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Freudenhaus (Sachverhalt)

Im Reinickendorfer Ortsteil Lübars befindet sich seit einigen Jahren auf einem im unbeplanten Außenbereich liegenden Grundstück von Stefan Schandowsky ein massives Holzhaus mit ca. 70 qm Grundfläche. Dieses Haus war von Schandowsky – dem Fraktionsvorsitzenden der stärksten Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf – im Zuge des vorletzten Wahlkampfs errichtet worden. Seitdem wird es dem Bezirk Reinickendorf für den symbolischen Mietzins von 5,- Euro monatlich überlassen, zu dem Zweck, es „zur Freude der Einwohnerinnen und Einwohner Lübars“ zu nutzen.

Da im Ortsteil Lübars keine Festhalle besteht, entschied die Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung, das Haus – das im Wesentlichen aus einem großen Raum und einer Küche nebst sanitären Einrichtungen besteht – den Einwohnerinnen und Einwohnern von Lübars für Feierlichkeiten gegen ein geringes Entgelt zur Verfügung zu stellen. Geburtstage, Hochzeiten und Vereinsfeiern, sowie sonstige Feste aller Art werden von den Einwohnern Lübars‘ seitdem zunehmend in diesem vielfach „unser Freudenhaus“ genannten Gebäude begangen, das für Feierlichkeiten besonders geeignet ist, weil es so weit von der Wohnbebauung entfernt liegt, dass selbst lautes Lärmen allenfalls Fuchs und Füchsin, sowie Hase und Häsin erschreckt, hingegen keinen Einwohner Lübars‘ zu stören vermag.

Indes wurde der Bezirksstadtrat für Bauwesen im Bezirksamt Reinickendorf, FabianFolltoll, bei seinem Wochenendspaziergang auf das Holzhaus und das dortige, ihn doch sehr störende Treiben aufmerksam. Durch Nachforschung fand er schnell heraus, dass keine Baugenehmigung erteilt worden war, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass Schandowsky eine solche auch nie beantragt hatte.

Nach Anhörung von Schandowsky erlässt Folltoll daraufhin als Leiter der Abteilung Bauwesen im Bezirksamt Reinickendorf eine „"Beseitigungsverfügung“, in der Schandowsky aufgefordert wurde, das Holzhaus abzureißen, weil es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zuwider errichtet worden sei und daher nicht länger an dieser Stelle stehen bleiben könne: Das Holzhaus sei weder von einer Baugenehmigung gedeckt, noch könne eine solche nachträglich erteilt werden. Denn das Gebäude beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft und deren Erholungswert und verunstalte das Landschaftsbild. Die Umgebung sei schließlich nur durch Wald und Wiesen sowie das angrenzende Obstanbaugebiet geprägt und diene den Einwohnern Berlins als „grüne Quelle“ friedlicher Erholung, wovon man kaum mehr sprechen könne, wenn regelmäßiger Anliegerverkehr und feucht-fröhlich Feiernde den optischen und akustischen Eindruck prägten. Im Übrigen sei das Holzhaus ohnehin fehl am Platze, denn es lasse die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten, wenn weitere Grundstückseigentümer, sich daran ein Beispiel nehmend, in der Nachbarschaft ebenfalls ein Haus errichteten.

Als Schandowsky die Beseitigungsverfügung erhält, ist er empört: Das „Freudenhaus“ verstoße gar nicht gegen baurechtliche Bestimmungen. Denn es handele sich bei dem Haus sehr wohl um ein Vorhaben, das nur im Außenbereich seinen Platz finden könne, weil im Innenbereich die mit den Feierlichkeiten meist verbundene Geräuschentwicklung nicht zumutbar sei, während im weiten Umkreis rund um das „Freudenhaus“ niemand gestört werde. Hinzu komme, dass ein solches Haus im Außenbereich auch deshalb nützlich sein könne, weil beispielsweise Spaziergänger bei einem sie überraschenden Unwetter sich dort unter dem vorspringenden Dach unterstellen könnten, selbst wenn das bisher wohl noch nicht nötig gewesen sei, aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden könne. Ohnehin könne von der Beeinträchtigung irgendwelcher Belange nicht die Rede sein, falle doch das Häuschen praktisch überhaupt nicht auf, weil es mit einer Giebelhöhe von gerade mal 3,5 Metern keine herausragende Stellung im Landschaftsbild beanspruche. Darüber hinaus komme es auf alle diese Erwägungen gar nicht an, weil das Haus von dem Bezirk Reinickendorf den Einwohnern zur Verfügung gestellt werde und die dadurch ermöglichte Freizeitgestaltung wohl mindestens ebenso bedeutsam sei wie die von der Bauaufsichtsbehörde als für die Erholung so wichtig erachtete unbebaute Landschaft. Selbst wenn man dem nicht folge und das Vorhaben für baurechtlich unzulässig halte, sei es jedoch keineswegs so, dass deshalb ein Beseitigung angeordnet werden müsse: Anders als die Bauaufsichtsbehörde offenbar meine, könne sie auch in einem solchen Fall vom Erlass einer Beseitigungsverfügung absehen. In dem Bescheid werde jedoch nicht deutlich, weshalb von der Möglichkeit vermehrter „Toleranz“ gegenüber den Bedürfnissen der Bürger nicht Gebrauch gemacht worden sei. Es werde in der Begründung jedenfalls mit keinem Wort darauf eingegangen, dass er als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung mit der Überlassung des Hauses an die Stadt lediglich dem Gemeinwohl dienen wolle. Schließlich könne er das Haus auch gar nicht abreißen lassen, da er es an den Bezirk Reinickendorf vermietet habe und deshalb rechtlich an der Zerstörung der Mietsache gehindert sei.

Da Schandowsky mit seinen Argumenten auf kein offenes Ohr stößt, erhebt er – nach erfolglos durchgeführtem, ordnungsgemäßem Widerspruchsverfahren – form- und fristgerecht Klage gegen die Beseitigungsverfügung beim Verwaltungsgericht Berlin.

Prüfen Sie bitte in einem Gutachten die Erfolgsaussichten dieser Klage, ohne hierbei auf Normen des Bundesimmissionsschutzgesetzes einzugehen.

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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: März 2018