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Peepshow (Lösungsvorschlag)

 

Die Verfassungsbeschwerde Heins hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungs-voraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.

 

Anmerkung: Zur Gliederung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gerichtsurteil siehe diesen Hinweis.

 

I. Zuständigkeit des BVerfG gem. Art. 93 I Nr. 4a iVm §§ 13 Nr. 8a, 90ff BVerfGG

Das BVerfG ist für VB gemäß Art. 93 I Nr. 4a iVm §§ 13 Nr. 8a, 90ff BVerfGG zuständig.

 

II. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jedermann“)

Hein kann Grundrechtsträger sein und ist daher „jedermann“ i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG.

 

III. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Akt der öffentlichen Gewalt“)

Verfassungsbeschwerden können sich nur gegen einen „Akt öffentlicher Gewalt“ richten. Gemeint sind damit alle Maßnahmen von vollziehender, gesetzgeberischer und rechtsprechender Gewalt. Hein wendet sich nach dem Sachverhalt ausdrücklich sowohl gegen die Entscheidung und den Widerspruchsbescheid des Bezirksamts Mitte als auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes und den Nichtzulassungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichtes. Diese sind unzweifelhaft Akte der öffentlichen Gewalt und damit taugliche Beschwerdegegenstände der Verfassungsbeschwerde. Dies gilt auch, soweit die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses angegriffen wird. Die Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen ist nicht nur gegen den Entscheidungstenor, sondern auch gegen einzelne Entscheidungsgründe zulässig, sofern der Beschwerdeführer hierdurch besonders beschwert ist.[1] Ob dies der Fall sein kann, ist eine Frage der Beschwerdebefugnis bzw. Begründetheit.

Das BVerfG hat es auch immer für zulässig erachtet, dass die Verfassungsbeschwerde bei mehreren in derselben Sache ergangenen Entscheidungen gegen jede einzelne dieser Entscheidungen gerichtet wird, und den Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen, ausschließlich die letztinstanzliche Entscheidung anzugreifen.[2]

 

IV. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein“)

Hein müsste behaupten können, durch die angegriffenen Akte der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten verletzt zu sein, er müsste also beschwerdebefugt sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht von vornherein ausgeschlossen ist und der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.

 

1. Beschwerdebefugnis gegenüber der Entscheidung des Bezirksamts

Was die Entscheidung des Bezirksamts Mitte betrifft, so hat dieses Hein die beantragte Genehmigung nach § 33a Abs. 1 S. 1 GewO nicht erteilt. Die Genehmigungserteilung wurde auch nicht etwa verweigert, weil Heins Vorhaben überhaupt nicht genehmigungspflichtig, sondern weil eine Peepshow aus materiellrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig sei. Damit wurde Hein der Betrieb der Peepshow nach § 144 Nr. 1 lit. c GewO sanktionsbewehrt untersagt. Da diese Genehmigungsverweigerung nicht durch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht aufgehoben worden ist, wird Hein hiervon auch noch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Es ist schließlich auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Betrieb einer Peepshow in den Schutzbereich der von Hein in Anspruch genommenen Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG fällt, so dass eine Grundrechtsverletzung durch die Genehmigungsverweigerung als möglich erscheint. Gleiches gilt bezüglich der Frage, ob Hein hier gegenüber den Betreibern von Striptease-Lokalen, Bordellbetreibern etc. zu Unrecht ungleich behandelt wird, so dass auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Bezüglich der Entscheidung des Bezirksamts Mitte ist Hein somit beschwerdebefugt.

 

2. Beschwerdebefugnis gegenüber dem Widerspruchsbescheid

Indem der zuständige Mitarbeiter des Bezirksamts in seinem Widerspruchsbescheid die Genehmigungsablehnung des Bezirksamts Mitte vollumfänglich bestätigte, hat er sich etwaige Grundrechtsverletzungen durch diese Entscheidung zu eigen gemacht. Auch bezüglich dieses Widerspruchsbescheides ist Hein somit als beschwerdebefugt anzusehen.

 

3. Beschwerdebefugnis gegenüber dem Urteil des Verwaltungsgerichts

Indem das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin die Entscheidung des Bezirksamts (und des Widerspruchbescheids, vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) vollumfänglich bestätigte, hat es sich ebenfalls etwaige Grundrechtsverletzungen dieser Entscheidung zu eigen gemacht. Zudem rügt Hein insoweit eine selbständige Grundrechtsverletzung durch die Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens, nämlich, dass gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen wurde, weil Richterin Ballmann während der Rechtsausführungen seines Rechtsanwalts eingeschlafen sei. Dass hierdurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen wurde, ist ebenfalls nicht völlig ausgeschlossen. Auch bezüglich dieses Urteils ist Hein somit als beschwerdebefugt anzusehen.

 

4. Beschwerdebefugnis gegenüber dem Nichtzulassungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts

Demgegenüber ist ausgeschlossen, dass auch der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Nichtzulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 4 und 5 VwGO Hein in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzen kann: Das Oberverwaltungsgericht hat über die eigentliche Hauptsache nicht entschieden, sondern allein über die Zulassung der Berufung. Damit hatte es auch nicht darüber zu entscheiden, ob der Betrieb einer Peepshow genehmigungsfähig ist, sondern nur darüber, ob gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts die Berufung zuzulassen ist. Die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts als solche kann Hein dementsprechend nicht in Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG, sondern allenfalls in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, was jedoch nicht gerügt wird und wofür es auch an Anhaltspunkten fehlt. Ebenso wenig war Gegenstand des Nichtzulassungsbeschlusses eine Entscheidung über die etwaige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch das Verwaltungsgericht. Auch insoweit hat das Berufungsgericht nur über die Zulassung der Berufung entschieden, ohne sich etwaige Verfahrensfehler durch das Verwaltungsgericht zu eigen zu machen.[3]

 

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung des Prüfungsumfangs einer Rechtsmittelentscheidung für die Zulässigkeit hiergegen gerichteter Verfassungsbeschwerden diesen Hinweis und zu der hier vorliegenden Fallkonstellation auch den Strickliesel-Fall und den Wem-die-Stunde-schlägt-Fall.

 

Jedoch macht Hein hinsichtlich der Begründung der Nichtzulassungsentscheidung eine Verletzung seines Rechts auf Ehre, also seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geltend. In dieser Begründung wird Hein als „skrupel- und gewissenlos“ bezeichnet, so dass insoweit von der Begründung des Beschlusses (nicht - wie sonst regelmäßig bei Urteilsverfassungsbeschwerden - vom Entscheidungstenor[4]) eine Grundrechtsverletzung ausgehen kann. Insoweit wird Hein als „Adressat“ der gerügten „Beleidigung“ auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

 

5. Ergebnis zu IV.

Hein kann somit bezüglich der Genehmigungsablehnung durch das Bezirksamt Mitte und den hierauf ergangenen Widerspruchsbescheid eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG,  hinsichtlich des Urteils des Verwaltungsgerichtes eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG, des Art. 3 Abs. 1 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG und bezüglich des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG durch die Entscheidungsgründe behaupten. Er ist demnach bezüglich aller angegriffenen Entscheidungen beschwerdebefugt.

 

V. Ordnungsgemäßer Antrag nach §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG

Ein ordnungsgemäßer Antrag nach §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG müsste gestellt worden sein. Ein solcher verlangt die Wahrung des Frist- und des Formerfordernisses.

Die Verfassungsbeschwerde müsste innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG (1 Monat) eingelegt worden sein: Dabei bewirkt § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, dass die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG - anders als der Wortlaut dies nahe legt - erst mit Zustellung, Verkündung oder Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung zu laufen beginnt, so dass - auch für die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bezirksamt Mitte, den Widerspruchsbescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin - die Frist erst mit Verkündung des Beschlusses über die Nichtzulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beginnt.[5] Da diese Frist nach dem Sachverhalt eingehalten ist, ist auch die Verfassungsbeschwerde gegen die ursprüngliche Genehmigungsablehnung, den Widerspruchsbescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht verfristet.

 

VI. Rechtsschutzbedürfnis

Ein Rechtsschutzbedürfnis ist nur dann zu bejahen, wenn der Rechtsweg erschöpft ist und der Grundsatz der Subisidiarität der Verfassungsbeschwerde der Zulässigkeit nicht entgegensteht.

Nach dem Sachverhalt hat Hein gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG den Rechtsweg erschöpft: Gegen die Nichtzulassung der Berufung nach §§ 124 ff. VwGO ist nach § 152 Abs. 1 VwGO die Beschwerde zum BVerwG ausgeschlossen.

Hein kann auch nicht vorgeworfen werden, wegen der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Verwaltungsgericht keine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO erhoben zu haben. Zwar gehört auch die Erhebung der Anhörungsrüge zum "Rechtsweg" i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfG.[6] Jedoch wäre eine derartige Anhörungsrüge weder gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts  statthaft gewesen:

  • Zunächst kann die Anhörungsrüge nur gegen solche Entscheidungen erhoben werden, gegen die weitere Rechtsmittel oder andere Rechtsbehelfe nicht gegeben sind: Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts war hier aber die Nichtzulassungsbeschwerde zum OVG gegeben, so dass insofern eine Anhörungsrüge nicht in Betracht kam.
  • Gegen den Nichtzulassungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts wäre dagegen an sich eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO statthaft gewesen.[7] Jedoch bestand insoweit keine "Anhörungsrügebefugnis": Mittels der Anhörungsrüge können nur Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden: Das Oberverwaltungsgericht selbst hat aber - wie ausgeführt (s. o. A II 4) - Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt, da es sich einen etwaigen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts nicht zu eigen gemacht und auch keine eigene Gehörsverletzung begangen hat. Mittels der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO können aber nur Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG gerügt werden, nicht die Verletzung anderer Grundrechte.

Da weitere Rechtsbehelfe, mit denen sich Hein gegen die angegriffenen Entscheidungen hätte wehren können, nicht erkennbar sind, ist somit der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft.

Fraglich ist jedoch, ob der Verfassungsbeschwerde der der „Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde“ entgegensteht. Nach diesem - vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG „gefundenen“ - Grundsatz hat der Beschwerdeführer neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.[8] Insoweit stellt das BVerfG teilweise strenge Voraussetzungen auf: So hat es zum Beispiel verlangt, dass der Beschwerdeführer selbst dann, wenn er von einem Gesetz unmittelbar, gegenwärtig und selbst betroffen ist, zunächst Rechtsschutz bei den Fachgerichten suchen muss, um eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu initiieren.[9] In dieser Linie läge es, Hein zunächst darauf zu verweisen, die Peepshow trotz der Genehmigungsverweigerung zu veranstalten und anschließend den Erlass eines Bußgeldbescheides nach §§ 35 ff. OWiG wegen Verstoßes gegen § 144 Nr. 1 lit. c GewO abzuwarten und im Einspruchsverfahren nach §§ 67 ff. OWiG eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG anzuregen. Die Durchführung eines solchen Verfahrens wäre für Hein allerdings unzumutbar (vgl. den Rechtsgedanken des § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG): Auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann nicht verlangt werden, dass ein Betroffener vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde einer straf- und bußgeldbewehrte Rechtsnorm zunächst zuwiderhandelt und sich so dem Risiko eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens aussetzt.[10]

 

VII. Ergebnis zu A.

Die Verfassungsbeschwerde des Hein ist bzgl. aller angegriffenen Maßnahmen zulässig.

 

B. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn Hein durch die Genehmigungsablehnung des Bezirksamts Mitte, den Widerspruchsbescheid, das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin und die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg tatsächlich in seinen Grundrechten verletzt wird. Die Genehmigungsablehnung durch das Bezirksamt und ihre Bestätigung im Widerspruchsverfahren und durch das Verwaltungsgericht könnten Hein in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG und/oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzen (I.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts könnte zudem Heins grundrechtsgleiches Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt haben (II.). Schließlich könnte die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts Heins allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen (III.).

 

I. Grundrechtsverletzung durch die Nichterteilung der Genehmigung

Indem es das Bezirksamt, der zuständige Sachbearbeiter im Widerspruchsverfahren und das Verwaltungsgericht für zulässig halten, Hein die Genehmigung zum Betrieb einer Peepshow zu untersagen, und ihm damit diese Tätigkeit wegen  § 144 Nr. 1 lit. c GewO letztlich verbieten, könnten sie sowohl gegen Art. 12 GG als auch gegen Art. 3 GG verstoßen haben. Beide Grundrechte schließen sich nicht gegenseitig aus, wie auch Art. 3 GG sonst zu allen Grundrechten in Idealkonkurrenz steht. Art. 3 GG geht jedoch Art. 12 Abs. 1 GG (und den übrigen Grundrechten) insofern vor, als er Verstöße gegen den - im Rechtsstaatsprinzip angesiedelten - Gleichheitsgrundsatz abschließend regelt.

 

Anmerkung: Folgt man dem, ist bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs in ein Freiheitsrecht nicht - etwa nach der Verhältnismäßigkeitsprüfung - auf Art. 3 GG einzugehen. Ein Freiheitsrecht kann deshalb nicht verletzt sein, wenn nur gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen wird (str.). Umgekehrt kann aber bei der Frage, ob ein rechtfertigender Grund für eine Differenzierung vorliegt, auf die Bedeutung einzelner Freiheitsrechte zurückgegriffen werden. Daher sind die Freiheitsrechte immer zuerst zu prüfen (str.).

 

1. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn dasjenige Verhalten, an dem sich Hein durch die Entscheidungen gehindert sieht (Betreiben einer Peepshow), in den Schutzbereich dieses Grundrechts fällt, das Verhaltensverbot dieser Entscheidungen in dieses Grundrecht eingreift und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.

 

a) Schutzbereich

Der Berufsbegriff in Art. 12 Abs. 1 GG wird denkbar weit verstanden: Beruf ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienen muss. Hierunter fällt auch der Betrieb einer Peepshow. Jedoch ist fraglich, ob für den Berufsbegriff des Art. 12 Abs. 1 GG nicht darüber hinaus auch verlangt werden muss, dass die jeweilige Tätigkeit nicht sozialschädlich - insbesondere auch nicht sittenwidrig - ist. So hat das BVerwG[11] angenommen, dass sozialschädliche (nicht notwendigerweise strafgesetzlich verbotene) Tätigkeiten von vornherein nicht dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen. Begründet wurde dies damit, dass von einer Freiheitsverbürgung nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG bezüglich solcher „Berufe“ nichts übrig bliebe, wenn man zwar einerseits sozialschädliche Tätigkeiten als Berufe ansieht, jedoch andererseits die Aufnahme und Ausübung dieser Tätigkeit jedermann verboten werden könnte. Sähe man somit den Betrieb von Peepshows als sittenwidrig - und damit als sozialschädlich - an, könnte man hieraus folgern, dass er von vornherein nicht als grundrechtlich geschützter Beruf anzusehen wäre.[12]

Jedoch ist die Argumentation des BVerwG nicht unbedingt schlüssig: Zwar wird man davon ausgehen können, dass die Ausübung sozialschädlicher Berufe durch Gesetz verboten werden kann und in diesem Fall von der Freiheit der Ausübung solcher Berufe nicht viel übrig bleibt. Dass dennoch ein gewisser Freiheitsgehalt verbleibt, wenn man auch die Ausübung sozialschädlicher Berufe dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterstellt, zeigt sich aber dann, wenn ein bestimmter sozialschädlicher Beruf gesetzlich nicht verboten ist. In diesem Fall wäre die Ausübung des sozialschädlichen Berufs von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt, weil seine Ausübung aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ohne gesetzliche Grundlage nicht untersagt werden kann. Für ein weites Verständnis des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG  - ohne Ausschluss sozialschädlicher Berufe - spricht dementsprechend, dass die Entscheidung, welche Berufe als sozialschädlich untersagt werden können, dem Gesetzgeber - und damit nicht den Gerichten - überlassen bleiben sollte.[13] Folgt man dem, dann unterfällt auch das Betreiben einer Peepshow dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG.[14]

 

Anmerkung: Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Frage, inwieweit der Berufsbegriff des Art. 12 Abs. 1 GG nur „erlaubte“ Tätigkeiten umfasst.[15] Einigkeit besteht insoweit darüber, dass ein Ausschluss „unerlaubter“ Tätigkeiten nicht zur Folge haben darf, dass der Gesetzgeber durch einfaches Gesetz den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umdefinieren kann, indem er bestimmte Berufe verbietet.[16] Wenn überhaupt, können allenfalls solche Tätigkeiten als „unerlaubte“ Tätigkeiten aus dem Berufsbegriff des Art. 12 Abs. 1 GG  herausgenommen werden, die allgemein - also nicht nur bei gewerbs- und berufsmäßigem Handeln - verboten sind.[17] Teilweise wird jedoch auch eine solche Einschränkung des Schutzbereiches des Art. 12 Abs. 1 GG abgelehnt, da nicht einzusehen sei, warum es dem Gesetzgeber freistehen solle, durch ein neues allgemeines Verbot, bestimmte Tätigkeiten aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG herauszunehmen (und somit nur an die „schwächeren“ Grundrechtsschranken des Art. 2 Abs. 1 GG gebunden zu sein).[18] Siehe zu diesem Problem schließlich auch den völlig anderen Ansatz bei Langer, JuS 1993, 203, 204 ff.

 

b) Eingriff

Indem die Genehmigungsablehnung durch das Bezirksamt Mitte im Ausgangs- und Widerspruchsverfahren und durch das Verwaltungsgericht Berlin Hein den Betrieb einer Peepshow praktisch verbieten, greifen sie auch in eine durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition Heins ein.

 

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Der Eingriff durch das vom Bezirksamt Mitte im Ausgangs- und Widerspruchsverfahren  ausgesprochene Verhaltensverbot und dessen Bestätigung durch das Verwaltungsgericht Berlin ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, wenn er entweder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht oder in Auslegung eines verfassungsmäßigen Gesetzes einen Rechtssatz aufstellt, der, wäre er vom Gesetzgeber erlassen worden, seinerseits verfassungswidrig wäre.

 

aa) Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO

Demnach ist zunächst fraglich, ob § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO mit der Verfassung und insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist. 

 

(1) Bedeutung des Gesetzesvorbehalts des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG

§ 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO müsste dementsprechend zunächst durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gedeckt sein. Seinem Wortlaut nach erlaubt Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nur die Statuierung von bloßen Berufsausübungsregeln, nicht aber von Regeln, die die Berufswahl subjektiven oder objektiven Schranken unterwirft. § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO verbietet nun sittenwidrige Schaustellungen von Personen. Die Vorschrift kann damit in einigen Fällen nur bestimmte Arten einer sonst zulässigen Schaustellung verbieten, jedoch kann sie sich in anderen Fällen auch wie ein Berufsverbot und damit wie eine Berufswahlregelung auswirken. Ob dies tatsächlich rechtfertigt, § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO als eine Berufswahlregelung zu qualifizieren, kann hier jedoch dahingestellt bleiben, da das BVerfG seit dem Apothekenurteil[19] davon ausgeht, dass der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG auch Berufswahlregelungen zulässt, da sich Berufswahl- und Berufsausübung nicht deutlich trennen lassen: Die Berufswahl stellt den ersten Akt der Berufsausübung dar, und die Berufsausübung birgt immer auch eine Bestätigung der Berufswahl in sich. Das Grundrecht der Berufsfreiheit bildet also ein einheitliches Grundrecht, dass nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG einem einfachen Gesetzesvorbehalt sowohl in Bezug auf die Berufswahl als auch die Berufsausübung i.e.S. unterliegt.[20]

 

(2) Formelle Verfassungsmäßigkeit

Die formelle Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO ist nach dem Bearbeitervermerk unproblematisch: Zwar könnte § 33a GewO heute wegen der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG durch das 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I 2034 - sog. "Föderalismusreform I") nicht mehr vom Bund erlassen werden, da das "Recht der Schaustellung von Personen" - ein "Rechtsgebiet", das im Wesentlichen mit § 33a GewO identisch ist, nunmehr ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausgenommen ist. Er gilt jedoch nach Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG als Bundesrecht fort, solange die Länder die Bestimmung (noch) nicht durch Landesrecht ersetzt haben, was nach dem Bearbeitervermerk noch in keinem Bundesland geschehen ist.

Wegen Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG kommt es für den nach dem Bearbeitervermerk bereits seit 1984 geltenden § 33a GewO - obwohl es sich um eine bloß konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes handelt - auf die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht an.

 

Anmerkung: Zu Art. 72 Abs. 2 GG i.d.F. des des 52. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I, 2034) s. den Kriegsspielzeug-Fall.

 

(3) Materielle Verfassungsmäßigkeit

§ 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO könnte aber wegen einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.) materiell verfassungswidrig sein: Das Verbot sittenwidriger Zurschaustellung von Personen ist geeignet und erforderlich, solche Zurschaustellungen zu unterbinden. Die Regelung müsste indes auch angemessen (verhältnismäßig i.e.S.) sein, die Zweck-Mittel-Relation müsste also stimmen. Bei der hier gebotenen Abwägung zwischen dem von dem Gesetz verfolgten Gemeinwohlbelang und dem Interesse des Einzelnen, in dessen Rechte eingegriffen ist, ist insbesondere die im Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG zum Ausdruck kommende Wertung zu berücksichtigen, dass die Berufswahl grundsätzlich frei sein soll,[21] so dass Eingriffe in die Berufswahlfreiheit schwerer zu rechtfertigen sind als Eingriffe in die bloße Berufsausübung. Insoweit hat das BVerfG folgende „Abwägungsregel“ entwickelt (sog. Drei-Stufen-Theorie): Objektive Berufszulassungsregeln sind nur zur Abwehr nachweisbarer schwerer Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter zulässig. Subjektive Berufszulassungsregeln sind zulässig zum Schutz bedeutsamer Gemeinschaftsgüter. Reine Berufsausübungsregelungen können nur durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden.

 

Anmerkung: Ähnlich wie die Wechselwirkungslehre zu Art. 5 Abs. 1 GG (siehe hierzu den High-ist-Okay-Fall) wird man die Drei-Stufen-Theorie nicht als besondere Grundrechtsschranke zu verstehen haben, sondern letztlich als typisierte Verhältnismäßigkeitsprüfung i.e.S. Der Drei-Stufen-Theorie ist damit zu entnehmen, welchen Rang ein mit einer staatlichen Maßnahme verfolgter Zweck haben muss, um bestimmte Eingriffe in die Berufsfreiheit als angemessen, zumutbar oder verhältnismäßig i.e.S. erscheinen zu lassen.[22]

 

Hieraus folgt auch, dass dann, wenn eine Vorschrift als objektive Berufszulassungsregel angemessen ist, sie auch als Berufsausübungsregel angemessen ist.

Bei der Prüfung der Frage, ob § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO als objektive Berufszulassungsregel, als „Berufsverbot“, angemessen ist, ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der „Sittenwidrigkeit“ als Generalklausel es ermöglicht, § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO eng auf die Fälle bezogen auszulegen, in denen eine bestimmte Zurschaustellung gegen die Wertordnung des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte anderer verstößt.[23] Damit ist nicht zwingend jede Zurschaustellung, die das Empfinden des überwiegenden Teils der Bevölkerung oder das Empfinden aller billig und gerecht Denkenden stört, zwangsläufig als sittenwidrig anzusehen.[24] Wenn aber eine bestimmte Zurschaustellung gegen die Wertordnung der Grundrechte verstößt und damit als „sittenwidrig“ i.S.d. § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO verstanden werden kann, dann liegt auch ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut vor, zu dessen Schutz nach der Drei-Stufen-Theorie auch das generelle Verbot der Ausübung bestimmter Berufe als gerechtfertigt erscheint. Es sind auch ohne weiteres Fälle denkbar, in denen unter Berücksichtigung der Wertordnung des Grundgesetzes die gewerbsmäßige Zurschaustellung bestimmter Personen als unvereinbar etwa mit der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG erscheint: Ein solcher Fall ist wohl beim sogenannten Zwergewerfen gegeben[25] oder generell bei der Zurschaustellung körperlich behinderter Personen als „Monstren“ oder „Freaks“, dies vor allem dann, wenn sie sich wegen Willensschwäche, Minderjährigkeit o.ä. nicht gegen eine solche Zurschaustellung wehren können. Versteht man § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO so, ist die Vorschrift - auch als  Berufszulassungsregel - angemessen und verhältnismäßig i.e.S. und daher mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

 

(4) Ergebnis zu aa)

Damit ist § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO als solcher verfassungsgemäß.

 

bb) Verfassungsmäßigkeit des im Wege der Auslegung des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO aufgestellten Peepshow-Verbots

Dass § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO verfassungsmäßig ist, bedeutet aber nicht, dass jede beliebige Auslegung des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO verfassungsgemäß ist. Im vorliegenden Fall wurde in Auslegung des § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO der Rechtssatz aufgestellt, dass gerade auch Peepshows nicht zugelassen werden dürfen. Das Bezirksamt Mitte und das Verwaltungsgericht Berlin hätten dementsprechend die Bedeutung der Grundrechte, hier des Art. 12 Abs. 1 GG, verkannt, wenn ein entsprechendes Berufsverbot vom Gesetzgeber selbst nicht hätte erlassen werden dürfen.[26] Dies wäre der Fall, wenn eine solche Regelung nicht verhältnismäßig (i.w.S.) wäre. Ziel des Peepshow-Verbots soll nach den Begründungen der Behördenentscheidungen und des Urteils des Verwaltungsgerichtes sein, zu verhindern, dass die dort beschäftigten Frauen zum Objekt degradiert werden. Dass ein Verbot von Peepshows zu diesem Zweck geeignet und erforderlich ist, unterliegt keinen Zweifeln. Fraglich ist jedoch, ob das Peepshow-Verbot - unter Berücksichtigung der Wertungen der Drei-Stufen-Theorie - auch als angemessen (verhältnismäßig i.e.S.) angesehen werden kann. Dies wäre nach dem oben Gesagten nur der Fall, wenn dieses Berufsverbot (eine objektive Berufszulassungsregel) zur Abwehr nachweisbarer und schwerer Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter dient. Hier könnte das Betreiben der Peepshow gegen die von Art. 1 Abs. 1 GG geschützte - und damit als überragend wichtiger Gemeinschaftswert anerkannte - Menschenwürde der dort „ausgestellten“ Frauen verstoßen.

 

(1) Herabwürdigung der Frauen zum Objekt?

Die  Menschenwürde ist verletzt, wenn eine einzelne Person zum Objekt herabgewürdigt wird.

 

Dabei kann der die Menschenwürde verletzende Angriff auch - wie hier - von Privatpersonen ausgehen. In einem solchen Fall ist der Staat aufgrund seiner aus Art. 1 Abs. 1 GG herzuleitenden Schutzpflicht gehalten, sich schützend vor den Verletzten zu stellen und Angriffe - im Rahmen des rechtlich Möglichen - abzuwehren.[27] Dass in einer Peepshow - wenn sie so, wie im Sachverhalt beschrieben, durchgeführt wird - die Frauen zum Objekt degradiert werden, liegt aufgrund des geschilderten Automateneffekts wohl nahe. Die Frau wird entpersonifiziert vermarktet. Sie wird vom Veranstalter wie eine der sexuellen Stimulierung dienende Sache zur entgeltlichen Betrachtung dargeboten und jedem der in den Einzelkabinen befindlichen, der Frau nicht sichtbaren Zuschauer als bloßes Anregungsobjekt zur Befriedigung sexueller Interessen angeboten.[28]

 

(2) Bedeutung der Freiwilligkeit des „Sich-Herabwürdigens“

Jedoch könnte einer Verletzung der Menschenwürde entgegenstehen, dass sich die Frauen freiwillig zum Objekt herabwürdigen lassen. Grundsätzlich wird die Menschenwürde als unverzichtbar und damit als ein unverfügbarer Wert angesehen.[29] Jedoch könnte sich gerade in der Freiwilligkeit des „Sich-Herabwürdigens“ der Autonomiegehalt der Menschenwürde zeigen, der verbietet, dass „dem einzelnen Menschen in der überkommenen paternalistischen Manier vorgeschrieben wird, wie er seiner eigenen Würde die gebührende Achtung entgegenzubringen habe“.[30]

 

(3) Menschenwürde als überragendes Gemeinschaftsgut

Jedoch hindert dieser „Autonomiegehalt“ der Menschenwürde andererseits auch nicht, dass der Staat die Menschenwürde als „objektiven Wert“ und damit als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut wegen ihrer über den Einzelnen hinausreichenden Bedeutung auch gegenüber der Absicht der konkret Betroffenen verteidigt. Insoweit kann es hier darauf ankommen, ganz allgemein eine Diskriminierung aller Frauen durch eine zunehmend objekthafte und kommerzialisierte Betrachtung zu verhindern.[31] Insoweit geht es bei dem Verbot von Peepshows weniger darum, die Frauen vor sich selbst zu schützen, als generell die Rechtsordnung so auszugestalten, dass sie der Menschenwürde - beschränkt auf den Bereich öffentlicher, gewerblicher Veranstaltungen - als Wert an sich Rechnung trägt.[32]

 

(4) Ergebnis zu bb)

Folgt man dem, dann dient ein auch gegen den Willen der Betroffenen erlassenes Peepshow-Verbot noch der Menschenwürde und damit einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut und erscheint insoweit als angemessen und verhältnismäßig.[33]

 

Anmerkung: Die Peepshow-Entscheidungen sind erheblich umstritten, so dass natürlich - insbesondere im Hinblick auf die Freiwilligkeit des „Sich-zum-Objekt-Degradierens“ - auch eine andere Auffassung vertretbar ist. Dann wäre der Eingriff nicht durch ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut gedeckt, so dass die Behörden und das Verwaltungsgericht mit der Genehmigungsablehnung bzw. ihrer Bestätigung gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen hätten.

 

cc) Ergebnis zu c)

Damit war die Ablehnung der Genehmigung nach § 33a GewO und der hierin liegende Eingriff in die Berufsfreiheit Heins verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

 

d) Ergebnis zu 1.

Somit verletzt weder die Entscheidung des Bezirksamts Mitte noch deren Bestätigung durch das Verwaltungsgerichts Berlin Heins Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

 

2. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn die angegriffene Maßnahme zwei (oder mehr) in den wesentlichen Punkten vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt, ohne dass sich für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund finden ließe, wobei als Differenzierungskriterien von vornherein diejenigen Aspekte außer Betracht zu bleiben haben, auf die nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nicht zurückgegriffen werden darf.

 

Anmerkung: Da Art. 3 Abs. 1 GG alle Lebensbereiche umfasst, findet hier eine Schutzbereichsprüfung nicht statt. Siehe hierzu auch den Strickliesel-Fall.

 

a) Ungleichbehandlung gegenüber dem Striptease

Die Ungleichbehandlung gegenüber dem Striptease ist sachlich gerechtfertigt, weil Striptease eine „Tanzveranstaltung“ im weitesten Sinne ist, insbesondere kein Automateneffekt und keine bewusst geschaffene Möglichkeit zur Selbstbefriedigung besteht.[34]

 

Anmerkung: Ebenfalls nach § 33a Abs. 2 Nr. 2 GewO nicht erlaubnisfähig - so dass insoweit schon keine Ungleichbehandlung vorliegt - ist jedoch die öffentliche Vorführung sogenannter „geschlechtlicher“ Handlungen, wie die Ausführung des Geschlechtsverkehrs und der Selbstbefriedigung auf der Bühne, was das BVerwG allerdings nicht mit einem Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG begründet, sondern mit dem Empfinden des überwiegenden Teils der Bevölkerung.[35]

 

b) Ungleichbehandlung gegenüber der Prostitution

Die Ungleichbehandlung gegenüber der Prostitution ist sachlich gerechtfertigt, weil sich hierbei die Frau ihre Kunden aussucht, so dass Steuerungsmöglichkeiten bestehen und die Frau handelndes Subjekt bleibt. Insoweit ist einerseits zu berücksichtigen, dass zwar die gewerbsmäßige Förderung der Prostitution und Zuhälterei verboten sind (§§ 180 a, 181 a StGB) und Prostitution durch Landesverordnung in bestimmten Sperrgebieten verboten werden kann (Art. 297 EGStGB, § 120 OWiG), hieraus sich im Umkehrschluss aber die grundsätzliche Zulässigkeit der Prostitution ergibt. Dem entspricht, dass nach § 1 des Prostitutionsgesetzes vom 20. Dezember 2001 entgeltlich vereinbarte sexuelle Handlungen bzw. das Bereithalten hierfür eine rechtswirksame Forderung begründen.

 

Anmerkung: Siehe zum Prostitutionsgesetz auch den Straßenschlussstrich-Fall.

 

c) Ungleichbehandlung gegenüber Pornofilmen und Videokabinen

Die Ungleichbehandlung gegenüber Pornofilmen und Videokabinen ist sachlich gerechtfertigt, weil auch hier kein „Automateneffekt“ vorliegt, sondern der Film als vermittelndes und begrenzendes Medium zwischen die Frau und den „Nutzer“ tritt. Im Übrigen fehlt es für ein Verbot von Pornofilmvorführungen - soweit nicht die Grenze des § 184 StGB überschritten wird (und damit die polizeiliche Generalklausel zum Einsatz kommen kann) - an einer gesetzlichen Grundlage für eine behördliche Untersagung, so dass schon deshalb nicht von einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung durch die Behörden und Gerichte gesprochen werden kann.[36]

 

d) Ungleichbehandlung gegenüber anderen Peepshow-Betreibern

Die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Peepshow-Betreibern ist schließlich zwar sachlich nicht gerechtfertigt, jedoch ergibt sich hieraus kein Anspruch auf Genehmigungserteilung, da die Verwaltung und Gerichte an das Gesetz gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG) und niemand einen Anspruch auf rechtswidriges Handeln der Verwaltung und der Gerichte hat. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht.[37]

 

Anmerkung: Aus diesem Grund käme man selbst dann nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn man der Ansicht wäre, dass eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung z.B. zwischen Prostitution und dem Betreiben einer Peepshow vorliegt. Folgt man der Auffassung des BVerwG zur Sittenwidrigkeit von Peepshows und nimmt man an, dass Art. 1 Abs. 1 GG zwingend das Verbot von Peepshows gebietet (der Gesetzgeber letztlich also wegen Art. 1 Abs. 3 GG keinen Entscheidungsspielraum hätte), und überträgt man diese Überlegung auch auf die Prostitution, so läge die Ungleichbehandlung zwischen Peepshow und Prostitution vor allem darin, dass Prostitution ungerechtfertigterweise nicht verboten ist, obwohl Art. 1 Abs. 1 GG auch hier zwingend ein Verbot verlangen würde. Eine Gleichbehandlung dahingehend, dass sowohl Peepshow als auch Prostitution zu erlauben wären, käme also auf der Grundlage der Argumentation des BVerwG nicht in Betracht. Es würde sich hier somit wieder das Problem der Gleichbehandlung im Unrecht stellen. Die Verfassungsbeschwerde hätte daher selbst dann, wenn man von einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen Prostitution und Peepshow ausgeht, keine Aussicht auf Erfolg: Ein Grundrecht wird nicht verletzt, wenn jemandem eine Begünstigung, die andere unzulässigerweise erhalten, vorenthalten wird, sofern eine Ausweitung der Begünstigung auch auf den Beschwerdeführer aus verfassungsrechtlichen Gründen (hier Art. 1 Abs. 1 GG) gar nicht in Betracht käme.

 

e) Ergebnis zu 2.

Folgt man dem, so verletzt weder die Entscheidung des Bezirksamt Mitte, noch deren Bestätigung im Widerspruchsverfahren und durch das Verwaltungsgerichts Berlin das Gleichbehandlungsgebot.

 

Anmerkung: Folgt man dagegen der Ansicht des BVerwG nicht, dass der Betrieb von Peepshows gegen die Menschenwürde verstößt, entfiele gerade das „Menschenunwürdige“ der Peepshows als Differenzierungskriterium gegenüber Striptease, Prostitution etc. Somit läge in der Verfassungswidrigkeit des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG des Peepshow-Betreibers zugleich auch eine rechtswidrige Ungleichbehandlung, insbesondere gegenüber den übrigen Peepshow-Unternehmen, die geduldet werden. Eine solche Ungleichbehandlung durch rechtswidriges Handeln wird in der Regel aber nicht als selbständiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, weil die Ungleichbehandlung gerade in dem Verstoß gegen ein anderes Grundrecht liegt.[38]

 

3. Ergebnis zu I.

Indem es das Bezirksamt und das Verwaltungsgericht für zulässig halten, Hein die Genehmigung zum Betrieb einer Peepshow zu untersagen und ihm damit diese Tätigkeit wegen  § 144 Nr. 1 lit. c GewO letztlich verbieten, haben sie somit weder Grundrechte Heins aus Art. 12 GG noch aus Art. 3 GG verletzt.

 

II. Grundrechtsverletzung durch Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör

Hein könnte durch die Gestaltung des Gerichtsverfahrens durch das Verwaltungsgericht Berlin in seinem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden sein, weil die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Ballmann während der Rechtsausführungen von Heins Rechtsanwalt Sartorius eingeschlafen ist und sich später weigerte, dessen Ausführungen vor Urteilsfällung wiederholen zu lassen.[39]

 

1. Schutzbereich

Die Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet einerseits, dass einem Prozessbeteiligten vor Erlass einer Entscheidung die Gelegenheit gegeben wird, sich in sachlicher und rechtlicher Hinsicht äußern zu können, andererseits, dass das Gericht dieses Vorbringen auch zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht.[40] Letzteres setzt bei mündlichen Verhandlungen voraus, dass der Richter aufnahmebereit ist, also insbesondere nicht schläft.[41] Aus Art. 103 Abs. 1 GG lässt sich also ein grundrechtlich verbürgter Anspruch auf einen wachen (und aufmerksamen) Richter herleiten.

 

2. Eingriff

Da Richterin Dr. Ballmann während der mündlichen Verhandlung geschlafen hat und sich auch weigerte, Sartorius die Ausführungen wiederholen zu lassen, könnte auch ein Eingriff in dieses Recht vorliegen. Ein Eingriff in das Grundrecht auf rechtliches Gehör liegt jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht schon dann vor, wenn das Gericht den dargestellten Anforderungen nicht gerecht wird. Vielmehr ist ein - grundsätzlich niemals verfassungsrechtlich zu rechtfertigender - Eingriff nur dann gegeben, wenn ein zunächst unterbliebenes rechtliches Gehör in derselben Instanz oder in der Rechtsmittelinstanz nicht nachgeholt wird[42] und die Gerichtsentscheidung auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruht, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Betroffenen günstigeren Entscheidung geführt hätte.

Ob im vorliegenden Fall das zunächst unterbliebene rechtliche Gehör in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt worden ist, ist fraglich: Zwar konnte Sartorius in dem Antrag auf Berufungszulassung seine vor dem Verwaltungsgericht mündlich vorgetragenen Argumente schriftlich wiederholen (§ 124 a Abs. 4 VwGO), aber es darf nicht verkannt werden, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht in eine vollständige rechtliche Würdigung des Falles eintritt, sondern allein die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 VwGO überprüft. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht bereits bei jeder fehlerhaften Entscheidung des Verwaltungsgerichtes vor. Damit ist das Berufungszulassungsverfahren nach §§ 124 f. VwGO grundsätzlich nicht dazu geeignet, Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu heilen.

Bei der Frage, ob die Gerichtsentscheidung auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beruht, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Betroffenen günstigeren Entscheidung geführt hätte, prüft das BVerfG nicht, ob die Entscheidung unter Berücksichtigung des einfachen Rechts nicht anders hätte ausfallen können, weil es nicht Aufgabe des BVerfG ist, einfaches Recht auszulegen, sofern hiervon Verfassungsrecht nicht berührt wird.[43] Gerade dies ist im vorliegenden Fall jedoch gegeben: Folgt man der Ansicht des BVerwG, dass das Betreiben einer Peepshow gegen die Menschenwürde verstößt und deshalb unzulässig ist, wäre eine andere Entscheidung letztlich von Verfassungs wegen nicht möglich gewesen. Deshalb ist es ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei Gewährung rechtlichen Gehörs anders entschieden hätte.

 

Anmerkung: Folgt man dagegen der Ansicht des BVerwG, dass der Betrieb von Peepshows gegen die Menschenwürde verstößt, nicht, dann läge eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG vor, so dass auch insoweit die Verfassungsbeschwerde begründet wäre.

 

Ein Eingriff in Art. 103 Abs. 1 GG liegt damit nicht vor.

 

3.  Ergebnis zu II.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat damit Heins Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG im Ergebnis nicht verletzt.

 

III. Grundrechtsverletzung durch die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) Heins verletzt haben, indem es ihn in der Beschlussbegründung als „gerichtsgefürchteten, skrupel- und gewissenlosen Gastwirt“ bezeichnet hat.

 

1. Schutzbereich

Hein sieht sich durch die Beschlussbegründung in seiner Ehre verletzt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst u.a. auch das Recht der persönlichen Ehre.[44]

 

Anmerkung: Vgl. zum Verhältnis zwischen der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit und dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht z.B. Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 391 ff.

 

Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist also betroffen.

 

2. Eingriff

Das BVerfG hat schon sehr früh festgestellt, dass nicht nur der Urteilstenor selbst einen Eingriff in Grundrechte bewirken kann, sondern auch die Urteilsbegründung, etwa dann, wenn sie Beleidigungen oder besonders abwertende Urteile über einen Verfahrensbeteiligten enthält, oder auch dann, wenn ein Angeklagter wegen Mangels an Beweisen freigesprochen wird, obwohl er offensichtlich wegen erwiesener Unschuld hätte freigesprochen werden müssen.[45]

Das Oberverwaltungsgericht hat Hein in der Begründung seines Beschlusses als „skrupel- und gewissenlos“ bezeichnet, also eindeutig mit negativen Bewertungen belegt. Damit hat es in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen.

 

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Der Eingriff könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein: Die grundsätzliche Befugnis der Gerichte, in die Entscheidungsgründe auch wertende Äußerungen über die Verfahrensbeteiligten aufzunehmen, ergibt sich letztlich aus der in den verschiedenen Prozessordnungen angeordneten Pflicht, Gerichtsentscheidungen zu begründen, also die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind (vgl. für den Verwaltungsprozess § 117 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 108 Abs. 1 S. 2 VwGO [für Urteile] sowie § 122 Abs. 2 S. 1 VwGO [für Beschlüsse]).

Verlangt aber der Gesetzgeber, dass Gerichte ihre Entscheidungen begründen, kann es hierbei im Einzelfall notwendig sein, auch abwertende Äußerungen über einen Verfahrensbeteiligten oder Dritten in die Entscheidung aufzunehmen, etwa bezüglich der Unglaubwürdigkeit eines Zeugen, der „Unzuverlässigkeit“ eines Klägers, der einen Waffenschein beantragen will, des „groben Unverstandes“ eines Angeklagten im Fall des § 24 Abs. 3 StGB etc. Deshalb nimmt das BVerfG einen nicht mehr durch die gesetzliche richterliche Begründungspflicht gedeckten und damit grundrechtsverletzenden Grundrechtseingriff erst an, wenn er - für sich genommen - den „Beleidigten“ so belastet, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts gegeben ist.[46] Kritische Bewertungen menschlicher Eigenschaften überschreiten dieses Maß erst dann, wenn sie sich nicht mehr auf das den Gegenstand des Verfahrens bildende Verhalten des Beteiligten beziehen, dem Verfahrensgegenstand nicht mehr angemessen sind oder formale Beleidigungen enthalten.[47]

Letzteres ist im vorliegenden Fall gegeben: Die Äußerung, dass Hein „skrupel- und gewissenlos“ sei, hat mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts mehr zu tun, es handelt sich letztlich um ein „obiter dictum“, das zur Entscheidungsbegründung nicht notwendig war, gerade deshalb auch eine nicht mehr zumutbare Beeinträchtigung von Heins Persönlichkeitsrecht bildet und damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt war.

 

4. Ergebnis zu III.

Die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts verletzt damit Heins allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

 

IV. Ergebnis zu B.

Da die Genehmigungsablehnung durch das Bezirksamt Mitte und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin keine Grundrechte Heins verletzen, ist die Verfassungsbeschwerde insoweit unbegründet. Begründet ist sie jedoch, soweit sie sich auf die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg bezieht.

 

C. Gesamtergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist somit gegen alle angegriffenen Entscheidungen zulässig, jedoch nur begründet, soweit sie sich auf die Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg bezieht. Das BVerfG wird also feststellen, dass die Begründung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verstößt (§ 95 Abs. 1 S. 1 BVerfGG), im Übrigen die Verfassungsbeschwerde zurückweisen. Nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 2 BVerfGG müsste das BVerfG zudem den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufheben, mit der Folge, dass er rückwirkend als nicht ergangen gilt, über die Berufungszulassung also ein neuer Beschluss ergehen müsste. Das BVerfG beschränkt sich allerdings in ständiger Rechtsprechung auf die bloße Feststellung nach § 95 Abs. 1 S. 1 BVerfGG, wenn der sachliche Inhalt der Entscheidung durch die Grundrechtsverletzung nicht berührt wird.[48] Ein solcher Fall liegt hier wohl vor: Da es sich bei den beleidigenden Äußerungen in den Beschlussgründen nicht um die tragenden Gründe handelt, sie vielmehr gleichsam nebenbei fallen, wird der sachliche Inhalt der Entscheidung (Nichtzulassung der Berufung) hiervon nicht berührt.

 

Siehe hierzu:

  • BVerfG NJW 1987, 3246 f.; GewArch 1990, 275 f.; BVerwGE 64, 274 ff.; BVerwGE 84, 314 ff.; BVerwG NJW 1996, 1423 ff.; GewArch 1998, 419 ff.; BVerwG, 6 C 16.02 v. 6.11.2002, = NVwZ 2003, 603 ff.; VGH München NVwZ 1986, 1034; Aubel, Die Verwaltung 37 (2004), 229 ff.; Köhne, GewArch 2004, 285 ff.; 
  • zum vergleichbaren Fall des sog. Zwergenweitwurfs: VG Neustadt NVwZ 1993, 98 ff.;
  • ferner die Fallbearbeitung von Christensen/Jeand'Heur, Jura 1994, 327 ff.

 

 

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich

Stand der Bearbeitung: Dezember 2011


[1] BVerfGE 6, 7, 9; 28, 151, 160; 74, 358, 374.

[2] U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 404.

[3] Vgl. hierzu BVerfGE 20, 257, 260, 271; BVerfGE 96, 152, 162; BVerfGE 96, 171, 180; BVerfG, 1 BvR 670/91 v. 26.6.2002, Abs. 102 = BVerfGE 105, 279, 311 f.; Stark, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 95 Rn. 61; U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 405.

[4] Siehe hierzu Benda/Klein, Rn. 511; Lechner/Zuck, § 90 Rn. 145c.

[5] U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 410.

[6] BVerfG, 1 BvR 848/07 v. 25. 11. 2008, Abs. 30 = BVerfGE 122, 190, 198.

[7] vgl. Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 152a Rn. 16.

[8] Sperlich, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 90 Rn. 127.

[9] BVerfGE 69, 122, 124 ff; BVerfG, 1 BvR 1502/08 v. 4. 5. 2011, Abs. 48 f. = NVwZ 2011, 991.

[10] BVerfGE 20, 283, 290; 46, 246, 256; 81, 70, 82 f.; BVerfG, 1 BvR 3222/09 v. 27. 1. 2011, Abs. 28 = NJW 2011, 1578.

[11] BVerwGE 22, 286, 289.

[12] So z. B. BVerwGE 22, 286, 289 zur Prostitution; siehe aber zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [ProstG]: Wohlfarth, LKRZ 2007, 376, 378; Gurlit, GewArch 2008, 426 ff.; Renzikowski, GewArch 2008, 432 ff.

[13] In diese Richtung auch Berg, GewArch 1977, 249 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 26 (Bearbeitung 1982).

[14] Ebenso - ohne nähere Begründung - BVerfG NJW 1987, 3246; BVerfG GewArch 1990, 275; VGH München NVwZ 1986, 1034; ferner Stiebig, BayVBl. 2004, 545, 548 (zur Prostitution).

[15] So etwa BVerfG, 1 BvR 596/56 v. 11.6.1958, Abs. 57 = BVerfGE 7, 377, 397; BVerfGE 68, 227, 281 - ohne dass dies jeweils entscheidungserheblich gewesen wäre.

[16] So auch BVerwGE 22, 286, 288.

[17] So VGH München NJW 1987, 727 [für gewerbliches Vornehmen rechtswidriger Schwangerschaftsabbrüche]; OVG Münster NJW 1986, 2783 [für gewerbliches Beigeben von Dietyhlenglykol in Wein]; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 28 [für gewerbsmäßigen Diebstahl und Hehlerei].

[18] So etwa Berg, Rn. 595; ders., GewArch 1977, 249 ff.; Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. 1997, § 33 Rn. 15; Suerbaum, DVBl 1999, 1690 ff.

[19] BVerfG, 1 BvR 596/56 v. 11.6.1958, Abs. 67 ff. = BVerfGE 7, 377, 401 ff.

[20] Berg, Rn. 597 ff.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 877.

[21] BVerfG, 1 BvR 596/56 v. 11.6.1958, Abs. 75 ff. = BVerfGE 7, 377, 406.

[22] In diese Richtung auch Stern III/2, § 84 III 5 c, S. 801  f.; wie hier mit ausführlicher Begründung J. Ipsen, JuS 1990, 634 ff.; zur traditionellen Einordnung der Drei-Stufen-Theorie in den Prüfungsaufbau siehe Berg, Rn. 599 ff.

[23] BVerwGE 64, 274, 277; vgl. auch BVerfGE 7, 198, 215.

[24] Hierauf stellt aber BVerwGE 84, 314, 317 ff. ab.

[25] VG Neustadt NVwZ 1993, 98; Christensen/Jeand'Heur, Jura 1994, 327, 330.

[26] BVerfG, 1 BvR 594/06 v. 20.6.2006, Abs. 10 = NJW 2006, 2469

[27] BVerwGE 64, 274, 278

[28] So BVerwGE 64, 274, 279; bestätigt durch BVerwG, 6 C 16.02 v. 6.11.2002, Abs. 21 und 24 = NVwZ 2003, 603, 604.

[29] BVerfG NJW 1982, 375 - Lügendetektor-Fall.

[30] So Könle, GewArch 2004, 285 ff.; Stern III/1, § 58 II 6 c, S. 31; s.a. Pieroth/Schlink, Rn. 354 ff.

[31] VGH München NVwZ 1986, 1034, 1035.

[32] In diese Richtung BVerwGE 64, 274, 280; hiergegen Aubel, Die Verwaltung 2004, S. 229, 245 ff.

[33] So wohl auch BVerfG NJW 1987, 3246 und GewArch 1990, 275.

[34] Vgl. BVerwGE 74, 29, 30.

[35] BVerwGE 64, 280, 282, 284; BVerwGE 74, 29, 31 f.

[36] BVerwGE 74, 29, 33.

[37] Berg, Rn. 631 f.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 877.

[38] Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 493.

[39] Vgl. zum folgenden Berg, Rn. 495; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Rn. 1176 ff.

[40] BVerfGE 86, 133, 145.

[41] Vgl. hierzu BVerwG NJW 1986, 2721 f.; NJW 2001, 2898 f.

[42] BVerfGE 5, 9, 10.

[43] BVerfGE 7, 275, 281

[44] BVerfGE 54, 208, 217.

[45] Vgl. BVerfGE 6, 7, 10; BVerfGE 28, 151, 160, 163.

[46] BVerfGE 28, 151, 161.

[47] BVerfGE 28, 151, 163.

[48] BVerfGE 10, 32, 34 f.; BVerfGE 89, 381, 393 f.

 


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Fußnoten

[1] BVerfGE 6, 7, 9; 28, 151, 160; 74, 358, 374.

[2] U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 404.

[3] Vgl. hierzu BVerfGE 20, 257, 260, 271; BVerfGE 96, 152, 162; BVerfGE 96, 171, 180; BVerfG, 1 BvR 670/91 v. 26.6.2002, Abs. 102 = BVerfGE 105, 279, 311 f.; Stark, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 95 Rn. 61; U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 405.

[4] Siehe hierzu Benda/Klein, Rn. 511; Lechner/Zuck, § 90 Rn. 145c.

[5] Sperlich, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 90 Rn. 127.

[6] BVerfGE 69, 122, 124 ff.

[7] BVerfGE 20, 283, 290; 46, 246, 256; 81, 70, 82 f.

[8] U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 410.

[9] BVerwGE 22, 286, 289.

[10] So z. B. BVerwGE 22, 286, 289 zur Prostitution; siehe aber zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [ProstG]: Wohlfarth, LKRZ 2007, 376, 378; Gurlit, GewArch 2008, 426 ff.; Renzikowski, GewArch 2008, 432 ff.

[11] In diese Richtung auch Berg, GewArch 1977, 249 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 26 (Bearbeitung 1982).

[12] Ebenso - ohne nähere Begründung - BVerfG NJW 1987, 3246; BVerfG GewArch 1990, 275; VGH München NVwZ 1986, 1034; ferner Stiebig, BayVBl. 2004, 545, 548 (zur Prostitution).

[13] BVerfG, 1 BvR 596/56 v. 11.6.1958, Abs. 67 ff. = BVerfGE 7, 377, 401 ff.

[14] Berg, Rn. 597 ff.; Pieroth/Schlink, Rn. 808.

[15] BVerfG, 1 BvR 596/56 v. 11.6.1958, Abs. 75 ff. = BVerfGE 7, 377, 406.

[16] BVerwGE 64, 274, 277; vgl. auch BVerfGE 7, 198, 215.

[17] Hierauf stellt aber BVerwGE 84, 314, 317 ff. ab.

[18] VG Neustadt NVwZ 1993, 98; Christensen/Jeand'Heur, Jura 1994, 327, 330.

[19] BVerfG, 1 BvR 594/06 v. 20.6.2006, Abs. 10 = NJW 2006, 2469

[20] BVerwGE 64, 274, 278

[21] So BVerwGE 64, 274, 279; bestätigt durch BVerwG, 6 C 16.02 v. 6.11.2002, Abs. 21 und 24 = NVwZ 2003, 603, 604.

[22] BVerfG NJW 1982, 375 - Lügendetektor-Fall.

[23] So Könle, GewArch 2004, 285 ff.; Stern III/1, § 58 II 6 c, S. 31; s.a. Pieroth/Schlink, Rn. 354 ff.

[24] VGH München NVwZ 1986, 1034, 1035.

[25] In diese Richtung BVerwGE 64, 274, 280; hiergegen Aubel, Die Verwaltung 2004, S. 229, 245 ff.

[26] So wohl auch BVerfG NJW 1987, 3246 und GewArch 1990, 275.

[27] Vgl. BVerwGE 74, 29, 30.

[28] BVerwGE 74, 29, 33.

[29] Berg, Rn. 631 f.; Pieroth/Schlink, Rn. 497.

[30] Vgl. zum folgenden Berg, Rn. 495; Pieroth/Schlink, Rn. 1076 ff.

[31] BVerfGE 86, 133, 145.

[32] Vgl. hierzu BVerwG NJW 1986, 2721 f.; NJW 2001, 2898 f.

[33] BVerfGE 5, 9, 10.

[34] BVerfGE 7, 275, 281

[35] BVerfGE 54, 208, 217.

[36] Vgl. BVerfGE 6, 7, 10; BVerfGE 28, 151, 160, 163.

[37] BVerfGE 28, 151, 161.

[38] BVerfGE 28, 151, 163.

[39] BVerfGE 10, 32, 34 f.; BVerfGE 89, 381, 393 f.