Springe direkt zu Inhalt

Sanitäter (Kurzlösung)

- VG Berlin wird Klage Robertskys stattgeben, wenn sie zulässig und begründet ist

 

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die für die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht angehören; Einstellung des Stipendiums dann nach öffentlich-rechtlichen Normen, wenn die Gewährung des Stipendiums nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften

- bei Leistungsgewährung besteht mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelungen grds. Wahlfreiheit zwischen privatrechtlicher und hoheitsrechtlichen Handlungsform; aus Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung nach § 58 VwGO ersichtlich, dass der Regierende Bürgermeister von einer Stipendiumsfestsetzung durch VA ausging; daher Stipendiumsgewährung nach öffentlichem Recht; ebenso Einstellung

 

II. Statthafte Klageart

- Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) wäre die richtige Klageart, wenn es sich bei der Einstellung des Stipendiums um einen VA i.S.d. § 35 VwVfG handelt

- Regelung i.S.d. § 35 VwVfG fraglich; Schreiben wäre deklaratorisch, wenn Materialbezugsklausel eine auflösende Bedingung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG gewesen wäre; mit Eintritt der Bedingung wäre Rechtsgrund der Zahlung (Stipendiumsbewilligung) von selbst entfallen wäre (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG)

- aus der Stipendiumsbewilligung wird aber keine besonders enge Verbindung der Klauseln ersichtlich; Regelungen im Stipendiumsbewilligungsbescheid bestehen unabhängig voneinander; für den Fall einer Abweichung von diesen Klauseln ist sogar ein eigenständiges „Verfahren“ mit dem Kulturdezernenten Dawo vorgesehen

- Einstellungsbescheid enthält demnach eigene Regelung, ist VA i.S.d. § 35 VwVfG

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- Robertsky könnte in seinem ihm durch die Stipendiumsbewilligung gewährten Recht auf Stipendiumsauszahlung verletzt sein

 

IV. Vorverfahren

- nach § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO entbehrlich; Regierender Bürgermeister von Berlin ist auch eine oberste Landesbehörde

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis

- § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Land Berlin

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

- Robertsky nach § 61 Nr. 1 Alt. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; Land Berlin nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO

 

VII. Ergebnis zu A.

- Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO gewahrt; Klage Robertskys zulässig

 

B. Begründetheit

- Klage Robertskys nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und Robertsky dadurch in seinen Rechten verletzt; Anspruch auf Stipendium aus Bewilligung; Rechtsverletzung, wenn Einstellung rechtswidrig

 

I. Regelungsgehalt des Bescheids vom 12. April und Ermächtigungsgrundlage

- bloßer Wortlaut enthält nur die Ankündigung einer Zahlungseinstellung; da aber Bewilligung in mittlerweile bestandskräftigem VA festgesetzt, muss der Bescheid implizit die Aufhebung des Bescheids bedeuten

- Rechtsgrundlage daher: §§ 48 ff. VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG Bln[1]

 

II. Formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. April, insbesondere Anhörung

- lt. Sachverhalt war der Regierende Bürgermeister zuständig

 

1. Durchführung einer Anhörung

- wg. § 28 Abs. 1 VwVfG geboten, da der Aufhebungsbescheid in Robertskys Rechte eingreift: keine Entbehrlichkeit nach § 28 Abs. 2 VwVfG

- Gespräch mit Kulturdezernent Dawo (-), mgl. Konsequenzen waren nicht Teil des Gesprächs; Sinn der Anhörung nur genüge getan, wenn sich Beteiligter zu dem beabsichtigten VA äußern kann

 

2. Heilung der fehlenden Anhörung

- Unbeachtlichkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG, wenn erforderliche Anhörung bis Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 45 Abs. 2 VwVfG) nachgeholt worden ist; str., ob Heilung im gerichtlichen Verfahren mgl.

e.A.: Heilung schon mit Einlegung der Klageschrift, weil Anhörung im gerichtlichen Verfahren

a.A.: keine Heilung im gerichtlichen Verfahren mgl., weil die Behörde im Prozess keine unparteiische Rolle mehr einnimmt

a.A.: Heilung, wenn Anhörung „vor“ und nicht „durch“ das Verwaltungsgericht; Behörde muss Vorbringen des Beteiligten würdigen; eigene Stellungnahme muss wie eine „anlässlich“ der Klageerwiderung ergangene Entscheidung das Vorbringen des Beteiligten in einer Abwägung würdigen; (+) grds. sind behördliches/gerichtliches Gehör zu trennen; (+) Heilung muss wg. § 45 Abs. 2 VwVfG noch mgl. sein

- hier (+): umfassende Würdigung und Abwägung des Regierenden Bürgermeisters

 

3. Ergebnis zu 2.

- Verfahrensfehler geheilt; Bescheid formell rechtmäßig (a.A. vertretbar)

 

III. Materiellrechtliche Vereinbarkeit des Bescheides vom 12. April mit § 48 VwVfG

1.  Rechtswidrigkeit der Stipendiumsgewährung

a) Rechtswidrigkeit wegen Fehlens einer gesetzlichen oder satzungsrechtlichen Subventionsermächtigung

- Vorbehalt des Gesetzes des Art. 20 Abs. 3 GG müsste auch für Leistungs- oder jedenfalls die Subventionsverwaltung gelten

- fraglich, ob die Ausweisung der Mittel im Haushaltsgesetz (Art. 85 Abs. 1 S. 1 VvB), dem nach § 3 Abs. 2 LHO keine unmittelbare Außenwirkung zukommt, und die Verteilung nach Verwaltungsvorschriften („Förderungsgrundsätzen der Kulturverwaltung des Berliner Senats für die Projekt- und Stipendienförderung“) den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes genügen

- BVerfG: aus Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgt, dass der Gesetzgeber zumindest alle wesentlichen Fragen, die den Bürger und das Gemeinwesen betreffen, selbst regeln muss; wesentlich im Sinne dieser Theorie sind v.a. Maßnahmen von denen eine erhebliche Gefahr für grundrechtlich gesicherte Freiheiten ausgeht

- für Erfordernis eines speziellen FörderungG: Gefahr der weichen Zensur durch staatliche Kunstförderung, Verstoß gegen Gebot der Staatsferne in Art. 5 Abs. 3 GG

- gegen Erfordernis eines speziellen FörderungsG: nicht praktikabel für einzelne Aktionen (wie hier: im Rahmen einer Imagekampagne); parlamentarische Willensäußerung in HaushaltsG; ausreichende Rechtssicherheit in der Vergabepraxis durch Bindung der Verwaltung mit Verwaltungsvorschriften und Art. 3 Abs. 1 GG

 

cc) Ergebnis zu a)

- Bewilligungsbescheid ist nicht schon mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (a.A. vertretbar)

 

b) Rechtswidrigkeit der Stipendiumsgewährung wegen Beifügens der Materialbeschaffungsklausel

aa) Möglichkeit der „Infizierung“ der gesamten Stipendiumsgewährung wegen der Rechtswidrigkeit einer Nebenbestimmung?

- „ob“ und „wie“ der Subventionsgewährung stehen im Ermessen der Behörde; Bescheid konnte daher nach § 36 Abs. 2 VwVfG Nebenbestimmungen versehen werden; Ergebnis ist einheitliche Ermessensentscheidung hinsichtlich der Gesamtregelung (Haupt-VA mit Nebenbestimmungen); Fehlerhaftigkeit der Nebenbestimmung „infiziert“ daher die Gesamtregelung

 

bb) Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung

- Materialbeschaffungsklausel ist Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, weil dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird

- Materialbeschaffungsklausel läuft nach § 36 Abs. 3 VwVfG dem Zweck der Stipendiengewährung zuwider,  wenn sie weder geeignet noch tauglich zur Sicherung des Stipendienzwecks

- hier (+): Stipendiumszweck durch Abgeordnetenhaus eindeutig Kunst- und Künstlerförderung; Verbesserung des Wirtschaftsstandorts nur Fernziel

 

cc) Ergebnis zu c)

- Zuwendungsbescheid wg. rechtswidriger Nebenbestimmung rechtswidrig

 

2. Besondere Voraussetzungen für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte

- Stipendiumsbewilligung ist Begünstigung in Form einer laufenden Geldleistungsgewährung; zusätzliche Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 2, § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG

- Rücknahme ausgeschlossen, soweit Robertsky a) auf dessen Bestand vertraut hat und sein b) Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

- Robertsky hat offenbar auf Bescheid vertraut; Vertrauen erscheint auch nach dem Regelbeispiel des § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG als schutzwürdig

 

3. Vorliegen einer ermessensgerechten Rücknahmeentscheidung

- selbst  wenn man das Vertrauen Robertskys (jedenfalls im Hinblick auf die zukünftige Stipendiumsgewährung) für nicht schutzwürdig hält, ist jedenfalls keine am Zweck des Rücknahmeermessens des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG orientierte Entscheidung getroffen worden (vgl. § 40 Alt. 1 VwVfG); Behörde hat sich allein auf die Nichtbeachtung der Materialbeschaffungsklausel abgestellt, die aber gerade rechtswidrig war

 

5. Ergebnis zu III.

- Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht möglich

 

IV. Materiellrechtliche Vereinbarkeit des Bescheides vom 12. April mit § 49 VwVfG

1. Anwendbarkeit des § 49 Abs. VwVfG

- nach Wortlaut nur für den Widerruf rechtmäßiger VAe; da wo der rechtmäßige VA widerrufen werden kann, hat aber der rechtswidrige keinen Schutz vor Aufhebung verdient

 

1. Widerrufsgrund des § 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG

- aus seinem Schreiben vom 30. März ergibt sich jedoch, dass Robertsky die Mittel nicht mehr zum Ankauf der Materialien bei der KPM verwenden will; Stipendium wird aber nicht allein zum Ankauf von Materialien gewährt, sondern soll dem Künstler die Herstellung des bezuschussten Kunstwerks schlechthin ermöglichen

- Materialbeschaffungsklausel ist kein Teil der Zweckbindung

 

2. Widerrufsgrund des § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG

- Materialbeschaffungsklausel ist Auflage (s. o. B. III. 1 b) bb)), die Robertsky auch nicht erfüllen will; zum Widerruf berechtigt aber nur eine wirksame Auflage; hier (+), Rechtswidrigkeit beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG)

e.A.: Auflage muss für Widerruf auch rechtmäßig sein, (+) Behörde kann sonst ihre Befugnisse zum Widerruf eines VAs durch Beifügung einer rechtswidrigen Auflage erweitern

-  hier egal, weil Bestandskraft der Auflage aus Gründen der Rechtssicherheit die Überprüfung der Rechtmäßigkeit hindert

- Widerruf konnte auf § 49 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG gestützt werden

 

3. Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG

- liegt auch vor, § 49 Abs. 3 VwVfG soll nur weitere Widerrufsmöglichkeiten schaffen

 

4. Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 VwVfG)

a) Ermessensfehlgebrauch wegen Durchsetzung einer rechtswidrigen Auflage

- Bestandskraft der Auflage verbietet grds. Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit; Behörde darf aber trotzdem nicht die Nichterfüllung rechtswidriger Auflagen durch Widerruf sanktionieren; könnte sich sonst Eingriffsmöglichkeiten auf die Bestandskraft eines VAs eröffnen, die ihr von Gesetzes wegen nicht zustehen

- deshalb kein öffentliches Interesse an Widerruf, d.h. Ermessensfehlgebrauch; Aufhebung rechtswidrig

 

b) Ermessensausfall wegen Nichtberücksichtigung von Entscheidungsalternativen

- pauschale Ablehnung nur mit der Begründung, dass die Materialien der KPM  technisch auch geeignet seien, wird letztlich dem künstlerischen Werkanspruch Robertskys i.S.d. Art. 5 Abs. 3 GG nicht gerecht

 

c) Unverhältnismäßigkeit der Aufhebung

- Grenzen des Ermessens missachtet (§ 40 Alt. 2 VwVfG); weniger schwerwiegendes Mittel zur Durchsetzung der Auflage: Abmahnung; muss nicht generell vor Widerruf eines VAs erfolgen, aber immer dann, wenn sie nicht offensichtlich aussichtslos ist und dem Subventionsbescheid nicht zu entnehmen ist, dass dieser bei Nichtbeachtung der Auflage vollständig und unverzüglich widerrufen wird; hier (+)

- Widerruf auch nicht angemessen, da eine letztlich unwesentliche Auflage nicht erfüllt wurde; Stipendium sollte ausschließlich der Kunstförderung dienen

 

d) Ergebnis zu 4.

- Regierenden Bürgermeister Ermessen in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft ausgeübt

 

5. Ergebnis zu IV.

- wg. fehlerhafter Ermessensausübung ist der Aufhebungsbescheid nicht durch § 49 VwVfG gedeckt und damit rechtswidrig

 

V. Ergebnis zu B.

- Bescheid vom 12. April ist rechtswidrig und verletzt Robertsky in seinen Rechten; Klage Robertskys ist begründet

 

C. Gesamtergebnis

- Klage Robertskys ist zulässig und begründet; VG Berlin wird den Bescheid vom 12. April gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufheben


Dokumente

Zur zuletzt besuchten Textpassage | Zum Seitenanfang


Fußnoten

[1] Auf den Verweis in das Berliner Landesrecht bzgl. des VwVfG wird nachfolgend verzichtet.