Gleichgeschaltet (Kurzlösung)
Erster Teil: Antrag des BRAUN
Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG
A. Zulässigkeit
I. Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG)
- BRAUN ist politische Partei i.S.d. § 2 PartG; nach BVerfG gleicher Begriff in Art. 21 GG; eventuelle Verfassungsfeindlichkeit ändert nach Art. 21 Abs. 2 GG nichts am Parteienstatus
- in § 63 BVerfGG Parteien nicht erwähnt; allgemein anerkannt, dass der weitere Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht einfachgesetzlich einschränken werden kann
1. Beteiligtenfähigkeit politischer Parteien nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
- nach BVerfG kann „anderer Beteiligter“ i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG nur sein, wer in Rang und Funktion den obersten Bundesorganen gleichsteht
- wg. Stellung der Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG könnten diese als „inkorporierte Teile der Staatlichkeit“ obersten Bundesorganen ebenbürtig sein
a) Frühere Auffassung des BVerfG zur Rechtsstellung politischer Parteien
- Parteien besitzen Quasi-Staatsorganqualität, deshalb Beteiligtenfähigkeit; Grund: mit Art. 21 GG wird der demokratische Parteienstaat verfassungsrechtlich legalisiert; Parteien sind zu integrierenden Bestandteile des Verfassungsaufbaus und stehen daher nicht wie andere soziale Gebilde dem Staate gegenüber
- Problem: politischen Parteien wäre Staatsorganqualität zuzuschreiben; damit entfiele Grundrechtsfähigkeit
b) Relativierung der früheren Auffassung durch das BVerfG
- Grds. der Staatsfreiheit der politischen Parteien ausgegangen; Parteien sind keine inkorporierten Teile der Staatlichkeit, sondern allein juristische Personen, welche durch Art. 21 GG besonderem staatlichen Schutz unterstellt werden; Konsequenz: Parteien können nur über eine Verfassungsbeschwerde vorgehen
c) Fortführung der Rechtsprechung zur Beteiligtenfähigkeit politischer Parteien im Organstreitverfahren
- nach st. Rspr. sind Parteien trotzdem im Organstreitverfahren beteiligtenfähig; (+) Gleichbehandlung der außerparlamentarischen Opposition hinsichtlich des Zugangs zum BVerfG (bei Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 2 BVerfGG muss Rechtsweg erschöpft werden
d) Ergebnis zu 1.
- BRAUN als Partei nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 als „andere Beteiligte“ beteiligtenfähig
2. Fortexistenz des BRAUN
- BRAUN aufgelöst, kann eigentlich nicht mehr nach § 3 PartG klagen; juristische Personen müssen sich aber gegen existenzvernichtende Maßnahmen wehren können; nach st. Rspr. gilt die Rechtspersönlichkeit der juristischen Person für den Prozess als fortbestehend, in dem es um die Verfassungsmäßigkeit der Auflösung geht
3. Ergebnis zu I.
- BRAUN ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als „anderer Beteiligter“ beteiligtenfähig
II. Beteiligtenfähigkeit der Antragsgegner (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG)
- Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident taugliche Antragsgegner
III. Tauglicher Organstreitgegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG)
- nach § 64 Abs. 1 BVerfGG: „Maßnahme oder Unterlassung“ des Antragsgegners; nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG: „Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans“; Ausgestaltung des Organstreitverfahrens als kontradiktorisches Verfahren durch § 64 BVerfGG ist zutreffende Konkretisierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
1. Gesetzgebungsbeschluss als „Maßnahme“ i. S. d. § 64 BVerfGG
- (-) Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in besonderen Verfahren (abstrakte/konkrete Normenkontrolle, Verfassungsbeschwerde); dafür enthält BVerfGG auch ausdrücklich Regelungen über die Nichtigkeitserklärungen von Gesetzen (§ 78, § 82, § 95 BVerfGG)
- (+) Organstreitverfahren zielt in andere Richtung als Normenkontrollverfahren: Prüfung, ob der Antragsgegner durch die angegriffene Maßnahme (gerade) die grundgesetzlich gewährten Rechte des Antragstellers verletzt hat
2. Gesetzgebungsbeschluss als „Maßnahme“ der Antragsgegner?
a) Zurechnung zum Bundestag
- (+) Art. 78, Art. 77 Abs. 1 S. 1, Art. 42 Abs. 1 GG Gesetz kommt nur durch Mehrheitsbeschluss im Bundestag zustande
b) Zurechnung zum Bundesrat
- (+) hat mitgewirkt nach Art. 78 GG, jedenfalls hat er das Zustandekommen des Gesetzes durch Unterlassen des Einspruchs gefördert
c) Zurechnung zum Bundespräsidenten
- (+) Gesetz kann ohne Ausfertigung und Verkündung nach Art. 82 Abs. 1 GG nicht in Kraft treten; kann nach ganz herrschender Auffassung verweigert werden, wenn der Bundespräsident das Gesetz für formell oder materiell verfassungswidrig hält
- (-) apolitische Stellung des Bundespräsidenten; keine Mgl. im Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG inhaltlich Einfluss zu nehmen; Pflicht zur Prüfung ist str.; keine Zurechnung (a.A. vertretbar)
3. Ergebnis zu III.
- Antrag gegen Bundestag und Bundesrat zulässig
IV. Antragsbefugnis (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)
- müsste als möglich erscheinen, dass das BRAUN durch den Erlass des Berlingleichschaltungsgesetzes in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten verletzt wird
1. Mögliche Verletzung durch § 3 Berlingleichschaltungsgesetz
- Verletzung der Parteigründungsfreiheit nach Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG mgl.
2. Mögliche Verletzung durch § 1 und § 2 Berlingleichschaltungsgesetz
- kein Recht aus Art. 21 GG, dass die Wahlperiode eines Parlaments und die Amtsperiode einer Regierung nur im verfassungsrechtlich vorgesehenen Rahmen (vorzeitig) beendet werden können; Trennung von Partei/Fraktion/Regierung
- aus Art. 21 GG kein Recht auf ausreichend lange Wahlperiode um sie für den darauffolgenden Wahlkampf wieder (als Partei) zu positionieren; Grundsatz der Gleichbehandlung nicht verletzt – für alle Parteien ist die verkürzte Wahlperiode gleich kurz
- keine Rechtsverletzung durch § 1, § 2 Berlingleichschaltungsgesetz
3. Ergebnis zu IV .
- BRAUN ist bzgl. der mgl. Rechtsverletzung durch § 3 Berlingleichschaltungsgesetz antragsbefugt
V. Verfahrensfähigkeit/Prozessfähigkeit
- wie BRAUN selbst, gelten seine Vertreter für den Prozess als fortbestehend; Vertretung durch den letzten Vorstand (§ 11 Abs. 3 S. 2 PartG i. V. mit § 26 Abs. 2 BGB)
VI. Frist (§ 64 Abs. 3 BVerfGG)
- nicht Inkrafttreten des Gesetzes ist entscheidend, sondern der Gegenstand des Organstreitverfahrens: Bekanntwerden des jeweiligen Normsetzungsaktes; keine Anhaltspunkte für schleppendes Gesetzgebungsverfahren, daher fristgemäß bzgl. Bundestagsbeschluss und Zustimmung Bundesrat
VII. Ergebnis zu A.
- Antrag gegen Erlass des § 3 Berlingleichschaltungsgesetz zulässig
B. Begründetheit
- Antrag begründet, wenn Gesetzesbeschluss des Bundestages und Zustimmung des Bundesrates zu § 3 Berlingleichschaltungsgesetz tatsächlich die verfassungsrechtlichen Rechte des BRAUN aus Art. 21 GG verletzen
I. Eingriff in Art. 21 Abs. 1 GG
- (+) (s. o. Erster Teil A. IV. 1.)
II. Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 21 Abs. 1 GG
- Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 21 Abs. 3 GG herleiten
- § 3 Berlingleichschaltungsgesetz ist jedoch materiell verfassungswidrig: Verstoß geg. sog. „Parteienprivileg“ des Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG
- keine Rechtfertigung über „Staatsnotstandserwägungen“; zum einen grds. umstritten, zum anderen liegt kein Staatsnotstand vor
- Vorgehen gegen „Belagerung“ über Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 68 ff. BVerfGG
III. Ergebnis zu B.
- § 3 Berlingleichschaltungsgesetz verletzt das BRAUN in Art. 21 GG
C. Ergebnis des Ersten Teils
- Antrag des BRAUN ist zulässig und begründet, soweit er sich gegen den Erlass von § 3 Berlingleichschaltungsgesetz durch den Bundestag und den Bundesrat richtet; BVerfG wird nach § 67 S. 1 BVerfGG die Verletzung feststellen
Zweiter Teil: Antrag der Saarländischen Landesregierung
- abstrakten Normenkontrolle i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. § 13 Nr. 6, §§ 76 ff. BVerfGG
A. Zulässigkeit
I. Antragsberechtigung (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG)
- Landesregierung ist antragsbefugt
II. Tauglicher Antragsgegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG)
- Bundesgesetz ist als Bundesrecht tauglicher Antragsgegenstand
III. Antragsgrund (§ 76 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BVerfGG)
- Saarländische Landesregierung hält das Berlingleichschaltungsgesetz insgesamt für unvereinbar mit Art. 20, Art. 21, Art. 28 Abs. 1 und Art. 30 GG und damit für nichtig
IV. „Objektives Klarstellungsinteresse“
- nach st. Rspr. des BVerfG ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung: „besonderes objektives Interesse“ des Antragstellers liegt aber schon dann vor, wenn der Antragsteller von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Bundesrecht überzeugt ist; KEINE ANTRAGSBEFUGNIS erforderlich; hier (+)
V. Ergebnis zu A.
- Antrag der Saarländischen Landesregierung zulässig
B. Begründetheit
- Antrag begründet, wenn das Berlingleichschaltungsgesetz formell oder materiell mit dem Grundgesetz unvereinbar ist; Verstoß von § 3 Berlingleichschaltungsgesetz gegen Art. 21 GG bereits festgestellt (s. o. Erster Teil B.); fragl., ob § 1 und § 2 Berlingleichschaltungsgesetz verfassungswidrig sind
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
- für § 1 und § 2 Berlingleichschaltungsgesetz fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz; Verfassungsrecht des Landes Berlin wird geändert; keine Kompetenz in den Art. 70 ff. GG; Art. 28 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 GG eröffnet keine Aufsichts-Kompetenzen des Bundes, sondern verweist auf verfassungsgerichtlichen Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GG und den Bundeszwang nach Art. 37 GG
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
- mit Zugriff auf Verfassungsraum der Länder Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 und Art. 30 GG (Bundesstaatsprinzip): Länder besitzen beschränkte aber eigene, d.h. vom Bund unabhängige staatliche Hoheitsmacht
III. Ergebnis zu B.
- Berlingleichschaltungsgesetz formell/materiell verfassungswidrig; Antrag begründet
C. Ergebnis des Zweiten Teils
- Antrag der Saarländischen Landesregierung zulässig und begründet; Folge: BVerfG wird das Berlingleichschaltungsgesetz nach § 78 S. 1 BVerfGG (insgesamt) für nichtig erklären
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