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Wellensittich im Glas (Sachverhalt)

Teil I:

Rollgardina Mikaelson veranstaltet regelmäßig eine als „Performance“ betitelte Aufführung, mit der die Gefahren des Neofaschismus sowie die Nachwehen faschistoider Ideen des Dritten Reichs erlebbar gemacht werden sollen. Durch eigenes und stellvertretendes Leiden soll dabei auf die im Namen des Faschismus begangenen Grausamkeiten aufmerksam gemacht werden. Dazu gestaltet Rollgardina Mikaelson den Aufführungsraum mit schwarzem, rotem und goldenem Stoff aus und tritt selbst unter den Klängen der Nationalhymne unbekleidet und mit schwarz-rot-goldner Farbe bemalt auf. Nachdem sie eingangs Würste als Sinnbild des männlichen Phallus zerhackt, kämpft sie anschließend mit den Unbillen des Lebens in Gestalt eines Holzgestells. Sodann schlägt sie mehrere Eier in ein leeres Goldfischglas und rührt die Wurstreste dazu. Stellvertretend für geknechtete und leidende Menschen nimmt sie ihren mitgebrachten Wellensittich Che I aus seinem Käfig und setzt diesen mit den Füssen voran in das Goldfischglas, so dass das Tier mit dem Leib in der Rührmasse steckt. Dann schwenkt sie das Goldfischglas ca. 30 Sekunden lang an einem Seil durch den Raum, während erneut die Nationalhymne erklingt. Zuletzt setzt Rollgardina Mikaelson das Glas ab und schreitet durch die Zuschauerreihen hinaus. Helfer der Mikaelson reinigen das verklebte Gefieder des Che I und verfrachten ihn unverletzt wieder in seinen Käfig.

 

Nachdem die Mikaelson die „Performance“ in Berlin-Friedrichshain dargeboten hat, ordnet das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nach Kenntniserlangung von dem Verlauf der Aufführung die sofortige Einziehung des Wellensittichs an. Zur Begründung führt das Bezirksamt aus, Rollgardina habe dem Tier ohne vernünftigen Grund erhebliches Leid zugefügt. Frau Mikaelson sieht sich hierdurch in ihrem Grundrechte auf freie Kunstausübung verletzt. Zudem ist sie der Ansicht, durch die Einziehung des Wellensittichs rechtswidrig enteignet worden zu sein. Sie klagt daher vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme. Im Verlauf der Gerichtsverhandlung stellt ein sachverständiger Veterinär fest, dass das Eintauchen des Vogels in die Eimasse zur vorübergehenden Flugunfähigkeit des Tieres führte und daher erheblichen Stress und Angstgefühle bei dem Tier auslöste. Die Mikaelson unterliegt vor den Verwaltungsgerichten in allen Instanzen, wobei der eingezogene Wellensittich während ihres Instanzenzuges infolge Altersschwäche im Gewahrsam der Behörde verstirbt. Rollgardina Mikaelson, inzwischen erneute Besitzerin eines gefiederten Haustiers (Che II), möchte die Aufführung weiterhin in gleicher Weise darbieten und erhebt Verfassungsbeschwerde zum BVerfG. Sie betont, dass die intendierte Aussage ihrer Aufführung ohne die finale Verwendung eines Wellensittichs nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt erreicht werden könnte. Wie wird das BVerfG entscheiden?

 

Bearbeitervermerk: Es ist zu allen aufgeworfenen Fragen, gegebenenfalls hilfsgutachtlich, Stellung zu nehmen. Von der Richtigkeit der Angaben des Sachverständigen ist auszugehen.

 

Auszug aus dem Tierschutzgesetz (TierSchG):

§ 18:    (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

     1. einem Wirbeltier, das er hält, betreut oder zu betreuen hat, ohne vernünftigen Grund

         erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt (…).

§ 19:    (1) Tiere, auf die sich

     1. eine Straftat nach § 17 oder

     2. eine Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 (…)

bezieht, können eingezogen werden.

 

 

Teil II:

 

  1. Sind juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach der Rechtsprechung des BVerfG grundrechtsberechtigt?
  2. Erklären Sie den Begriff „Ausstrahlungswirkung der Grundrechte“ und den Begriff der „grundrechtlichen Institutsgarantie“.
  3. Was ist unter einem „allgemeinen Gesetz“ i.S.d. Art. 5 II GG zu verstehen?
  4. Wann liegt ein Eingriff in Art. 12 GG vor? Welche verschiedenen Eingriffe lassen sich unterscheiden und wie sind die jeweiligen Anforderungen für die Eingriffsrechtfertigung?
  5. Kann eine GmbH vom Schutzbereich des Art. 13 GG I erfasst sein?
  6. Erklären Sie die Ursache und die Bedeutung der Formulierung, das BVerfG sei „keine Superrevisionsinstanz“.

 

Bewertungshinweis: Bei einer als mangelhaft bzw. ungenügend zu wertenden Fallbearbeitung (Teil I) wird die Klausur auch im Falle der richtigen Beantwortung der gestellten Fragen (Teil II) insgesamt als mangelhaft bzw. ungenügend bewertet.

 


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