Fall 6: Der hilflose Helfer
(BGHSt 39, 322)
Im Wohnhaus der Familie H findet eine Feier mit etwa 30 Gästen statt, auf der auch viel Alkohol konsumiert wird. Gast A zündete, einem vorherigen Plan folgend, um 1.30 Uhr in einem Schlafzimmer im Obergeschoss ein Kleidungsstück an, um damit das Obergeschoss in Brand zu setzen, während die Gäste sich hätten retten können. Während er sich wieder unter die Gäste mischte, befand sich im Obergeschoss noch der 12-jährige Sohn S der Eheleute H., obwohl H mehrmals geäußert hatte, S sei bei einem Freund. Den Gästen war der Zugang zum Obergeschoss verboten. S gelang es, als das Obergeschoss bereits stark brannte, sich über das Dach kletternd in Sicherheit zu bringen. Der 22-jährige Sohn M dagegen, der sich im Garten aufgehalten hatte, sah das Feuer und stürmte ins Obergeschoss, um seinen Bruder zu retten. Im Flur des Obergeschosses brach er infolge der giftigen Dämpfe bewusstlos zusammen und starb wenig später an den Folgen einer Kohlenmonoxydvergiftung. Strafbarkeit des A ?
Lösung:
A. Strafbarkeit nach § 306a I Nr.1 StGB
Indem A ein Kleidungsstück anzündete und ins Schlafzimmer des Hauses der Familie H legte, das daraufhin brannte, kann er sich nach § 306a I Nr.1 StGB strafbar gemacht haben.
Mit dem Wohnhaus, dass dem Aufenthalt von Menschen dient, hat der A eines der Schutzobjekte des Absatzes 1 derart dem Feuer zugänglich gemacht, dass es aus eigener Kraft nach Entfernen der Zündquelle weiterbrennen konnte (vgl. BGHSt 36, 221) und es damit in Brand gesetzt. Dass er hierbei annahm, im Obergeschoss befinde sich niemand und alle Gäste könnten sich rechtzeitig retten, führt wegen des Charakters des § 306a I StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht zu einem Tatbestandsausschluss wegen Ungefährlichkeit. Dies ist analog § 326 VI StGB einzig dort anzunehmen, wo der Täter sich vergewissert hat, dass sich im Objekt niemand mehr aufhielt. A handelte somit auch vorsätzlich sowie mangels Rechtfertigungsgründen rechtswidrig. Für eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) infolge Alkoholgenusses fehlt es am Vorhandensein detaillierter Angaben zur Höhe der Blutalkoholkonzentration sowie zu etwaigen Ausfallerscheinungen, sodass A auch voll schuldfähig handelte.
B. Strafbarkeit nach § 306a II StGB
Indem A das Kleidungsstück anzündete und kurz darauf das Obergeschoss brannte, kann er sich nach § 306a II StGB strafbar gemacht haben.
I. Objektiver Tatbestand
A hat mit dem Gebäude zwar ein in § 306 I Nr.1 StGB genanntes Objekt in Brand gesetzt und den S, der sich gerade noch retten konnte, konkret gefährdet, brannte das Obergeschoss doch schon erheblich. Im Hinblick auf den gleichen Strafrahmen wie § 306a I StGB trotz zusätzlicher konkreter Gesundheitsgefährdung wird teilweise eine teleologische Reduktion dahingehend vorgenommen, dass § 306a II StGB nur eigene oder herrenlose Objekte umfasst (Fischer, NStZ 1999, 13 (14)). Derartiges ergibt sich aber weder aus den Gesetzesmaterialien (BT-Ds. 13/7587, S.88) noch zwingend aus der Systematik und ist als Reduzierung des Anwendungsbereichs im Hinblick auf den Schutzzweck (Schutz der Gesundheit) nicht haltbar. Für § 306a II StGB ist die Eigentumslage daher egal, sodass auch eigene Objekte umfasst werden, aber nicht nur (BGH, NStZ 1999, 33 insofern nicht eindeutig genug; dafür aber Geppert, JK 99, StGB § 306a / 1b, Geppert, Jura 1998, 597 (602), Rengier, JuS 1998, 397 (399) und Wolters, JR 1998, 273). Den Tatbestand des § 306a II StGB hat A somit erfüllt.
II. Subjektiver Tatbestand
Diesen müsste A aber auch vorsätzlich verwirklicht haben. Vorsatz bedeutet das Wissen um die Elemente des objektiven Tatbestandes sowie den Willen, diesen zu verwirklichen. Fraglich insoweit ist einzig das Wissen des A um eine konkrete Gefährdung des S, nahm er doch an, dass sich dieser nicht in der Wohnung aufhielt und auch sonst niemand im Obergeschoss war und er auch eine Gefährdung der Gäste im Erdgeschoss nicht wollte. Dies würde ihn dann entlasten, wenn es sich bei § 306a II StGB nicht um eine Erfolgsqualifikation handeln würde, bei der gemäß § 18 StGB Fahrlässigkeit bezüglich der Folge (hier Gesundheitsgefährdung) ausreicht. Zwar spricht das Wort „dadurch“ für die Möglichkeit einer derartigen Auslegung, dies trifft aber auch auf andere Tatbestände zu, die einfache Qualifikationen darstellen (§§ 113 II Nr. 2, 250 II Nr. 3b StGB). § 306d II StGB zeigt jedoch, dass die Gefahr vorsätzlich herbeigeführt werden muss (BGH, NStZ 1999, 32, Geppert, Jura 1998, 597 (603), Geppert, JK 99, StGB § 306a/1b und Wolters, JR 1998, 271 (272)). A hätte daher um die konkrete Gefährdung eines Menschen wissen und dies auch wollen müssen. Die bloße Hoffnung, niemand werde gefährdet, genügt zwar nicht, wohl aber, wenn der Täter ernsthaft darauf vertrauen durfte, dass eine Gefährdung nicht eintreten dürfe. Dies ist angesichts des Umstandes, dass niemand das Obergeschoss betreten durfte und der Aussage, S halte sich bei einem Freund auf, hielt zugunsten des A anzunehmen. A handelte somit ohne Vorsatz bezüglich der konkreten Gefährdung.
III. Ergebnis
A hat sich damit nicht nach § 306a II StGB strafbar gemacht.
C. Strafbarkeit nach § 306b II Nr.1 StGB
Gleiches gilt für eine Strafbarkeit nach § 306b II Nr.1 StGB, da der erhebliche Unterschied der Mindeststrafandrohung von zwei Jahren bei § 306b I StGB und fünf Jahren bei § 306b II Nr.1 StGB nur schwerlich erklärbar wäre, wenn hier wie dort Fahrlässigkeit ausreichen würde (BGH, NJW 1999, 3132 mit Anm. Radtke, NStZ 2000, 88).
D. Strafbarkeit nach § 306c StGB
A könnte sich aber, indem er das Kleidungsstück in Brand setzte, das Obergeschoss brannte und M umkam, nach § 306c StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. A hat eine Brandstiftung nach § 306a I Nr. 1 StGB vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verursacht. Fraglich ist, ob er hierdurch wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht hat.
2. Der Tod des M als tatbestandlicher Erfolg ist eingetreten.
3. Dies müsste kausal auf dem Inbrandsetzen des Kleidungsstücks beruhen. Eine Bedingung ist dann kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte A das Kleidungsstück nicht in Brand gesetzt, hätte das Obergeschoss nicht gebrannt und M wäre nicht in das brennende Obergeschoss gegangen und an giftigen Gasen erstickt. Zweifeln könnte man einzig dadurch, dass der von A in Gang gesetzte Ursachenverlauf durch den von M selbständig begründeten Kausalvorgang unterbrochen wurde. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen ein Kausalvorgang einen zweiten erst ermöglicht und so fortwirkt. Hätte A das Obergeschoss nicht in Brand gesetzt, wäre M nicht, um S zu retten, in das brennende Gebäude gegangen, sodass die Kausalität der Handlung des A zum Erfolg fortwirkte.
4. Das Inbrandsetzen, obwohl sich Menschen im Untergeschoss sowie im Obergeschoss aufhielten und obwohl sich nicht endgültig versichert hat, dass sich keine Menschen im Haus aufhalten, war sorgfaltspflichtwidrig. Dass infolge des Brandes ein Mensch und sei es auch ein Bewohner, der sich im Garten aufhielt und zum retten das Haus betrat, umkam, war auch objektiv vorhersehbar, da es genügt, dass die möglichen Folgen in ihrem gewicht im wesentlichen vorhersehbar waren (BGHSt 37, 179 (180)).
5. Der konkrete Erfolge müsste aber auch durch die sorgfaltswidrige Handlung eingetreten sein. Dies erscheint zweifelhaft, da M selbst im Auge der ihm drohenden Gefahr zur Rettung seines Bruders das brennende Haus betrat und der Zurechnungszusammenhang somit wegen bewusster Selbstgefährdung ausscheiden könnte (hierzu BGHSt 32, 262 ff.,BGHSt 36, 1 (17 f.) sowie BGHSt 37, 179 (180 ff.)). BGHSt 39, 322 (325): „Danach ist im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür eine Ursache gesetzt hat, möglicherweise dann nicht zuzurechnen, wenn der Erfolg die Folge einer bewussten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsaktes erschöpft hat.“ In diesem Sinne wollen einige Stimmen im Schrifttum aufgrund des Verantwortungsprinzips eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs annehmen (so Roxin, AT I, 3. Aufl., § 11 Rn. 99, Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 ff. und Otto, JK 94, StGB Vor § 13/3). Hiergegen spricht aber, dass wenn das Opfer zur Rettung rechtlich oder sittlich-moralisch verpflichtet ist, der Erstschädiger also ein einsichtiges Motiv für die gefährliche Rettungsmaßnahme geschaffen hat, das Opfer eben doch fremdbestimmt handelt (BGHSt 39, 322 (325 f.), SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 80 f., LK/Schroeder, 11.Aufl., § 16 Rn. 182, Sowada, JZ 1994, 663 ff. und Geppert, Jura 2001, 490 (495)). Die Grenze dieser „billig und gerecht“ (Geppert, Jura 2001, 490 (495)) erfolgenden Zurechnungserweiterung ist erst dort zu ziehen, wo „es sich um einen von vorneherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch handelt“ (BGHSt 39, 322 (326)). Derartige besondere, unverhältnismäßige Wagnisse sind im Eindringen in ein Haus, deren Obergeschoss brennt, um dort ein 12-jähriges Kind zu retten, nicht zu erblicken, sodass A der Tod des M zugerechnet werden kann. Der Tod beruht somit auf der Pflichtwidrigkeit des A.
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
Mangels Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen geschah die Tat rechtswidrig und schuldhaft.
III. Ergebnis
A hat sich damit nach § 306c StGB strafbar gemacht.
E. Strafbarkeit nach § 306 I Nr.1 StGB
A hat mit dem Inbrandsetzen des Gebäudes, was er vorsätzlich sowie rechtswidrig und schuldhaft tat, sich zugleich nach § 306 I Nr.1 StGB strafbar gemacht.
F. Konkurrenzen
Der mit § 306c StGB zugleich erfüllte § 222 StGB tritt hinter diesen konkurrenzrechtlich zurück. Die mit § 306 StGB verwirklichte einfache Sachbeschädigung nach § 303 StGB und die mögliche Verwirklichung des § 305 StGB treten hinter § 306 StGB als speziellerem Gesetz zurück. Zu § 306 StGB steht § 306a I Nr. 1 StGB wegen der unterschiedlichen Rechtsgüter (§§ 306a ff. StGB sind gemeingefährliche Delikte, § 306 StGB ein Sonderfall der Sachbeschädigung !) in Tateinheit. § 306a I Nr. 1 StGB und § 306 I Nr. 1 StGB stecken zwar beide in § 306c StGB, um klarzustellen, dass beide erfüllt sind, sollten sie aber aus Klarstellungsgründen in Tateinheit stehen.
G. Ergebnis
A hat sich nach §§ 306 I Nr.1; 306a I Nr.1; 306c; 52 I StGB strafbar gemacht.