Fall 29: Eine Auseinandersetzung mit Folgen

(BGHSt 47, 243 ff.)

E ging zu A, wo es zu einer heftigen Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf der E den A mit mehreren Messerstichen tötete und anschließend dessen Bargeld an sich nahm. Es lässt sich nicht mehr aufklären, ob er dies von Anfang an vorhatte oder ob er es erst aufgrund eines spontanen Entschlusses nach der Tat an sich genommen hat. Strafbarkeit des E ?

 

Lösung:

I. Strafbarkeit nach §§ 212 I, 211 StGB

Indem E den A mit mehreren Messerstichen tötete und anschließend dessen Bargeld an sich nahm, kann er sich nach §§ 212 I, 211 StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

E hat mit den Messerstichen kausal den Tod des A herbeigeführt. Fraglich ist einzig, ob er hierbei auch Mordmerkmale verwirklichte. Die objektiv in Betracht kommende Heimtücke (§ 211 II 2. Gruppe 1. Fall StGB) scheidet aus, als aufgrund der zuvorigen Auseinandersetzung eine Arglosigkeit des A nicht sicher festzustellen ist.

2. Subjektiver Tatbestand

E handelte hinsichtlich der Tötung des A auch vorsätzlich. Er könnte jedoch zudem ein subjektives Mordmerkmal verwirklicht haben.

So könnte E, der nach der Tötung das Bargeld des A an sich nahm, diesen aus Habgier getötet haben bzw. zu Ermöglichung der Ansichnahme des Geldes, also mit Ermöglichungsabsicht. Beides scheidet aber aus, da nicht feststeht, dass E es bereits bei der Tötung vorhatte, das Geld an sich nehmen und damit in dubio pro reo davon ausgegangen werden muss, dass er den Entschluss hierzu erst hinterher fasste.

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

Die Tat geschah rechtswidrig und schuldhaft.

4. Ergebnis

E hat sich damit nach § 212 I StGB strafbar gemacht.

 

II. Strafbarkeit nach §§ 249 I, 250 II Nr.1, 251 StGB

Nachdem in dubio pro reo E es bei der Tötung des A noch nicht vorhatte, das Geld an sich nehmen, scheidet auch eine Strafbarkeit nach §§ 249 I, 250 II Nr.1, 251 StGB aus.

 

III. Strafbarkeit nach § 242 I StGB

Indem E nach der Tötung das Bargeld des A an sich nahm, kann er sich nach § 242 I StGB  strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Das Bargeld befand sich nach dem Tod des A im Eigentum von dessen Erben (§ 1922 BGB), sodass es für E fremde, bewegliche Sachen darstellte. Dieses müsste E aber auch weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise eigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Berechtigten (Tröndle/Fischer, StGB, § 242 Rn. 16). Gewahrsam wird hierbei definiert als die tatsächliche Herrschaftsgewalt über eine Sache, die einem nach der Verkehrsanschauung zugeordnet ist und von einem Herrschaftswillen getragen wird (Tröndle/Fischer, StGB, § 242 Rn. 11 ff.). Der Begriff unterscheidet sich hierbei von jenem des Besitzes im BGB; insbesondere verschafft der fiktive Erbenbesitz nach § 857 BGB diesem nicht die für den Gewahrsam notwendige tatsächliche Sachherrschaft (RGSt 58, 228 (229)). So hatte A als Toter am Geld keinen Gewahrsam mehr und dessen Erbe noch keinen, sodass eine Wegnahme ausscheidet.

2. Ergebnis

E hat sich nicht nach § 242 I StGB strafbar gemacht.

 

IV. Strafbarkeit nach § 246 I StGB

Durch das  bewusste Ansichnehmen des im Eigentum der Erben stehenden Geldes hat E sich dieses rechtswidrig zugeeignet und so vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand der Unterschlagung (§ 246 I StGB) erfüllt.

 

V. Konkurrenzen

Fraglich ist jedoch, wie das Konkurrenzverhältnis von Totschlag und Unterschlagung aussieht.

1. Eine Handlung / Mehrere Handlungen

Hierzu ist zunächst zu klären, ob beide Delikte durch dieselbe oder verschiedene Handlungen erfüllt wurden. Man könnte von zwei Handlungen ausgehen, wenn man wie oben annimmt, dass E bei der Tötung des A es noch nicht vorhatte, das Geld an sich zu nehmen und so die Handlungen auf zwei unabhängigen Willensentschlüssen beruhte (vgl. RGSt 58, 113 (116)). Bei einer derartigen Sichtweise würde aber verkannt, dass sich nicht feststellen lässt, ob E die Motivation der Ansichnahme des Geldes bei der Tötung hatte oder nicht und für den Täter Tateinheit günstiger ist als Tatmehrheit. Es ist daher hier in dubio pro reo anzunehmen, dass E bereits von Anfang an vorhatte, den A um sein Geld zu erleichtern und sich das gesamte Tatgeschehen damit zugunsten des E als eine Handlung anzusehen ist (BGHSt 47, 243).

2. Formelle Subsidiarität

Fraglich bleibt, ob beide Delikte damit in Tateinheit stehen oder die Unterschlagung aufgrund der Subsidiaritätsklausel des § 246 I wegen formeller Subsidiarität gesetzeskonkurrierend zurücktritt. Hiernach  scheidet eine Bestrafung nach § 246 I, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. Zweifelhaft ist, welche Delikte hierunter fallen.

Nach einer Ansicht ist der gesetzgeberischen Konzeption eines Auffangtatbestandes zu entnehmen, dass § 246 I nur hinter solche Delikte zurücktritt, die den gleichen oder einen ähnlichen Schutzzweck - also Eigentums- oder Vermögensinteressen – verfolgen (sog. relative Subsidiarität; Tröndle/ Fischer, StGB, § 246 Rn. 23; Sch/Schr/Eser, StGB, § 246 Rn. 32). Da der Totschlag nicht ein solches Eigentumsdelikt ist, stünden der Totschlag und die Unterschlagung hiernach in Tateinheit.

Nach anderer Auffassung steht der Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen der Subsidiaritätsklausel jeder einschränkenden Auslegung entgegen, sodass hiernach § 246 hinter jedes Delikt zurücktritt, das mit schwererer Strafe bedroht ist (sog. absolute Subsidiarität; BGHSt 47, 243; bereits zur identischen Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB  BGHSt 43, 237 (238); Lackner/Kühl, StGB, § 246 Rn. 14; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273 (276 Fn. 73); Otto, NStZ 2003, 87 (88)). Hiernach würde § 246 I StGB als subsidiär zurücktreten.

Für die erste Ansicht spricht, dass nach den Materialien zum 6. Strafrechtsreformgesetz die Subsidiaritätsklausel alle Formen der rechtswidrigen Zueignung erfassen sollte, die nicht einen mit schwererer Strafe bedrohten eigenständigen Straftatbestand erfüllen; beispielhaft sind Diebstahl, Raub, Erpressung und Hehlerei angeführt (BT-Ds. 13/8587, S. 43 f). Danach läge die Annahme nahe, dass § 246 StGB nur hinter mit schwererer Strafe bedrohten Zueignungsdelikten subsidiär sein soll. Da ein solcher Wille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes aber nicht zum Ausdruck gebracht ist, kann er nicht Grundlage einer mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbaren Auslegung des Gesetzes zum Nachteil des Angeklagten sein (vgl. BGHSt 47, 243 (244)).

Für die erste Ansicht könnte ferner sprechen, dass die Subsidiaritätsklausel nach allgemeinen Konkurrenzgesichtspunkten nur hinter Delikten zurücktreten kann, die die gleiche Schutzrichtung haben. Da dies aber wie gesagt im Wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat, würde es verfassungsrechtlichen Bedenken (Bestimmtheitsgebot) begegnen, dennoch eine Beschränkung der Subsidiaritätsklausel vorzunehmen.

Hierfür spricht auch aus systematischer Sicht, dass im StGB verschiedene Subsidiaritätsklauseln vorhanden sind und hierbei in der Regel spezielle Strafbestimmungen nennt, hinter denen das Delikt zurücktritt (so bei §§ 145, 145d, 202, 218c, 316).  Die gleichzeitig zu diesen Subsidiaritätsklauseln in § 246 eingefügte allgemeine Subsidiaritätsklausel kann danach nur so verstanden werden, dass sie auch allgemein gilt, Unterschlagung also hinter sämtlichen Vorschriften mit höherer Strafdrohung zurücktritt (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 246 Rn.14).

Aufgrund der Subsidiaritätsklausel tritt die Unterschlagung hinter den Totschlag gesetzeskonkurrierend zurück.

 

VI. Ergebnis

E hat sich somit nur nach § 212 I StGB strafbar gemacht.