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Lösungsvorschlag

 

Zu prüfen ist zunächst, ob die in dem Schreiben getroffene Regelung überhaupt verbindlich ist (A). Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, ob er sich von der dort getroffenen Regelung entschädigungslos lossagen kann, um so den Weg für ein neues auf Erlass einer Beseitigungsverfügung gerichtetes Verwaltungsverfahren frei zu machen (B).

 

A) Verbindlichkeit der in dem Schreiben getroffenen Regelung

Die in dem Schreiben getroffene Regelung wäre verbindlich, wenn es sich hierbei um eine wirksame Zusicherung i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln[1] handeln würde.

 

Anmerkung: Zur Prüfung der Wirksamkeit einer Zusicherung siehe diesen Hinweis, ferner den Manche-sind-gleicher-Fall.

 

I. Vorliegen einer Zusicherung

Unter Zusicherung versteht § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder nicht zu erlassen. Es müsste somit eine Zusage vorliegen und diese Zusage müsste auf den Erlass oder die Unterlassung eines bestimmten Verwaltungsaktes gerichtet sein.

 

1. Vorliegen einer Zusage

Der Begriff der Zusage ist seinerseits gesetzlich nicht definiert, sondern wird vom Gesetz vorausgesetzt. Gemeint ist hiermit nach inzwischen wohl allgemeiner Meinung eine einseitige Selbstverpflichtung einer Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen gegenüber einem bestimmten Erklärungsempfänger.[2] Entscheidend ist insoweit vor allem der Bindungswille der Behörde gegenüber dem Erklärungsempfänger.[3]

 

a) Handeln einer Behörde

Zunächst müsste eine Behörde gehandelt haben. Folltoll handelte hier als Bezirksstadtrat und Leiter der Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf. Eine Behörde hat demnach gehandelt.

 

b) Vorliegen eines Bindungswillens

Ob ein Bindungswille gegenüber Dörfle anzunehmen ist, kann nur durch Auslegung des Schreibens geklärt werden; maßgeblich ist insoweit nach dem hier entsprechend anzuwendenden § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn der Betroffene von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen musste.

 

Anmerkung: Zur Bestimmung der Rechtsnatur einer behördlichen Maßnahme im Wege der Auslegung siehe diesen Hinweis.

 

Hier kann aufgrund der gesamten Umstände nicht davon ausgegangen werden, dass Folltoll nur einen unverbindlichen Hinweis über das weitere Vorgehen der Behörde abgeben wollte. Dafür spricht zum einen, dass dieses Schreiben als Reaktion darauf ergangen ist, dass Dörfle die Erklärung der Absicht seitens der Behörde, nicht bauaufsichtsrechtlich einzuschreiten, "schriftlich" haben wollte, wobei "Schriftlichkeit" bei juristischen Laien oftmals mit "Verbindlichkeit" gleichgesetzt wird. Zum anderen kann das mit dem Schreiben erkennbar verfolgte Ziel, für Dörfle zum Schutz seiner Vermögenswerte Rechtssicherheit zu schaffen, letztlich nur erreicht werden, wenn man von einer Verbindlichkeit der dort getroffenen Regelung ausgeht.

 

c) Ergebnis zu 1

Damit liegt eine Selbstverpflichtung einer Behörde und folglich eine Zusage i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vor.

 

2. Vorliegen einer auf Erlass oder auf Unterlassung eines bestimmten Verwaltungsaktes gerichteten Zusage

Eine Zusage ist aber nur dann eine Zusicherung i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, wenn sie darauf gerichtet ist, später einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen oder zu unterlassen. Hier könnte die Behörde die Unterlassung einer Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1  BauO Bln zugesichert haben. Eine solche Beseitigungsverfügung ist als Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG grundsätzlich zusicherungsfähig. Da hier bereits ein Verfahren nach §§ 9 ff. VwVfG auf Erlass einer solchen Beseitigungsverfügung von Amts wegen (vgl. § 22 VwVfG) eingeleitet worden war und auch deren Gegenstand näher bestimmt war, wurde auch das Unterlassen eines bestimmten Verwaltungsaktes zugesagt.

 

Anmerkung: Kein bestimmter Verwaltungsakt wäre zugesagt worden, wenn sich die Behörde allgemein dazu bereit erklärt hätte, das Vorhaben zu dulden oder nicht weiter hiergegen einzuschreiten.[4]

 

3. Ergebnis zu I

Da das Schreiben somit eine Zusage auf spätere Unterlassung eines Verwaltungsaktes enthält, ist dieses Schreiben als Zusicherung i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu sehen.

 

II. Wirksamkeit der Zusicherung

Fraglich ist jedoch, ob diese Zusicherung auch wirksam, d. h. für Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf verbindlich ist. Dies ist der Fall, wenn die formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Zusicherung vorliegen (1 und 2), wenn die Zusicherung nicht nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 44 VwVfG nichtig ist (3) und wenn die Zusicherung nicht nach § 38 Abs. 3 VwVfG mittlerweile unwirksam geworden ist (4).

 

1. Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG)

§ 38 VwVfG enthält keine Regelung, die abschließend die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Zusicherung aufzählt, vielmehr werden in § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG sowie in § 38 Abs. 2 i.V.m. § 44 VwVfG nur einzelne Unwirksamkeitsgründe aufgezählt. Jedoch könnte insoweit auf § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurückgegriffen werden, soweit § 38 VwVfG keine Spezialregelungen enthält. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass es sich bei einer Zusicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG selbst um einen Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG handelt.

  • Gegen die Qualifizierung der Zusicherung als Verwaltungsakt spricht vor allem, dass der Gesetzgeber in § 38 Abs. 2 VwVfG ausdrücklich nur eine "entsprechende" Anwendung einzelner auf den Verwaltungsakt anzuwendender Normen anordnet (§ 43 VwVfG wird hiervon gerade nicht umfasst), was darauf schließen lassen könnte, dass der Gesetzgeber die Zusicherung gerade nicht als Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG gewertet wissen wollte.[5] Dies wird vor allem auch damit begründet, dass die Zusicherung anders als der Verwaltungsakt keine Regelung enthalte, sondern eine solche nur in Aussicht stelle.[6]
  • Jedoch muss zwischen der zugesicherten Regelung und der Zusicherung selbst unterschieden werden: Die Zusicherung regelt zwar nicht, was der zugesicherte Verwaltungsakt regelt. Sie begründet aber einen Anspruch (Anwartschaft) auf eine solche spätere Regelung oder das Unterlassen einer solchen Regelung und stellt deshalb selbst eine Regelung dar. Auch § 38 Abs. 2 VwVfG stellt nur vordergründig ein Argument gegen die Verwaltungsaktqualität der Zusicherung dar: Ausweislich der Gesetzesbegründung wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung den Streit über die Rechtsnatur der Zusicherung gerade nicht entscheiden, sondern lediglich klarstellen, dass zumindest die in § 38 Abs. 2 VwVfG genannten Vorschriften auch für die Zusicherung gelten. Da die Zusicherung nach § 38 VwVfG auch weitgehend ähnliche Bindungswirkungen wie Verwaltungsakte entfalten sollte, erscheint es zudem als gerechtfertigt, dass bereits vor Erlass einer Zusage ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren i.S. der §§ 9 ff. VwVfG durchgeführt wird. Sähe man die Zusicherung demgegenüber nicht als Verwaltungsakt an, wäre dies nicht erforderlich, vielmehr müsste im Einzelfall geprüft werden, welche ungeschriebenen Verfahrensgrundsätze vor Erlass einer Zusicherung einzuhalten sind. Daher ist mit der inzwischen wohl herrschenden Meinung davon auszugehen, dass die Zusicherung nach § 38 VwVfG einen Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG darstellt, auf den die Regelungen über Verwaltungsakte unmittelbar Anwendung finden, soweit in § 38 VwVfG nichts anderes bestimmt ist.[7]

Somit bestimmen sich die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Zusicherung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Voraussetzung ist dementsprechend, dass die Zusicherung Dörfle nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde. Hiervon ist nach dem Sachverhalt auszugehen.

 

2. Besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen für Zusicherungen (§ 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG)

Anders als bei "normalen" Verwaltungsakten verlangt § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG für die Wirksamkeit einer Zusicherung, dass sie schriftlich und von der zuständigen Behörde erlassen wurde.

 

a) Schriftform

Geht man davon aus, dass die Zusicherung ein Verwaltungsakt ist, bestimmen sich die Anforderungen an die Schriftformunmittelbar nach § 37 Abs. 3 VwVfG.

 

Anmerkung: Die Gegenmeinung wendet § 37 Abs. 3 VwVfG insoweit als einen allgemeinen Rechtsgedanken des Verwaltungsverfahrensrecht auf Zusicherungen zumindest entsprechend an, da die Anwendbarkeit des § 37 Abs. 3 VwVfG letztlich Voraussetzung für die Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG sei.[8]

 

Da nach dem Sachverhalt das Schreiben die Behörde erkennen lässt und zudem die Unterschrift des als Leiter des Bauamts für die Abgabe solcher Erklärungen beauftragten Folltoll enthält, ist den Anforderungen an die Schriftform Genüge getan.

 

b) Handeln der zuständigen Behörde

Fraglich ist jedoch, ob insoweit auch die "zuständige Behörde" gehandelt hat. Zuständig i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist die Behörde, die für den Erlass des zugesicherten Verwaltungsaktes sachlich, örtlich und instantiell zuständig ist. Fraglich ist somit, welche Behörde für den Erlass einer Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1  BauO Bln zuständig ist.    

  • Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich insoweit aus § 58 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln, § 4 Abs. 2 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat ASOG: Zuständig ist damit das Bezirksamt.
  • Die örtliche Zuständigkeit für den Erlass der Beseitigungsverfügung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Hiernach ist bei Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen beziehen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk das Vermögen liegt. Hier bezieht sich die Angelegenheit auf ein im Gebiet des Bezirks Reinickendorf gelegenes Grundstück.

Im vorliegenden Fall wurde die Zusicherung von der Folltoll als Bezirksstadtrat und Leiter der Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf erlassen (s.o. A I 1), diese ist nach dem oben Gesagten die zuständige Behörde.

 

c) Ergebnis zu 2

Damit stehen auch die besonderen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der Wirksamkeit der Zusicherung nicht entgegen.

 

3. Nichtigkeit der Zusicherung (§ 38 Abs. 2 i. V. m. § 44 VwVfG)

Die Zusicherung könnte jedoch dennoch nach § 38 Abs. 2 i. V. m.§ 44 VwVfG wegen Nichtigkeitunwirksam sein (§ 43 Abs. 3 VwVfG). Voraussetzung hierfür ist, dass die Zusicherung an einem Fehler leidet, also rechtswidrig ist, und einer der Nichtigkeitstatbestände des § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 VwVfG vorliegt. Insoweit kommt eine Nichtigkeit wegen formeller oder wegen materieller Rechtswidrigkeit der Zusicherung in Betracht.

 

a) Nichtigkeit wegen formeller Rechtswidrigkeit der Zusicherung

Fraglich ist daher zunächst, ob die Zusicherung formell rechtmäßig ist. Hieran könnten Zweifel bestehen, da die Zusicherung von Folltoll, dem Schwiegersohn Dörfles, abgegeben wurde. Geht man davon aus, dass die Zusicherung ein Verwaltungsakt ist (s.o. A II 1), könnte dies gegen § 20 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG verstoßen, wenn Folltoll als Angehöriger eines am Verwaltungsverfahren Beteiligten anzusehen wäre. Er hätte dann an dem fraglichen Verwaltungsverfahren gar nicht mitwirken dürfen.

 

Anmerkung: Wer die Zusicherung nicht als Verwaltungsakt ansieht, muss prüfen, ob der Rechtsgedanke des§ 20 VwVfG auch auf das auf Zusicherungen gerichtete Verwaltungsverfahren anwendbar ist, da die §§ 9 ff. VwVfG auf dieses Verwaltungsverfahren jedenfalls keine unmittelbare Anwendung finden. Die entsprechende Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist jedoch zu bejahen.[9]

 

Dörfle war nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG an dem auf den Erlass der Zusicherung gerichteten Verwaltungsverfahren beteiligt. Folltoll ist als Ehepartner der Tochter Dörfles nach §§ 1589, 1590 BGB mit Dörfle in gerader Linie verschwägert, war folglich Angehöriger i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 5 Nr. 3 VwVfG und durfte deshalb in diesem Verwaltungsverfahren nicht für die Behörde tätig werden. Schon deshalb ist also die Zusicherung formell rechtswidrig.

 

Anmerkung: Diese Rechtswidrigkeit ist im vorliegenden Zusammenhang auch nicht nach § 46 VwVfG unbeachtlich: Zum einen regelt § 46 VwVfG nicht die Frage der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, sondern schließt nur einen Anspruch auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes aus, lässt aber § 44 VwVfG (und § 48 VwVfG) unberührt.[10] Zum anderen liegen auch die Voraussetzungen des § 46 VwVfG nicht vor: Da - soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - die Abgabe einer Zusicherung im Ermessen der Verwaltung steht,[11] ist hier - und nach dem Sachverhalt - jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Entscheidung über die Abgabe der Zusicherung von dem Angehörigenverhältnis beeinflusst worden ist (s. unten A II 3 b).

 

Fraglich ist daher, ob dieser Verfahrensfehler bereits zur Nichtigkeit der Zusicherung führt. Insoweit bestimmt jedoch § 44 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG ausdrücklich, dass der Umstand allein, dass an dem Verfahren eine nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, gerade nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führt. Wegen eines formellen Rechtsfehlers ist der Verwaltungsakt somit nicht nichtig.

 

b) Nichtigkeit wegen materieller Rechtswidrigkeit der Zusicherung

Die Zusicherung, keine Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1 BauO Bln zu erlassen, könnte aber wegen materieller Rechtsfehler nichtig sein. Nach dem Sachverhalt lagen die Voraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1 BauO Bln unzweifelhaft vor. Hieraus folgt aber grundsätzlich keine Pflicht, eine entsprechende Beseitigungsverfügungauch zu erlassen: Nach § 79 S. 1 BauO Bln steht der Erlass einer solchen Verfügung vielmehr im Ermessen der Behörde, so dass sich allein aus dem Umstand, dass die Voraussetzungen einer Beseitigungsverfügung vorliegen, noch nicht die Rechtswidrigkeit des Unterlassens bzw. der Zusicherung des Unterlassens einer solchen Beseitigungsverfügung ergibt. Die Zusicherung wäre damit nur dann rechtswidrig, wenn ihre Erteilung auf einem Ermessensfehler i.S.d. § 40 VwVfG beruht, wenn also im vorliegenden Fall das Versprechen des Nichterlasses der Beseitigungsverfügung (und damit deren Unterlassen) auf einem Ermessensfehler beruht.

  • Insoweit ist hier fraglich, ob das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt wurde (§ 40 Alt. 1 VwVfG). Grund für die Geltung des "Opportunitätsprinzips" im Bereich des § 79 S. 1 BauO Bln ist vor allem, dass der Bauaufsichtsbehörde ermöglicht werden soll, ihre notwendigerweise beschränkten persönlichen und sächlichen Mittel flexibel und vor allem auch anlassbezogen einzusetzen, ohne sich hierbei dem Vorwurf des selektiven Gesetzesvollzugs auszusetzen. Schreitet somit die Bauaufsichtsbehörde gegenüber einem baurechtswidrigen Zustand nicht ein, so ist dies grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, soweit hierbei nicht Rechte Dritter (etwa der Nachbarn) verletzt werden (wofür der Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet) und sofern es hierfür sachliche Gründe gibt.[12] Deshalb kann es grundsätzlich auch nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden, wenn die Anordnung einer Beseitigungsverfügung u. a. auch deshalb unterlassen wird, weil Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Baurecht entsprechende Zustände in Zukunft hergestellt werden. § 79 S. 1 BauO Bln geht hiervon sogar ausdrücklich aus, wenn er eine Beseitigungsverfügung nur zulässt, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
  • Jedoch ist dem Sachverhalt zu entnehmen, dass solche Erwägungen jedenfalls nicht ausschließlich für die Erteilung der Zusicherung durch Folltoll maßgeblich waren; vielmehr ist erkennbar Motiv für diese Entscheidung gerade auch die verwandtschaftliche und persönliche Verbundenheit Folltolls mit Dörfle gewesen. § 79 S. 1 BauO Bln räumt aber der Bauaufsichtsbehörde nicht Ermessen ein, um ihr "Günstlingswirtschaft" zu ermöglichen. Hier liegt also ein "Ermessensmissbrauch" oder "Ermessensfehlgebrauch" vor, so dass die Erteilung der Zusicherung rechtswidrig ist (ohne dass es darauf ankäme, dass die Behörde u. U. dieselbe Entscheidung auch ermessensgerecht hätte treffen können).

War die Erteilung der Zusicherung somit materiell rechtswidrig, ist fraglich, ob sie deshalb auch als nichtig i.S.d. § 44 VwVfG anzusehen ist. Da keiner der speziellen Nichtigkeitsgründe des § 44 Abs. 2 VwVfG einschlägig ist, kommt dies nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 44 Abs. 1 VwVfG vorliegen. Der Fehler müsste also besonders schwer und offenkundig sein. Ein besonders schwerwiegender Fehler liegt dann vor, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt sind, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Der Verstoß muss über die unrichtige Anwendung hinausgehen und schlechthin unerträglich für die Rechtsordnung sein.[13] Zu der besonderen Schwere des Fehlers muss hinzukommen, dass die Fehlerhaftigkeit bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist, d. h. der Fehler muss dem Verwaltungsakt gleichsam "auf die Stirn geschrieben sein". Ein unvoreingenommener Betroffener muss m. a. W. ohne weiteres erkennen können, dass er die durch den fraglichen Verwaltungsakt getroffene Regelung missachten kann, ohne das Risiko einer Sanktion einzugehen.

Dass die Voraussetzungen dieser Generalklausel hier vorliegen, ist eher zweifelhaft: Wie ein Vergleich mit § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG zeigt, geht das VwVfG davon aus, dass selbst ein durch arglistige Täuschung, Drohung und Bestechung erwirkter Verwaltungsakt (wohl wegen fehlender Offenkundigkeit) nicht ohne weiteres nichtig, sondern "nur" rechtswidrig ist. Zudem deutet auch die Wertung des § 44 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG darauf hin, dass das VwVfG Fehler, welche durch Verwandtschaftsbeziehungen entstehen, jedenfalls nicht grundsätzlich für "offenkundig" und besonders schwerwiegend hält. Da die getroffene Regelung auch inhaltlich kaum zu beanstanden gewesen wäre, wäre sie nicht aus sachfremden Motiven erlassen worden, kann folglich nicht davon ausgegangen werden, dass der Ermessensfehler i.S. des § 44 Abs. 1 VwVfG besonders schwerwiegend und offenkundig ist.

 

c) Ergebnis zu 3

Die Zusicherung ist somit nicht nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 44 VwVfG wegen Nichtigkeit unwirksam (§ 43 Abs. 3 VwVfG).

 

4. Unwirksamkeit der Zusicherung wegen geänderter Verhältnisse (§ 38 Abs. 3 VwVfG)

Nach § 38 Abs. 3 VwVfG könnte aber die Bindungswirkung der Zusicherung weggefallen, diese also unwirksam geworden sein, wenn sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- und Rechtslage derart geändert hätte, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte. Als eine solche Änderung der Sach- und Rechtslage kommt hier allenfalls das Rundschreiben der Senatsverwaltung für Inneres als Bezirksaufsichtsbehörde in Betracht, welche - entsprechend ihrer Weisungskompetenz nach § 9 Abs. 1 AZG - zu einer härteren "Gangart" im Kampf gegen illegale Bauten im Außenbereich anweist. Allerdings hat die Senatsverwaltung nur die Rechtsaufsicht, nicht jedoch die Fachaufsicht inne. Demnach darf sie zwar die Einhaltung des Rechts kontrollieren, nicht jedoch die Zweckmäßigkeit von Ermessensentscheidungen.[14] Da § 79 BauO Bln eine Ermessensnorm ist, kann die Senatsverwaltung für Inneres den Bezirken keinerlei Vorgaben machen, so dass die Sach- und Rechtslage sich gar nicht geändert hat. Die Zusicherung ist damit auch nicht nach § 38 Abs. 3 VwVfG unwirksam geworden.[15]

 

5. Ergebnis zu II

Die von Folltoll wirksam erlassene Zusicherung ist auch noch weiterhin wirksam.

 

III. Ergebnis zu A

Da es sich bei der in dem Schreiben enthaltenen Regelungen um eine weiterhin wirksame Zusicherung i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1VwVfG handelt, ist die Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf hieran gebunden; ohne weiteres kann sie also nicht ein neues Verwaltungsverfahren eröffnen, welches auf den Erlass einer Beseitigungsverfügung bezüglich Dörfles Hähnchenstall gerichtet ist.

 

B) Möglichkeiten, sich von der in dem Schreiben getroffenen Regelung loszusagen

Da die in dem Schreiben getroffene Regelung als wirksame Zusicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verbindlich ist, die Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf also entgegen dieser Zusicherung nicht rechtmäßigerweise eine Beseitigungsverfügung nach § 79 S. 1 BauO Bln erlassen kann, stellt sich die Frage, ob er sich von der dort getroffenen Regelung - entschädigungslos - lossagen kann. Dies wäre aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 38 Abs. 2 VwVfG dann möglich, wenn die Voraussetzungen für eine entschädigungslose Aufhebung der Zusicherung nach§ 48 oder § 49 VwVfG vorlägen. Zuständig für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes ist die Behörde, die für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes jetzt zuständig wäre.[16]Das ist weiterhin das Bezirksamt Reinickendorf.

 

I. Entschädigungslose Rücknehmbarkeit nach § 38 Abs. 2 i. V. m. 48 VwVfG

Insoweit käme hier zunächst eine Rücknahme der Zusicherung in Betracht (§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Dass die Zusicherung formell und materiell rechtswidrig ist, wurde bereits festgestellt (s.o. A II 3). Jedoch handelt es sich bei der Zusicherung um eine Dörfle i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG begünstigende Maßnahme, so dass eine Rücknahme nur unter den Voraussetzungen der§ 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zulässig ist.

Da vorliegend § 48 Abs. 2 VwVfG nicht einschlägig ist, bestimmen sich die Voraussetzungen der Rücknahme nach§ 48 Abs. 3 VwVfG

Hiernach kann der Verwaltungsakt grundsätzlich (ohne weiteres) zurückgenommen werden, jedoch ist auf Antrag bei schutzwürdigem Vertrauen der Vermögensnachteil auszugleichen, den der Betroffene durch sein Vertrauen auf die Zusicherung erleidet. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass wegen des überragenden Gewichts des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei der Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte grundsätzlich nur Vermögensschutz, nicht Bestandsschutz gewährleistet werden soll. Wenn der Bürger auf einen rechtswidrigen Verwaltungsakt vertraut, wird dieses Vertrauen prinzipiell nur dahingehend geschützt, dass er wenigstens keine Vermögensnachteile erleiden soll.[17]Jedoch könnte die Rücknahme für das Bezirksamt Reinickendorf uninteressant sein, wenn es Dörfle hierfür (auf Antrag) entschädigen müsste. Dies wäre der Fall, wenn Dörfle auf den Bestand der Zusicherung vertraut hätte, er aufgrund diese Vertrauens einen Vermögensnachteil erleidet und dieses Vertrauen schutzwürdig wäre.

  • Aus dem Sachverhalt ergibt sich relativ eindeutig, dass Dörfle auf den Bestand der Zusicherung vertraut hat, da er zunächst einmal beruhigt Hähnchenfutter bestellt hat, was er nicht getan hätte, wenn er mit dem Abriss des Hähnchenstalls hätte rechnen müssen.
  • Hieraus ergibt sich auch, dass Dörfle einen Vermögensnachteil erleiden würde, wenn die Zusicherung aufgehoben würde, da er ohne Masthähnchen das Masthähnchenfutter nicht ohne weiteres verwerten könnte und im Zweifel zu einem geringeren Preis wieder verkaufen müsste.

 

Anmerkung:Weitere Vermögensnachteile stehen nicht in Frage: Den Stall hat er jedenfalls nicht im Vertrauen auf die Zusicherung errichtet; ebenso wenig hat er im Vertrauen hierauf die Hähnchen gekauft und gezüchtet.

 

  • Jedoch ist fraglich, ob das Vertrauen Dörfles auf den Bestand der Zusicherung auch schutzwürdig ist. Dem könnte das Regelbeispiel des § 48 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG entgegenstehen, wonach das Vertrauen in der Regel nicht schutzwürdig ist, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit der Zusicherung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Hier kannte Dörfle jedenfalls die Umstände, die zur Rechtswidrigkeit der Zusicherung führten, nämlich sein Angehörigenverhältnis zu Folltoll (s.o.A II 3). Dies allein reicht jedoch nicht, vielmehr muss sich die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis auf die Rechtswidrigkeit selbst beziehen. Allerdings wird man wohl annehmen müssen, dass die Unkenntnis der Rechtswidrigkeit einer auf "Vetternwirtschaft" beruhenden Entscheidung stets als grob fahrlässig anzusehen ist: Jeder Laie weiß wohl, dass es nicht in Ordnung ist, dass in ihn betreffenden Verwaltungsangelegenheiten eigene Angehörige entscheiden. Daher wird man hier zumindest von einer grob fahrlässigen Unkenntnis ausgehen können, so dass Dörfles Vertrauen nicht schutzwürdig wäre.

Damit liefe das Bezirksamt Reinickendorf auch bei einer Rücknahme der Zusicherung nicht Gefahr, eine Entschädigung leisten zu müssen. Ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 VwVfG die Zusicherung zurückgenommen wird, steht jedoch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Ermessender Behörde. Folglich kommt eine Rücknahme nach§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nur in Betracht, wenn dies nicht ermessensfehlerhaft wäre, wenn also hierdurch die Grenzen des Ermessens des § 40 VwVfG nicht überschritten würden. Dass eine solche Rücknahme hier jedoch dem Zweck der Ermächtigung nicht entspricht oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet, ist nicht erkennbar.

Dementsprechend könnte die Zusicherung nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 48 VwVfG entschädigungslos zurückgenommen werden.

 

II. Entschädigungsloser Widerruf nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 2 VwVfG

Schließlich könnte das Bezirksamt Reinickendorf die (begünstigende) Zusicherung noch nach§ 38 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 2 VwVfG widerrufen. Jedoch ist fraglich, ob diese Vorschrift überhaupt Anwendung finden kann, da es sich bei der Zusicherung - wie oben (A II 3) festgestellt - um eine rechtswidrigeZusicherung handelt, § 38 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 2 VwVfG jedoch nur den Widerruf rechtmäßiger Zusicherungen ausdrücklich zulässt. Allerdings ist weitgehend anerkannt, dass rechtswidrige Verwaltungsakte erst rechtauch nach§ 49 Abs. 2 VwVfG mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden können, da dort, wo der rechtmäßige Verwaltungsakt widerrufen werden kann, der rechtswidrige keinen Schutz vor Aufhebung verdient .[18]Dies führt dazu, dass die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes letztlich kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 49 VwVfG mehr ist.

Damit stellt sich die Frage, ob einer der Tatbestände des entsprechend anzuwendenden§ 49 Abs. 2 VwVfG vorliegt. Insoweit ist jedoch hier ein Rückgriff auf die § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4ausgeschlossen, da § 38 Abs. 3 VwVfG letztlich denselben Tatbestand regelt und insoweit den allgemeineren Widerrufsbestimmungen vorgeht, wie der klarstellende Zusatz in § 38 Abs. 2 VwVfG ("unbeschadet des Absatzes 3") zeigt.[19]Auch die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG sind hier nicht gegeben, da "schwere Nachteile für das Gemeinwohl" bei Aufrechterhaltung der Zusicherung nicht zu erkennen sind.

Ein Widerruf der Zusicherung nach § 38 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 VwVfG ist hier somit nicht möglich.

 

III. Ergebnis zu B

Das Bezirksamt Reinickendorf kann sich somit vorliegend durch Rücknahme der Zusicherung nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG von der in dem Schreiben getroffenen Regelung lossagen, ohne eine Entschädigung leisten zu müssen.

 

C) Gesamtergebnis

Die in dem Schreiben getroffene Regelung ist für die Bauaufsichtsbehörde Reinickendorf zwar zunächst verbindlich, da sie eine wirksame Zusicherung i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG darstellt; jedoch kann Folltoll ihre Wirksamkeit durch Aufhebung der Zusicherung nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 3 VwVfG beseitigen (§ 43 Abs. 2 VwVfG), ohne hierfür eine Entschädigung leisten zu müssen.

 

Fragen und Anregungen zur Lösung? info@hauptstadtfaelle.de


[1]        Im Folgenden wird auf den Verweis auf das Berliner Landesrecht verzichtet.

[2]        U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 2.

[3]        Maurer, § 9 Rn. 59.

[4]        Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 16.

[5]        So Hendler, Rn. 113.

[6]        Maurer, § 9 Rn. 60.

[7]        U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 32 ff.

[8]        Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 58.

[9]        Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 20 Rn. 21.

[10]       Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 46 Rn. 1, 10 f. m. Nachw. zur Gegenauffassung.

[11]       U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 110.

[12]       Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1992, 360.

[13]       Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 44 Rn. 104.

[14]       Vgl. dazu Musil/Kirchner, Rn. 191 ff.

[15]       I.Ü. läge auch im Fall der Fachaufsicht keine Änderung der Sach- und Rechtslage vor. S. den namensgleichen Fall unter www.saarheim.de.

[16]       BVerwGE 110, 226, 229 ff.

[17]       Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48 Rn. 113, 184.

[18]       BVerwG NVwZ 1987, 498; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49 Rn. 6; anders Ehlers, GewArch 1999, 305, 312.

[19]       U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 96.


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