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Biergarten (Lösungsvorschlag)

Die Klage Heins wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit

Die Klage Heins ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.


I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Eine aufdrängende Sonderzuweisung zum Verwaltungsrechtsweg liegt nicht vor. Der Weg zu den Verwaltungsgerichten ist grundsätzlich eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen solche des öffentlichen Rechts sind und keine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit vorliegt. Hier sind die öffentlich-rechtlichen Normen der §§ 29 ff. BauGB und §§ 59 ff. BauO Bln maßgeblich, so dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Zudem streiten nicht zwei unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte über die Auslegung von Verfassungsrecht. Der Verwaltungsrechtsweg ist somit eröffnet; eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht einschlägig.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO), so dass das Rechtsschutzziel des Klägers ermittelt werden muss[1]. Hein beantragt hier, das Bezirksamt Reinickendorf als Bauaufsichtsbehörde zu verpflichten, ihm entsprechend seinem Antrag eine Baugenehmigung zu erteilen. Da es sich bei der begehrten Baugenehmigung nach § 59 Abs. 1 BauO Bln um einen Verwaltungsakt i. S. d. Legaldefinition der §§ 35 VwVfG, 31 SGB X, 118 AO und der entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder handelt, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist, wird die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO dem Begehren gerecht.[2] Die Verpflichtungsklage ist somit die statthafte Klageart.

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktcharakter der Baugenehmigung ausführlich: Lindner/Struzina, JuS 2016, 226.

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Hein müsste die Möglichkeit geltend machen können, durch die Ablehnung der Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist der Fall, wenn er einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung haben könnte. Ein solcher Anspruch könnte sich hier aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ergeben. Hein ist klagebefugt.

Anmerkung: Falsch wäre es hier, die Klagebefugnis auf die Adressatentheorie zu stützen, siehe hierzu diesen Hinweis. Auch aus Art. 14 Abs. 1 GG ergibt sich allenfalls ein Anspruch darauf, sein Grundstück bebauen zu können, nicht jedoch ein Anspruch gerade auf Erteilung einer Baugenehmigung. Dies zeigen deutlich die §§ 59 ff. BauO Bln, die nicht für jedes Bauvorhaben die Erteilung einer Baugenehmigung vorschreiben.


IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Widerspruchsbehörde ist nach § 27 Abs. 1 lit. b AZG i. V. m. §§ 185 Abs. 2, 73 Abs. 1 Nr. 2 VwGO das Bezirksamt Reinickendorf.

Anmerkung: Die abweichende Zuständigkeit der Senatsverwaltung nach § 88 BauO Bln (= § 86 Abs. 1 BauO Bln a. F.) ist hier mangels Tatbestandserfüllung nicht einschlägig, sollte aber nie vergessen werden, obwohl sie seit der Gesetzesänderung zum 01.01.2017 erheblich an Relevanz verloren hat.

Das Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 VwGO wurde form- und fristgerecht durchgeführt.

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Die Klage ist nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen das Land Berlin als Behördenträger zu richten.

VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)

Der Kläger ist als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 Var. 1 VwGO beteiligtenfähig. Die Beteiligtenfähigkeit des Landes Berlin ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Var. 2 VwGO.

VII. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)

Hein ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Für das Land Berlin handelt gemäß § 62 Abs. 3 VwGO ein Vertreter.

VIII. Ergebnis zu A.

Da auch die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO und alle Förmlichkeiten eingehalten wurden, ist die Klage insgesamt zulässig.


B. Begründetheit

Eine Verpflichtungsklage ist – entgegen dem insoweit zumindest ungenauen Wortlaut des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO – nicht schon begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 VwGO). Vielmehr kommt es nach einhelliger Auffassung[3] darauf an, ob der Kläger (jetzt noch) einen Anspruch auf den unterlassenen oder versagten Verwaltungsakt hat. Die Klage ist dementsprechend begründet, wenn Hein einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln besitzt.

I. Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens

Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung nach § 59 BauO Bln ist jedoch, dass das Vorhaben einer Baugenehmigung bedarf.

1. Vorliegen einer Anlage

Dafür müsste es sich bei Heins Vorhaben um eine Anlage handeln. Anlagen i. S. d. BauO Bln sind bauliche Anlagen oder sonstige Anlagen oder Einrichtungen. Der Begriff der baulichen Anlage ist in § 2 Abs. 1 S. 2 und S. 3 BauO Bln legaldefiniert. Hiernach sind bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Bauprodukte sind nach § 2 Abs. 10 Nr. 1 BauO Bln vor allem Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden. Hein will hier auf dem gesamten Grundstück einen Boden aus Holzbohlen verlegen. Solche Bodendielen sind jedenfalls Baustoffe i. S. d. § 2 Abs. 9 Nr. 1 BauO Bln, so dass das gesamte Vorhaben eine bauliche Anlage ist, mithin eine Anlage vorliegt.

Anmerkung: Zum bauordnungsrechtlichen Begriff der „baulichen Anlage“ siehe vor allem den Fall „Mobilmachung“.

2. „Errichten“ der Anlage

Es liegt nicht nur eine bloße Intensivierung der Nutzung des bereits vorhandenen Gebäudes vor, die – da sie keine Nutzungsänderung darstellt – nicht genehmigungspflichtig wäre[4]. Schließlich will Hein die Getränke nicht „auf der grünen Wiese“, sondern in einem hierfür neu einzurichtenden Biergarten servieren. Hein will demnach die Anlage auch i. S. d. § 59 Abs. 1 BauO Bln „errichten“.

3. Keine Genehmigungsfreiheit des Vorhabens

Ferner darf das Vorhaben nicht nach § 61 BauO Bln genehmigungsfrei sein. Wenn überhaupt, kommt hier allenfalls eine Genehmigungsfreiheit nach § 61 Abs. 1 Nr. 10 lit. c oder Nr. 14 lit. a BauO Bln in Betracht, jedoch fehlt sowohl der Bezug zur Freizeitgestaltung i. S. d. Vorschrift als auch zu einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb. Demnach liegen die Voraussetzungen nicht vor, so dass das Vorhaben Heins nicht genehmigungsfrei ist.

4. Ergebnis zu I.

Hein bedarf damit für sein Vorhaben einer Baugenehmigung.

II. Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens

Nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ist ein nach § 59 BauO Bln genehmigungsbedürftiges Bauvorhaben zu genehmigen, wenn es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, die im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren zu prüfen sind.

Der Prüfungsmaßstab richtet sich dabei entscheidend nach der Einordnung des Bauvorhabens. Handelt es sich um einen Sonderbau, so ist im Baugenehmigungsverfahren nach § 64 BauO Bln zu verfahren. In den anderen Fällen gilt das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach § 63 S. 1 BauO Bln.

Im vereinfachten Verfahren sind nach § 63 S. 1 BauO Bln die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der §§ 29 bis 38 BauGB, die beantragte Zulassung von Abweichungen i. S. d. § 67 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 BauO Bln sowie die Einhaltung anderer öffentlich-rechtlicher Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird, zu prüfen.

Anmerkung: Beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren wird die Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht mehr umfassend, sondern nur am Maßstab der abschließend aufgezählten Vorschriften geprüft. Daher ist eine solche Baugenehmigung nicht rechtswidrig (und kann deshalb auch nicht nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden), wenn das Bauvorhaben mit Vorschriften unvereinbar ist, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind.[5] Wenn das Bauvorhaben gegen baurechtliche Regelungen verstößt, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind, kann dementsprechend eine erteilte Baugenehmigung etwaigen Abrissverfügungen und sonstigen bauordnungsrechtlichen Maßnahmen aber auch nicht entgegengehalten werden.[6] Die durch die Genehmigung vermittelte Legalisierungswirkung ist also auf den Umfang des gesetzlichen Prüfprogramms beschränkt. § 59 Abs. 2 BauO Bln formuliert dies letztlich unmissverständlich: „Die [...] Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach [...] § 63 […] entbinde[t] nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, und [lässt] die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt.“

Vorliegend kommt das Vorliegen eines Sonderbaus nach § 2 Abs. 4 Nr. 8 BauO Bln in Betracht. Bei dem Vorhaben Heins handelt es sich jedoch nicht um eine Gaststätte, sondern um einen Biergarten im Freien. Dieser wäre ein Sonderbau, wenn er Platz für mehr als 1000 Gäste böte. Dies ist jedoch bei Weitem nicht der Fall. Da das tatbestandliche Vorliegen des § 2 Abs. 4 Nr. 8 BauO Bln an der Zahl der Plätze scheitert und darüber hinaus keine Besonderheiten ersichtlich sind, die zu besonderen Gefahren führen, die denen einer (fast doppelt) so hohen Gästezahl vergleichbar wären, ist auch § 2 Abs. 4 Nr. 20 BauO Bln nicht einschlägig.

Demnach liegt kein Sonderbau vor, das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach § 63 BauO Bln ist anwendbar.

1. Vereinbarkeit mit den §§ 29 ff. BauGB

Das Vorhaben müsste daher den bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BauGB entsprechen.

a) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Fraglich ist zunächst, ob die §§ 29 ff. BauGB anwendbar sind. Dann müsste es sich bei dem Vorhaben Heins um die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB handeln, also um ein Vorhaben, das, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 2 BauO Bln erfüllt sind, eine gewisse „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz aufweist, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.[7] Dies ist bei der Einrichtung eines Biergartens für 600 Gäste zu bejahen. Es ist deutlich, dass hier ein Erfordernis der Abstimmung u. a. mit den Belangen der – wenn auch 300 m entfernt wohnenden – Nachbarn besteht.

Anmerkung: Keine bauliche Anlage i. S. d. § 29 BauGB, wohl aber i. S. d. Bauordnungsrechts, soll nach OVG Hamburg etwa eine „klassische“ Litfaßsäule auf einem öffentlichen Weg sein.[8]

b) Vereinbarkeit mit § 30 BauGB

Heins Grundstück, auf dem das Vorhaben durchgeführt werden soll, befindet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Daher ist § 30 BauGB zu beachten. Da der Bebauungsplan jedoch keine Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung enthält, handelt es sich nicht um einen sog. qualifizierten Bebauungsplan, innerhalb dessen Geltungsbereich sich die Zulässigkeit eines Vorhabens ausschließlich nach § 30 Abs. 1 BauGB richten würde. Vielmehr handelt es sich um einen einfachen Bebauungsplan, bei dem sich nach § 30 Abs. 3 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens „im Übrigen“ nach § 34 bzw. § 35 BauGB richtet. Der einfache Bebauungsplan wird damit – soweit er keine Regelungen enthält – durch § 34 und § 35 BauGB ergänzt.

Hier lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, welche Vorgaben der Bebauungsplan über das Maß der baulichen Nutzung (vgl. §§ 16 ff. BauNVO), die Bauweise (vgl. § 22 BauNVO) oder die überbaubare Grundstücksfläche enthält (vgl. § 23 BauNVO). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Vorhaben den Vorgaben des Bebauungsplanes entspricht. Da dieser jedoch keine Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung enthält, sind insoweit nach § 30 Abs. 3 BauGB die Regelungen der § 34 und § 35 BauGB ergänzend heranzuziehen.

c) Vereinbarkeit mit § 34 BauGB

Fraglich ist daher zunächst, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richtet. Dann müsste sich Heins Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles befinden. Das fragliche Grundstück befindet sich hier unmittelbar im Anschluss an ein Grundstück, auf dem ein Gebäude steht, das das letzte Gebäude eines in Zusammenhang bebauten Ortsteils ist. Grundsätzlich endet der Innenbereich unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen unmittelbar hinter dem letzten Baukörper des im Zusammenhang bebauten Ortsteils.[9] Eine Fläche, die unmittelbar an das letzte vorhandene Gebäude des Innenbereichs anschließt, zählt damit bereits zum Außenbereich. Derart liegen auch die Grundstücke hier. Das Grundstück, auf dem Hein den Biergarten errichten will, liegt damit nicht mehr im Innenbereich, sondern im Außenbereich, so dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens allein nach § 35 BauGB richtet.

d) Vereinbarkeit mit § 35 BauGB

Fraglich ist damit, ob das Vorhaben mit § 35 BauGB vereinbar ist. Insoweit ist von Bedeutung, ob es sich bei dem Vorhaben um ein nach § 35 Abs. 1 BauGB sog. privilegiertes Vorhaben handelt, das schon dann zulässig ist, wenn ihm öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB nicht entgegenstehen, oder um ein „sonstiges Vorhaben“ i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB, das bereits dann unzulässig ist, wenn es öffentliche Belange i. S. d. § 35 BauGB beeinträchtigt.

aa) Zulässigkeit als privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB

Hier könnte allenfalls eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in Betracht kommen. Dann müsste der geplante Biergarten wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden können. Hein meint insoweit, dass das Vorhaben wegen des mit dem Betrieb des Biergartens notwendig verbundenen Geräuschpegels zwangsläufig im Außenbereich angesiedelt werden müsse. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist jedoch eng auszulegen, weil andernfalls § 35 BauGB seiner Funktion der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs vor Bebauung nicht gerecht werden kann. Das Vorhaben muss daher in der konkreten Situation der jeweiligen Gemeinde im Außenbereich „erforderlich“ und nicht nur zweckmäßig oder sinnvoll sein. Schließlich muss das Vorhaben im Außenbereich errichtet werden „sollen“, d. h. es muss aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise in einer Weise billigenswert sein, die es rechtfertigt, das Vorhaben bevorzugt im Außenbereich zuzulassen.[10] Nach diesen Grundsätzen sind Gaststätten i. d. R. keine privilegierten Vorhaben, es sei denn, es tritt – wie bei Berghütten – der Gesichtspunkt einer für die Allgemeinheit notwendigen Versorgung in den Vordergrund.[11] Dies ist hier jedoch erkennbar nicht gegeben, so dass der Biergarten kein nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben ist.

bb) Zulässigkeit als „sonstiges Vorhaben“ nach § 35 Abs. 2 BauGB

Das Vorhaben könnte dementsprechend nur nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig sein. Insoweit geht die Rechtsprechung davon aus, dass – entgegen seinem Wortlaut – § 35 Abs. 2 BauGB der Behörde kein Ermessen einräume, auch ein „sonstiges Vorhaben“ im Außenbereich letztlich also genehmigt werden müsse, wenn es keine öffentlichen Belange beeinträchtige. Begründet wird dies vor allem damit, dass die Baufreiheit Bestandteil des nach Art. 14 GG geschützten Eigentums sei und es damit allein dem Gesetzgeber vorbehalten sei, den Inhalt desselben zu bestimmen.[12] Dies ist nicht unumstritten,[13] kann hier jedoch dahingestellt bleiben, wenn das Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt, da dann die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 BauGB schon tatbestandlich nicht gegeben sind. Wann öffentliche Belange beeinträchtigt sind, führt § 35 Abs. 3 BauGB in nicht abschließenden „Regelbeispielen“ auf.

Ob das Vorhaben durch eine unerwünschte Vorbildwirkung die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB), kann ohne nähere Angaben im Sachverhalt nicht abschließend beantwortet werden, ist aber auch nicht ausgeschlossen.

Unabhängig davon geht hier Hein zurecht selbst davon aus, dass durch das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräuschemissionen (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG) hervorgerufen werden, so dass hier bereits § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB eingreift.

Anmerkung: Sofern dennoch die schädliche Umwelteinwirkung verneint wird, wäre wohl an den ungeschriebenen Belang des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme zu denken (die Aufzählung in § 35 Abs. 3 BauGB ist eben nicht abschließend!).

Darüber hinaus ist anzunehmen, dass durch die Anlage die natürliche Eigenart der – als besonders friedlich geschilderten – Landschaft und damit auch ihr Erholungswert beeinträchtigt wird, so dass auch § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB eingreift.

Damit steht fest, dass das Vorhaben Heins in zumindest zweierlei Hinsicht öffentliche Belange beeinträchtigt. Es ist damit auch nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig.

cc) Ergebnis zu d)

Das Vorhaben widerspricht somit § 35 BauGB.

e) Ergebnis zu 1.

Damit widerspricht das Vorhaben dem auch im Verfahren nach § 63 BauO Bln zu prüfenden Bauplanungsrecht.

2. Vereinbarkeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften

Eine Versagung der Baugenehmigung hätte darüber hinaus möglicherweise noch aus anderen Gründen erfolgen können. Schließlich geht der Bezirksstadtrat Bauwesen Reinickendorf, Fabian Folltoll, davon aus, dass Hein die Baugenehmigung für den Biergarten nicht erteilt werden könne, weil dieser in der Vergangenheit vielfach gegen das Gaststättengesetz verstoßen hat. Verstöße gegen nicht-baurechtliche Vorschriften stehen der Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren grundsätzlich aber nicht entgegen. Lediglich soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird, gehören diese Vorschriften zum Prüfungskatalog (s. §§ 63 S. 1 Nr. 3, 64 S. 1 Nr. 3 BauO Bln). Da dies hier nicht der Fall ist, darf diese Frage im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung grundsätzlich keine Rolle spielen.

Anmerkungen:

1. Das Gaststättengesetz des Bundes, das heute wegen der Neufassung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG durch das 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I 2034 - sog. "Föderalismusreform I") nicht mehr vom Bund erlassen werden könnte, gilt in Berlin nach Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fort.

2. U. a. das Saarland[14] sowie Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Sachsen und Thüringen haben mittlerweile ein eigenes Gaststättengesetz erlassen (vgl. die Übersicht über die Gaststättengesetze der Länder). Während in Baden-Württemberg das Gaststättengesetz des Bundes gemäß § 1 LGastG BW unter kleineren Ergänzungen fortgilt, besteht die wichtigste Neuregelung in Brandenburg, dem Saarland, in Sachsen und in Thüringen darin, dass die bisherige personen- und raumbezogene Erlaubnispflicht entfallen und durch eine bloße Gewerbeanzeigepflicht ersetzt worden ist, wobei im Falle eines beabsichtigten Alkoholausschanks eine vorherige Zuverlässigkeitsprüfung vorgesehen ist.[15] Dagegen besteht in Bremen die Erlaubnispflicht bei Alkoholausschank fort, ist dort jedoch als reine Personalkonzession ausgestaltet, also (ebenfalls) nicht mehr an bestimmte bauliche Anforderungen an die Gaststättenräume geknüpft.

3. Mit Entfallen der personen- und raumbezogenen Erlaubnispflicht bzw. mit Ausgestaltung der Erlaubnispflicht als reine Personenkonzession stellt sich in den oben genannten Ländern, die das Bundes-Gaststättengesetz ersetzt haben, das in den übrigen Bundesländern noch fortbestehende Problem der „gemischten“ Personen- und Sachkonzession und der damit einhergehenden Verschränkung der Verantwortungsbereiche von Bauaufsichts- und Gaststättenbehörden nicht mehr.[16] Durch die Auflösung dieser Verknüpfung sind die Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten der Bau- und Gewerbebehörden klar abgegrenzt und gleichzeitig die unbefriedigende Zersplitterung der einzuhaltenden baurechtlichen bzw. gaststättenrechtlichen Vorgaben und Behördenzuständigkeiten, je nachdem, ob es sich um eine erlaubnisfreie oder erlaubnispflichtige Gaststätte handelt, entfallen.[17]

Diese Landesgesetze folgen dementsprechend wie das Bundes-Gaststättengesetz dem sog. Separationsmodell[18], das die Sicherstellung der Einhaltung des Gaststättengesetzes nicht den Bauaufsichtsbehörden überträgt.

Fraglich ist, ob sich durch die Einfügung des § 71 Abs. 1 S. 3 BauO Bln etwas an dieser Lage geändert hat. Nunmehr darf die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Unter den Wortlaut der Norm wäre auch das GastG als öffentlich-rechtliche Vorschrift zu fassen. Dagegen spricht jedoch die Intention des Gesetzgebers. Dieser wollte lediglich die bereits richterlich anerkannte Versagungsmöglichkeit rechtswidriger Bauvorhaben bei deshalb fehlendem Sachbescheidungsinteressse normieren. Diese war jedoch nur im Hinblick auf von der Bauaufsichtsbehörde zu beurteilende Rechtsfragen (also insbesondere im Hinblick auf das Bauordnungsrecht) möglich. Der Gesetzgeber wollte mit dem Einfügen des Satzes letztlich eine Verfahrensvereinfachung gesetzlich niederschreiben und dem Bauherren bereits früh einen Bescheid zukommen lassen, gegen den er dann gegebenenfalls gerichtlich vorgehen kann, ohne dabei der Bauaufsichtsbehörde zusätzliche Kompetenzen im Hinblick auf fachfremde Rechtsfragen zu gewähren.[19]

Die missverständlich formulierte Norm ist daher restriktiv auszulegen. Auch weiterhin ist das GastG nicht durch die Baubehörde zu prüfen und auf dieser Grundlage eine Baugenehmigung zu versagen.

Folglich durfte die Baubehörde den Verstoß gegen das Gaststättengesetz nicht zum Anlass nehmen, Hein die beantragte Baugenehmigung zu verweigern.

3. Ergebnis zu II.

Das Vorhaben Heins entspricht somit wegen Verstoß gegen § 35 Abs. 2 BauGB nicht den im vereinfachten Verfahren nach § 63 BauO Bln zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften.

III. Ergebnis zu B.

Demnach besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln. Daher ist für die Begründetheit der Verpflichtungsklage auch ohne Bedeutung, dass die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung auch mit einer teilweise fehlerhaften Begründung verweigert hat. Denn dies ändert nichts daran, dass Hein keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung aus § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln hat, wenn sein Vorhaben – wie hier – aus anderen Gründen öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Die Klage ist deshalb unbegründet.

C. Ergebnis

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet und wird daher keinen Erfolg haben.


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Fußnoten

[1] BVerfG [K], 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37.

[2] U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

[3] Siehe zuletzt BVerwG, 4 C 33/13 v. 4.12.2014, Abs. 18 = BVerwGE 151, 36, Abs, 18 = NVwZ 2015, 986, Abs. 18.

[4] Vgl. BVerwG, 4 C 9.97 v. 29.10.1998, Abs. 14 = NVwZ 1999, 417, 418.

[5] OVG Hamburg, 2 Bf 405/05 v. 30.3.2011, Abs. 39 ff. = NordÖR 2011, 338 ff.

[6] Deutlich OVG Berlin-Brandenburg, OVG S 99.09 v. 23.6.2010, Abs. 4 = NVwZ-RR 2010, 794, 795.

[7] Vgl. Muckel/Ogorek, § 7 Rn. 14 ff.

[8] OVG Hamburg, Bf II 13/96 v. 20.2.1997 = NVwZ-RR 1998, 616 ff.

[9] BVerwG, 4 C 7/10 v. 16.9.2010, Abs. 12 = NVwZ 2011, 436, Abs. 12 m.w.N.

[10] Finkelnburg/Ortloff/Kment, § 27 Rn. 24 ff.

[11] Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, § 35 Rn. 43.

[12] BVerwG, I C 30.62 v. 29.4.1964, Abs. 8 ff. = BverwGE 18, 247, 249 ff.

[13] Vgl. z.B. Ortloff, NVwZ 1988, 320 ff.

[14] Saarländisches Gaststättengesetz vom 13. April 2011 (vgl. LT-Drs. 14/317).

[15] Kritisch hierzu Lehmann, NVwZ 2009, 84 ff.

[16] Vgl. hierzu U. Stelkens, BayVBl. 2007, 263, 264 ff.

[17] Vgl. für das Saarland LT-Drs. 14/317, S. 2, 14.

[18] Vgl. hierzu Muckel, § 9 Rn. 46 ff.

[19] Vgl. die Gesetzesbegründung, AH-Drs. 17/2713, S. 78.


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach

Stand der Bearbeitung: November 2016 (Änderungen des Dritten Gesetzes zur Änderung der BauO von Berlin sind bereits eingearbeitet)