Workshop an der FU Berlin: "Insuring the Uninsurable – Emerging Risks as a challenge for the Insurance Sector" (1./2. Juni 2023)
Bericht über den Workshop
„Insuring the Uninsurable –
Emerging Risks as a challenge for the Insurance Sector“
1. und 2. Juni 2023, Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin (FUB),
gefördert durch die FUB (Center for International Cooperation und Fachbereich Rechtswissenschaft)
Der Workshop widmete sich rechtlichen Fragen rund um sogenannte Emerging Risks, beispielsweise Nanotechnologie, Terrorismus, Cyberangriffe und Risiken, die durch automatisierte Systeme (z.B. automatisierte Fahrzeuge) entstehen. Im weiteren Sinne gehören zu den Emerging Risks auch klassische Risiken, die durch den Klimawandel schwerwiegender und weniger vorhersehbar geworden sind, wie etwa die Versicherung von Sturm- und Überschwemmungsrisiken, Erdbeben oder Buschbränden. Im Zusammenhang mit dem Thema des letzten Workshops („AI in Insurance“ - KCL London, 17. und 18. November 2022) wurde außerdem diskutiert, ob KI dazu beitragen kann, solche „unversicherbaren“ Risiken versicherbar zu machen und welche rechtlichen Implikationen der vermehrte Einsatz von KI für den Versicherungssektor hat.
Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die Vorträge gegeben werden, welche die Teilnehmenden jeweils zum Einstieg in die Diskussion hielten (sub A). Sodann folgt eine Zusammenfassung der Diskussionen und der dabei erarbeiteten übergreifenden und weiterführenden Erkenntnisse (sub B). Abschließend wird neben einem Fazit ein Ausblick auf die Perspektiven der künftigen Zusammenarbeit gegeben (sub C).
A. Überblick über die Vorträge
1. Juni 2023
Im ersten Vortrag des Workshops beschäftigte sich Prof. Roger Brownsword (KCL) mit der Frage, an welche Voraussetzungen die Akzeptanz neuer Technologien geknüpft sei. Begriffe wie Transparenz und Vertrauen würden im Zusammenhang mit modernen Technologien quasi in ein „schwarzes Loch“ gesogen und es würde ihnen so eine neue Bedeutung zukommen. Diese unterscheide sich deutlich von ihrer Bedeutung in zwischenmenschlichen Beziehungen. So führe beispielsweise enttäuschtes Vertrauen bei Technologie häufig zu Frustration, enttäuschtes Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen hingegen zu einem Gefühl von Verrat. Darüber hinaus seien viele Menschen aus Bequemlichkeit bereit, auf Transparenz bei neuen Technologien zu verzichten. Prof. Brownsword warf abschließend auf, ob dies nicht zu einer Beschränkung der persönlichen Handlungsfreiheit und damit auch der Menschenwürde führe.
Prof. Bertram Lomfeld (FUB)schloss mit einem Vortrag zu den Regulierungsmöglichkeiten der sogenannten Black-Box von KI an. Neben den vier übergeordneten Möglichkeiten der Regulierung durch den Markt, soziale Normen, Gesetze oder die technische Architektur stellte er einen konkreten Verordnungsvorschlag der Europäischen Union vor. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Trolley-Dilemma (Weichenstellerfall) zeigte ein eindrückliches Beispiel, welche Schwierigkeiten die Umsetzung sozialer Handlungsmaxime in KI bereite, weil diese von großen regionalen Unterschieden geprägt seien. Letztlich präsentierte Prof. Lomfeld seine fünf Kernthesen zur Regulierung der Blackbox, nach denen insbesondere eine Festlegung auf regulatorische Werte notwendig sei, wie das vorangegangene Beispiel zeige, und keine Festlegung auf eine regulatorische Option erfolgen solle.
Nach einer Diskussion der ersten Beiträge und einer kurzen Pause präsentierte Prof. Mohammadreza Mousavi (KCL) ein mathematisches Modell für die Haftung bei automatisierten Systemen. Dieses Modell solle die Haftung quotal nach den kausalen Beiträgen der jeweiligen Bauteile zum Systemversagen verteilen. Bei einem Unfall automatisierter Fahrzeuge seien immer Komponenten verschiedener Hersteller zu verschiedenen Anteilen am Systemversagen beteiligt. Vertragliche Abreden zwischen den Herstellern in vertikaler und horizontaler Ebene könnten auf Grundlage dieses Modells zu einem gerechten Ausgleich im Haftungsfall führen. Das Modell wurde von den Teilnehmenden, insbesondere mit Blick auf seine rechtliche Umsetzbarkeit und besondere Sachverhaltskonstellationen, lebhaft diskutiert.
Im Anschluss hielt Prof. Kyriaki Noussia (Reading University), die über Video zugeschaltet war, einen Vortrag über die vierte industrielle Revolution und ihre Implikationen für die Versicherungsbranche. Zudem schloss sie an ihre Vorredner mit Ausführungen zur Regulierung von KI an. Beispielhaft erläuterte sie Telematik- und Parametrik-Versicherungen als potentielle Versicherungslösungen der Zukunft, die durch den technologischen Fortschritt überhaupt erst ermöglicht oder erschwinglich werden. Dabei warf sie verschiedene Fragen auf, nämlich was mit den gesammelten Daten geschehen soll, wie lange sie verfügbar sein werden und wie hoch die Kosten für deren Speicherung werden könnten. Fazit dieser Entwicklungen sei, dass viele Versicherer ihre Geschäftsmodelle künftig radikal ändern und an eine zunehmend digitalisierte Welt anpassen müssten.
Danach befasste sich Prof. Piotr Tereszkiewicz (Jagiellonian University) mit Fragen rund um Covid-19 und die Betriebsschließungsversicherung. Hierbei warf er rechtsvergleichende Blicke auf Großbritannien, die USA und Australien. Präsentiert wurde zunächst ein „test case“ der britischen Aufsichtsbehörde FCA, bei dem durch das oberste Gericht allgemeingültig über die Auslegung verschiedener Musterklauseln und somit die Ansprüche der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit Betriebsschließungen infolge der Covid-19-Krise entschieden wurde. In den USA wurden gesetzliche Lösungen diskutiert, die rückwirkend in die Vertragsgestaltung der Versicherer eingreifen sollten. Diese wurden jedoch weitestgehend nicht umgesetzt. Prof. Tereszkiewicz betonte abschließend die Bedeutung von Betriebsschließungsversicherungen als wichtiges Instrument der Risikoverteilung bei Pandemien. Für künftige Pandemien, insbesondere mit bisher nicht bekannten Krankheitserregern, müsse man gewappnet sein.
Mit Fragen rund um die Versicherbarkeit des Klimawandels als ein multidimensionales „emerging risk“ befasste sich Victor Claussen (FUB). Neben einer Unterscheidung verschiedener Risikotypen behandelte er auch Facetten des sog. Impact Underwriting, bei dem mit Hilfe von Versicherungsschutz eine höhere Resilienz der Gesellschaft gegen Klimarisiken und Anreize für adaptive Maßnahmen geschaffen werden sollen. Im Ergebnis sah er den Klimawandel als eine besondere Herausforderung an, da dieser sowohl plötzliche als auch graduell entstehende Risiken umfasse. Zudem solle die Branche weitestmöglich auf klimabezogene Risikoausschlüsse verzichten, um im Rahmen des vorgenannten Impact Underwriting auf eine gesamtgesellschaftliche Anpassung hinzuwirken.
Im letzten Vortrag des Tages erläuterte Dr. Lukas Böffel (FUB), welche Rolle dem europäische Versicherungsaufsichtsrecht im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsrisiken zukommt. Nach einer kurzen Erläuterung der Solvency II-Richtlinie und ihrem regulatorischen Grundkonzept stellte er vorgeschlagene sowie bereits umgesetzte Änderungen vor, die der Rolle von Versicherern bei der nachhaltigen Transformation Rechnung tragen sollen. Grundsätzlich sprach er sich für die Änderungen aus, wies aber auf die Risiken einer Überregulierung hin. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere auch klimabezogene Rechtsprechung diskutiert, die von einigen Teilnehmenden als stark aktivistisch geprägt wahrgenommen wird. Die Frage nach der demokratischen Legitimation solcher insoweit gerade auch für den Gesetzgeber bedeutsamen Entscheidungen wurde aufgeworfen.
2. Juni 2023
Den zweiten Tag des Workshops eröffnete Marta Infantino (University of Trieste) mit einem Vortrag zu sog. Insurtechs, also Versicherungsunternehmen, die moderne Technologien für ihr Geschäftsmodell nutzen, und den Anforderungen, die dadurch an das europäische Schadensersatzrecht gestellt werden. Sie sah die Notwendigkeit, dass beide Fachgebiete enger miteinander verknüpft werden müssten. Ein großer Vorteil vieler technischer Neuerungen sei die schnelle Schadenabwicklung, diese sei aber auch uniformer und schwerer nachzuvollziehen. Zudem werde die Rolle der Versicherer als erster und primärer Anlaufpunkt für Schadensersatzforderungen weiter gestärkt. Es sei jedoch zu bedenken, dass regelmäßig größere Schwierigkeiten bestünden, wenn sich Anspruchsinhaber gegen die, beispielsweise durch KI getroffenen, Entscheidungen wenden würden.
Dominik Schürger (FUB) schloss mit einem Vortrag zu Blackouts, ihren Konsequenzen und ihrer Versicherbarkeit an. Bisher gibt es bis auf vereinzelten teilweisen Versicherungsschutz, beispielsweise in der deutschen Hausratversicherung gegen Schäden an gefrorenen Gütern, europaweit keine umfassende Versicherung gegen Blackouts. Von den möglichen Lösungen, bei denen unter anderem eine Pflichtversicherung oder eine staatliche Beteiligung diskutiert wird, sah Schürger das französische Model zur Versicherung von Elementarschäden als vorzugswürdig an. Dort wird die Elementarschaden-Versicherung mit der Sachversicherung als obligatorische Erweiterung der Verträge gekoppelt, stellt also eine Pflichtleistung statt einer Pflichtversicherung dar. Ein staatlicher Rückversicherer gebe zusätzlich Garantien, um das System abzusichern. Auch eine europaweite Lösung sei denkbar und sollte in Erwägung gezogen werden.
Anschließend widmete sich Markus Hoffmann (FUB) parametrischen Versicherungslösungen als Alternative zu herkömmlichen Versicherungskonzepten und deren Vorteile insbesondere bei der Schadensabwicklung von Kumulrisiken, also solchen Risiken, bei denen ein Ereignis gleichzeitig zu vielen Schadensfällen führt. Insoweit im Anschluss an Prof. Noussia erläuterte er zunächst die genaue Ausgestaltung dieser Versicherungen und aktuelle Anwendungsfälle. Es folgte eine Darstellung von Vor- und Nachteilen, die insbesondere auch eine makroökonomische Perspektive bot. Seinem Fazit nach sollten parametrische Versicherungen klassische Versicherungskonzepte nicht ersetzen, weil es bei ihnen an positiven Einflussmöglichkeiten des Versicherers fehle. Gleichwohl könnten sie ein wichtiger Baustein beim bestmöglichen Versicherungsschutz insbesondere gegen Kumulrisiken sein, da sie eine schnelle und einfache Schadensabwicklung ermöglichen.
Nach einer Pause referierte Prof. Christian Armbrüster (FUB) zu vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten bei “emerging risks“ am Beispiel von Nanotechnologie. Es folgte eine zweigeteilte Darstellung, bei der Möglichkeiten der Verbesserung zum einen der aktuariellen und zum anderen der ökonomischen Versicherbarkeit aufgezeigt wurden. Bisher sei Haftung für Risiken von Nanotechnologie üblicherweise durch Haftpflichtversicherungen abgedeckt. Insbesondere eine Kürzung der Vertragslaufzeiten und das sog. claims-made-Prinzip könnten zu einer Verbesserung der Versicherbarkeit führen, freilich um den Preis höherer Verwaltungs- und Akquisekosten sowie geringeren Deckungsschutzes. Aus ökonomischer Sicht könne insbesondere die Bündelung von Risiken oder ihre Auslagerung auf den Kapitalmarkt helfen. Eine gesetzgeberische Lösung sei vor dem Hintergrund dieser Optionen bisher nicht notwendig.
Prof. Baris Soyer (Swansea University) stellte eine Studie seines Instituts vor, die sich mit dem Stand des Cyberversicherungsschutzes bei KMU in Großbritannien auseinandergesetzt hat. Dabei wurde zunächst der Cyberversicherungsmarkt analysiert. Außerdem wurde bei den KMU das Bewusstsein für Cyberrisiken sowie bereits bestehender Cyberversicherungsschutz erfragt. Im Ergebnis wurde ein gemeinhin unzureichender Versicherungsschutz festgestellt. Prof. Soyer schlug vor, dass es spezielles Training im Bereich Cybersicherheit für KMUs geben müsse. Zudem müsse man die Entwicklung eines neuen Produktes in Erwägung ziehen, das auch Haftpflichtrisiken in den Vordergrund stellt und mehr sog. Assistance-Leistungen, also beispielsweise regelmäßige Risiko-Evaluationen, umfasst.
Im abschließenden Vortrag des Workshops knüpfte Prof. Özlem Gürses (KCL) an das Thema Cyberversicherung an. Neben aktuellen Fallstudien und typischen Problemen ging es insbesondere auch um die – im Zusammenhang mit Cyberversicherung viel diskutierten – Kriegsausschlussklauseln. Der Vortrag endete mit möglichen Einflüssen, die KI auf die Cyberversicherung haben könnte. So könne sie zwar genutzt werden, um künftig Schwachstellen zu identifizieren. Gleichwohl könnte KI aber auch eine neue Gefahrenquelle werden, insbesondere durch die stetig zunehmende Nutzung von smarten Geräten. Wichtig sei vor allem, den Versicherungsschutz entweder ausdrücklich auszuschließen oder aber affirmativ einzuschließen.
B. Zusammenfassung der Diskussionen
Bei vielen der behandelten Einzelthemen ließen sich interessante Parallelen zwischen einigen Fragestellungen ziehen. So diskutierten Prof. Brownsword und Prof. Lomfeld im Zusammenhang mit ihren Vorträgen über die Unterschiede von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Auch menschliche Intuition stelle schlussendlich eine Blackbox dar. Es sei fraglich, warum hier gleichwohl eine andere Art des Vertrauens bestehe.
Einen weiteren Schwerpunkt des Workshops bildeten die Fragen rund um die Versicherbarkeit der verschiedenen „emerging risks“ wie Blackouts, Klimarisiken oder dem automatisierten Fahren. Es erwies auch nach eingehenden Diskussionen, dass hier keine allgemeingültige Lösung formulieren lässt. Vielmehr erfordern diese Risiken je nach ihrer Eigenart unterschiedliche Ansätze, die von staatlichem Eingreifen und Pflichtversicherungen bis hin zu individualvertraglichen Lösungen reichen. Mit Spannung dürfe jedenfalls abzuwarten sein, wie sich insbesondere die vorgestellten neuen technischen Lösungen entwickeln werden.
Bei den Diskussionen zur Cyberversicherung wurde klar, dass diese bei Weitem noch nicht die angesichts der hohen Risiken gebotene Verbreitung erfahren hat. Für Vertragsgestaltungen und Kalkulationen stellen die zunehmend auch im digitalen Raum ausgetragenen Konflikte der Weltmächte eine besondere Herausforderung dar.
C. Fazit und Perspektiven für künftige Zusammenarbeit
Die Beteiligten gaben im Anschluss an den Workshop durchweg positives Feedback. Das Format mit seiner Mischung aus Vorträgen und lebendigen Diskussionsrunden ermöglichte es, zu aktuellen und grenzüberschreitend relevanten Themen Einblicke in die Arbeit wissenschaftlicher Kollegen sowie spannende neue Erkenntnisse zu gewinnen. Der persönliche Kontakt wurde auch genutzt, um sich über aktuelle wissenschaftliche Projekte auszutauschen und um die Möglichkeit künftiger Zusammenarbeit auszuloten.
Zudem wurden bereits erste Ideen für einen Folgeworkshop diskutiert. Insbesondere eine Vertiefung von Rechtsfragen beim automatisierten Fahren würde sich hierbei thematisch anbieten. Es handelt sich bei der zunehmenden Automatisierung um ein Emerging Risk, das viele Schnittstellen mit Fragen rund um die KI-Regulierung aufweist. Man verständigte sich darauf, einen Folgeworkshop zu planen. Dieser solle wieder an einer der auf dem Workshop repräsentierten Universitäten durchgeführt werden.