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Die Lebenssituation von Frauen vor ihrem Haftantritt

Ein Beitrag von Shashwati Wagle, Lotte Tietze und Vanessa Braun

Eine kleine Minderheit (Zahlen zum Einstieg)

 Weiblich gelesene Inhaftierte machen nur etwa 5,5 %[1] der deutschen Gefängnispopulation aus. Wie bei männlich gelesenen Inhaftierten sind die meisten davon zwischen 25 und 40 Jahre alt (47,9 %), wobei Frauen eher im Alter 40+ (37,7 % vs. 32,8 %) und weniger unter 25 Jahren (14,3 % vs. 19,1 %) vertreten sind. 83,9 % der inhaftierten Frauen besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit; insgesamt ist die Strafvollzugspopulation zu 77,3 % deutsch. Etwa die Hälfte der Frauen ist offiziell ledig.

Frauen begehen insgesamt weniger schwerwiegende und gewalttätige Delikte als Männer. Straftaten, die von Frauen begangen werden, bestehen zu etwa einem Viertel aus Betrug und Untreue. Diebstahls- und Unterschlagungsdelikte bilden mit 21,0 % insgesamt die häufigsten Inhaftierungsgründe; Frauen sind hier etwas stärker vertreten und sind zu 26,3 % aufgrund solcher inhaftiert. Auch bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist das der Fall (15,4 % vs. 14,7 %).

Die Unterschiede der Deliktarten nach Geschlecht lassen sich auch in ihren konkreten Bestrafungsfolgen erkennen. Ganze 47,82 % der straffälligen Frauen verbüßen eine Freiheitsstrafe ‚nur‘ bis 9 Monaten, während dies bei bloß knapp einem Drittel der Männer zutrifft. Auch an anderen Werten lässt sich ablesen, dass weibliche Inhaftierte tendenziell weniger schwere Strafen verbüßen; die Frauen befinden sich nämlich daneben auch etwas zahlreicher im offenen Vollzug als Männer (18,73 % vs. 16,1 %) und sind auch häufiger von Freiheitsstrafen statt Jugendstrafen oder Sicherungsverwahrung betroffen (92,52 % vs. 88,8 %).

 

Unser Besuch in der JVA Lichtenberg – geschlossener Frauenvollzug

Dieser Blogeintrag soll sich insbesondere mit den Lebensumständen von Frauen vor ihrem Haftantritt befassen. Es geht um die Frage, inwiefern diese ihre Straffälligkeit begünstigen oder der Auslöser für sie sein können. Am 21.06.2022 haben wir gemeinsam die Frauenvollzugsanstalt in Berlin-Lichtenberg besucht und dort ein Gespräch mit einem Vertreter der Anstaltsleitung und einer Sozialarbeiterin geführt. Aufgrund der Covid-19-Pandemie konnten wir leider nicht mit den inhaftierten Frauen in Kontakt treten. Dennoch hat dieser Besuch weitreichende Einblicke in die Situation der Frauen vor der Straffälligkeit und während der Haft geboten.

Bundesweit wurde bei einer Befragung 2018 festgestellt, dass 39 % der inhaftierten Frauen eine Substanzabhängigkeit oder zumindest einen Missbrauch aufweisen.[2] Auch in der Haftanstalt in Lichtenberg gibt es zwei Stationen, in welchen sich Frauen mit einer Suchtproblematik aufhalten. Es stellte sich uns die Frage, ob dann gerade die Frauen mit einer Suchtproblematik häufiger BtMG-Delikte oder sogenannte Beschaffungsdelikte begehen. Die Frage nach dieser Kausalität wurde jedoch durch unsere Gesprächspartner/innen verneint. Die Suchtproblematik beschränke sich nicht auf die hierfür typischen Delikte, sondern stellt ein generelles Problem bei Frauen im Vollzug dar. Die Drogenproblematik lasse sich vielmehr mit den sozialen Begebenheiten, in denen sich die Frauen vor Haftantritt befinden, erklären. Oft kommen sie aus sozial schlechter gestellten Schichten und weisen schwierige Lebenssituationen auf, in denen die Sucht wie ein Fluchtweg erscheint. Zudem haben viele der Frauen in ihrem Leben bereits Missbrauchs- und Gewalterfahrungen hinter sich, welche ihre Lage ebenfalls nicht begünstigen.

Auch an der hohen Anzahl der Ersatzfreiheitsstrafen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Braasch und Streitbörger) ist oft diese schwierige Situation der Frauen vor und während ihres Haftantritts erkennbar. Ersatzfreiheitsstrafen sind solche Freiheitsstrafen, die verhängt werden, weil die betroffene Person eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlen kann oder (seltener) will. In der JVA Lichtenberg machen diese Personen nach Anstaltsangaben ca. 20-25 % aus, wobei die genaue Anzahl aufgrund der Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafen wegen der Covid-19-Pandemie schwerer zu ermitteln ist. Ein klassisches Beispiel für die Verhängung dieser Strafe ist das sogenannte „Schwarzfahren“. Damit sind auch vor allem Personen betroffen, die arbeitslos, suchtkrank oder wohnungslos sind.

Besonders eindrucksvoll war dabei der Umgang des Vollzugsanstaltspersonals mit dieser Personengruppe. Beide Gesprächspartner/innen betonten hierbei, dass die betroffenen Frauen in erster Linie vor allem unter ihrer schwierigen sozialen Situation litten und sich ihre Straffälligkeit erst aus dieser Situation ergebe. „Manche Frauen lassen es regelrecht darauf ankommen, erwischt zu werden“, berichtete uns unsere Gesprächspartnerin, und ergänzte dabei noch „vor allem im Winter“. Frauen, die einen Freiheitsentzug, den wohl größten Eingriff in unsere Grundrechte, in Kauf nehmen, um ihrer Situation zumindest für einen kurzen Zeitraum zu entfliehen? Für die meisten von uns ist dies wohl völlig unvorstellbar und zeigt doch, in welcher Lage sich teilweise die inhaftierten Frauen befinden. Dabei wurde auch insbesondere die wirtschaftliche Situation dieser Personengruppe herausgestellt. Viele von ihnen lebten vor ihrer Festnahme unter der Armutsgrenze und waren von Überschuldung betroffen. Dies wurde auch durch ihre mindere Qualifizierung begünstigt. Die Frauen, die in der JVA Lichtenberg inhaftiert sind, haben nach den Erfahrungen der leitenden Personen, mit denen wir sprechen durften, oft keinen Schulabschluss und nur selten eine Ausbildung.

Durch unseren Besuch der JVA Lichtenberg wurde uns aber auch vor allem bewusst, wie heterogen die Gruppe der inhaftierten Frauen ist. Hinter jeder Zahl und hinter jedem Prozentsatz befinden sich Einzelschicksale, die man kaum erfassen kann.

 

Hier finden sich noch einige Links, aus denen wir unter anderem unsere Informationen gezogen haben, und welche einen guten Überblick über die Lebensumstände von inhaftierten Frauen bieten.

https://www.bag-s.de/drogen

https://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/Werkstattpapier_zur_frauenspezifischen_Straffaelligenhilfe.pdf

https://www.dbdd.de/fileadmin/user_upload_dbdd/05_Publikationen/PDFs/REITOX_BERICHT_2018/09_WB_Gefaengnis_2018.pdf

https://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Infodienst/2_2012_BAG-S_Infodienst_Webseite_Archiv.pdf


[1] Siehe hierzu und für die folgenden Statistiken Prätor, S. (2013). Basisdokumentation im Frauenvollzug. Situation von Frauen in Haft und Auswirkungen auf die Legalbewährung. Celle: Kriminologischer Dienst: http://www.bildungsinstitut-justizvollzug.niedersachsen.de/download/86045.

2 Vergleiche Schneider u.a. (2019): Gefängnis - Workbook Prison. Deutschland. Bericht 2019 des nationalen REITOX-Knotenpunkts an die EMCDDA, https://www.dbdd.de/fileadmin/user_upload_dbdd/05_Publikationen/PDFs/REITOX_BERICHT_2019/WB_09_Gefaengnis_2019.pdf.