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Abgeordnetenrechte (Sachverhalt)

                                                                          

A ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Mitglied der O-Fraktion, die in der Opposition sitzt. Seit Jahren liegt sein politischer Schwerpunkt in der Innenpolitik. Innerhalb seiner Fraktion gilt er als Experte des Geheimdienstrechts. A empfindet seit längerem, dass es in der Bundesrepublik Deutschland einen großen Reformbedarf in diesem Bereich gibt. Er arbeitet deswegen mit einigen Kollegen seiner Fraktion an einem neuen Gesetz zur „Neuordnung der Geheimdienste“. Um einerseits bestehende Missstände mit diesem Gesetz beseitigen und andererseits auch die aktuelle Regierung kontrollieren zu können, benötigt A verschiedene aktuelle Informationen. A macht daher im Oktober 2022 von § 105 GOBT Gebrauch. Nach dessen Satz 1 ist jedes Mitglied des Bundestages berechtigt, kurze Einzelfragen zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten.

A fordert die Bundesregierung zur schriftlichen Beantwortung der folgenden Frage auf:

„Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz sind in den letzten fünf Jahren für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit in das Ausland entsandt worden?“

Im November 2022 erhält A ein Schreiben der Bundesregierung mit folgendem Wortlaut:

„Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass keine Beantwortung der Frage zu der erbetenen Information erfolgen kann. Gegenstand der Frage sind solche Informationen, die in besonderem Maße das Staatswohl berühren. Das verfassungsrechtlich verbürgte Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung wird durch schutzwürdige Interessen – gleichfalls von Verfassungsrang – wie das Staatswohl begrenzt.“

A ist hierüber verärgert und geht noch einmal in Korrespondenz mit der Bundesregierung. Es könne doch nicht sein, dass die Bundesregierung die Nichtbeantwortung seiner Frage einfach nur auf das Staatswohl stütze. Schließlich kämen ihm als Abgeordnetem Rechte aus Art. 38 I 2 GG zu, die sonst leerliefen. Er wolle ja auch gar nicht wissen, was die „Agenten“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz machen, sondern nur eine Zahl erfahren, nämlich wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz in den letzten fünf Jahren für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit in das Ausland entsandt worden sind.

Da die Bundesregierung auch nach diesem Schreiben nicht von ihrer Meinung abrückt, beschließt A, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Er sieht sich in seinen Rechten als Abgeordneter aus Art. 38 I 2 GG verletzt. Wegen der Formelhaftigkeit der Ablehnung könne er nicht seinen Aufgaben als Innenpolitiker nachkommen und auch nicht effektiv die Bundesregierung kontrollieren.

Aufgabe 1: Hat der im Februar 2023 gestellte Antrag des A beim Bundesverfassungsgericht Aussicht auf Erfolg? Wie würde das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung im Tenor formulieren? Nennen Sie auch die entsprechende Norm.

 


Aufgabe 2:

Die Bundesregierung plant eine Verschärfung des Waffenrechts. Um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen und um den Gesetzentwurf direkt im Bundestag zu diskutieren, bringt nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungsfraktion S den Gesetzesentwurf zur „Verschärfung des Waffenrechts“ in den Bundestag ein. Anschließend finden drei Lesungen im Deutschen Bundestag statt, der Bundesrat wird gem. Art. 77 GG ordnungsgemäß beteiligt und erhebt keinerlei Einwände. Auch wird das Gesetz vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet.

Sie machen ein Praktikum im Deutschen Bundestag und sollen nun prüfen, ob ein solches Gesetz formell verfassungsgemäß wäre. Ihre Vorgesetzte möchte von Ihnen vor allem wissen, ob es rechtmäßig sein könne, dass der Bundesrat zu Beginn einfach so umgangen wird?

Erstellen Sie ein kurzes Gutachten. Prüfen Sie dabei ausschließlich, ob das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß eingehalten wurde und das Gesetz dementsprechend formell verfassungsmäßig ist. Von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der Einhaltung der Form kann ausgegangen werden.

Aufgabe 3:

Als Innenpolitiker und Experte in seinem Gebiet ist A nicht nur mit seinen Kollegen, sondern auch mit der Fraktionsführung und dem parlamentarischen Geschäftsführer seiner Fraktion in engem und stetigem Austausch. Als im März 2023 der türkische Staatspräsident Berlin für drei Tage besucht, um eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten, sieht A die Chance für einen „stillen“ Protest. Er hängt an die Fensterscheibe seines Abgeordnetenbüros eine auf Papier gedruckte Abbildung von Zeichen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG in Syrien, im Format DIN A4 (nachfolgend: Plakatierung). Das Büro des A befindet sich zur X-Straße gerichtet im 5. Obergeschoss und nur wenige Minuten fußläufig vom Reichstag entfernt. Am Tag der Rede des türkischen Staatspräsidenten wird der Bereich des Deutschen Bundestages weiträumig für den Autoverkehr gesperrt, darunter auch die X-Straße. Beamte der Polizei beim Deutschen Bundestag stellen die Plakatierung des A anlässlich eines Kontrollgangs um 16:07 Uhr fest. Zu diesem Zeitpunkt sind die Straßensperrungen im Bereich des Gebäudes und der X-Straße bereits wieder aufgehoben. Die Plakatierung wurde bislang von niemand anderem wahrgenommen. Während der Entdeckung hielt sich A nicht in seinen Büroräumen auf. Versuche, ihn telefonisch oder auf anderem Wege zu erreichen, unternahm die Polizei beim Deutschen Bundestag nicht. Vielmehr betraten die Beamten die Abgeordnetenräume des A und nahmen die Plakatierung ab, um sie auf seinen Schreibtisch zu legen. In den Büroräumen hinterließen sie einen roten Hinweiszettel, der die Angabe enthielt, bei einem „routinemäßigen Kontrollgang“ seien in den Zimmern 2013/2015 „Plakatierungen“ festgestellt worden, die „gemäß § 4 Abs. 2 der Hausordnung anlässlich des Staatsbesuchs des türkischen Staatspräsidenten“ abgenommen worden seien. Zur Aufklärung des Geschehens wandte sich der parlamentarische Geschäftsführer der O-Fraktion an die Präsidentin des Deutschen Bundestages (Antragsgegnerin). In einem daraufhin erstellten Vermerk erläuterte die Antragsgegnerin die streitgegenständliche Maßnahme. Sie führte unter anderem aus, in rechtlicher Hinsicht stütze sich die Maßnahme auf §§ 23, 11, 9 DA-PVD. Anlass der Maßnahme sei nicht der bloße Verstoß gegen die Hausordnung gewesen, sondern der Besuch des türkischen Staatspräsidenten.

 

A begehrt die Feststellung, dass er durch das Betreten und Durchsuchen seiner Abgeordnetenräume in seinen verfassungsmäßigen Rechten als Abgeordneter verletzt worden sei. Eine solche Durchsuchung durch die BT-Polizei sei in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Sie hätte wegen Art. 40 II 2 GG nicht ohne Genehmigung der Bundestagspräsidentin stattfinden dürfen. Jedenfalls sei der Schutz seiner räumlichen Sphäre Teil seines verfassungsrechtlich garantieren Status als Abgeordneter. Wie solle er denn sein Mandat frei iSv Art. 38 I 2 GG wahrnehmen, wenn er jederzeit Angst haben müsse, dass die BT-Polizei schnüffelt. Es gäbe für die Maßnahme keine Rechtsgrundlage, die Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst der Bundestagspolizei (DA-PVD) sei schließlich kein Gesetz. Darüber hinaus habe sich die BT-Polizei nicht einmal daran gehalten. Auch Art. 47 GG sieht er verletzt. Wenn sich die Exekutive selbst bestimmte Regelungen auferlege, müsse sie diese auch befolgen, sonst sei einer willkürlichen Behandlung Tür und Tor geöffnet.

Er ruft daher das Bundesverfassungsgericht an.

Hat sein Antrag Aussicht auf Erfolg?

 

 

 

 

Zu berücksichtigende Normen hinsichtlich Aufgabe 3:

§ 4 der Hausordnung des Deutschen Bundestages (nachfolgend: Hausordnung) lautet auszugsweise wie folgt:

§ 4 Verhalten in Gebäuden

(2) Es ist nicht gestattet, Spruchbänder oder Transparente zu entfalten, Informationsmaterial zu zeigen oder zu verteilen, es sei denn, es ist zur Verteilung zugelassen.

 

Ferner besteht eine Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst der Polizei beim Deutschen Bundestag, der von der Bundespolizei zu unterscheiden ist (nachfolgend: DA-PVD). Eine förmliche Bekanntmachung ist nicht erfolgt. Auszugsweise lautet die DA-PVD wie folgt:

§ 1 Grundlagen

(1) 1 Die Präsidentin/Der Präsident des Deutschen Bundestages übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Gebäude des Deutschen Bundestages aus (Art. 40 Abs. 2 Grundgesetz, § 7 Abs. 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages). Dazu bedient sie/er sich des Polizei- und Sicherungsdienstes beim Deutschen Bundestag. Die Ausübung der polizeilichen Befugnisse ist dem Polizeivollzugsdienst beim Deutschen Bundestag (Polizei) übertragen.

 

§ 7 Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen sie zu richten.

 

§ 8 Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen

(1) Geht von einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten.

 

§ 9 Unmittelbare Ausführung einer Maßnahme

(1) Die Polizei kann eine Maßnahme selbst oder durch einen Beauftragten unmittelbar ausführen, wenn der Zweck der Maßnahme durch Inanspruchnahme der nach §§ 7 und 8 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Die/Der von der Maßnahme Betroffene ist unverzüglich zu unterrichten.

 

§ 11 Allgemeine Befugnisse

(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 13 bis 25 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.

 

§ 23 Betreten und Durchsuchen von Räumen

(1) Die Polizei kann einen Raum ohne Einwilligung der Benutzerin/des Benutzers zur Abwehr einer Gefahr betreten.

(3) Die Durchsuchung ist – außer bei gegenwärtiger erheblicher Gefahr – nur mit Genehmigung der Präsidentin/des Präsidenten des Deutschen Bundestages zulässig. Die Präsidentin/Der Präsident ist unverzüglich vom Ergebnis der Durchsuchung zu unterrichten.

 

Bearbeitungsvermerk:

Aufgaben 1, 2 und 3 sind gutachterlich zu lösen. Dabei ist auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen, gegebenenfalls hilfsgutachterlich, einzugehen.

Normen aus der GOBT sind nicht zu prüfen. Ebenfalls ist Art. 45d GG außer Acht zu lassen.


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