(OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 2003, 263)
A wurde in einem Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren zu einer Geldbuße mit einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Der Richter belehrte A, dass mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung das Fahrverbot wirksam werde. Jedoch gab A nach der Rechtskraft des Urteils seinen Führerschein nicht in amtliche Verfahrung, weil der von ihm beauftragte Rechtsanwalt R ein Gnadengesuch wegen des Fahrverbots bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hatte. Das Gesuch wurde abgelehnt. Daraufhin richtete R eine als Gnadenbeschwerde auszulegende Eingabe an das hessische Ministerium der Justiz, über die noch nicht abschließend entschieden ist. Seinem Mandanten erklärte der R, dass das in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren verhängte Fahrverbot so lange nicht wirksam sei, als über den Gnadenantrag nicht abschließend entschieden worden ist. Im Vertrauen auf diese Auskunft führte A ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr und wurde hierbei von der Polizei kontrolliert. Strafbarkeit des A ?
Lösung:
Indem A mit seinem Fahrzeug fuhr, obwohl mit einem rechtskräftigen Urteil ein Fahrverbot gegen ihn verhängt worden war, kann er sich nach § 21 I Nr.1 StVG strafbar gemacht haben.
1. Objektiver Tatbestand
Mit seinem Pkw hat A zwar ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt, dies müsste er aber ohne die erforderliche Fahrerlaubnis getan haben. Dem wird vom Gesetz die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 44 StGB gleichgestellt, wie es der Richter im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren ausgesprochen hat. Da nach § 44 II 1 StGB das Fahrverbot mit Rechtskraft des Urteils wirksam wird, durfte A ab diesem Zeitpunkt von seiner Fahrerlaubnis keinen Gebrauch machen (vgl. Sch/Schr/Stree, StGB, § 44 Rn. 19). Da er es dennoch tat, hat er den objektiven Tatbestand des § 21 I Nr.1 StVG erfüllt.
2. Subjektiver Tatbestand
Dies war A auch bekannt, da der Richter ihn nach § 268c StPO ordnungsgemäß beraten hat, sodass A mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich ein Fahren ohne Fahrerlaubnis begangen hat.
3. Rechtswidrigkeit
Mangels einschlägigem Rechtfertigungsgrund handelte er hierbei rechtswidrig.
4. Schuld
Fraglich ist aber, ob er hierbei auch schuldhaft gehandelt hat. Zweifel hieran bestehen wegen § 17 S.1 StGB. Danach handelt ein Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Unrechtseinsicht fehlte und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte.
a. A nahm an, dass das schwebende Gnadenverfahren (vgl. § 452 StPO) eine aufschiebende Wirkung zukam, sodass er bis zu dessen Beendigung mit dem Fahren seines Fahrzeugs nicht nach § 21 I Nr.1 StVG strafbar machen könne. Er hat damit § 44 StGB und somit das Tatbestandsmerkmal des Führens ohne Fahrerlaubnis zu seinen Gunsten eingeschränkt und unterlag somit einem Verbotsirrtum, in dessen Folge er annahm, kein Unrecht zu begehen. Ihm fehlte damit die Unrechtseinsicht.
b. Dieser Irrtum müsste aber auch vermeidbar gewesen sein. Der Begriff der Vermeidbarkeit wird (vor allem im kernstrafrecht) sehr streng gesehen. Vermeidbar ist danach ein Verbotsirrtum nur dann, wenn der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten bei Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen zur Unrechtseinsicht hätte kommen können (BGH, NStZ 2000, 307 (309); Lackner/Kühl, StGB, § 17 Rn.7; Tröndle/Fischer, StGB, § 17 Rn.7). In Zweifelsfällen hat der Täter fachkundigen Rat einer vertrauenswürdigen Person einzuholen. Verlässt er sich auf den Rat eines Rechtskundigen, den er für kompetenten genug halten durfte, so war der Irrtum für ihn unvermeidbar (Sch/Schr/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, § 17 Rn. 18). A durfte sich daher auf die Auskunft des Rechtsanwalts grundsätzlich verlassen. Zwar enthebt der Ratschlag nicht von einer persönlichen Entscheidung über Recht und Unrecht, eine Vermeidbarkeit ergibt sich aber trotz Rechtsrats nur, wenn der Täter auch bei mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht die Unerlaubtheit seines Tuns hätte erkennen können (OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 2003, 263). Die Rechtsfolgen eines Gnadenverfahrens und ihren Unterschied zu den förmlichen Rechtsbehelfen waren für A als Laien nicht in einer Weise erkennbar, die ihn an der Auskunft des Anwalts hätte zweifeln lassen müssen. Der Verbotsirrtum war für ihn daher unvermeidbar, sodass er ohne Schuld handelte.
5. Ergebnis
A hat sich nicht nach § 21 I Nr.1 StGB strafbar gemacht.