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Frauen in der Untersuchungshaft der DDR

Ein Beitrag von Jingyi Peng und Isabel Müller-Marquardt

Wer war in Haft? So lautete eine der Leitfragen des ersten Durchgangs der Schlüsselqualifikation „Recht, geschlechtersensibel betrachtet“ für die Gruppe, die sich mit historischen Aspekten des Themas „Frauen in Haft“ beschäftigte. Um einen Zugang zu dieser Frage zu erhalten, besuchten wir im Rahmen der Schlüsselqualifikation den Lernort Keibelstraße[1] in der Nähe des Alexanderplatzes. Der Lernort Keibelstraße ist eine von zwei Untersuchungshaftanstalten (UHA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), in der auch Frauen während der Dauer des Ermittlungsverfahrens aufgenommen wurden.

Die „Keibelstraße“, im Allgemeinen auch „UHA II“, wurde 1951 in Betrieb genommen und war für 220 Personen ausgelegt. Im Rahmen unseres Besuches erfuhren wir, dass die meisten Informationen zur Situation der Inhaftierten über Zeitzeugenberichte und Aktenrecherche zusammengetragen wurden. Die hier untergebrachten Frauen waren verschiedensten Alters, die Jüngste wohl 14 Jahre. In der UHA II waren vor allem solche Personen inhaftiert, die als „unpolitisch“ eingestuft wurden. Durch die ausgestellten Zeitzeugenangaben konnten wir dort etwa über Frau „Sabine Schumacher“[2] lesen, dass diese aufgrund des Verdachtes, § 249 Abs. 2 StGB-DDR verletzt zu haben, in Untersuchungshaft war. In der DDR wurde am 12. Januar 1968 sowohl ein Strafgesetzbuch als auch eine Strafprozessordnung neu erlassen. Der § 249 StGB-DDR findet sich im 5. Abschnitt zu Straftaten gegen die allgemeine, staatliche und öffentliche Ordnung, trotz der verschiedenen Änderung des StGB in der DDR ist dieser Paragraf gleichgeblieben. Dort wird die „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten“ unter Strafe gestellt. Den § 249 Abs. 1 StGB-DDR verletzte, wer trotz der physischen Fähigkeit zu arbeiten als „arbeitsscheu“ galt oder sich, so der Wortlaut, „einer geregelten Arbeit entzieht und dadurch das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Arbeit und Sicherheit beeinträchtigt“. Der § 249 Abs. 2 StGB-DDR wurde hingegen dadurch verletzt, dass eine Person der „Prostitution nachgeht oder in sonstiger Weise die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch eine asoziale Lebensweise beeinträchtigt“. Durch die Sichtung einiger exemplarischer Haftakten war es möglich, unterschiedliche Schicksale derjenigen, die wegen eines Verstoßes gegen § 249 StGB-DDR verurteilt wurden, zu ermitteln. Deshalb ist es interessant, diese Vorschrift genauer zu untersuchen.

Vorab ist festzustellen, dass der Begriff „Asozialität“ erstens die Existenz von gesellschaftlichen Randgruppen hervorhebt und zweitens deren Verhalten von dem von der vermeintlichen Mehrheit der Gesellschaft anerkannten und praktizierten Form des sozialen Verhaltens andauernd oder über längeren Zeitraum hinweg in Widerspruch setzt. Aufgrund dieses Widerspruchs weicht „der/die Asoziale“ in der Lebensweise erheblich von der Mehrheit im negativen Sinne ab.[3] Daraus folgt, dass die Einstufung als „Asoziale“ stets im Kontext der jeweiligen Gesellschaft zu sehen ist, in diesem Fall nach dem sozialistischen Menschenbild während der DDR erfolgt.

Den Ausgangspunkt bildet die Vorstellung eines dialektischen Verhältnisses zwischen der Persönlichkeit des Einzelnen und der Gemeinschaft.[4] Der Mensch galt als „das Ensemble der Gesellschaftsverhältnisse“. Die „sozialistische Persönlichkeit“ war somit eine Ausprägung des angestrebten Menschentyps, wobei die individuelle Subjektivität erheblich gesteuert und kontrolliert wurde. Der Individualismus wurde mit dem Egoismus gleichgesetzt. In einem von dem Ministerium der Justiz herausgegeben Kommentar zum StGB-DDR von 1979 lässt sich zudem herauslesen, dass das „Gemeinsame Interesse“ der sozialistischen Gesellschaft im Schutz derselben liegt.[5] Zusätzlich sei durch die Schaffung des Staates bereits eine „historische Ursache“ für Kriminalität beseitigt worden, da die Ausbeutung des „Menschen durch den Menschen“ überwunden wurde.[6] Dieses Verständnis des StGB-DDR im Allgemeinen ist insbesondere in Bezug auf den § 249 Abs. 2 StGB-DDR relevant, da es die Kriminalisierung der Prostitution weder auf einem moralischen Sexualverständnis oder dem Schutz vor Ausbeutung gründet, sondern auf der Arbeitsverweigerung und Asozialität, die als Verweigerung gegenüber dem genannten „Gemeinsamen Interesse“ gesehen wurde.

Während auf der einen Seite die Person, die sexuelle Dienste anbot, durch § 249 StGB-DDR kriminalisiert wurde, findet sich für diejenige Person, die die Dienste annimmt, kein Straftatbestand – allenfalls ist noch § 123 StGB-DDR, die „Förderung oder Ausnutzung der Prostitution um daraus Einkünfte zu beziehen“, zu benennen. Daraus lässt sich eine mangelhafte Geschlechtergerechtigkeit sowie das beschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frauen schlussfolgern. „Asoziale“ Verhaltensweisen wie mangelnde soziale Integration, Arbeitslosigkeit bzw. das Leben auf Kosten der Allgemeinheit und auch die Prostitution galten als verwerflich, da sie die Idee des Sozialismus unterminierten und das postulierte Ideal des Menschen als vergesellschaftetes Individuum und produktiven Schöpfer, das sich in der „sozialistischen Lebensweise“ verwirklicht, in Frage stellten. Der Begriff „Asozialität“ wurde also als eine Art des staatlichen Instruments angewandt und diente den eigenen Interessen der Staatsmacht an der Kontrolle der Bevölkerung sowie im weiteren Sinne der Verbreitung und Erhaltung der sozialistischen Ideologie. In der DDR wurde das Strafrecht, insbes. § 249 StGB-DDR, somit auch als Mittel der Erziehung genutzt.[7]

Neben der Freiheitsstrafe war es politisch gewollt, dass die Frauen wieder an eine „geregelte“ Arbeit herangeführt werden sollten. So wurde während der Haft in den Strafvollzugseinrichtungen der DDR ein Erziehungsprogramm durchgeführt, in dem allgemeine Fertigkeiten wie etwa Nähen und Sägen vermittelt wurden, aber auch Ausbildungen in Betrieben, etwa zu Papierarbeiterinnen oder Leuchtmontiererinnen im volkseigenen Betrieb „Narva“. Dieser kooperierte ebenfalls mit der UHA II, wie uns bei der Exkursion erklärt wurde.

Unsere Erfahrungen haben wir jeweils in einem Fazit zusammengefasst.

Isabel: Insgesamt hat uns die Schlüsselqualifikation die Möglichkeit gegeben, mehrere geschlechterspezifische Aspekte des Rechts, insbesondere der Haftgründe und Haftbedingungen von Frauen während der DDR zu reflektieren. Wir konnten uns anhand eines spezifischen Delikts mit einer anderen Rechtsordnung auseinandersetzen. So war es uns möglich, anhand der sozialistischen Überzeugung des Systems herauszuarbeiten, wie in der DDR bestimmte Verhaltensweisen zum Schutz des Kollektivs kriminalisiert werden. In Bezug auf die geschlechterspezifische Dimension fällt hier insbesondere auf, dass zwar die Prostituierte als „Asoziale“ kriminalisiert wird, nicht aber der Freier. Im Allgemeinen war es besonders eindrucksvoll die UHA in der Keibelstraße zu besuchen – einerseits durch das Gebäude an sich und anderseits durch die dort gezeigten Filmaufnahmen der Zeitzeug:innen, da dies die Schicksale der Inhaftierten plastischer macht. Eine neue Erfahrung war ebenfalls ein Einblick in Haftakten, da aus den gesammelten Materialien ein komplexeres Bild der Angeklagten hervorgeht als so manches Urteil erahnen lässt und die ursprüngliche Leitfrage, „Wer war in Haft?“ so auch durch Einzelschicksale beantwortet werden kann.

Jingyi: Der Besuch und die Akteneinsicht bei Keibelstraße haben bei mir einen tiefen Eindruck gemacht. Anhand der Darstellung einzelner Frauenschicksale lässt sich der damals im Strafgesetztatbestand verwendete Begriff „Asoziale“ konkretisieren. Zusammenfassend bildet die Kritik an der Arbeitsscheu und der Prostitution, welche regelmäßig die gesellschaftlichen Randgruppen betrafen, den Kern. Der Straftatbestand sowie die damaligen Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Asozialität weisen sich allerdings meiner Meinung nach als ungeeignet aus, denn die Anzahl der Rückfälligen stieg trotzdem ständig. Derjenige, der sich trotz der Erziehung nicht veränderte, wurde als hartnäckig bzw. böswillig angesehen. Die mangelnde Ursachenforschung ließ wenig Raum für eine soziale Hilfe. Frauen mit „Asozialität“ wurden infolgedessen nicht adäquat betreut. Folglich kann man zu dem Fazit kommen, dass Frauen, die Probleme mit dem Leben hatten, kaum Hilfe angeboten, sondern lediglich kriminalisiert wurden.



Quellen:

Hirsch, Steffen; Der Typus des "sozial desintegrierten" Straftäters in Kriminologie und Strafrecht der DDR : ein Beitrag zur Geschichte täterstrafrechtlicher Begründungen, 2008, Göttingen

Korzilius, Sven; "Asoziale" und "Parasiten" im Recht der SBZ, DDR : Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung, 2004, Köln/Böhlau

Ministerium der Justiz; Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik – Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage, 1981, Berlin

Windmüller, Joachim; Ohne Zwang kann der Humanismus nicht existieren… – Asoziale in der DDR; Rechtshistorische Reihe Band 335, 2006, Frankfurt am Main


[1] http://www.keibelstrasse.de.

[2] Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts wurden in der Ausstellung alle verwendeten Namen durch Pseudonyme ersetzt.

[3] Joachim Windmüller, Ohne Zwang kann der Humanismus nicht existieren – „Asoziale in der DDR“.

[4] Stefan Hirsch, Der Typus des „sozialen desintegrierten Straftäters in Kriminologie und Strafrecht der DDR“, S. 63 ff.

[5] Strafrecht der DDR 1979, Art 1.

[6] Strafrecht der DDR 1979, Art 1.

[7] Sven Korzilius, Asoziale und Parasiten im Recht der SEZ/DDR, S. 198 ff.