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15.06.2022 - Cäcilia Rennert: Verteidigung im Ermittlungsverfahren

11.07.2022

In der letzten Stunde bekamen wir die Möglichkeit, von Frau Cäcilia Rennert etwas über die Verteidigung im Ermittlungsverfahren zu hören. Frau Rennert ist Fachanwältin für Strafrecht und beschäftigt sich neben dem Strafrecht auch mit dem Verkehrsrecht. Zudem lehrt sie an der HWR Berlin.

Frau Rennert begann ihren Vortrag mit der Frage: Was mache ich als Strafverteidiger, wenn ein neuer Mandant anruft und einen Termin ausmacht? In der von ihr geschilderten Situation hatte der neue Mandant eine Ladung zur Beschuldigten-Vernehmung von der Polizei erhalten und soll sich nun äußern.

Der erste Schritt sollte dann die Aufnahme der Kontaktdaten sein. Zudem ist das Erstgespräch die Gelegenheit, sich den Ablauf vom Mandanten geschildert anzuhören und herauszufinden, worum es in dem Vorwurf geht. Spätestens wenn dann das erste physische Treffen ansteht, ist es wichtig zu sehen, welche Unterlagen mitgebracht wurden. Daran lässt sich dann auch erkennen, in welchem Stadium sich die Verhandlung befindet, was besonders bei Fristen wichtig ist.

Aus den Unterlagen lassen sich zudem der Vorwurf und der Tatzeitraum entnehmen. Entsprechend kann dann der Mandant gefragt werden, ob er den Vorwurf verorten kann, um mehr Information zu sammeln. Dabei wäre es wichtig zu wissen, ob der Mandant sich bereits auf den Tatvorwurf eingelassen hat. Wenn nicht, sollte er das zukünftig gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht unterlassen und ausschließlich mit seiner Strafverteidigung reden. Da ihm das Recht zu schweigen zusteht, muss er sich nicht potenziell selbst belasten.

Grundsätzlich gilt hier, dass es oft wenig Sinn macht, detailliert über den Tatvorwurf zu reden, wenn die Akte noch nicht vorliegt. Im Zweifel weiß man sonst wichtige Details nicht. Schlussendlich ist beim Erstgespräch auch die Bezahlung zu besprechen, um eventuell einen Vorschuss zu vereinbaren und die Bezahlung auch in dem Fall zu sichern, dass das Verfahren schnell eingestellt wird. Anderenfalls könnte die Möglichkeit einer Pflichtverteidigung erforscht werden; dafür müsste dann gegebenenfalls ein Beiordnungsantrag gestellt werden.

Nun muss sich der Strafverteidiger überlegen, ob er die Vertretung übernimmt. Wenn dem so ist, faxt man einen Meldeschriftsatz mit dem Aktenzeichen der Ladung an die Polizei. Im Schriftsatz teilt man mit, dass man die Vertretung übernimmt und beim Staatsanwalt Akteneinsicht beantragt. Dem wird auch eine vom Mandanten unterschriebene Vertretungs-Vollmachtsurkunde angehängt. Diese Vollmachtsurkunde muss zwar selten offengelegt werden, da die Versicherung ihrer Existenz meistens ausreicht, sie ist dennoch enorm wichtig, damit überhaupt verhandelt werden darf.

Die Staatsanwaltschaft wird sich dann melden und der Strafverteidiger holt sich die Akte ab. Relevante Inhalte der Akte können z.B. eine Strafanzeige gegen den Mandanten, Berichte über erste polizeiliche Ermittlungen (z.B. über die Kooperationsbereitschaft des Mandanten, eventuelle Fluchtversuche, sein Verhalten am Tatort etc.) sein. Nachdem die Akte durchgesehen wurde, sollte der Mandant informiert werden. Zusammen sollte spätestens dann eine Strategie der Verteidigung entwickelt werden.

Eine Möglichkeit wäre es, den Mandanten eine schriftliche Einlassung abgeben zu lassen, oder für ihn Stellungnahme abzugeben. Ob das sinnvoll ist, entscheidet sich nach den Erfolgsaussichten. Eine schriftliche Einlassung könnte z.B. günstiger sein, wenn der Mandant nachweislich unschuldig ist. Durch frühzeitiges Äußern kann dann erreicht werden, dass keine Anklage erhoben wird und das Verfahren nach § 170 II StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wird. Nach § 170 II StPO kann auch bei einem Verfahrenshindernis eingestellt werden.

Eine andere für den Mandanten günstige Möglichkeit könnte eine Verfahrenseinstellung nach § 153 oder § 153a StPO sein. Dabei tritt der Strafverteidiger in Verhandlungen mit dem Staatsanwalt und versucht, eine Einstellung anzuregen. Im Gegenzug für die Einstellung leistet der Mandant dann eine Geldauflage, z.B. in Form einer Spende an eine gemeinnützige Organisation. § 153a StPO regelt das Absehen der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen. Entsprechend zahlt der Mandant, um eine Einstellung zu erreichen. In der Praxis kommt das oft auch bei wirtschaftsstrafrechtlichen Streitigkeiten, insbesondere bei sogenannten „white collar crimes“ vor, da diese meist besonders kompliziert sind (anders als z.B. Ladendiebstahl). Eine Einstellung nach § 153a StPO ist bereits im Ermittlungsverfahren, aber nur bei Vergehen möglich und es erfolgt dann keine Eintragung ins Bundeszentralregister.

Notwendig für die Anwendung des § 153a StPO ist das Vorliegen eines Vergehens, dem weder die Schwere der Schuld noch ein öffentliches Interesse der Einstellung entgegenstehen. Zudem müssen die Verfahrensbeteiligten der Einstellung zustimmen. Um zu beurteilen, ob ein öffentliches Interesse besteht oder nicht, kann ein Blick in die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) hilfreich sein; diese sind vor allem als Leitfaden für Staatsanwälte gedacht. In einigen Abschnitten werden exemplarisch Delikte aufgeführt, bei denen ein solches öffentliches Interesse besteht, wie z.B. bei fremdenfeindlichen Delikten. Wenn die Tat des Mandanten keine dieser (allerdings nicht abschließend aufgeführten) Beispiele darstellt, kann man als Verteidiger argumentieren, dass deshalb kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.

Nach Ansicht der Rechtsprechung (vor allem der Zivilgerichte) ist die Einstellung nach § 153 StPO kein Schuldanerkenntnis. Gemäß den §§ 153, 153a I StPO wird im Ermittlungsverfahren eingestellt, nach § 153a II StPO im Hauptverfahren. Bei leichten und mittelschweren Vergehen ist die Erfolgsquote einer Einstellung in der Praxis relativ hoch. In der Stellungnahme für die Einstellung sollte man als Verteidiger direkt die Auflage (z.B. die Höhe des zu zahlendes Geldbetrags) mit aushandeln.

Die bereits erwähnte schriftliche Einlassung kann sich für den Mandanten aber auch negativ ausüben. Davon abzuraten wäre entsprechend, wenn ein schwerer Vorwurf vorliegt. Wenn die Anklageerhebung nicht zu verhindern ist, sollte im Ermittlungsverfahren geschwiegen werden und im Hauptverfahren bei der Beweisaufnahme agiert werden.

Andererseits kann es auch vorkommen, dass die Strafverteidigung anfänglich nicht mit dem Mandanten in Kontakt treten kann, weil dieser sich aufgrund eines besonders schweren Tatvorwurfs bereits in polizeilichem Gewahrsam befindet. Erhält die Verteidigung beispielsweise einen Anruf von der KriPo oder einem Bereitschaftsrichter, in dem nach einem Strafverteidiger verlangt wird, besteht die Möglichkeit, dass man den Mandanten erst bei Verkündung des Haftbefehls kennenlernt. In diesem Fall könnte z. B. ein Antrag auf Haftverschonung gem. § 116 StPO vorteilhaft sein. Diese würde dem Mandanten dann ermöglichen, nicht in U-Haft zu müssen. Voraussetzung hierfür wäre z. B., dass die Fluchtgefahr durch die Lebensumstände des Mandanten erheblich vermindert wäre. Hat der Mandant also eine Familie und Kinder, einen festen Job, eine Wohnung und kann vielleicht noch Geld als eine Art Pfand hinterlegen, wäre die Fluchtgefahr sehr gering und eine Haftverschonung könnte in Betracht kommen.

Wenn es einen Haftbefehl gibt und § 116 StPO nicht durchgeht, dann besteht noch die Möglichkeit, einen Antrag auf Haftprüfung zu stellen. Dann kann die Verteidigung nach 14 Tagen vor dem Ermittlungsrichter erneut um § 116 StPO verhandeln. Dem Ermittlungsrichter kann es manchmal schon ausreichen, dass der Mandat 14 Tage in U-Haft gesessen hat.

Kann eine Einstellung nicht erreicht werden, sollte man versuchen, einen Strafbefehl auszuhandeln, da es dann nicht zu einem Hauptverfahren kommt. § 407 StPO ermöglicht bei Vergehen auf schriftlichen Antrag die Verfahrensbeendigung durch den Erlass eines Strafbefehles.

Anknüpfend an diese Schilderungen wies Frau Rennert zum Schluss noch auf das ehrenamtliche Strafbefehlsberatungsprojekt der Law Clinic in Kooperation mit der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. hin.