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Chefsache I (Kurzlösung)

 

Stattgabe des Antrags und Feststellung der Grundgesetzverletzung durch BVerfG aufgrund Nichternennung Rumswegs zum Verteidigungsminister durch BPräs, wenn Antrag zulässig und begründet

 

A) Zulässigkeit

BKanzler-Antrag - Organstreitverfahrensantrag

 

I. Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG)

Keine ausdrückliche Erwähnung BKanzlerin in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG, aber Ausstattung mit eigenen Rechten im GG (vgl. z.B. Art. 64 Abs. 1, Art. 65 Satz 1 und 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 69 Abs. 1 und 3, Art. 115 b GG)

- Beteiligungsfähigkeit als Teil des obersten Bundesorgans "Bundesregierung" (+) (str.; nach a. A. ist er selbst ein oberstes Bundesorgan, für Beteiligtenfähigkeit im Organstreitverfahren ohne Bedeutung)

 

II. Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG)

(+), BPräs à ausdrückliche Regelung in § 63 BVerfGG

 

III. Tauglicher Organstreitgegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG)

(+), Rüge konkreten Unterlassens des BPräs: Nichternennung Rumswegs zum Bundesverteidigungsminister - tauglicher Streitgegenstand (+)

 

IV. Antragsbefugnis (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)

(+), Verletzung BKanzler-Rechts aus Art. 64 Abs. 1 GG durch BPräs-Weigerung nicht von vornherein ausgeschlossen

 

V. Form und Frist (§ 64 Abs. 2 und 3 BVerfGG)

(+), Antrag begründet und fristgemäß

 

VI. Ergebnis zu A

Antrag zulässig

 

B) Begründetheit

(+), wenn Verletzung BKanzler-Rechte durch BPräs-Weigerung; (+), wenn aus Art. 64 Abs. 1 GG Ernennungspflicht für vom BKanzler vorgeschlagenen Personen

 

I. Bestehen einer Ernennungspflicht des Bundespräsidenten im allgemeinen

Art. 64 Abs. 1 GG: keine BMin-Ernennung/-Entlassung ohne Einverständnis des BKanzlers durch BPräs

(P) Bindung des BPräs an BKanzler-Vorschlag (str.)

 

1. Grammatikalische Auslegung

Wort „Vorschlag“ in Art. 64 Abs. 1 GG – isoliert gesehen – legt Unverbindlichkeit nahe; vgl. Formulierung in Art. 63 Abs. 1 GG und im Gegensatz dazu Formulierung „Ersuchen“ in Art. 67 Abs. 1 Satz 2, 69 Abs. 3 GG für Verbindlichkeit

- Wortlaut deutet auf (weiten) Ermessensspielraum des BPräs

 

2. Historische Auslegung

Nahezu Wortlautidentität zwischen Art. 53 WRV und Art. 64 Abs. 1 GG; Annahme eines Ermessensspielraums durch Weimarer Staatsrechtslehre; Entstehungsgeschichte Art. 64 Abs. 1 GG selbst allerdings nicht eindeutig

- Spricht für Ermessensspielraum

 

3. Systematisch-teleologische Auslegung

- Kein Befugnis BPräs zur Bestimmung des BKanzlers; Beeinflussung Regierungsbildung durch BPräs systemwidrig, sonst Verhinderung der Regierungsbildung insgesamt durch BPräs möglich (Missbrauchsargument)

- Enger Zusammenhang Art. 64 Abs. 1 GG mit Richtlinienkompetenz des BKanzlers in Art. 65 GG - Voraussetzung der Richtlinienkompetenz ist Möglichkeit des BKanzlers zur Berufung nur solcher Personen, die im Besitz seines uneingeschränkten Vertrauens; Art. 67 GG: Übernahme politischer Verantwortung für BMin nur möglich, wenn kein persönlicher BPräs-Einfluss

- Einheitliche Regelung für BMin-Ernennung/-Entlassung in Art. 64 Abs. 1 GG; Ermessenspielraum nicht nur für Ernennung, sondern auch Entlassung; Folge wäre Zwang für BKanzler zur Zusammenarbeit mit BMin, die nicht im Besitz seines Vertrauens

- Mitwirkungsrecht des BPräs in politisch-materieller Hinsicht mit Stellung des Bundespräsidenten unvereinbar; nur begrenzte politische Befugnisse für BPräs nach GG; Bindung BPräs bei politisch relevanten Handlungen an politische Ansichten BReg (Art. 58 GG); keine Parlamentskontrolle des BPräs; keine Wahl/ Abwahl durch Volk; erhebliche Beeinträchtigung des repräsentativ-demokratischen parlamentarischen Systems

Ernennungsrecht ohne Ermessenspielraum nicht sinnlos: Ministerernennung typische Staatsoberhauptaufgabe, Prüfung der rechtlichen Ernennungsvoraussetzungen

 

4. Ergebnis zu I

- Pflicht des BPräs zur BMin-Ernennung auf BKanzler-Vorschlag, sofern Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen durch Kandidat

 

II. Entgegenstehen der Koalitionsvereinbarung

Zulässigkeit von Koalitionsvereinbarungen: (+), keine GG-Regelung, allerdings bereits in Weimarer Republik Praxis; Schluss von Nicht-Verboten-Sein auf verfassungsrechtliche Zulässigkeit

Hindernis für Ernennung (+), wenn rechtliche Verpflichtung aus Vereinbarungen

- Verpflichtungswirkung bzw. Rechtsnatur der Vereinbarungen maßgeblich:

 

1. Privatrechtlicher Charakter der Koalitionsvereinbarung?

Argument: politische Parteien als Beteiligte nach h.M. keine Staatsorgane, sondern rechtsfähige/nichtrechtsfähige Vereine nach §§ 21 ff. BGB (vgl. §§ 3, 37 PartG)/ juristische Personen des Privatrechts sui generis; Bestimmung der Verbindlichkeit der Parteienvereinbarung nach Privatrecht

- Keine Bindung BPräs bei verfassungsrechtlicher Befugnisausübung durch Privatrechtsabrede

 

2. Verfassungsrechtlicher Charakter der Koalitionsvereinbarung?

BGH/ h.M.: Koalitionsvereinbarung = verfassungsrechtlicher Vertrag

Argument: Parteihandlungen gehören zum Verfassungsleben; Parteien = verfassungsrechtliche Institutionen

- Bindungswirkung?

Überw. Meinung: nur politische, keine rechtliche Bindung durch Koalitionsvereinbarungen; keine Verträge, nur politische Abreden; Beteiligte nur Parteien; Bedeutung für Staatsorgane: Einwirkung auf Fraktionen/ Regierung zur Durchführung des Verabredeten, soweit Möglich

 

3. Ergebnis zu II

- Koalitionsvereinbarung kein rechtliches Hindernis für Ernennung; kein Verweigerungsrecht des BPräs aus Koalitionsvereinbarung

 

III. Ablehnungsrecht des Bundespräsidenten aufgrund der "bedingten" Ernennung der Bundeskanzlerin?

(-), Präsidialkapitulationen nicht gestattet; nach GG nur Abhängigkeit des BKanzlers vom Parlament, nicht vom BPräs (Art. 63, 67 GG)

 

IV. Ergebnis zu B

Pflicht des BPräs zur Ernennung RumswegsàVerletzung BKanzler-Recht aus Art. 64 Abs. 1 GG durch Nichternennung

 

C) Gesamtergebnis

BKanzler-Antrag zulässig und begründet - BVerfG: Antragsstattgabe und Feststellung des Verstoßes gegen Art. 64 Abs. 1 GG durch BPräs


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