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Kriegsspielzeug (Kurzlösung)

Stattgabe, wenn Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet

A) Zulässigkeit

I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "jedermann")

(+), Berliner Spielzeugwerke AG ist juristische Person des Privatrechts Grundrechtsträgerin (Art.19 Abs. 3 GG)

 

II. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Akt der öffentlichen Gewalt")

(+) JuSchuVerVerKriegsSpielG ist Bundesgesetz = Akt der Legislative

 

III. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")

 

1. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG

(-), kein Eingriff durch JuSchuVerVerKriegsSpielG keine Betroffenheit der Eigentümerstellung und des Nutzungsrechts an Betriebsanlagen; kein Schutz von Gewinnerwartungen und Chancen sowie des „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ durch Eigentumsfreiheit

 

2. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG

(+), Schutzgut ist Freiheit des Betriebs einer Erwerbszwecken dienenden Tätigkeit, insbesondere eines Gewerbes, soweit Tätigkeitsausübung nach Wesen und Art in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person möglich hier nicht von vornherein ausgeschlossen

 

3. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG gerade durch das JuSchuVerVerKriegsSpielG

a) Selbstbetroffenheit

Gesetzesadressaten sind Einzelhändler, nicht Spielzeughersteller, hier dennoch (+), da eigentliches Normenziel nach Zweck/ Hauptwirkung geschützte Rechtssphäre des Bf. Wirtschaftliche Sinnlosigkeit der Herstellung durch Verkaufsverbot

b) Gegenwärtige Betroffenheit

- Angriff des Gesetzes vor In-Kraft-Treten; Verfassungsbeschwerde grds. erst nach In-Kraft-Treten, Ausnahme: Zwang zu Verhaltensänderung durch bereits verkündetes Gesetz, hier: (+), bereits jetzt Zwang zur Produktionsumstellung

c) Unmittelbare Betroffenheit

Unmittelbarkeit (+), kein weiterer Vollzugsakt für Verbot erforderlich

- Betroffenheit (+)

d) Bedeutung der möglichen Unionsrechtswidrigkeit des JuSchuVerVerKriegsSpielG

Wenn unionsrechtswidrig, dann keine unmittelbare Selbstbetroffenheit durch nationalrechtliches Verkaufsverbot?

Vorrang des EU-Rechts (Costa/ENEL) führt zu Unanwendbarkeit nicht Nichtigkeit der nationalen Norm (Simmenthal II)

Hier fraglich, ob JuSchuVerVerKriegsSpielG mit Art. 34 ff. AEUV und RL 2009/48/EG unvereinbar

Auch zweifelhaft, ob Unanwendbarkeit der Vorschriften hier von Bedeutung:

Bei Verstoß gegen Richtlinie – relevant

Bei Verstoß bloß gegen EU-Grundfreiheit – irrelevant: Hier inländisches Unternehmen, das sich ohne grenzüberschreitenden Bezug gegen inländische Regelung wehrt (Problem der Inländerdiskriminierung)

Aber selbst wenn Unanwendbarkeit des JuSchuVerVerKriegsSpielG, kann das nicht die Betroffenheit in Frage stellen: Es kann nicht an der Betroffenheit bei einem Gesetz fehlen, weil Gesetz verfassungswidrig und damit nichtig, sodass gar kein Grundrechtsverstoß möglich wäre. Verfassungswidrigkeit gerade mit Beschwerde zu klären. Gedanke zu übertragen auf Unionsrechtswidrigkeit.

Dass Gesetz evtl. auch unionsrechtswidrig, lediglich für Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bedeutsam – sodass ggf. erst die Unionsrechtswidrigkeit (fachgerichtlich) zu klären wäre

 

4. Ergebnis zu III

Beschwerdebefugnis (+)

 

IV.  Verfahrensfähigkeit

(+), Vornahme von Prozesshandlungen durch Vorstand als Vertreter (§ 78 Abs. 1 AktG)

 

V. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und "Subsidiarität" der Verfassungsbeschwerde

1. Subsidiarität wegen Möglichkeiten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes?

Frage, ob Bund berechtigt war, durch ein Parlamentsgesetz unmittelbar Grundrechte einzuschränken, lässt sich nicht als „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ qualifizieren, zu denen die Verwaltungsgerichte nach § 40 Abs. 1 VwGO berufen sind.

2. Subsidiarität wegen Notwendigkeit, eine Entscheidung des EuGH herbeizuführen?

Hier Besonderheit, weil JuSchuVerVerKriegsSpielG evtl. unionsrechtswidrig? Klärung durch EuGH nach Art. 267 AEUV

Da ggf. sowohl EuGH als auch BVerfG auf die Entscheidung zu Gültigkeit und Auslegung einer Norm aus anderer Rechtsordnung angewiesen, erkennt BVerfG dem Fachgericht ein Wahlrecht zu, ob Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erst nach Vorabentscheidung durch den EuGH eingeleitet wird.

 

VI. Frist (§ 93 Abs. 3 BVerfGG)

(+), Wahrung der Jahresfrist: Erhebung der Beschwerde vor In-Kraft-Treten

 

VII. Ergebnis zu A

Verfassungsbeschwerde zulässig

 

B) Begründetheit

(+), wenn Berliner Spielzeugwerke AG durch Gesetz in Grundrechten verletzt; In Betracht kommt nur Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (s.o. A III 1)

 

I. Schutzbereich

Schutzgut bzgl. juristischer Personen: Freiheit des Betriebs einer Erwerbszwecken dienenden Tätigkeit, insbesondere eines Gewerbes, soweit Tätigkeitsausübung nach Wesen und Art in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person möglich (s.o. A III 2). Schutzbereichseröffung (+), auch Plastik-Spielzeugfigurenherstellung zu Erwerbszwecken umfasst

 

II. Eingriff

(+), zwar kein Unmittelbares Herstellungsverbot, aber durch JuSchuVerVerKriegsSpielG wirtschaftliche Unmöglichkeit der Herstellung für die Berliner Spielzeugwerke AG, zumindest billigende Inkaufnahme der Folge - mittelbarer Eingriff über faktische Auswirkungen

 

III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Frage, ob JuSchuVerVerKriegsSpielG mit Unionsrecht vereinbar, nicht Prüfungsgegenstand der Vergassungsbeschwerde

1. Schrankenvorbehalt

Wortlaut Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG: Vorbehalt nur für Berufsausübung, nicht aber Berufswahl

BVerfG (Apothekenurteil): Berufsfreiheit = einheitliches Grundrecht mit einfachem Gesetzesvorbehalt

Argument: Trennung Berufswahl – Berufsausübung unmöglich ineinander greifende, sich berührende Phasen der beruflichen Betätigung (Berufswahl erster Akt der Berufsausübung, Berufsausübung immer Bestätigung der Berufswahl)

- JuSchuVerVerKriegsSpielG entspricht Schrankenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG.

 

2. Formelle Verfassungsmäßigkeit

Ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren und Beachtung der Formvorschriften: (+), mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben

 

a) Gesetzgebungskompetenztitel

Art. 73 I Nr. 12GG (-), Waffenrecht erfasst nur „echte Waffen“

Art. 74 I Nr. 7 GG (+), öffentliche Fürsorge umfasst Jugendfürsorge und Jugendschutz, hier Schutz von Kindern vor gewaltverharmlosendem und verherrlichendem Spielzeug

Art. 74 I Nr. 11 GG (+), alle Regelungen, die sich mit der Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs befassen

 

b) Besondere Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG

allg. Meinung: Geltung der strengen Kriterien des BVerfG aus „Altenpflegegesetzentscheidung“ auch für „Erforderlichkeitsklausel“ des Art. 72 II GG n.F.  Zwei-Schritt-Prüfung: 1. Zielvorgabenentsprechung der Regelung, 2. Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes zur Zielvorgabenerreichung

 

aa) Entspricht das JuSchuVerVerKriegsSpielG den Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG?

(1) Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet?

(+), wenn durch Regelung Verhinderung oder Umkehrung einer bereits eingetretenen oder konkret drohenden erheblichen Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern; „Gleichwertigkeit“≠ „Einheitlichkeit“

Hier: (-), keine erhebliche Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern ohne bundeseinheitliche Kriegsspielzeugverbotsregelung

(2) Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse?

(+), wenn erhebliche Rechtsunsicherheiten und unzumutbare Rechtsverkehrsbehinderungen bei unterschiedlicher Behandlung desselben Lebenssachverhalts in den Ländern

Hier: (+), Belastung des Kriegsspielzeugvertriebs mit erheblicher Rechtsunsicherheit bei unterschiedlichen Regelung in den verschiedenen Ländern

(3) Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse?

(+), wenn es um die Erhaltung der Funktionseinheit des Wirtschaftsraums durch bundeseinheitliche Rechtssetzung geht

(4) Ergebnis zu aa

Hier: wohl (+), unterschiedliche Regelung über Kriegsspielzeugvertrieb tangiert Bundesgebiet als einheitlichen Wirtschaftsraum

- Regelung entspricht Zielvorgaben

 

bb) Ist das JuSchuVerVerKriegsSpielG zur "Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse" erforderlich?

BVerfG: Erforderlichkeit = Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs in das Gesetzgebungsrecht der Länder: (+), wenn Zielvorgabenerreichung durch entsprechende Länderregelung unmöglich; Prognosespielraum des Bundesgesetzgebers

Hier: (+),Wirtschafts- und Rechtseinheit wahrende Regelung nur auf Bundesebene

- Erforderlichkeit (+)

 

cc) Ergebnis zu b

Art. 72 Abs. 2 GG (+)

 

c) Ergebnis zu 2

Formelle Verfassungsmäßigkeit JuSchuVerVerKriegsSpielG (+)

 

3. Bestimmtheitsgebot

Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 JuSchuVerVerKriegsSpielG zu unbestimmt?

(-), außerordentlich großer Anwendungsbereich (auch Cowboy-/Ritterfiguren erfasst) kein Bestimmtheits-, sondern Verhältnismäßigkeitsproblem

 

4. Materielle Verfassungsmäßigkeit

Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip?

(Legitimer) Zweck ist positive Beeinflussung des kindlichen Aggressionsverhaltens

 

a) Geeignetheit

(+), zwar Streit über die wirklichen Auswirkungen des Kriegsspielzeugs; allerdings Bejahung eines Zusammenhangs durch Langzeitstudie Anschließen an diese Meinung ist im Rahmen des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums

 

b) Erforderlichkeit

(+), keine gleiche Wirksamkeit von Appellen und (aufhebbaren) Selbstbeschränkungen des Handels im Vergleich zu Verkaufsverbot

 

c) Angemessenheit (Drei-Stufen-Theorie)

Objektive Berufszulassungsregeln: Zulässig zur Abwehr nachweisbarer schwerer Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter

Subjektive Berufszulassungsregeln: Zulässig zum Schutz bedeutsamer Gemeinschaftsgüter

Berufsausübungsregelungen: Rechtfertigung durch vernünftige Gemeinwohlgründe

Eingriffsqualität des JuSchuVerVerKriegsSpielG?

Kriegsspielzeugherstellung nach Berufsbild und technischer Ausstattung wohl kein eigenständiger Beruf: Maschinen zur billigen Massenproduktion von Plastikfiguren mit leicht austauschbaren Formen - Abstellen auf Beruf des Herstellers billiger Plastikfiguren zu Spielzwecken (a.A. vertretbar)

- Nicht „ob“ des Berufs des Plastikfigurenherstellers, sondern nur „wie“ durch Verbot betroffen

- Berufsausübungsregel Rechtfertigung durch vernünftige Gemeinwohlgründe

Gesetzesziel ist Abwendung von kindlichen Entwicklungsschäden - gesunde Kindesentwicklung = überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG); Berücksichtigung der Herstellerinteressen durch lange Übergangsfristen (5-jährige Umstellungszeit, 5-jähriger Weitervertrieb nach Verbot, vgl. §§ 4, 5 JuSchuVerVerKriegsSpielG)

- Eingriff angemessen

 

d) Ergebnis zu 4

JuSchuVerVerKriegsSpielG verhältnismäßig - insgesamt materiell verfassungsmäßig

 

5. Ergebnis zu III

Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt

 

IV. Ergebnis zu B

Keine Grundrechtsverletzung durch JuSchuVerVerKriegsSpielG - Verfassungsbeschwerde unbegründet

 

C) Gesamtergebnis

Verfassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet - keine Erfolgsaussichten

Ob JuSchuVerVerKriegsSpielG mit Unionsrecht vereinbar damit noch nicht geklärt


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