Grund zu ergreifen, weil die Partei 3 im Radius von 500 m um die Kreuzung Potsdamer Straße und Kurfürstenstraße, Berlin, der Prostitution nachgeht, solange die Partei 3 ihre Verpflichtung aus Nr. 2 des Vertrages erfüllt. Die Parteien 1 und 2 weisen darauf hin, dass hierdurch ein entsprechendes Verhalten der Partei 3 nicht rechtmäßig wird und nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz mit einer Geldbuße geahndet werden kann.

Nr. 2: Die Partei 3 verpflichtet sich, in monatlichen Abständen von dem Angebot einer ärztlichen Untersuchung des Gesundheitsamtes des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg einschließlich einer Blutuntersuchung Gebrauch zu machen und dies durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung bei der Partei 1 nachzuweisen.

 

Berlin, den ….

 

……..                                                     ………                                                    ……….

Unterschrift Partei 1                          Unterschrift Partei 2                          Unterschrift Partei 3

 

Tatsächlich werden auf dieser Grundlage mit den meisten im betreffenden Gebiet regelmäßig „anschaffenden“ Frauen solche Verträge - formgerecht - geschlossen. Das „Schöneberger Modell“ erweist sich auch grundsätzlich als Erfolg, weil die Frauen nun regelmäßig das Gesundheitsamt im Bezirksamt aufsuchen. Aufgrund des so hergestellten Kontakts mit den Frauen ließ sich dann auch in verschiedenen Fällen die Bereitschaft zu einer effektiven Suchttherapie erreichen.

Dann macht jedoch Huton einen Fehler: Stolz berichtet er über das „Schöneberger Modell“ und seine Erfolge in der „Abendschau“ des RBB und in der B.Z.. Darauf kommt es zu einem Sturm von Protesten. Von der Stadt Berlin als dem „ersten öffentlich-rechtlichen Zuhälter“ ist die Rede. Die publikumswirksame Kontroverse macht den lokalen Straßenstrich in ganz Berlin und Brandenburg bekannt. Insbesondere auch weil sich herumspricht, dass dort der Verzicht auf „safer sex“ angeblich „ungefährlich“ sei, wird die Ecke Kurfüstenstraße und Potsdamer Straße kurz darauf allabendlich mit Freiern, aber auch Neugierigen nahezu überschwemmt. Da die Nachfrage das Angebot übersteigt, kommt es auch immer mehr dazu, dass Freier in diesem Gebiet Frauen und Mädchen aggressiv belästigen.

Daraufhin entschließen sich Huton und die Verantwortlichen der Berliner Polizei, von dem „Schöneberger Modell“ wieder Abstand zu nehmen. Die Frauen erhalten deshalb im Namen des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg und der Polizeipräsidentin in Berlin eine von beiden Behördenleitern handschriftlich unterschriebene schriftliche Mitteilung, in der es heißt:

„An dem mit Ihnen geschlossenen Vertrag kann nicht festgehalten werden. Die Umstände haben sich seit Vertragsschluss aufgrund des nicht vorhersehbaren Zulaufs der Freier so wesentlich geändert, dass wir den  Vertrag zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung nunmehr kündigen. Der Vertrag ist zudem ohnehin unwirksam, weil polizeiliche Befugnisse nicht verhandelbar sind, weil die öffentliche Hand die Prostitution nicht aktiv fördern darf, weil keine Rechtsgrundlage für das Verlangen nach einer monatlichen Gesundheitsuntersuchung besteht, weil der Senat nicht an dem Vertrag beteiligt worden ist und weil die Vereinbarung zu Ihren Lasten in einer ‚Bedrohungssituation’ entstanden ist. Sie müssen daher in Zukunft mit verstärkten polizeilichen Maßnahmen rechnen, wenn Sie weiterhin im Radius von 500 m um die Kreuzung Kurfürstenstraße und Potsdamer Straße, Berlin der Prostitution nachgehen."

 

Eine der betroffenen Frauen, Christiane Fey, findet dies unerhört. Aufgrund des Vertrages habe Sie sich einen verlässlichen Kundenstamm aufbauen können, den sie verlieren werde, wenn sie den Standort wechseln müsse. Auch die Verwaltung müsse sich an die von ihr geschlossenen Verträge halten und könne sich nicht nach freiem Belieben hiervon lossagen. Jedenfalls hätte ihr ein anderer Platz im Bezirk angeboten werden müssen, wo sie ungestört ihrer Arbeit nachgehen könne. Deshalb sei eine Kündigung unverhältnismäßig. Im Übrigen sei ihr egal, dass sie zu dem Vertragsschluss gezwungen worden sei und dass für die Nr. 2 des Vertrages keine Rechtsgrundlage bestehe. Der Vertrag habe sich im Nachhinein als „Segen“ herausgestellt, so dass sie hieran festhalten wolle.

Frau Fey erhebt daher Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und die Polizeipräsidentin in Berlin mit dem Antrag, den Beklagten zu untersagen, bis zum Ablauf der in Nr. 1 des Vertrages genannten Frist ihr gegenüber Maßnahmen aufgrund des ASOG allein aus dem Grund zu treffen, weil sie in dem bezeichneten Gebiet „anschaffen“ gehe.

 

Hat die Klage von Frau Fey Aussicht auf Erfolg?


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