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Deutsche Eiche e. V. (Lösungsvorschlag)

 

Die Klage des Vereins wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

 

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

 

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO gegeben, da sowohl § 5 VersG als auch § 1 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 ASOG als möglicherweise für die Streitentscheidung maßgebliche Normen dem öffentlichen Recht angehören.

 

Anmerkung: Im Rahmen der Erörterungen zur Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges muss nicht im einzelnen untersucht werden, welche von mehreren Rechtsgrundlagen einer hoheitlichen Maßnahme in Betracht kommt, wenn in jedem Falle die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vorliegen.

 

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO).

 

1. Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO

Soweit es um die Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung geht, könnte dem Begehren des Vereins eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gerecht werden. Bei der Verbotsverfügung handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.[1] Im Rückschluss aus § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist aber erforderlich, dass sich der Verwaltungsakt noch nicht erledigt hat. Erledigung i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO und § 43 Abs. 2 VwVfG tritt ein, wenn der Verwaltungsakt keine rechtliche Wirkung mehr entfaltet und seine Aufhebung sinnlos wäre.[2] Mit Absage der geplanten Veranstaltung und dem Ablauf des für sie vorgesehenen Termins wäre die Aufhebung des Verbots sinnlos, womit es sich erledigt hat. Die Anfechtungsklage ist daher unstatthaft.

 

2. Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO

Statthafte Klageart könnte daher die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO sein, mit der sich die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts feststellen lässt. Die Verbotsverfügung ist ein erledigter Verwaltungsakt. Aus der Systematik von § 113 Abs. 1 S. 1 und 4 VwGO ergibt sich aber, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO (direkt) nur in Fällen der Erledigung nach Prozessbeginn statthaft ist. Das Verbot des Kameradschaftstreffens hat sich aber vorprozessual erledigt. Damit kann die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO nicht statthafte Klageart sein.

 

3.  Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog

Fraglich ist, ob § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in diesem Fall analog angewandt werden kann. Die analoge Anwendung einer Norm setzt das Bestehen einer planwidrige Regelungslücke und eine gleichgerichtete Interessenlage zwischen dem geregelten und dem nicht geregelten Fall voraus.

Nach einer Auffassung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, da für die Fälle vorprozessualer Erledigung von Verwaltungsakten die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO einschlägig sein soll.

Dies ist aber abzulehnen. Zum einen ist nach § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ausdrücklich nur die Feststellung nichtiger Verwaltungsakte zulässig. Zum anderen wären vor Klageerhebung erledigte Verwaltungsakte unter anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen angreifbar als nach Klageerhebung erledigte.[3] Eine unterschiedliche Behandlung dieser Fälle angesichts des vielfach von Zufälligkeiten bestimmten Zeitpunkts der Erledigung ist unangemessen. Eine wegen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG planwidrige Regelungslücke liegt damit vor.

Da § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO nur hinsichtlich des Erledigungszeitpunktes unvollkommen ist und auf einen erledigten Verwaltungsakt als Klagegegenstand zugeschnitten ist, liegt auch eine vergleichbare Interessenlage vor.

 

Anmerkung: § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO legt gesetzlich das Bestehen eines Rechtsverhältnisses fest, das für die Feststellungsklage erforderlich ist, aber nach Erledigung eines Verwaltungsakts (d.h. des Wegfalls der Beschwer) gerade nicht mehr besteht;[4] darüber hinaus macht die Vorschrift eine Klageänderung (und damit die Zustimmung der anderen Beteiligten oder die Annahme der Sachdienlichkeit durch das Gericht gemäß § 91 Abs. 1 VwGO) entbehrlich und lässt auch - anders als § 43 Abs. 1 VwGO - nicht nur die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts zu, sondern auch die der „schlichten“ Rechtswidrigkeit.

 

4. Ergebnis zu II.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist die statthafte Klageart.

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Da es sich bei der Verbotsverfügung um einen an den Verein gerichteten, diesen belastenden Verwaltungsakt handelt, ist eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, § 21 BGB nicht auszuschließen, sollte der Verwaltungsakt rechtswidrig sein.

 

Anmerkung: Siehe zur Adressatentheorie diesen Hinweis.

 

In Betracht kommt jedoch vor allem auch eine Verletzung der in Art. 9 Abs. 1 GG gewährleisteten Vereinigungsfreiheit, auf die sich auch die Vereinigung selbst berufen kann, und diese zumindest vor Eingriffen in deren Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte schützt.[5] Da der Verein durch die Einladung zum jährlichen Treffen insbesondere auch der Norm des § 32 BGB entspricht, scheint eine Verletzung der Vereinigungsfreiheit des Vereins ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Demgegenüber erscheint nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG eine Verletzung der Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit von vornherein ausgeschlossen. Hiernach reicht es für die Eröffnung des Schutzbereichs wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vielmehr wird zusätzlich vorausgesetzt, dass die Zusammenkunft auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind nach diesem sehr engen Verständnis der Versammlungsfreiheit nur örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.[6] Hier handelt es sich jedenfalls nicht um eine solche der kollektiven Meinungsbildung dienende Versammlung, sondern lediglich um ein geselliges (Vereins-)Treffen alter Männer.

 

Anmerkung: Die sehr enge Grenzziehung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG durch das BVerfG kommt etwas überraschend, weil zuvor durchaus eine wesentlich weiterer Versammlungsbegriff in Literatur und Rechtsprechung herrschend war[7] und das BVerfG sich insbesondere auch nicht veranlasst gesehen hat, sich mit den gegenteiligen Auffassungen - die nicht des Erwähnens wert gefunden werden - näher auseinanderzusetzen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich diese Rechtsprechung bei nächster Gelegenheit (und unter neuer personeller Zusammensetzung des insoweit zuständigen Ersten Senats des BVerfG) auch wieder ändert. Zu den Problemen, die der enge Versammlungsbegriff im Einzelnen aufwerfen kann, siehe den Berlin-Alternativ-Fall.

 

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Eines Vorverfahrens bedarf es nach überwiegender Auffassung bei der – einen vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakt betreffenden - Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO nicht, da der primäre Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung) nicht mehr erreicht werden kann.[8] Im Übrigen hat der „Kameradschaftsbund“ ordnungsgemäß Widerspruch eingelegt, so dass diese Voraussetzung jedenfalls gegeben ist. Dass über den Widerspruch sachlich entschieden wird, ist - wie § 75 VwGO zeigt - grundsätzlich nicht Zulässigkeitsvoraussetzung für Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen.

 

V. Klagefrist (§ 74 VwGO)

Es war umstritten, ob für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die nach Eintritt des erledigenden Ereignisses anhängig gemacht wird, eine Klagefrist gilt und ob, falls dies bejaht wird, die Monatsfrist des § 74 VwGO mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides oder mit Eintritt des erledigenden Ereignisses zu laufen beginnt;[9] das BVerwG[10] hat jedoch nunmehr entschieden, dass keine Bindung an die Fristvorschrift besteht. Jedenfalls wird in den Fällen, in denen ordnungsgemäß Widerspruch eingelegt, darüber aber noch nicht entschieden worden ist, die Klageerhebung nicht vor Ablauf der Frist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO (d.h. einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides) verlangt werden können. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen; die Frist von drei Monaten nach § 75 S. 2 VwGO ist gewahrt.

 

VI. Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO)

Der "Kameradschaftsbund" müsste ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Verbotsverfügung haben (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern.[10.1]

 

Anmerkung: In den genannten Entscheidungen hat das BVerwG die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses wohl deutlich gegenüber der früheren Rechtsprechung verschärft. Siehe hierzu Huber, NVwZ 2013, 1488 ff.; Lange, NdsVBl. 2014, 120 ff.; Lindner, NVwZ 2014, 180 ff.

 

 

1. Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr

Vorliegend kommt zunächst ein Forstsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr in Betracht: Hierfür ist die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird und die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert sind.[10.2] Damit setzt das Merkmal der Wiederholungsgefahr im Falle einer Untersagungsverfügung die Möglichkeit voraus, dass der Betroffene ein Vorhaben erneut durchführen will, das seiner Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen wie das untersagte Vorhaben und damit der gleichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorhabens führen könnte. Zum anderen ist erforderlich, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird.[10.3]

 

Bei dem (verbotenen) Treffen sollte es sich um das jährlich stattfindende „Kameradschaftstreffen“ handeln. Da ein ähnliches Handeln des Landes Berlin auch im nächsten Jahr zu besorgen ist, wenn der Verein dort wieder sein „Kameradschaftstreffen“ veranstalten will, ist das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu bejahen, zumal Berlin wiederum Schauplatz einer EU-Regierungskonferenz sein soll.

 

2. Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Rehabilitationsinteresse

Zudem käme hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse mit Rücksicht auf ein Rehabilitationsinteresse in Betracht.

Eine Berufung auf ein solches "Rehabilitationsinteresse" ist auch bei juristischen Personen wie dem "Kameradschaftsbund" als eingetragener Verein (§ 21 BGB) möglich, da Art. 19 Abs. 3 GG den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG jedenfalls insoweit auf juristische Personen erstreckt als sie Ausprägungen dieses Rechts geltend machen können, die nicht an die charakterliche Individualität und die Entfaltung der natürlichen Person anknüpfen, sondern wie das Recht am eigenen Wort oder das Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs und auf Abwehr von Rufschädigungen auch Personengesamtheiten und juristischen Personen zustehen können.[10.4]

Nach neuerer Rechtsprechung des BVerwG besteht ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung allerdings (nur dann), wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern.[10.5] Das Verlangen nach Rehabilitierung begründet dementsprechend ein Feststellungsinteresse allenfalls, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist. Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns wirksam begegnet werden könnte.[10.6]

 

Ein so verstandenes Rehabilitationsinteresse liegt hier ebenfalls vor: Der vom Bezirksbürgermeister angeführte Grund, mit Rücksicht auf ihr Image und die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland das Treffen zu verbieten, enthält eine Kundgabe der Missbilligung des Treffens; das Treffen wird als schädlich dargestellt. Hierin liegt eine  - möglicherweise unzulässige - Diskriminierung des Vereins, auch in dem dieser als eine dem nationalsozialistischen Gedankengut verhaftete Vereinigung bezeichnet wird. Da über die Verbotsverfügung auch die Presse informiert worden ist, ist auch die vom BVerwG für ein Rehabilitationsinteresse neuerdings verlangte negative Außenwirkung der Maßnahme gegeben.

 

3. Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Vorliegens eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs

Nach Auffassung des BVerwG verlangt zudem Art. 19 Abs. 4 GG unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Insoweit kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG gegen Grundrechtseingriffe schon dann zu bejahen sein, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon sei aber nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, so dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, dass die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt.[7]

Auch eine solche Situation liegt hier vor, da der Verbotsverfügung keine Dauerwirkung zukommt, sondern es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelt, deren Wirkungen sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene keine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Hoheitsakts erlangen kann.



n.[11]

 

VII. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Richtiger Beklagter ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, der auch für die Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung entsprechend gilt, das Land Berlin.

 

Anmerkung: Zur Bedeutung des § 78 VwGO siehe diesen Hinweis.

 

VIII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

Der „Kameradschaftsbund“ ist als eingetragener Verein eine juristische Person (§ 21 BGB) und damit beteiligtenfähig i.S.d. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Über seinen Vorstand ist er nach § 62 Abs. 3 VwGO prozessfähig. Die Beteiligten- und Prozessfähigkeit des Landes Berlin ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO.

 

Anmerkung: Zum Behördenbegriff des § 61 Nr. 3 VwGO siehe diesen Hinweis.

 

IX. Ergebnis zu A.

Da Anhaltspunkte für das Fehlen weiterer Prozessvoraussetzungen oder das Vorliegen von Prozesshindernissen nicht bestehen, ist die Klage insgesamt zulässig.

 

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, soweit die Verbotsverfügung rechtswidrig gewesen ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog). Da der Verein sich gegen einen an ihn gerichteten, ihn belastenden Verwaltungsakt wendet, ergäbe sich die Rechtsverletzung, sollte der Verwaltungsakt rechtswidrig sein, zumindest aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn nicht aus Art. 9 Abs. 1 GG.

 

Anmerkung: Allgemein zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts siehe diesen Hinweis, zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrverfügung diesen Hinweis.

 

I. Ermächtigungsgrundlage

Als Rechtsgrundlage für die Verbotsverfügung könnte § 5 VersG in Betracht kommen.

 

Anmerkung: Seit dem Inkrafttreten der Föderalismusreform[12] besteht keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes mehr für das Versammlungsrecht. Dennoch gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG das auf Grundlage des früheren Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 erlassene (Bundes-)„Gesetz über Versammlungen und Aufzüge“ (Versammlungsgesetz - VersG) noch so lange fort, wie es nicht durch Landesrecht ersetzt worden ist. Eine solche Ersetzung ist bislang nur in Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erfolgt. In Anbetracht der aus den Grundrechten abgeleiteten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und der damit einhergehenden unitarisierenden Wirkung der Grundrechte im Bereich des Versammlungsrechts wird dem Landesgesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung der Reglungsbereiche Verbot bzw. Auflösung von und Auflagen für Versammlungen jedoch kaum Spielraum verbleiben.[13] Dies wurde durch den Beschluss des BVerfG[14] zum Bayerischen Versammlungsgesetz deutlich, der große Teile desselben einstweilen außer Kraft setzte.

 

Unabhängig davon, ob das Kameradschaftstreffen eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes darstellt, ist diese Vorschrift jedenfalls schon deshalb nicht unmittelbar anwendbar weil das Kameradschaftstreffen - wenn überhaupt - eine nicht-öffentliche Versammlung, d. h. eine Versammlung mit einem individuell begrenzten Teilnehmerkreis (private Einladungen, keine allgemeine Werbung), ist und das VersG dagegen unmittelbar nur auf öffentliche Versammlungen anwendbar ist (vgl. § 1 Abs. 1 und die Überschriften der Abschnitte II und III des VersG).

 

Anmerkung: Bzgl. der Versammlungseigenschaft bestehen Zweifel, weil es sich jedenfalls um keine Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 handelt (siehe oben A. IV.) und grundsätzlich anzunehmen ist, dass der Begriff der „Versammlung“ des VersG - jedenfalls im Wesentlichen - deckungsgleich mit dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG ist.[15]

 

Für nicht-öffentliche Versammlungen enthält das Gesetz nur wenige Vorschriften, die jedoch nicht zu einem Versammlungsverbot ermächtigen.[16] Auch eine analoge Anwendung des VersG auf nicht-öffentliche Versammlungen scheidet aus: Das Verbot einer nicht-öffentlichen Versammlung kann zunächst auf die Generalklausel des § 1 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1 ASOG gestützt werden, so dass es bereits an einer Regelungslücke fehlt.

 

Anmerkung: Der Schutz des - hier ohnehin nicht einschlägigen (siehe oben A. IV.) - Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG verbietet den Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel nicht: Der Bedeutung dieses Grundrechts kann im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 1, § 17 Abs. 1 ASOG und der Verhältnismäßigkeit der hierauf gestützten Maßnahmen gleichfalls Rechnung getragen werden.[17] Dem steht auch nicht entgegen, dass Art. 8 Abs. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt allein für Versammlungen unter freiem Himmel enthält, weil auch vorbehaltlos gewährte Grundrechte eingeschränkt werden dürfen, wenn dies zum Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter erforderlich ist.[18]

 

Zudem besteht Grund zu der Annahme, dass nicht-öffentliche Versammlungen auf Grund ihres geringeren Gefahrenpotentials bewusst nicht im Versammlungsgesetz geregelt wurden, da das VersG einige Vorschriften enthält, die auch für nicht-öffentliche Versammlungen gelten. Es besteht daher auch kein Anlass für die Annahme, dass die Nichtregelung geschlossener Versammlungen im Versammlungsgesetz planwidrig wäre.[19] Da das VersG somit keine abschließende Regelung für das gesamte Versammlungsrecht, sondern nur für öffentliche Versammlungen darstellt,[20] ist § 17 Abs. 1 ASOG folglich anwendbar.

 

Anmerkung: Mit ausführlicher Begründung wäre – entgegen der Rechtsprechung des BVerwG[21] – auch vertretbar, § 5 VersG analog heranzuziehen. Dann wäre die Klage jedoch in jedem Fall begründet, weil die materiellen Voraussetzungen des § 5 VersG ersichtlich nicht vorliegen. Grob falsch wäre es hier, jedenfalls zunächst die Voraussetzungen des § 5 VersG zu prüfen, um dann auf § 1 Abs. 1 S. 1, § 17 Abs. 1 ASOG zurückzugreifen, wenn man erkennt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 VersG nicht gegeben sind: Sofern das VersG anwendbar ist, entfaltet es gegenüber dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht eine Sperrwirkung.[22]

 

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Das Bezirksamt Treptow-Köpenick ist nach § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 37 Abs. 2 ZustKat ASOG die zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sachlich zuständige Stelle. Nr. 23 Abs. 2 ZustKat ASOG steht nicht entgegen, weil es sich gerade nicht um eine versammlungsrechtliche Maßnahme handelt und auch keine Vorschriften des VereinsG betroffen sind. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln. Die Verfügung ist nach dem Sachverhalt formell ordnungsgemäß ergangen (so dass sich insbesondere Ausführungen zur Anhörung etc. verbieten).

 

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist somit, ob die Voraussetzungen für eine Verbotsverfügung nach § 17 Abs. 1 ASOG hier vorliegen.

 

1. Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung

Tatbestandsvoraussetzung für eine auf die § 17 Abs. 1 ASOG gestützte Verfügung ist zunächst das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Unter den Begriff „öffentliche Sicherheit“ fallen sowohl der Schutz individueller Rechtsgüter (nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des einzelnen) als auch der des Staates und seiner Einrichtungen sowie der gesamten Rechtsordnung.[23] Die „öffentliche Ordnung“ wird definiert als die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird.[24] Eine Gefahr liegt dann vor, wenn ein Verhalten bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Sicherheit ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung schädigen wird. Der Bezirksbürgermeister nennt hier drei Gründe, weswegen er der Meinung ist, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung läge vor:

 

a) Gefahr für das Image der Stadt

Das Bezirksamt fürchtet zunächst um das „Image der Stadt“. Fraglich ist daher zunächst, ob dies zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehört. Ein bestimmtes Image der Stadt ist kein von der Rechtsordnung schlechthin geschütztes Rechtsgut. Es könnte jedoch unter den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen fallen. Dieser Schutz soll die Funktionsfähigkeit des Staates gewährleisten: Der Staat soll an der Ausübung seiner (ihm rechtmäßig zustehenden) Befugnisse nicht durch Dritte gehindert werden. Das Image einer Stadt ist jedoch keine „Einrichtung des Staates“, da es weder für die Funktionsfähigkeit des Staates noch für die Funktionsfähigkeit der betroffenen Stadt unerlässlich ist, und damit ist es kein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit.

Es könnte jedoch Schutzgut der öffentlichen Ordnung sein. Dann müsste es eine ungeschriebene Regel geben, die von dem einzelnen verlangt, nichts zu tun, was dem Image seiner Stadt schaden könnte, d.h. es müsste dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen widersprechen, wenn man sich negativ über seine Stadt äußert oder in einer provokativen Art handelt. Schon die tägliche Erfahrung zeigt, dass von der Existenz eines solchen Gebots nicht ausgegangen werden kann, soweit nicht der strafrechtliche Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB erfüllt ist, der auch politische Körperschaften als Träger staatlicher Aufgaben schützt (vgl. § 194 Abs. 4 StGB).

Gefahren für das Image der Stadt sind somit keine Gefahren i.S.d. § 17 Abs. 1 ASOG

 

b) Gefahr für den störungsfreien Ablauf der EU-Regierungskonferenz

Der störungsfreie Ablauf der EU-Regierungskonferenz ist dagegen wohl als Veranstaltung des Staates Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, jedoch liegt insoweit keine Gefahr vor: Ein Treffen ehemaliger SS-Angehöriger ist durch kein Gesetz verboten, vielmehr machen die Teilnehmer von ihrem zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG, wenn nicht sogar in Art. 9 Abs. 1 GG garantieren Recht Gebrauch, sich zum Zweck des geselligen Zusammenseins zu treffen. Dass der Bundesregierung und dem Bezirksamt dieses Treffen zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort außenpolitisch peinlich sein mag, kann an dieser Wertung nichts ändern. Es gibt keine allgemeine Pflicht eines jeden Staatsbürgers, sich so zu verhalten, dass die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik keinesfalls gestört werden; sie sind nicht generell Bestandteil der öffentlichen Sicherheit.[25] Soll die Geltendmachung von Rechten unter den Vorbehalt außen- und sicherheitspolitischer Belange gestellt werden, bedarf es hierzu vielmehr eines ausdrücklichen Gesetzes.[26] Daher kann hier auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass durch das Treffen des Kameradschaftsbundes ungeschriebene Rechtssätze im Sinne des Begriffs der öffentlichen Ordnung betroffen sein könnten.[27]

 

c) Gefahr für Gesundheit der Teilnehmer des „Kameradschaftsabends“

Jedoch liegt eine Gefahr für die Gesundheit der Teilnehmer an dem Treffen vor. In Anbetracht der Parole der Veranstaltungsgegner, die wohl nicht nur zu einer gewaltlosen Gegen-Demonstration, sondern zu Gewalttätigkeiten gegenüber den „Kameraden“ aufrufen, besteht - bei ungehindertem Geschehensablauf - eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für Gesundheitsgefährdungen; im Übrigen erfüllt das Verhalten der Gegendemonstranten evtl. auch Straftatbestände (z.B. § 223, § 125 StGB).

 

d) Ergebnis zu 1.

Damit ist in der Gefährdung der Gesundheit der Teilnehmer durch die angekündigte Gegendemonstration eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d. § 17 Abs. 1 ASOG zu sehen.

 

2. Inanspruchnahme des richtigen Adressaten

Tatbestandsvoraussetzung einer auf § 1 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 ASOG gestützten Maßnahme ist weiterhin, dass diese sich an den richtigen Adressaten richtet. Wer polizeirechtlich in Anspruch genommen werden kann, bestimmt sich nach § 13, § 14 und § 16 ASOG.

 

Anmerkung: Die Frage, ob der polizeirechtlich in Anspruch Genommene überhaupt in Anspruch genommen werden darf, ist keine Frage des Entschließungs- oder gar des Rechtsfolgeermessens und damit auch keine Frage der Verhältnismäßigkeit. Sie darf auf keinen Fall mit der Frage verwechselt werden, ob die Auswahl zwischen mehreren Polizeipflichtigen ohne Ermessensfehler getroffen wurde. Auch diese Frage stellt sich nur, wenn mehrere Personen nach den §§ 13 ff. ASOG materiell polizeipflichtig sind, also überhaupt als Adressaten einer Polizeiverfügung in Betracht kommen, siehe hierzu den Baumfällig-Fall.

 

Somit ist fraglich, ob das Bezirksamt Treptow-Köpenick gegen den „Kameradschaftsbund“ einschreiten durfte.

 

a) Inanspruchnahme als Verhaltensstörer (§ 13 Abs. 1 ASOG)

Gemäß § 13 Abs. 1 ASOG ist die polizeiliche Maßnahme gegen diejenige Person zu richten, die die Gefahr verursacht oder die - gemäß § 14 ASOG - Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über die Sache ist. Gegen Nicht-Störer dürfen polizeiliche Maßnahmen nur unter den engen Voraussetzungen des § 16 ASOG (mit der zusätzlichen Folge der Schadensersatzverpflichtung nach § 59 ASOG) getroffen werden. Ob der „Kameradschaftsbund Deutsche Eiche“ als Störer anzusehen ist, gegen den eingeschritten werden durfte, ist eine Kausalitätsfrage. Nach der überwiegend vertretenen „Theorie der unmittelbaren Verursachung“[28] ist nur derjenige aufgrund seines Verhaltens polizeipflichtig, der selbst die konkrete Gefahr unmittelbar herbeiführt, mit anderen Worten: in dessen eigener Person die Gefahrenschwelle überschritten wird. In der neueren Literatur besteht ferner weitgehend Einigkeit darüber, dass der Verursachungsbegriff normativ zu bestimmen ist, mithin häufig das Ergebnis einer Wertung darstellt.

In Anwendung dieser Grundsätze wird man annehmen müssen, dass der  „Kameradschaftsbund“ nicht aufgrund seines geplanten Verhaltens nach § 13 Abs. 1 ASOG für die Gefahr verantwortlich ist. Die Gefahr geht von denjenigen aus, die zu den gewalttätigen Gegendemonstrationen aufrufen, bzw. von denjenigen, die daran mit entsprechender Gewaltbereitschaft teilzunehmen beabsichtigen, d.h. von den Gegendemonstranten. Ihr Verhalten verursacht unmittelbar die Gefahr; der „Kameradschaftsbund“ hingegen ist eine zivilrechtskonforme Vereinigung, die vom Grundrecht der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat; solange kein förmliches Verbot i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG vorliegt, ist seine Existenz und sein Handeln grundsätzlich nicht zu beanstanden. Durch die Einladung zum jährlichen Treffen entspricht der Verein nicht nur der Norm des § 32 BGB, sondern macht wohl auch von der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG, zumindest aber von dem auch ihm zustehenden Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG Gebrauch. Insbesondere die zurückhaltende, die öffentliche Kenntnisnahme nach Möglichkeit ausschließende Form der Einladung zu diesem Treffen durch lediglich interne Schreiben verdeutlicht, dass es dem „Kameradschaftsbund“ nicht um eine politische Provokation geht, aus der polizeilich relevante Gefahren (hier die der Gesundheitsbeeinträchtigung) erwachsen.

Mangels - unmittelbarer oder zumindest intendierter - Verursachung ist der „Kameradschaftsbund“ nicht Verhaltensverantwortlicher[29] und damit nicht polizeipflichtig; eine Inanspruchnahme als Störer – namentlich als „Zweckveranlasser“ - scheidet daher aus.[30]

 

Anmerkung: Grob falsch wäre es, hier bezüglich der Frage nach der Störereigenschaft wieder auf die Aspekte der Störung der Regierungskonferenz oder der Beeinträchtigung des Images des Bezirks einzugehen. Dass mit einer solchen Begründung eine Verbotsverfügung nicht ergehen durfte, hat bereits die Prüfung des § 17 Abs. 1 ASOG ergeben.

 

b) Inanspruchnahme als Nichtstörer (§ 16 ASOG)

Der „Kameradschaftsbund“ durfte demnach allenfalls als Nichtstörer (§ 16 ASOG) in Anspruch genommen werden. Voraussetzung für eine rechtmäßige Inanspruchnahme als Nichtstörer ist jedoch das (kumulative) Vorliegen der in § 16 ASOG genannten Voraussetzungen.[31]

Fraglich ist bereits, ob eine gegenwärtige erhebliche Gefahr vorliegt. Eine gegenwärtige Gefahr[32] liegt vor, wenn „die Einwirkung des schädigenden Ereignisses auf ein bedeutsames Rechtsgut bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht“. Vorliegend sollte die Versammlung am 8. Mai stattfinden; die Verbotsverfügung erfolgte am zwölften Tag vor der geplanten Versammlung. Da jedoch das Merkmal der gegenwärtigen Gefahr restriktiv auszulegen ist[33] und innerhalb von zwölf Tagen noch geeignete Maßnahmen gegen die Störer zur Abwehr der Gefahr durchaus möglich sind, fehlt es an dem Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr.

Zweifelhaft ist darüber hinaus, ob Maßnahmen gegen die Störer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ASOG unmöglich oder erfolglos sind. Das Bezirksamt Treptow-Köpenick kann von der Polizei gemäß § 52 ASOG Vollzugshilfe erbitten, die nicht allein von Berliner Polizeikräften, sondern nach § 8 ASOG ebenso von Polizisten aus anderen Bundesländern oder des Bundes erbracht werden könnte.[34] Erfolgversprechende Maßnahmen gegen die gewaltbereiten Gegen-Demonstranten als Störer dürften mit Hilfe eines entsprechend großen Polizeiaufgebots durchaus möglich sein, etwa durch Abschirmung des Ortes des Treffens oder Platzverweise gegen Gegen-Demonstranten.[35] Im Übrigen sind ja gerade wegen der Sicherung der Regierungskonferenz in Berlin fast die gesamten Berliner Polizeikräfte zusammengezogen, die ohne größere Probleme auch gegen die Gegendemonstranten eingesetzt werden können.

Da somit weder die erste noch die zweite Voraussetzung des § 16 Abs. 1 ASOG erfüllt ist (wobei es genügt, dass eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben ist), scheidet eine rechtmäßige Inanspruchnahme des „Kameradschaftsbundes“ als Nichtstörer aus.

 

c) Ergebnis zu 2.

Der Kameradschaftsbund war dementsprechend nicht polizeipflichtig, so dass er nicht richtiger Adressat der Polizeiverfügung war.

 

3. Ergebnis zu III.

Die Verbotsverfügung gegenüber dem Verein war somit materiell rechtswidrig.

 

IV. Ergebnis zu B.

Somit verletzt die Verbotsverfügung den Verein zumindest in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn nicht sogar in seinem Recht aus Art. 9 Abs. 1 GG. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist damit begründet.

 

C. Ergebnis

Die Klage ist somit zulässig und begründet und wird Erfolg haben.

 

 

Siehe

 


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich

Stand der Bearbeitung: November 2014


[1] U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

[2] Vgl. Kopp/Schenke, § 113 Rn. 101 f.

[3] Vgl. aber BVerwGE 109, 203, 208 f. m.w.N.

[4] anders aber BVerwGE 109, 203, 208 f. m.w.N.

[5] Pieroth/Schlink, Rn. 794.

[6] Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 1190/90 v. 24.10.2001, Abs. 38 f. =  NJW 2001, 1031, 1032; BVerfG, 1 BvR 1402/06 v. 10.12.2010, Abs. 19 = NVwZ 2011, 422 Abs. 19.

[7] siehe hierzu die Zusammenstellung der verschiedenen Auffassungen bei Bredt, NVwZ 2007, 1358 ff.; Brenneisen, NordÖR 2006, 97, 98; Laubinger/Repkewitz, VerwArch 90 [2001], S. 585, 615 ff.; Schäffer, DVBl. 2012, 546, 547.

[8] Hufen, § 18 Rn. 55; Schmitt Glaeser/Horn, Rn. 362.

[9] BVerwGE 26, 161, 167; VGH München BayVBl. 1992, 51; VG Frankfurt a.M. NVwZ 1988, 381; Schmitt Glaeser/Horn, Rn. 363; Kopp/Schenke, § 74 Rn. 2.

[10] BVerwGE 109, 203, 206 ff.

[10.1] BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 20 = BVerwGE 146, 303, Abs. 20; BVerwG, 3 C 6/12 v. 21.3.2013, Abs. 11 = NVwZ 2013, 1550, Abs. 11.

[10.2] BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 21 = BVerwGE 146, 303, Abs. 21; BVerwG, 3 C 6/12 v. 21.3.2013, Abs. 13 = NVwZ 2013, 1550, Abs. 13.

[10.3] vgl. BVerwG, 6 C 1.13 v. 26.2.2014, Abs. 10 = NVwZ 2014, 883, Abs. 10.

[10.4] BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 24 = BVerwGE 146, 303, Abs. 24.

[10.5] BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 25 = BVerwGE 146, 303, Abs. 25; BVerwG, 8 C 46/12 v. 20.6.2013, Abs. 17 = NVwZ 2014, 151, Abs. 17.

[10.6] BVerwG, 3 C 6/12 v. 21.3.2013, Abs. 15 = NVwZ 2013, 1550, Abs. 15.

[10.8] BVerwG, 1 C 12.97 v. 23.3.1999 =NVwZ 1999, 991; BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 32 = BVerwGE 146, 303, Abs. 32 m. w. N.).

[11] Vgl. BVerwG NVwZ 1999, 991.

[12] Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034.

[13] siehe hierzu Waechter, VerwArch 99 [2008], S. 73 ff.

[14] BVerfG, 1 BvR 2492/08 v. 17.2.2009.

[15] BVerfG, 1 BvQ 28/01 und 30/01 v. 12.7.2001, Abs. 18 = NJW 2001, 2459, 2460; Meßmann, JuS 2007, 524 f.; Tschentscher, NVwZ 2001, 1243, 1244 (dort auch zu verbleibenden Unterschieden); Waechter, VerwArch 99 (2008), S. 73, 75 f.

[16] BVerwG NVwZ 1999, 991, 992.

[17] siehe hierzu: Schäffer, DVBl. 2012, 546, 549 f.; Schoch, Übungen im Öffentlichen Recht II, 1992, S. 251 ff. m.w.N.; Waechter, VerwArch 99 (2008), S. 73, 74 f.

[18] vgl. z.B. BVerfG NJW 1989, 3269, 3270; BVerwGE 90, 112, 122; Seidel/Reimer/Möstl, Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, S. 253 f.

[19] v. Coelln, NVwZ 2001, 1234, 1236; Seidel/Reimer/Möstl, Besonderes Verwaltungsrecht, 2003, S. 251 f.; a. A. Meßmann, JuS 2007, 524, 526 f.

[20] BVerwG NVwZ 1999, 991, 992.

[21] BVerwG NVwZ 1999, 991, 992

[22] sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts; siehe hierzu auch: Meßmann, JuS 2007, 524 f.; Waechter, VerwArch 99 (2008), S. 73, 74 f.

[23] Siehe Götz, § 4 Rn. 3.

[24] Siehe Götz, § 5 Rn. 1.

[25] S. auch BVerfG, 1 BvR 1423/07 v. 6.6.2007, Abs. 28 = NJW 2007, 2167, 2169; LVG Düsseldorf DÖV 1954, 221; Battis/Grigoleit, NVwZ 2001, 125, 126; Bolewski, DVBl. 2007, 789, 795 f.; a.A. OVG Greifswald NordÖR 2007, 290, 292; Bayer, DÖV 1968, 709 ff., 715 ff.

[26] S. hierzu etwa BVerfGE 6, 32, 42 ff.

[27] Offen gelassen bei BVerfG, 1 BvR 1423/07 v. 6.6.2007, Abs. 28 = NJW 2007, 2167, 2169.

[28] Dazu Götz, § 9 Rn. 10 ff.

[29] Siehe hierzu aber auch OVG Lüneburg NVwZ 1988, 638; wie hier noch OVG Lüneburg NVwZ 1985, 925 - im Eilverfahren.

[30] VGH Mannheim DÖV 1987, 254, und DÖV 1990, 346; siehe hierzu auch: Schoch, Jura 2009, 360, 362 ff.; Ullrich, DVBl. 2012, 666, 667 f.; Waechter, VerwArch 99 (2008), S. 73, 96.

[31] Siehe hierzu: Schoch, Jura 2007, 676 ff.

[32] Vgl. Götz, § 6 Rn. 25 f.

[33] Vgl. VGH Mannheim DÖV 1987, 254, und DÖV 1990, 346.

[34] S. auch BVerwG NVwZ 1999, 991, 993; Schoch, Jura 2007, 676, 679; Ullrich, DVBl. 2012, 666, 667 f.; Waechter, VerwArch 99 [2008], S. 73, 96.

[35] Vgl. BVerfG, 1 BvQ 14/06 v. 10.5.2006, Abs. 9 ff. = NVwZ 2006, 1049 f.; BVerfG, 1 BvR 1418/07 v. 26.6.2007,Abs. 16 ff. = NVwZ-RR 2007, 641 f.; VGH Mannheim DÖV 1990, 346.

 


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