Anton und Betram waren Nachbarn, konnten sich aber nicht allzugut leiden.
Dies lag im wesentlichen daran, dass Bertram Anton schon mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass ihn der Buchsbaum, den Anton nahe an seinen Maschendrahtzaun gepflanzt hatte, sehr störte. Dieser würde zum Rosten des Zaunes führen, da Anton seinen Baum über die Maßen gieße.
Eines Tages eskaliert der Streit. Als Anton wieder eifrig damit beschäftigt war, seinen Buchsbaum zu bewässern, wies Bertram ihn wiederum deutlich darauf hin, er möge den Baum entfernen. Nun hielt Anton den Zeitpunkt für gekommen, um Bertram eine Lektion zu erteilen und ihn zu lehren, wer das Sagen habe.
Er zückte seinen Revolver und schoss auf Bertram, wobei ihm bewusst war, dass dieser eine erhebliche Körperverletzung erleiden oder sogar dabei ums Leben kommen konnte. Er meinte, dieses Risiko eingehen zu müssen, um Bertram eine Lektion zu erteilen. Bertram brach zusammen und blieb regungslos liegen. Anton war sich sicher, Bertram tödlich getroffen zu haben.
Erfreut über die himmlische Ruhe ging Anton nunmehr wieder seiner Gartenarbeit nach. Nach 10 Minuten bemerkte er, wie Bertram plötzlich zu sich kam und benommen aufstand. Wie Anton nunmehr erkannte, hatte die Kugel Bertram verfehlt. Dieser war schon vor Schreck ohnmächtig geworden. Obwohl Anton noch weitere Patronen in seinem Revolver hatte, verzichtete er auf die Abgabe eines weiteren Schusses, weil er davon ausging, Bertram habe die Lektion verstanden.
Bertram wurde durch den Schuss auf dem rechten Ohr taub. Im Übrigen kam er mit dem Schrecken davon.
Strafbarkeit des A ? Waffenrechtliche Vorschriften bleiben außer Betracht. Etwaig erforderliche Strafanträge sind gestellt.
Lösung:
(Lösung nach Hirschmann, Jura 2001, 711 ff.; Lösung
modifiziert)
I. Strafbarkeit des A nach §§ 212 I, 211, 22 StGB
Indem A auf B geschossen hat, kann er sich eines versuchten Mordes, der nach §§ 23 I, 12 I StGB strafbar ist, schuldig gemacht haben.
1. Tatentschluss
Hierzu müsste A zunächst Tatentschluss, also Vorsatz bezüglich der Tötung sowie eines Mordmerkmals gehabt haben. Vorsatz bedeutet das Wissen um die Elemente des objektiven Tatbestandes sowie den Willen, diesen zu verwirklichen.
a. Ob A einen Menschen töten wollte, ist nicht bekannt. Zwar ist die Tötung eines Menschen mit einer erhöhten Hemmschwelle im Gegensatz zur Begehung anderer Delikte verbunden (BGHSt 36, 1 (15 f.); 36, 262 (267)), hierdurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass von einer extrem gefährlichen Handlung auf den vorhandenen Eventualvorsatz geschlossen wird. So hat A auf B geschossen, sodass ihm zumindest ein Eventualvorsatz er wollte B schließlich nur eine Lektion erteilen, auf dessen Tod kam es ihm nicht an zu unterstellen ist.
b. Zudem könnte A Vorsatz bezüglich einer heimtückischen Tötung gehabt haben. Heimtücke ist die bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs von Seiten des Täters versieht (vgl. Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 211 Rn.7) und wehrlos, wer infolge seiner Arglosigkeit in seiner natürlichen Abwehrbereitschaft und fähigkeit eingeschränkt ist (Lackner/Kühl, 25. Aufl., § 211 Rn.8). A und B hatten zwar eine sprachliche Auseinandersetzung, diese war aber noch nie eine solche hinausgegangen. B versah sich somit nicht eines Angriffs auf seinen Körper und hierdurch in seiner Abwehrfähigkeit eingeschränkt. Dies wusste A und wollte dies auch ausnutzen, sodass an sich die Merkmale der Heimtücke erfüllt wären.
Aufgrund der Absolutheit der Strafandrohung beim Mord ist jedoch eine restriktive Auslegung der Mordmerkmale verfassungsrechtlich geboten (BVerfGE 45, 187 ff.). Dem wird bei der Heimtücke in der Weise nachgekommen, dass die Rechtsprechung ein Vorgehen in feindlicher Willensrichtung fordert (so BGHSt (GS) 9, 390 (394) und BGHSt (GS) 30, 105 (115 f.)), die zu bejahen wäre, während im Schrifttum ein besonders verwerflicher Vertrauensbruch als zusätzliches Kriterium gefordert wird (Otto, BT, 6. Aufl., § 4 Rn. 25 und Jakobs, JZ 1984, 996 (997)). Gegen letzteres spricht aber, dass hierdurch der typische Fall des Meuchelmörders gerade nicht mehr unter die Heimtücke fallen würde, eine Bevorteilung gegenüber Taten innerhalb der Familie, für die keine Rechtfertigung ersichtlich ist. Gerade diese Taten sind eher strafwürdiger als jene, die mit besonderer Emotionalität geprägt sind, wie auch der vorliegende Fall verdeutlicht. Da A in feindlicher Willensrichtung handeln wollte, hatte er somit Vorsatz bezüglich einer heimtückischen Tötung.
2. Unmittelbares Ansetzen
Mit dem Schuss auf B hat A zur Tat unmittelbar angesetzt.
3. Rechtswidrigkeit und Schuld
Dies geschah rechtswidrig und schuldhaft.
4. Rücktritt
A kann aber durch das Absehen weiterer Schüsse von der Tat nach § 24 StGB strafbefreiend zurückgetreten sein.
a. Hierzu dürfte der Versuch zunächst noch nicht fehlgeschlagen sein. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach seiner Sicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den tatbestandlichen Erfolg nicht mehr oder jedenfalls nicht ohne zeitliche Zäsur herbeiführen kann (BGHSt 34, 53 (56 f.) und BGH, NStZ-RR 1997, 260 (261)). Stellt man auf den einzelnen Schuss ab, so ist der hiermit erfolgte Versuch fehlgeschlagen und ein Rücktritt nicht mehr möglich (sog. Einzelaktstheorie, vgl. Jakobs, JuS 1980, 714 (716 ff.)). Stellt man jedoch aus Opferschutzgesichtspunkten auf eine Gesamtbetrachtung des Handlungsgeschehens ab (so BGHSt 34, 53 (57), Kühl, AT, 4. Aufl., § 16 Rn. 33 sowie Roxin, JR 1986, 424 (425f.)), so ist der erste Schuss und die sich später stellende Möglichkeit eines Vollendens der Tat nach der Erkenntnis, dass der Schuss daneben ging, zusammenzufassen. Welche Mittel des Täters in die Betrachtung einzubeziehen sind, könnte sich einerseits nach dem Tatplan beziehen. Dann würde aber derjenige Täter bevorteilt, der sich viele Tötungsvarianten vorher überlegt hat und gefährlicher ist, da er wegen noch vorhandener Tötungsmittel zurücktreten könnte, während derjenige, der nur vom Schuss mit der mit einer Kugel versehenen Waffe ausgeht, nach einem Fehlschuss keine Rücktrittsmöglichkeit mehr hätte. Abzustellen ist daher auf den Rücktrittshorizont (BGHSt 31, 175 f., BGHSt 33, 295 (298), BGHSt (GS) 39, 221 (227) sowie BGH, NStZ-RR 1998, 9), also auch nur der Zeitpunkt zu betrachten, in dem der Täter die Wahlmöglichkeit hat, zurückzutreten oder weiterzuhandeln und zu fragen, ob er mit dem ihm dann zur Verfügung stehen Mitteln nach seiner Sicht den Erfolg noch herbeiführen könnte. A standen weitere Kugeln zur Verfügung, sodass er die Tat noch vollenden konnte, der Versuch also noch nicht fehlgeschlagen war.
b. Zu prüfen ist ferner, ob der Versuch bereits beendet war oder nicht, insoweit hiervon die notwendigen Rücktrittsvoraussetzungen abhängen. Ein Versuch ist bereits beendet, wenn der Täter nach seiner Vorstellung alles getan hat, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen (vgl. BGHSt 14, 75 (79)). Betrachtet man zunächst den ersten Schuss, so ging A davon aus, dass er B sogar tödlich getroffen habe, der versuch also beendet war. Stellt man dann aber zum Schutz des Opfers auf die Gesamtbetrachtungslehre ab unter Berücksichtigung des Rücktrittshorizonts, also auf den Zeitpunkt, zu dem A die Wahlmöglichkeit hat, zurückzutreten oder erneut auf B zu schießen, so war die Tat zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet. Fraglich ist aber, ob eine derartige Korrektur des Rücktrittshorizonts vom Zeitpunkt nach dem Schuss (beendet) zum Zeitpunkt des Aufstehens (unbeendet) zulässig ist. Führt man die Gesamtbetrachtungslehre streng durch, so ist dies zu bejahen. Zu fordern ist jedoch, dass beide Zeitpunkte im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit noch zusammengefasst werden können zu einer Tat, zwischen der Ausführungshandlung und dem Bemerken des Irrtums also ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht, insoweit es für den Täter ansonsten selbst bei subjektivem Wechsel vom beendeten zum unbeendeten Versuch nicht mehr möglich ist, die gleiche Tat noch aufzugeben (BGHSt 36, 224 (226), BGHSt 39, 221 (227 f.), BGH, NStZ 2002, 427 (428) und BGH, NStZ-RR 2002, 73 (74); vgl. auch Kühl, AT, 4. Aufl., § 16 Rn. 32). Ein derartiger enger zeitlicher Zusammenhang könnte vorliegend fraglich sein, insoweit sich A bereits wieder seiner Gartenarbeit widmet. Auf der anderen Seite ist die Zeitspanne mit zehn Minuten aber derart kurz, dass von einem engen zeitlichen Zusammenhang ausgegangen werden kann. Es lag damit ein unbeendeter Versuch vor.
c. Nach § 24 I 1 Var. 1 StGB brauchte A folglich nur die Tat aufgeben. Fraglich ist aber, ob er noch eine Tat aufgeben konnte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Tat-Begriff im Sinne des § 11 I Nr.5 StGB zu verstehen ist, als rechtswidrige Straftat. Berücksichtigt man dagegen, dass es das primäre Ziel des A war, dem B eine Lektion zu erteilen, so könnte Tat das Erteilen einer Lektion sein. Dies hat er mit dem Schuss erreicht, sodass er keine Tat mehr aufgeben könnte (sog. Denkzettelproblematik, hierzu ausführlich Sch/Schr/Eser, 26. Aufl., § 24 Rn. 17b). Neben dem Umstand, dass nichts dafür ersichtlich ist, den Tatbegriff im Gegensatz zu anderen Deliktstatbeständen außertatbestandlich zu interpretieren, spricht wieder der Opferschutz dafür, dem Täter noch eine Rücktrittsmöglichkeit einzuräumen, damit er nicht wegen der bereits vorhandenen Strafbarkeit die Tat aus Gleichgültigkeit noch vollendet. Es spricht damit mehr dafür, als Tat den Mord zu interpretieren. Deren Verwirklichung hat A aufgegeben.
c. Dies tat er endgültig und aufgrund autonomer Motive, also freiwillig.
5. Ergebnis
A hat sich somit nicht nach §§ 212 I, 211, 22 StGB strafbar gemacht.
II. Strafbarkeit nach §§ 223 I, 224 I Nr.2, 3 und 5
StGB
Indem A auf den B geschossen hat, kann er sich aber nach §§ 223 I, 224 I Nr.2, 3 und 5 StGB strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
a. Hierzu müsste er B körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt haben. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt (Tröndle/Fischer, 52. Aufl., § 223 Rn. 3a). Mit dem Schuss auf B hat A auf diesen eingewirkt und ihm sogar die Hörfähigkeit auf einem Ohr genommen, also auf seine Substanz eingewirkt, sodass er ihn übel und unangemessen behandelt hat. Zudem hat er ihn mit der Verursachung des Zustandes der Bewusstlosigkeit sowie dem rauben der Hörfähigkeit auf einem Ohr an der Gesundheit beschädigt.
b. Dies tat er mittels dem Revolver und damit einer Waffe iSd § 224 I Nr.2 StGB. Ferner könnte er einen hinterlistigen Überfall begangen haben. Überfall ist ein plötzlicher, unerwarteter Angriff auf eine ahnungslose Person (RGSt 65, 65 (66)). Eine derartige Ahnungslosigkeit lag bei B zwar vor, der mit einem tätlichen Angriff nicht rechnete. Hinterlistig war der Überfall aber nur dann, wenn der Angreifer unter Verdeckung seiner wahren Absichten gehandelt hat (BGH, GA 1961, 241, BGH, GA 1989, 132). Dies hat A, der den Revolver zog, jedoch nicht getan, sodass ein hinterlistiger Überfall ausscheidet. Schließlich hat mit dem Schuss aber eine (sogar) eine konkrete Lebensgefahr des B begründet und somit eine lebensgefährdende Behandlung (§ 224 I Nr.5 StGB).
2. Subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld
Dies geschah vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.
3. Ergebnis
A hat sich damit nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht.
III. Strafbarkeit nach § 226 I Nr. 1, 3 StGB
Darüber hinaus kann sich A mit dem Schuss auf B, der auf dem rechten Ohr taub wurde, nach § 226 I Nr. 1, 3 StGB strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand und subjektiver Tatbestand
A hat den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB) als Grunddelikt vorsätzlich verwirklicht (s.o.).
2. Rechtswidrigkeit
Mangels Rechtfertigungsgründen geschah dies rechtswidrig.
3. Schuld
Die Tat geschah auch schuldhaft.
4. Schwere Folge
Durch die Tat müsste ferner eine schwere Folge eingetreten sein.
a. Zunächst könnte A das Gehör im Sinne des § 226 I Nr. 1 Var. 2 StGB verloren haben. Aus Bestimmtheitsgründen (Art. 103 Abs.2 GG) ist der Tatbestand aber in der Weise auszulegen, dass Gehör das gesamte Gehör bedeutet, nicht jenes auf einem Ohr. Hierfür spricht systematisch auch die Variante davor, die zwischen dem Verlust des Sehvermögens auf einem und beiden Augen differenziert (vgl. Tröndle/Fischer, 52. Aufl., § 226 Rn. 3).
b. In Betracht kommt jedoch ferner, dass B aufgrund der Taubheit auf einem Ohr auch vor dem Hintergrund der Schwerbeschädigtenvorschriften im öffentlichen Recht in Behinderung verfällt (§ 226 I Nr. 3 StGB). Betrachtet man jedoch den Wortlaut, so hat der Gesetzgeber sowohl zwischen Lähmung und geistige Krankheit als auch zwischen dieser und der Behinderung jeweils ein Oder-Zeichen eingefügt. Hätte die Behinderung ein eigenständiges Merkmal bilden sollen, so wäre erst an zweiter Stelle ein oder und an erster Stelle ein weiteres Komma zu erwarten gewesen. Die Formulierung im Sinne des Gesetzes verleitet vielmehr zur berechtigten Annahme, dass die geistige Krankheit und die Behinderung ein Merkmal bilden, die Behinderung also eine geistiger Art sein muss. Um dies nicht zu eng zu sehen, wird man hierfür jede Art der Gehirnverletzungen gleichfalls ausreichen lassen müssen (vgl. zum Ganzen Schroth, NJW 1998, 2861 (2862)). Die Behinderung aufgrund des Verlusts der Hörfähigkeit auf einem Ohr gehört hingegen nicht hierher.
5. Ergebnis
Mangels Eintritts einer schweren Folge hat sich A also nicht nach § 226 StGB strafbar gemacht.
IV. Konkurrenzen und Ergebnis
Die gefährliche Körperverletzung verdrängt die einfache im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität). A hat sich damit nach § 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht.