Fall 7: Heroinabgabe
(BGH, NStZ 2001, 205 mit Anm. Hardtung, NStZ 2001,
206 ff.)
Händler A erhielt eine Lieferung von 10 g starkem („weißen“) Heroin mit einem Heroinhydrochloridanteil von mindestens 80 % zum Weiterverkauf. Dass deren Injektion lebensgefährlich sein konnte, wusste er. 1 g des Stoffes verkaufte er an den süchtigen K, der wusste, dass B kurz zuvor bei einer Heroinabgabe ins Koma gefallen war. Beim Verkauf warnte A den K, dass es sich um sehr starkes Material handele. Beim Konsumieren müsse man aufpassen und „nicht spritzen, sondern nur schniefen“. Obwohl K die Warnung verstand, konsumierte er später auf nicht bekannte Weise das Heroin und verstarb. Strafbarkeit des A ?
Auszug
aus dem Betäubungsmittelgesetz - BtMG
§
29a. Straftaten. (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
1.
[...]
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in
nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund
einer Erlaubnis nach § 3 Abs.1 erlangt zu haben.
[...]
§
30. Straftaten. (1) Mit Freiheitsstrafe nicht
unter zwei Jahren wird bestraft, wer
[...]
3. Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder [...]
Lösung
A. Strafbarkeit nach § 222 StGB
Indem A an K Heroin verkauft und K nach dem Konsum des Heroins stirbt, kann sich A nach § 222 StGB strafbar gemacht haben.
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Mit dem Tod des K ist der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten.
2. Hierfür war A’s Handlung kausal, insoweit der Verkauf nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Tod des K in seiner konkreten Gestalt entfiele. Auch hat der von A in Gang gesetzte Ursachenverlauf jenen von K durch den Konsum vermittelt und wird so fort.
3. Das Verhalten müsste auch fahrlässig gewesen sein. Fahrlässig handelt, wer bei objektiver Vorhersehbarkeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Die Sorgfaltspflichtverletzung bestimmt sich nach dem Maßstab eines besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage (ex ante) und sozialen Rolle des Täters. Auszurichten ist ein Sorgfaltspflichtverstoß primär an gesetzlichen Normen. Legt man dies zugrunde, so war die Abgabe des Heroins an einen Süchtigen ausweislich §§ 29 ff. BtMG generell pflichtwidrig. Die von A geäußerte Warnung, dass es sich um einen gefährlichen Stoff handele, ändert hieran nichts. Eine einfache Warnung kann nicht genügen, um das von einem Stoff drohende Todesrisiko auszuschalten und dafür zu sorgen, dass das Heroin nicht verkonsumiert wird, zumal K ein Süchtiger war. A handelte somit sorgfaltspflichtwidrig.
Der Erfolg müsste für A ferner objektiv vorhersehbar gewesen sein. Objektiv vorhersehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch unter den gegebenen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung vorhersehen kann. Der konkrete Kausalverlauf muss hierbei nicht erkannt, sondern nur in seinen wesentlichen Zügen erkennbar gewesen sein. Gibt man ein hochprozentiges Heroingemisch, dass lebensgefährlich sein kann an einen Süchtigen, so liegt es nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Süchtige den Stoff eventuell falsch einnimmt und daran stirbt. Der Erfolg war damit auch vorhersehbar. A handelte fahrlässig.
4. Der Erfolg müsste aber auch „durch“ die Fahrlässigkeit eingetreten sein, also eine Folge gerade der Pflichtwidrigkeit sein (Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Hieran ist unter dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zu zweifeln. Nach dem Selbstverantwortungsprinzip ist jeder nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich und damit grundsätzlich nicht auch für das eigenverantwortliche Verhalten Dritter. Insbesondere sollen Straftatbestände das Opfer vor Eingriffen Dritter schützen, nicht vor sich selbst. In diesen Fällen realisiert sich nicht das vom Täter gesetzte, sondern vom Opfer eigenverantwortlich eingegangene Risiko und der Zurechnungszusammenhang ist unterbrochen. „Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (BGHSt 32, 262; 37, 179; BGH, NJW 2000, 2286 (2287); BGH, NStZ 2001, 205 (206)).
Für eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs kommt es daher darauf an, ob K das Heroin freiverantwortlich zu sich nahm, oder ob er dies fremdbestimmt tat. Die Abgrenzung zwischen beiden Formen wird zumeist nach den Exkulpationsregeln der §§ 20, 35 StGB, § 3 JGG vorgenommen, indem gefragt wird, ob das Opfer, wenn es tatbestandsmäßig wäre, schuldhaft gehandelt hätte (LK/Roxin, StGB, § 25 Rn.66), teilweise nach den Regeln über die rechtfertigende Einwilligung, wobei es insbesondere auf den Prüfungspunkt „ohne wesentliche Willensmängel“ ankommt (Wessels/Beulke, AT, Rn. 189). Letztere Anforderungen sind zurecht strenger und erlauben einen Gleichklang mit § 216 StGB, sodass sie vorzuziehen sind.
Es kommt damit darauf an, ob K ohne wesentliche Willensmängel gehandelt hat. Dies wäre dann der Fall, wenn K nicht alle mit der Verletzungs- oder Gefährdungshandlung verbundenen Risiko überblicken konnte, weil er nicht die notwendige Kenntnis aufwies, sondern vielmehr der Täter ein überlegenes Sachwissen hatte (vgl. BGHSt 32, 262 (265); 36, 1 (17); BGH, NStZ 2001, 205 (206)) bzw. beim vorliegenden Fahrlässigkeitsdelikt das drohende Risiko besser erkennen können (vgl. zur Übertragung des Grundsatzes auf das Fahrlässigkeitsdelikt Hardtung, NStZ 2001, 206 (207)). Diese Erfassung hing vorliegend maßgeblich von der Kenntnis von der Gefährlichkeit des besonderen Stoffes ab. Dieses war aber sowohl dem A wie nach deren ausdrücklichem Hinweis auch dem K bekannt.
Der Todeserfolg beruhte damit auf der Realisierung des von K freiverantwortlich eingegangenen Risikos und nicht des von A gesetzten.
II. Ergebnis
A hat sich folglich nicht nach § 222 StGB strafbar gemacht.
B. Strafbarkeit nach § 30
I Nr.3 BtMG
A kann durch den Verkauf des einen Gramms Heroins an K, das dieser konsumierte und daran starb, nach § 30 I Nr.3 BtMG strafbar gemacht haben.
A hat durch den Verkauf dem K mit dem Heroin ein Betäubungsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen und dadurch eine Ursache für den Tod des K gesetzt. Dieser könnte A aber nicht zurechenbar sein aufgrund der freiverantwortlichen Konsumtion, die den Zurechnungszusammenhang unterbrach. Das Selbstverantwortungsprinzip findet im Betäubungsmittelrecht jedoch keine Anwendung (BGHSt 37, 179; 46, 279 (289 f.); BGH, NJW 2000, 2286). BGHSt 46, 279 (289): „Das durch die betäubungsmittelrechtlichen Strafvorschriften geschützte Rechtsgut ist nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die Volksgesundheit. Dieses universale Rechtsgut steht dem Einzelnen nicht zur Disposition [...]“ Der Todeserfolg ist A somit objektiv zuzurechnen.
T müsste ihn aber auch leichtfertig verursacht haben. Leichtfertigkeit stellt einen erhöhten Grad der Fahrlässigkeit dar, der etwa der groben Fahrlässigkeit im bürgerlichen Recht entspricht (BGHSt 14, 255; 33, 67). Der Handel mit Betäubungsmitteln alleine stellt keinen Grad erhöhter Pflichtwidrigkeit dar, insoweit A den K sogar warnte.
[Beachte: In Fällen der vorsätzlichen Suizidteilnahme ist zu beachten, dass im Gegensatz zu § 18 StGB „leichtfertig“ iSd § 30 BtMG nicht „wenigstens leichtfertig“ bedeutet und daher vorsätzliche Handlungen nicht erfasst (BGHSt 46, 279 (289 f.)).]
A hat sich damit nicht nach § 30 I Nr.3 BtMG strafbar gemacht.
A hat aber mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und damit den Tatbestand des § 29a I Nr.2 BtMG vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat. A hat sich nach § 29a I Nr.2 BtMG strafbar gemacht.