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Fahrrad Weg! (Kurzlösung)

- VG wird der Klage stattgeben, wenn sie zulässig und begründet ist; Trennung der zwei Klageanträge: 1. Antrag auf Aufhebung der Sicherstellung; 2. Antrag auf Herausgabe des Fahrrades

 

Erster Teil: Klage gegen die Sicherstellung

 

A. Zulässigkeit

 

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören; Sicherstellung des Fahrrades hatte eindeutig präventiven Charakter, diente also der Gefahrenabwehr; keine Beschlagnahme zur Vorbereitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 49 Nr. 2 StVO nach § 53 Abs. 2 OWiG i.V.m. §§ 94 ff. StPO; Zulässigkeit bestimmt sich nach öffentlich-rechtlichen polizeirechtlichen Normen

- wegen des präventiven Charakters der Maßnahme ist Sonderzuweisung an die ordentlichen Gerichte nach § 23 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 53 Abs. 2 OWiG, § 98 Abs. 2 S. 2 bis 6 StPO nicht einschlägig

 

II. Statthafte Klageart

- Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, wenn die Sicherstellung ein VA i.S.d. § 35 VwVfG ist

e.A. Sicherstellung ist Realakt

e.A. (Rspr., ganz h.M.) in der Sicherstellung liegt Verpflichtung des Betroffenen zur Herausgabe der Sache oder zur Duldung der Sicherstellung, d.h. ein VA, der durch die Einbehaltung vollzogen

- Anfechtungsklage statthaft

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- Anordnung der Sicherstellung ist belastender VA, zumindest Eingriff in Art. 2 Abs.- 1 GG mgl.

 

IV. Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO)

- wurde durchgeführt.

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

- § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO das Land Berlin

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

- Escher nach § 61 Nr. 1 Alt. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; Land Berlin nach § 61 Nr. 1 Alt. 2, § 62 Abs. 3 VwGO

 

VII. Ergebnis zu A.

- Klage zulässig

 

B. Begründetheit

- nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, wenn die Sicherstellungsanordnung rechtswidrig ist und Escher in seinen Rechten verletzt; belastender VA greift zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG ein

 

I. Ermächtigungsgrundlage

- § 44 Abs. 2 S. 2 StVO (-), ist im Zshg. mit § 44 Abs. 1 StVO zu sehen, beschränkt sich also nur auf Maßnahmen, die auf der Grundlage der StVO prinzipiell von den „an sich zuständigen“ Behörden getroffen werden könnten; Sicherstellung von Fahrzeugen zählt nicht dazu

- keine Maßnahme zur Vollstreckung der Verfügung vom 15. Februar, weil das Gebot zur Benutzung der Radwege nicht durch eine Wegnahme des Rades erreicht werden kann; außerdem nicht Anwendung unmittelbaren Zwangs, sondern Zwangsgeld angedroht

- § 38 Nr. 1 ASOG

 

II. Formelle Rechtmäßigkeit

- sachliche Zuständigkeit eigentlich nach § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG i.V.m. Nr. 35 Abs. 2 ZustKat ASOG bei der Verkehrslenkung Berlin eigentlich sachlich zuständig;  § 5a S. 4 VwVfG Bln kann nicht eingreifen, weil hier die Zuständigkeit für den Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsakts selbst fraglich ist; aber subsidiäre Zuständigkeit aus § 4 Abs. 1 S. 1 ASOG, da der Verkehrslenkung die Abwehr der Gefahr nicht möglich

- Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß; Anhörung mit Nachfrage nachgeholt, § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG

 

III. Materielle Rechtmäßigkeit

 

1. Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr

- Gefahr liegt vor, wenn ein Verhalten bei ungehindertem Verlauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Sicherheit ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung schädigen wird; gegenwärtig ist sie, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn eine Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorsteht

- zur öffentlichen Sicherheit gehören sowohl der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen als auch die gesamte Rechtsordnung und damit auch individuelle Rechtsgüter; indem Escher gegen § 2 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO verstieß, könnte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorgelegen haben

 

a) Liegefahrrad als Fahrrad i.S.d. StVO?

- von Escher benutzte Fahrzeug müsste ein Fahrrad i.S.d. StVO darstellen; nach  BVerwG ist ein Fahrrad ein zweirädriges einspuriges Fahrzeug, das mit Muskelkraft durch Tretkurbeln angetrieben wird; aus dem Zshg. von § 2 Abs. 4 und 1 und § 1 Abs. 2 StVG folgt, dass die spezielle Antriebsart Muskelkraft das entscheidende Kriterium ist (+)

 

b) Radwegbenutzungspflicht für Liegefahräder?

- aus § 2 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO ergibt sich keine ausdrückliche  abweichende Behandlung für Liegefahrräder; nach dem Regelungszweck nicht geboten, weil Antriebsart und Gefährdung der Liegefahrräder denen der normalen Fahrräder entsprechen; gegenteiliges Verhalten erfüllte auch den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 49 Nr. 2 StVO

 

c) Ergebnis zu 1.

- durch Verstoß gegen § 2 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO bestand somit eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit

 

2. Weitere Sicherstellungsvoraussetzungen

- über den Wortlaut des § 38 Nr. 1 ASOG hinaus ist Sicherstellung nur zulässig, um Gefahren abzuwehren, die gerade von der sichergestellten Sache selbst oder ihrer konkreten Verwendung ausgehen; hier (+) Benutzung des Fahrrads

- Escher als Handlungsstörer i.S.d § 13 Abs. 1 ASOG auch richtiger Adressat

 

3. Ordnungsgemäße Ermessensausübung

- Beachtung der Grenzen des Ermessens nach § 11, § 12ASOG, § 40 VwVfG; hier nur Frage der Verhältnismäßigkeit; Sicherstellung war geeignet; Vollstreckung der Verfügung vom 15. Februar (Zwangsgeld) wäre milder als Entzug des Fahrrads gewesen, aber nicht gleich wirksam, weil Escher zur Nutzung fest entschlossen; Verhältnismäßigkeit i.e.S. (-), weil Zwangsgeldfestsetzung von 150,- Euro erhebliche Beugekraft (a.A. vertretbar)

 

4. Ergebnis zu III.

- Sicherstellungsanordnung ermessensfehlerhaft, daher materiell rechtswidrig

 

IV. Ergebnis zu B.

- Sicherstellung rechtswidrig, verletzte Escher zumindest in Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG; Anfechtungsklage begründet

 

C. Ergebnis des Ersten Teils

- gegen die Sicherstellung gerichtete Klage ist zulässig und begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.

 

Zweiter Teil: Klage auf Herausgabe des Fahrrades

 

A. Zulässigkeit

 

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören; für Klage auf Herausgabe des Fahrrades könnte zivilrechtliche Norm (§ 985 BGB) maßgeblich sein, so dass nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den Zivilgerichten gegeben wäre; abzustellen ist jedoch auf die Rechtsnatur des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis; durch die Sicherstellung des Fahrrades begründete Rechtsverhältnis ist aber öffentlich-rechtlicher Natur (vgl. §§ 39 ff. ASOG)

- abdrängende Sonderzuweisung in § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO mgl. (vermögensrechtliche Ansprüche aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung); aber § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO eng auszulegen: dann nicht einschlägig, wenn der Herausgabeanspruch nicht auf das Verwahrungsverhältnis selbst gestützt wird (§41 Abs. 1 ASOG), sondern auf allgemeine Anspruchsgrundlagen; wg. der angenommen Rechtswidrigkeit der Sicherstellung macht Escher den allgemeinen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch geltend; dafür gilt § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht

 

II. Statthafte Klageart

- allgemeine Leistungsklage (-); Herausgabe des Fahrrades letztlich nur Rückgängigmachung des Vollzugs der Sicherstellung; spezielle „Klageart“ des Folgenbeseitigungsantrags nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO;  Anordnung der Sicherstellung nach § 38 ASOG wird durch die Verwahrung nach § 39 ASOG vollzogen; Anordnung der Herausgabe des Fahrrades macht Vollzug rückgängig; Annexantrag nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO statthaft

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- Anspruch auf Herausgabe des Fahrrades nach Aufhebung der Sicherstellungsanordnung ergibt sich aus Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch, der die Behörde verpflichtet, die Folgen des Vollzuges eines (später) vom Gericht als rechtswidrig aufgehobenen Verwaltungsakts rückgängig zu machen; § 41 ASOG nicht einschlägig, betrifft den Fall, dass nach ursprünglich rechtmäßiger Sicherstellung die Voraussetzungen für diese nachträglich entfallen

 

IV. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

- keine Anwendung von § 78 VwGO auf Leistungsklagen; nach Rechtsträgerprinzip das Land Berlin

 

V. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)

- siehe Erster Teil A. VI.

 

VI. Ergebnis zu A.

- Annexantrag insgesamt zulässig

 

B. Begründetheit

- Antrag nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO begründet, wenn Escher einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrrades hat; Sicherstellung des Fahrrades rechtswidrig (s.o.), kann keinen Rechtsgrund für die weitere Verwahrung bilden; aus allgemeinem Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch folgt Anspruch auf Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes, also Anspruch auf Herausgabe des Fahrrads; Antrag gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO begründet

 

C) Ergebnis des Zweiten Teils

- Klage auf Herausgabe des Fahrrades zulässig und begründet; objektive Klagehäufung nach § 44 VwGO zulässig, Gericht entscheidet über beide Anträge in einem Verfahren


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