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FU Jessup Team 2020 - Erfahrungsbericht

Der Staat Adawa klagt gegen die Republik Rasasa. So soll Rasasa internationales Recht verletzt haben, indem es an der Ländergrenze ein autonomes Waffensystem installiert hat. Außerdem wurden Zölle eingeführt, welche womöglich gegen regionale Handelsvereinbarungen verstoßen. Die Unstimmigkeiten zwischen den Ländern wachsen und die Lage droht zu eskalieren, als Adawa die Außenministerin von Rasasa festnimmt. Klingt wie ein spannender Polit-Thriller? Willkommen beim Jessup Moot Court 2020!

Ob beim Frühstück mit den Mitbewohnern, abends in der Bar mit Freunden oder an Weihnachten mit der Familie – für uns „Mooties“ gab es zwischen Oktober 2019 und März 2020 kaum ein aufregenderes und präsenteres Thema.

Im letzten Sommer haben wir, Alena Rogge, Georg Fritz, Laura Kraft und Leonora Erhardt, uns für den Jessup Moot Court beworben. Im September wurde der Sachverhalt veröffentlicht und im Oktober hatten wir endlich unser erstes Teammeeting mit unserem Coach Lea Kuhlmann. Je zwei “Mooties” vertraten einen Staat vor dem IGH. Der Rechtsstreit basierte auf vier unterschiedlichen Ansprüchen, weswegen sich letztlich jeder hauptsächlich mit zwei Ansprüchen beschäftigte. Einmal eingeteilt, ging es auch schon los mit der Recherche. Von der ILSA (International Law Students Association) wurden zwei „Batches“ an Materialien veröffentlicht, die den Startpunkt der Recherche darstellten. Von diesen Materialien aus ging die Recherche sehr schnell tiefer, jedoch waren diese Materialien gerade für den Einstieg sehr hilfreich.

Unser Coach Lea hat uns gleich von Beginn an animiert, mit dem Erstellen der Schriftsätze (Memorials) zu beginnen, von denen es pro Partei einen anzufertigen galt. Die Schriftsätze erforderten viel Arbeit und Energie und vor allem bei den ersten Anläufen taten wir uns schwer: Wir schreiben zu objektiv, für jedes Argument lässt sich schnell ein Gegenargument finden und es fühlt sich falsch an, Argumente zu vertreten, die nicht immer mit der eigenen Meinung übereinstimmen. Zudem sind Quellenlage und Dogmatik im Völkerrecht herausfordernd.

Einmal in der Woche trafen wir uns zu einem Teammeeting, um die Schriftsätze zu diskutieren. Außerdem machten wir regelmäßig Übungen zum Public Speaking, um dadurch unsere Körpersprache, Gestik und Atmung zu schulen.

Mit Weihnachten rückte auch die Deadline für die Abgabe der Schriftsätze näher. In der ersten Woche nach Weihnachten trafen wir uns jeden Tag, um alle Schriftsätze nochmals gemeinsam zu überarbeiten und an die vorgegebenen Formalien anzupassen. Diese intensive Woche war für uns die erste Bewährungsprüfung in Sachen Schlaflosigkeit, Team Building und Stressbewältigung. Abhilfe schafften 1m2 Pizza und ganz viele „FancyPoints“, Punkte die wir uns selbst für Kreativität bei unseren Schriftsätzen gaben. Mit vielen Snacks und vielleicht auch dem ein oder anderen Glas Wein konnten wir dann nach einer Woche endlich guten Gewissens unsere Schriftsätze einreichen.

 

Nach Abgabe der Memorials (Schriftsätze) ging es über in die mündliche Phase, in der wir die mündlichen Plädoyers übten. 20 Minuten reden, am besten frei und dabei auch noch ganz galant und selbstbewusst Fragen von den Judges beantworten... Das fiel am Anfang dann doch noch etwas schwer. Da wir jedoch beinahe 25 Probe-Pleadings hatten, stellte sich schnell eine gewisse Routine ein: Wir wurden souveräner, waren weniger nervös und wussten auf immer mehr Fragen die korrekten Antworten (oder taten zumindest so – ganz nach dem Motto „keine Antwort ist keine Option“). Diese Phase war die arbeitsintensivste, da wir zwischen den Pleadings (vier pro Woche) Korrekturen vornehmen und zudem die noch nicht beantworteten Fragen recherchieren mussten. Höhepunkte waren die von unserem Coach organisierten Probeverhandlungen mit Guest Judges wie Prof. Heike Krieger, Prof. Campbell McLachlan, Dr. Björnstern Baade und Prof. Georg Nolte sowie Pleadings in den renommierten Rechtsanwaltskanzleien Noerr, Gleiss Lutz, Hengeler Mueller und Blomstein. Solche Verhandlungen simulierten den Ernstfall bestmöglich, insbesondere dadurch, dass wir vor Personen mit unterschiedlichsten juristischen Schwerpunkten pleaden konnten und uns dadurch eine Vielfalt an möglichen Fragen gestellt wurde.

 

Anfang März, nach vier Wochen Probe-pleadings, über 100 verschiedenen Fragen und Recherche bis in jedes noch so kleine Detail, fühlten wir uns mit allen Wassern gewaschen und bereit für die deutsche Vorrunde des 2020 Jessup Moot Courts in Göttingen. 17 Teams trafen sich am ersten Märzwochenende. Eingeläutet wurden die Verhandlungen mit einem Empfang im Alten Rathaus und endeten mit einer großen Abschlussgala. Dazwischen lagen drei Verhandlungstage, an denen man, im Businessoutfit gekleidet, namhafte Völkerrechtler von seiner (natürlich der einzig richtigen) Position zu überzeugen versuchte. Von einem Pleading zum anderen, die Vorbereitung bei Nacht und zwischendurch, mal schnell noch was essen, einen Kaffee hier und ein kleiner Snack? dort – bei all dem vergingen die ersten zwei Tage wie im Flug. Nach Ende der Vorrunde wurden dann bei dem Announcement-Dinner die acht Viertelfinalisten verkündet. Unser Team ist nicht in das Viertelfinale eingezogen, weswegen wir alle sehr enttäuscht waren und einige Zeit brauchten um „unser Krönchen wiederaufzurichten“. So groß waren die Träume, so viel Zeit und Arbeit, die wir investiert haben; die persönlichen Feedbacks der Judges positiv und vielversprechend – und trotzdem hat es leider nicht gereicht. Am nächsten Tag schauten wir uns das Finale an und einen Tag später ging es auch schon wieder zurück nach Berlin.

 

Ob sich der Jessup Moot Court gelohnt hat? Auf jeden Fall!

Es war eine tolle Möglichkeit, um sich auf anwaltliches Arbeiten im internationalen Recht vorzubereiten. Partei zu ergreifen, Argumente zu vertreten, deren Meinung man selbst nicht ist, einen Schriftsatz zu schreiben – all das sind Erfahrungen, die man im normalen Studienverlauf nicht macht, jedoch wichtig für die zukünftige Karriere sind. Besonders durch die mündliche Vorbereitung haben wir gelernt, professionell aufzutreten und sich Unsicherheiten nicht anmerken zu lassen. Um im Wettbewerb letztlich gut abzuschneiden, braucht es – wie bei jedem Wettbewerb – aber auch Glück. Deswegen gilt auch hier: „Der Weg ist das Ziel“. Wir nehmen auf jeden Fall ein tiefgreifendes Verständnis des Völkerrechts mit und in Zukunft wird es uns wohl immer ein wissendes Lächeln auf unsere Lippen zaubern, wenn jemand über Kriegsverbrechen, voll-autonome Waffen oder konkurrierende Zuständigkeiten des IGH und der WTO spricht.