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Wellensittich im Glas (Lösungsvorschlag)

 

Das BVerfG wird der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie zulässig und begründet ist. 

 

A. Zulässigkeit:

 

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts:

Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.


II. Beschwerdefähigkeit / Beteiligtenfähigkeit / Beteiligungsfähigkeit: 

Rollgardina Mikaelson ist als natürliche Person “jedermann” im Sinne des Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG und damit beschwerdefähig.

 

III. Beschwerdegegenstand:

Beschwerdegegenstand kann jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein, also Akte der vollziehenden Gewalt, Rechtsprechung (vgl. §§ 94 III, 95 II BVerfGG) und Gesetzgebung (vgl. §§ 93 III, 94 IV, 95 III BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde der Rollgardina Mikaelson richtet sich gegen die behördliche Einziehung des Wellensittichs und die sie bestätigenden Gerichtsentscheidungen; es handelt sich jedoch nur um eine Verfassungsbeschwerde.[1]

Anmerkung: Es liegt eine Urteilsverfassungsbeschwerde vor, die sich nur mittelbar gegen die zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen der §§ 18 I Nr. 1, 19 I Nr. 2 TierSchG richtet.


IV. Beschwerdebefugnis:

Gemäß § 90 I BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer behauptet, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein. Die Beschwerdebefugnis setzt voraus, dass eine Grundrechtsverletzung zumindest möglich ist und dass der Beschwerdeführer in den möglicherweise verletzten Grundrechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.[2]

  1. Die Aufführung der Rollgardina Mikaelson könnte zunächst unter den Schutzbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 III 1 GG fallen. In diesem Falle könnte mit der Einziehung des Wellensittichs ein Eingriff in die Kunstfreiheit vorliegen, so dass eine Verletzung dieses Grundrechts jedenfalls möglich ist. Weiterhin könnte die Einziehung einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG darstellen. Auch ein Verstoß gegen dieses Grundrecht ist daher zumindest möglich. Schließlich kommt, soweit die Schutzbereiche der vorgenannten Grundrechte nicht betroffen sind, eine Verletzung des subsidiären Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) in Betracht. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung der Rollgardina Mikaelson liegt nach alledem vor.
  2. Rollgardina Mikaelson müsste in ihren Grundrechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Die eigene Beschwer liegt vor, da Rollgardina Mikaelson Adressatin der behördlichen und gerichtlichen Hoheitsakte ist. Auch die Unmittelbarkeit der Beschwer ist gegeben. 

Fraglich ist hingegen, ob Rollgardina Mikaelson in ihrem Grundrecht auf Kunstfreiheit auch gegenwärtig betroffen ist. Die gegenwärtige Beschwer fehlt bei allen in der Vergangenheit abgeschlossenen Beeinträchtigungen.[3] Der gegenwärtigen Beschwer könnte entgegenstehen, dass der eingezogene Wellensittich im Gewahrsam der Behörde verstorben ist. Hier ist zu berücksichtigen, dass das Versterben des Tieres an Altersschwäche auch eingetreten wäre, wenn das Tier nicht konfisziert worden wäre. Auch ohne die Einziehung des Wellensittichs wäre Rollgardina Mikaelson daher nicht mehr im Besitz des Vogels und könnte diesen nicht mehr für ihre Aufführungen verwenden. Die mögliche Beeinträchtigung der Eigentums- und der Kunstfreiheit der Rollgardina Mikaelson durch die Einziehung des Tieres ist daher eine in der Vergangenheit liegende Beeinträchtigung. Damit fehlt es grundsätzlich an einer gegenwärtigen Beschwer. 

Auch bei bereits vergangenen Beeinträchtigungen ist die gegenwärtige Beschwer aber dann zu bejahen, wenn eine Wiederholung zu besorgen ist.[4] Rollgardina Mikaelson ist inzwischen Besitzerin eines neuen Wellensittichs und möchte die Aufführung mit diesem auch in Zukunft darbieten. Es besteht daher die Gefahr, dass auch ihr neues Tier durch das Bezirksamt eingezogen wird. Die Beschwerdebefugnis liegt daher im Ergebnis vor. 


V. Form und Frist:

Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93 I BVerfGG binnen eines Monats nach Erlass des letztinstanzlichen Urteils zu erheben. Die formalen Voraussetzungen des § 23 BVerfGG sind einzuhalten. Beides ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu unterstellen. 

 

VI. Rechtswegerschöpfung:

Gemäß § 90 II BVerfG kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Rollgardina Mikaelson hat den ihr zur Verfügung stehenden Rechtsweg bis zur letzten Instanz erschöpft, so dass auch diese Voraussetzung vorliegt.

 

VII. Zwischenergebnis:

Die Verfassungsbeschwerde der Rollgardina Mikaelson ist zulässig.

 

B. Begründetheit:

Die Verfassungsbeschwerde der Rollgardina Mikaelson ist begründet, wenn sie durch die angegriffenen Hoheitsakte tatsächlich in ihren Grundrechten verletzt ist. 

 

I. Prüfungsmaßstab:

Vorliegend handelt es sich um eine Urteilsverfassungsbeschwerde. Hier ist zu beachten, dass das BVerfG keine Superrevisionsinstanz ist. Es prüft nicht, ob das Fachgericht das einfache Recht richtig angewendet und ausgelegt hat, sondern beschränkt sich auf die Prüfung spezifischen Verfassungsrechts. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung so intensiv ist, dass eine vollständige Überprüfung angezeigt erscheint, wofür hier allerdings keine Anhaltspunkte bestehen.[5]

 

II. Kunstfreiheit, Art. 5 III 1 GG:

Fraglich ist zunächst, ob ein Verstoß gegen die Kunstfreiheit der Rollgardina Mikaelson vorliegt. 

 

1. Schutzbereich:

a)    Sachlicher Schutzbereich

Die Aufführung der Rollgardina Mikaelson müsste als Kunst i.S.d. Art. 5 III 1 GG zu werten sein. Der Begriff der Kunst ist umstritten.[6]

aa) Nach der Lehre vom Definitionsverbot[7] ist eine Definition des Begriffs Kunst von vornherein unzulässig. Dies wird damit begründet, dass jede Definition Ausschlusswirkung habe und damit schon die Definition grundrechtseinschränkend wirke. Eine Definition setze einen Definitionsherrn voraus, der die Befugnis hat, bestimmte Bereiche aus dem Schutz der Kunstfreiheit auszuschließen. Der Staat schwinge sich daher mit einer Definition in unzulässiger Weise zum „Kunstrichter“ auf. Jede Definition stehe daher in grundsätzlichem Widerspruch zu dem Sinn der Freiheitsgewährleistung. Nach dieser Ansicht ist ausschließlich das Selbstverständnis des „Künstlers“ entscheidend, so dass es nur darauf ankomme, ob die betroffene Person ein bestimmtes Objekt bzw. ein bestimmtes Verhalten als Kunst ansehe oder nicht. 

Gegen diese Ansicht spricht, dass der Staat Grundrechte nicht beachten kann, wenn nicht klar ist, was sie schützen und was nicht. Die begriffliche Auflösung der Kunst im Rahmen des Art. 5 III 1 GG hieße daher zugleich dessen normative Auflösung.[8] Entgegen dieser Lehre besteht daher für die Kunst als Gegenstand der Kunstfreiheit ein Definitionsgebot.[9] Auch kann die Definition nicht im Belieben des Grundrechtsträgers selbst stehen, da dies ebenfalls eine faktische Auflösung des Schutzbereichs zur Folge hätte. 

bb) Nach dem formalen Kunstbegriff[10] besteht das begriffstypische eines Kunstwerks darin, dass es einem bestimmten Werktyp zugeordnet werden kann, der zu den traditionellen Formen künstlerischer Gestaltung zählt (z.B. Malen, Bildhauen, Dichten, Theaterspielen usw.). Der Vorteil dieser Ansicht liegt darin, dass sie die Annäherung an einen praktikablen Kunstbegriff erleichtert. Weiterhin verbleibt außer der Form als Abgrenzungskriterium nur der Inhalt – eine inhaltliche Abgrenzung bringt aber wiederum ein Aufschwingen des Staats zum Kunstrichter mit sich. Dies ist indessen auch beim reinen Abstellen auf formale Kriterien der Fall. Der Nachteil des formalen Kunstbegriffs besteht nämlich in dem Ausschluss neuer avantgardistischer Formen der Kunst.[11] Urteile über Kunst sind „normativ“ und damit zwangsläufig dem Wandel unterworfen. Erforderlich sind daher Kriterien, die die Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst und damit eine Abgrenzung des von Art. 5 III 1 GG geschützten Freiheitsbereichs ermöglichen, ohne sich neuen gesellschaftlichen Entwicklungen zu verschließen.[12] Der formale Kunstbegriff ist daher nur mit der Maßgabe zu befürworten, dass die historisch überlieferten Kategorien um neue ästhetische Entwicklungen erweitert werden. Unter dieser Voraussetzung kann den Bedürfnissen der Freiheit der Kunst ausreichend Rechnung getragen werden. 

cc) Nach dem materiellen Kunstbegriff ist das Wesentliche der künstlerischen Betätigung, „die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist (…) primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“[13] Für diesen Kunstbegriff spricht, dass er auch neuartigen Erscheinungsformen der Kunst gegenüber offen ist. Er stellt zudem auf das typische Merkmal der Stilisierung und Verfremdung der Aussage ab und basiert auf der Überzeugung, dass Mehrheitsauffassungen oder allgemeine Anschauungen nicht entscheidend sein dürfen.  

dd) Der sog. offene Kunstbegriff schließlich sieht „das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung darin (…), dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiter reichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich praktisch eine unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“[14]. Das Abstellen auf die Deutungsvielfalt und Interpretationsoffenheit stellt, in Ergänzung zu dem formalen und materiellen Kunstbegriff, ein weiteres charakteristisches Merkmal künstlerischen Wirkens in den Vordergrund und ist daher ebenfalls zu begrüßen. 

Das BVerfG verwendet die drei zuletzt genannten Kunstbegriffe nebeneinander und trifft damit eine Beurteilung aufgrund einer „Gesamtheit von Gesichtspunkten“, welche es als die „der Kunst eigenen Strukturmerkmale“ bezeichnet.[15] Dem folgt der überwiegende Teil des Schrifttums.[16]

Nach allen genannten Kunstbegriffen fällt die vorliegende Aufführung der Rollgardina Mikaelson in den Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG: Nach der ersten Ansicht ist der Schutzbereich bereits mangels einer Definitionsmöglichkeit als solcher eröffnet. Da die „Performance“ als Kunstform inzwischen allgemeine Akzeptanz erfahren hat, ist der formale Kunstbegriff erfüllt. Die Aufführung ist weiterhin eine schöpferische Tätigkeit, in der die Persönlichkeit der Rollgardina Mikaelson zum Ausdruck gebracht wird (materieller Kunstbegriff) und die einer vielseitigen Interpretation offen steht (offener Kunstbegriff). 

Die Einbeziehung des Wellensittichs fällt auch nicht etwa deshalb aus dem Schutzbereich heraus, weil sie nur bei Gelegenheit der künstlerischen Darbietung erfolgte.[17] Sie war vielmehr ein planmäßiger Teil der Performance und diente gerade der verfremdeten Darstellung von erlittenem Leid während der NS-Zeit. 

Nach alledem ist der sachliche Schutzbereich des Art. 5 III 1 GG eröffnet.

 

b)    persönlicher Schutzbereich

Die Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG ist ein Jedermannsgrundrecht. Der persönliche Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 GG) wird gleichsam wie der sachliche Schutzbereich weit ausgelegt. Austräger des Grundrechts ist nicht nur derjenige; der das Kunstwerk erschafft, sondern auch die Person, die das Kunstwerk der Öffentlichkeit erreichbar macht.[18] 

 

2. Eingriff:

Aufgrund der Einziehung des Wellensittichs konnte Rollgardina Mikaelson diesen nicht mehr in ihre Performance einbeziehen. Es liegt daher ein Eingriff in den Schutzbereich vor. Dies ist bereits nach dem klassischen Eingriffsbegriff der Fall, da es sich um einen zielgerichteten (finalen) Rechtsakt handelt, der unmittelbar gegenüber Rollgardina Mikaelson erging und sie in imperativer (befehlender) Weise heranzog.[19]Gleiches gilt für die den behördlichen Eingriff bestätigenden Gerichtsurteile. 

Eine Qualifikation des Eingriffs hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Werk- und Wirkbereich[20] ist vorliegend nicht möglich, da bei der Performance beide Bereiche zusammenfallen.

 

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung:

Der Eingriff könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. 

 

a) Einschränkbarkeit des Grundrechts:

Fraglich ist dabei zunächst die Einschränkbarkeit des Grundrechts auf Kunstfreiheit. Art. 5 III GG enthält keinen Gesetzesvorbehalt. Eine Anwendung der Schranken des Art. 5 II GG oder auch des Art. 2 I GG ist abzulehnen, da dies mit der Schrankensystematik des GG unvereinbar wäre.[21] Gleichwohl ist die Kunstfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet, da verfassungsimmanente Schranken zu berücksichtigen sind.[22] Eingriffe in die Kunstfreiheit können daher nur, aber immerhin durch kollidierendes Verfassungsrechtgerechtfertigt sein. 

Als kollidierendes Verfassungsrecht kommen Grundrechte anderer sowie sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang in Betracht. Für ein Betroffensein von Grundrechten anderer bestehen keine Anhaltspunkte. Ein sonstiges Rechtsgut von Verfassungsrang könnte jedoch der Tierschutz sein. Gemäß Art. 20a GG schützt der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Der Tierschutz stellt daher ein Rechtsgut von Verfassungsrang dar, das grundsätzlich in der Lage ist, das Recht der Kunstfreiheit einzuschränken.[23]

 

b) Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage:

Es müsste eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage auf dem Gebiet des Tierschutzes vorhanden sein. Das Erfordernis eines förmlichen Gesetzes folgt aus der Wesentlichkeitstheorie,[24] die im Falle von verfassungsimmanenten Schranken ebenso gilt wie bei der Einschränkbarkeit von Grundrechten aufgrund eines geschriebenen Gesetzesvorbehalts.[25] Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Die Notwendigkeit eines einschränkenden Parlamentsgesetzes ergibt sich auch aus einem Erst-Recht-Schluss zu den geschriebenen Gesetzesvorbehalten: wenn für Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt die Rechtfertigung ein formelles Gesetz voraussetzt, dann gilt dies erst recht bei der vorbehaltlosen Kunstfreiheit. 

Als einschränkendes formelles Gesetz kommt hier § 18 I Nr. 1 TierSchG i.V.m. § 19 I Nr. 2 TierSchG in Betracht. Fraglich ist, ob die Einziehung des Wellensittichs der Rollgardina Mikaelson unter diese Bestimmungen subsumiert werden kann. Nach § 18 I Nr. 1 TierSchG handelt ordnungswidrig, wer einem Wirbeltier, das er hält, betreut oder zu betreuen hat, ohne vernünftigen Grund erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Ein Wellensittich ist ein Wirbeltier. Rollgardina Mikaelson ist Halterin dieses Tieres. Nach der Feststellung des Sachverständigen löste das Eintauchen des Vogels in die Eimasse erheblichen Stress und Angstgefühle bei dem Tier aus, so dass auch die Zufügung erheblichen Leidens zu bejahen ist. Bei dem Tatbestandsmerkmal „ohne vernünftigen Grund“ handelt es sich um ein auslegungsbedürftiges und wertendes Merkmal. Soweit die Leidenszufügung ohne vernünftigen Grund geschah, stellt die Handlung der Rollgardina Mikaelson eine Ordnungswidrigkeit nach § 18 I Nr. 1 TierSchG dar. In diesem Falle ergibt sich das Einziehungsrecht aus § 19 I Nr. 2 TierSchG. 

Die §§ 18 I Nr. 1, 19 I Nr. 2 TierSchG kommen damit als einschränkende Rechtsgrundlage grundsätzlich in Betracht. Fraglich ist, ob diese gesetzliche Grundlage verfassungsgemäß ist.[26]

Anmerkung: Die Zuständigkeit des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg folgt aus § 1 Nr. 1 lit. a) ZustVO-OWiG i.V.m. § 36 II OWiG i.V.m. ZustKat Ord, Zweiter Abschnitt Nr. 16a IV i.V.m. § 2 IV 1 ASOG. Das BVerfG prüft diese, bereits von den Fachgerichten überprüfte einfachgesetzliche Voraussetzung indessen nicht nach, vgl. oben Prüfungsmaßstab[27].


aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage:

Der Bund müsste für den Erlass des TierSchG zuständig sein. Nach Art. 70 GG müsste sich die Zuständigkeit des Bundes aus den Bestimmungen über die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit ergeben. Nach Art. 74 I Nr. 20 GG besteht eine konkurrierende Zuständigkeit für den Tierschutz. Unter welchen Voraussetzungen der Bund von einer konkurrierenden Zuständigkeit Gebrauch machen kann, ergibt sich aus Art. 72 II GG.[28] Art. 74 I Nr. 20 GG ist in Art. 72 II GG genannt, so dass die Erforderlichkeit nachgewiesen werden muss. Hier kommt die Erforderlichkeit zur Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse in Betracht. Diese liegt vor, wenn eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse des Bundes und der Länder nicht hingenommen werden kann.[29] Gerade weil es sich beim Tierschutz nach Art. 20a GG um ein Rechtsgut von Verfassungsrang handelt, besteht ein gesteigertes Interesse an einer bundeseinheitlichen Festschreibung gewisser Mindestvoraussetzungen. Es wäre daher problematisch, wenn jedes Land seine eigenen Mindeststandards zum Schutz von Tieren hätte. Das Interesse an einer bundeseinheitlichen Regelung besteht auch nicht nur im Interesse einzelner Länder, sondern im gesamtstaatlichen Interesse. Die Erforderlichkeit nach Art. 72 II GG liegt also vor. Der Bund ist für den Erlass des TierSchG zuständig. 

Vom ordnungsgemäßen Zustandekommen des Gesetzes ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Sachverhalt auszugehen. Das TierSchG ist daher formell verfassungsgemäß.

 

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage:

Die §§ 18 I Nr. 1, 19 I Nr. 2 TierSchG müssten auch materiell verfassungsgemäß sein. Dies setzt die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes voraus.[30]

Die Regelung verfolgt mit dem Tierschutz ein legitimes Ziel (Art. 20a GG). Zur Förderung des Tierschutzes ist es auch zweckdienlich, einem Tierhalter, der seinem Tier ohne vernünftigen Grund erhebliches Leid zufügt, das Tier zu entziehen. Die Regelung ist daher auch geeignet. Die Erforderlichkeit setzt voraus, dass das verfolgte Ziel nicht auch durch ein milderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann. Ein milderes Mittel könnte es sein, dem Tierhalter eine Geldbuße aufzuerlegen. Fraglich ist indessen bereits, ob dies in jedem Falle einen geringeren Eingriff in den Rechtskreis des Tierhalters bedeutet. Zudem wird ein „tierquälerisches Verhalten“ durch Auferlegung einer Geldbuße nicht mit Gewissheit beendet. Diese Möglichkeit stellt daher, verglichen mit der Einziehung des Tieres, kein gleich wirksames Mittel zur Förderung des Tierschutzes dar. Die gesetzliche Regelung ist daher auch erforderlich. Die Angemessenheit der Regelung setzt voraus, dass die Beeinträchtigung, die der Eingriff für den Einzelnen bedeutet, und der mit dem Eingriff verfolgte Zweck in einem recht gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Hier stehen sich die Grundrechte des Betroffenen einerseits und der Tierschutz andererseits gegenüber. Das Tatbestandsmerkmal „ohne vernünftigen Grund“ in § 18 I Nr. 1 TierSchG ist ein wertendes Merkmal und lässt es daher zu, den Grundrechten des Betroffenen im Einzelfall ein höheres Gewicht beizumessen. Die Regelung eröffnet also gerade die Möglichkeit, den Eingriffszweck und die mit dem Eingriff einhergehende Grundrechtsbeeinträchtigung in jedem Einzelfall richtig zu gewichten.[31] Aufgrund dessen ist die gesetzliche Regelung in §§ 18 I Nr. 1, 19 I Nr. 2 TierSchG auch angemessen

Die Rechtsgrundlage ist somit materiell verfassungskonform. 

 

c) Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts:

Fraglich ist, ob der Einzelakt der Einziehung des Wellensittichs der Rollgardina Mikaelson verhältnismäßig und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. 

Die Verhältnismäßigkeit des Einzelakts setzt voraus, dass dieser einen legitimen Zweck verfolgt und zu dessen Durchsetzung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Wie bereits gezeigt, liegen die Legitimität des verfolgten Zwecks sowie die Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Eingriffs vor. Hinsichtlich der Angemessenheit des Einzelakts kommt es darauf an, ob § 18 I Nr. 1 TierSchG im Lichte der Kunstfreiheit so auszulegen ist, dass die Aufführung der Rollgardina Mikaelson einen „vernünftigen Grund“ für die Leiden des Vogels darstellt. Die Rechtsgüter des Tierschutzes und der Kunstfreiheit der Rollgardina Mikaelson sind also gegeneinander abzuwägen. Bei einer Gegenüberstellung der Schwere des Eingriffs in die Kunstfreiheit mit dem Gewicht der betroffenen Tierschutzbelange darf die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten sein.[32]  

Auf Seiten des Tierschutzes ist hier zu berücksichtigen, dass die vorübergehend herbeigeführte Flugunfähigkeit des Wellensittichs – so der Sachverständige – bei dem Tier zur Ausschüttung von Stresshormonen führt und Angstgefühle in ihm auslöst. Andererseits erleidet das Tier keine Verletzungen und keine unmittelbaren körperlichen Schäden. Welche Langzeitwirkungen der wiederholte Einsatz eines Wellensittichs bei der Aufführung der Rollgardina Mikaelson hervorruft, ist indessen nicht abzusehen. Die beeinträchtigten Tierschutzbelange können daher zwar nicht als lapidar bezeichnet werden, stehen aber hinter einer möglichen körperlichen Verletzung von Wirbeltieren deutlich zurück.  

Fraglich ist demgegenüber, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Kunstfreiheit beizumessen ist. Eine abwägungsrelevante Frage ist dabei, welche Bedeutung die Verwendung des Vogels durch Rollgardina Mikaelson für ihre künstlerische Aussage hat. Zweifelhaft ist jedoch, ob diese Frage der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Nach einer Ansicht verbietet sich jede staatliche Inhaltskontrolle der Zweckmäßigkeit der künstlerisch intendierten Aussage sowie der zur Übermittlung dieser Aussage gewählten Formen.[33] Nach anderer Ansicht gilt ein solches Verbot gerichtlicher Überprüfbarkeit nur für den Bereich der Schutzbereichsprüfung, nicht hingegen für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit.[34]

In jedem Falle kommt der Ansicht des Künstlers hinsichtlich der von ihm intendierten Aussage und der Zweckmäßigkeit der zur Aussageübermittlung gewählten Formen ein gesteigertes Gewicht zu. Selbst bei Bejahung der gerichtlichen Überprüfbarkeit muss diese auf eine Überprüfung der Plausibilität der vom Künstler geäußerten Ansicht im Sinne einer bloßen „Vertretbarkeitskontrolle“ beschränkt sein.[35] Dies ergibt sich daraus, dass zum Wesen der Kunstfreiheit gerade auch die Freiheit gehört, über die Wahl der Formensprache und der bezweckten Bedeutungsübermittlung selbst entscheiden zu können. 

Die intendierte Aussage der Rollgardina Mikaelson besteht darin, auf die im Namen des Nationalsozialismus begangenen Grausamkeiten aufmerksam zu machen. Dazu bedient sich Rollgardina Mikaelson der verfremdeten Darstellung von eigenem und fremdem Leiden. Die nach objektiver Sicht für einen Vogel nicht angenehme Situation, in einem Goldfischglas mit Eimasse umhergeschwenkt zu werden, ist, gemeinsam mit dem Ertönen der Nationalhymne, für die Übermittlung des Aussagegehalts eine plausible Formensprache. Auch der Einwand der Rollgardina Mikaelson, dass der Aussagegehalt ohne dieses Aufführungselement nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt erreicht werden könnte, ist plausibel, da die Darstellung von dem einem anderen Lebewesen aufgezwungenen Leid nicht durch ein anderes Aufführungselement erreicht wird. Es ist daher davon auszugehen, dass der Verwendung des Vogels eine wesentliche Bedeutung für die künstlerische Tätigkeit zukommt. Die Einziehung des Tieres stellt daher eine erhebliche Beeinträchtigung der Kunstfreiheit dar. 

Demgegenüber ist der Tierschutz durch die bloße Herbeiführung einer Stresssituation für den Wellensittichs und das Nichtvorliegen dauerhafter körperlicher Beeinträchtigungen nicht in wesentlicher Weise beeinträchtigt. Die Tierschutzbelange stehen daher hinter der Kunstfreiheit der Rollgardina Mikaelson zurück, so dass das Grundrecht aus Art. 5 III 1 GG verletzt wurde. Die Einziehung des Wellensittichs war also unverhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 

Anmerkung: Die andere Ansicht, also der Vorrang des Tierschutzes und die Annahme eines verhältnismäßigen Einzelakts, ist bei entsprechender Begründung ebenso gut vertretbar.


4. Zwischenergebnis:

Es liegt ein Verstoß gegen das Grundrecht der Rollgardina Mikaelson auf Kunstfreiheit vor.   

 

III. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG:

Weiterhin könnte eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG vorliegen. 

 

1. Schutzbereich: 

Es müsste zunächst der Schutzbereich dieses Grundrechts eröffnet sein. Dieser ist in besonderer Weise normgeprägt. Eigentum i.S.d. Art. 14 I 1 GG umfasst zu einem bestimmten Zeitpunkt alles, was das einfache Recht zu diesem Zeitpunkt als Eigentum definiert. Darüber hinaus fallen unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG alle privatrechtlichen vermögenswerten Rechte, nicht jedoch das Vermögen als solches. Der Eigentumsschutz umfasst sowohl den Bestand, als auch die Innehabung und Nutzung der geschützten Objekte.[36]

Tiere sind zivilrechtlich zwar keine Sachen (§ 90a S. 1 BGB), die für Sachen geltenden Vorschriften sind auf sie jedoch entsprechend anzuwenden (§ 90a S. 3 BGB). Der Wellensittich der Rollgardina Mikaelson unterfällt daher ihrem Eigentum i.S.d. § 903 BGB. Der Schutzbereich ist somit in sachlicher und auch in persönlicher Hinsicht eröffnet. 

 

2. Eingriff:

Durch die Einziehung des Wellensittichs wurde der K diese Eigentumsposition entzogen und eine Nutzung vereitelt. Die Einziehung bewirkt, dass die eingezogenen Gegenstände in das Eigentum des Staates übergehen, so dass alle bisherigen Eigentumspositionen des Betroffenen erlöschen. Diese Beeinträchtigung der Eigentümerstellung der Rollgardina Mikaelson erfolgte durch finalen Rechtsakt, der unmittelbar gegenüber K in imperativer Weise erging. Ein Eingriff liegt daher nach dem klassischen Eingriffsbegriff[37] vor. 

Fraglich ist, ob dieser Eingriff eine Enteignung (Art. 14 III GG) oder eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 I 2 GG) darstellt.[38] Rollgardina Mikaelson ist der Ansicht, durch die Einziehung des Wellensittichs rechtswidrig enteignet worden zu sein. Fraglich ist zunächst, ob eine Enteignung i.S.d. Art. 14 III GG vorliegt. 

Die Enteignung ist auf die zielgerichtete Entziehung konkreter individueller Eigentumspositionen i.S.d. Art. 14 I 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet. Das konkrete Eigentumsrecht kann dabei entweder durch Gesetz (Legalenteignung) oder aufgrund eines Gesetzes (Administrativenteignung) entzogen werden.[39] Durch die Einziehung des Wellensittichs wurde das konkrete, daran bestehende Eigentumsrecht der Rollgardina Mikaelson zielgerichtet entzogen. Diese Entziehung müsste aber weiterhin zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben erfolgt sein. Daran fehlt es, wenn die Eigentumsentziehung aufgrund der von der Eigentumsnutzung ausgehenden Gefahren erfolgt. Bei der Enteignung geht die öffentliche Gewalt aus eigenem Interesse offensiv gegen den Privateigentümer vor, weil sie sein Eigentum für einen bestimmten öffentlichen Zweck benötigt. Wird die öffentliche Gewalt dagegen tätig, um Rechtsgüter der Gemeinschaft vor Gefahren zu schützen, liegt keine Enteignung vor. Vorliegend verfolgte die Entziehung des Eigentums der Rollgardina Mikaelson an dem Wellensittich den Zweck, weitere als Verstöße gegen den Tierschutz gewertete Handlungen zu unterbinden. Die Eigentumsentziehung diente dem Tierschutz als Rechtsgut der Allgemeinheit und sollte eine weitere Gefährdung dieses Rechtsguts verhindern. Sie erfolgte hingegen nicht deshalb, weil das Eigentum an dem Wellensittich für öffentliche Zwecke benötigt wurde. Eine Enteignung scheidet daher aus.  

Ein Eingriff durch Inhalts- und Schrankenbestimmungen liegt vor, wenn eine Rechtsnorm die Rechte hinsichtlich solcher Rechtsgüter verkürzt, die als Eigentum i.S.d. Art. 14 I 1 GG zu verstehen sind.[40] Die auf der (abstrakt-generellen) Inhalts- und Schrankenbestimmung beruhende konkrete Beeinträchtigung des Art. 14 I 1 GG unterfallenden Rechtsguts erfolgt i.d.R. durch Vollzugsakt der Exekutive. Die Vorschrift des § 19 I Nr. 2 TierSchG ordnet an, dass Tiere, auf die sich eine Ordnungswidrigkeit nach § 18 I Nr. 1 TierSchG bezieht, eingezogen werden können. Das Eigentumsrecht an dem betreffenden Tier wird durch diese Regelung also eingeschränkt. Es liegt daher ein Eingriff aufgrund einer Inhalts- und Schrankenbestimmung vor. 

Anmerkung: Die Abgrenzung nach der Art des Eingriffs (Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung) kann ebenso gut erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung vorgenommen werden. Streng genommen wird diese Abgrenzung erst dort relevant, da sich die Voraussetzungen der Rechtfertigung bei der Enteignung nach Art. 14 III GG richten, bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen und Einzelfallmaßnahmen ohne Enteignungscharakter hingegen nach Art. 14 I 2, II GG.


3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung:

Der Eingriff in Art. 14 I 1 GG müsste verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.[41] Da keine Enteignung, sondern ein Eingriff aufgrund einer Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt, richtet sich die Eingriffsrechtfertigung nicht nach Art. 14 III GG, sondern nach Art. 14 I 2, II GG. 

 

a) Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage:

Die Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung besteht nach Art. 14 I 2 GG nur durch Gesetz. Die gesetzliche Grundlage der §§ 18 I Nr. 1, 19 I Nr. 2 TierSchG müsste verfassungskonform sein. 

Wie bereits gezeigt, ist das TierSchG formell verfassungsgemäß. Auch die materielle Verfassungsmäßigkeit ist aus den bereits ausgeführten Gründen zu bejahen: Die Regelung verfolgt mit dem Tierschutz einen legitimen Zweck (Art. 20a GG) und ist zu dessen Förderung geeignet und erforderlich. Auch die Angemessenheit liegt vor, da das wertende Tatbestandsmerkmal „ohne vernünftigen Grund“ die Möglichkeit eröffnet, den Grundrechten des Betroffenen im Einzelfall ein höheres Gewicht beizumessen als dem Tierschutz.[42]

 

b) Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts:

Fraglich ist wiederum, ob der Einzelakt der Einziehung des Wellensittichs verhältnismäßig ist. Legitimer Zweck, Geeignetheit und Erforderlichkeit liegen vor. Im Rahmen der Angemessenheit ist wiederum maßgeblich, ob das Eigentumsrecht der Rollgardina Mikaelson einen „vernünftigen Grund“ für die Verursachung von Stress und Angstgefühlen bei dem Tier darstellt. Die im Eigentumsbegriff liegende (bloße) Sachzuweisung des Wellensittichs zugunsten der Rollgardina Mikaelson steht jedoch erkennbar hinter den tierschutzrechtlichen Belangen zurück. Die in Art. 20a GG und einfach-gesetzlich im TierschG verankerte Wertung beruht gerade auf der Überzeugung, dass an den Umgang mit einem Lebewesen höhere Anforderung zu stellen sind als an denjenigen mit sonstigem Sacheigentum im Sinne des Zivilrechts. Das Eigentumsrecht der Rollgardina Mikaelson an dem Wellensittich steht daher hinter dem Tierschutz zurück und stellt keinen „vernünftigen Grund“ für die Behandlung des Wellensittichs dar. Die Einziehung des Vogels ist also eine angemessene Beschränkung des Grundrechts aus Art. 14 GG. 

Anmerkung: Vertretbar ist auch die – gegenteilige – Ansicht, wonach die grundrechtskonforme Auslegung des Merkmals „ohne vernünftigen Grund“ beide vorliegend betroffenen Grundrechte kumulativ zu beachten hat. Demnach wäre die betroffene Kunstfreiheit bei der Prüfung der Angemessenheit des Eingriffs in Art. 14 GG mit einzubeziehen: Da nach dem hier für Art. 5 III GG gewählten Lösungsweg schon die Kunstfreiheit einen „vernünftigen Grund“ i.S.d. § 18 I Nr. 1 TierSchG darstellt, ist der Eingriff in Art. 14 GG aus dieser Perspektive schon deshalb verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, weil er nicht von der gesetzlichen Eingriffsgrundlage gedeckt ist.


4. Zwischenergebnis:

Es liegt keine Verletzung des Grundrechts aus Art. 14 GG vor. 

 

IV. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG:

Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG entfällt. Dieses tritt subsidiär hinter die Grundrechte aus Art. 5 III 1, 14 GG zurück.[43]

 

V. Zwischenergebnis:

Die Verfassungsbeschwerde der Rollgardina Mikaelson ist aufgrund der Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 III 1 GG begründet. 

 

C. Ergebnis:

Die Verfassungsbeschwerde der Rollgardina Mikaelson ist zulässig und begründet. Das BVerfG wird die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte aufheben und die Sache gemäß § 95 II BVerfGG an ein zuständiges Gericht zurückverweisen. 

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Markus Heintzen (Januar 2024) 


[1] Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1461 ff.

[2] Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 37 ff.

[3] Ruppert in Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Auflage, 2005, § 90 Rn. 76 ff.

[4] BVerfGE 103, 44, 58 f.; 116, 69, 79.

[5] Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1521 ff.

[6] Siehe dazu Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 36 ff.; Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 182 ff.; Wendt in von Münch/Kunig, Grundgesetz – Kommentar, 7. Auflage 2021, Bd. 1 (Art. 1-69), Art. 5 Rn. 139 ff.; Kobler, Grundfälle zu Art. 5 III GG, JuS 2006, 593, 695. 

[7] Begründet von Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967, S. 214 ff. Dazu Hoffmann, Kunstfreiheit und Sacheigentum – Bemerkungen zum „Sprayer“- Beschluss des BVerfG, in NJW 1985, 237.

[8] Ipsen, Staatsrecht II, Grundrechte, 24. Auflage 2021, Rn. 502.

[9] BGH NJW 1975, 1882, 1884; Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar, 20.  Lfg. (1977), Art. 5 Abs. 3, Rn. 25.

[10] F. Müller, Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, in JZ 1970, 87, 89 m.w.N.; siehe auch BVerfGE 67, 213, 227

[11] Henschel, Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, in NJW 1990, 1937, 1939.

[12] Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 37; siehe auch Lerche, Ausgewählte Fragen der Kunstfreiheit nach deutschem Verfassungsrecht, in Berka u.a. Kunst und Recht, im In- und Ausland, 1994, S. 1 ff.

[13] Grundlegend BVerfGE 30 173, 188 f. (Mephisto-Beschluss); aus neuerer Zeit: BVerfGE 83, 130, 138. Kritisch Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte? 1980, S. 27; E. Denninger, HStR VI, § 146, Rn. 8.

[14] BVerfGE 67, 213, 226 f. („Anachronistischer Zug“) mit Verweisen auf die im Schrifttum vertretenen Meinungen; vgl. auch E. Denninger, aaO, S. 11 ff.; Lerche (Fn. 1), S. 4 ff.

[15] BVerfGE 67, 213, 228 ff.; 75, 369, 376; 81, 278, 291 ff.

[16] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 833; Rolf Schmidt, Grundrechte, 26. Auflage 2021, Rn. 523; Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 41 ff. m.w.N.

[17] Vgl. Kingreen/Poscher, aaO, Rn. 835.

[18] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 835 ff.

[19] Vgl. BVerfGE 105, 279, 300; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 17. Auflage 2022, Vorb. vor Art. 1, Rn. 27.

[20] Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 188.

[21] Ganz h.M.: BVerfGE 119, 1, 23 f.; 122, 89, 107; 126, 1, 24; 128, 1, 41; 30, 173, 191-193; 67, 213, 228; 83, 130, 139; Sodan, Grundgesetz, 4. Auflage 2018, Art. 5 Rn. 50; Rolf Schmidt, Grundrechte, 26. Auflage 2021, Rn. 536.

[22] BVerfG 30, 173, 193; Sodan aaO.

[23] Vgl. Lange, Wissenschaft zwischen Verfassungsgarantie und Staatszielbestimmung – Ein Beitrag zur grundgesetzlichen Verankerung des Tierschutzes, KritV 2004, 171.

[24] BVerfGE 77, 170, 230 f.; 98, 218, 251; 101, 1, 34; BVerwGE 68, 69, 72; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 71.

[25] BVerfGE 83, 130, 142; 108, 282, 297, 303; Jarass aaO, Art. 20 Rn. 70 sowie Vorb. vor Art. 1 Rn. 40 ff., 48 ff.

[26] Zum Prüfungsaufbau vgl. Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 56 ff.

[27] Siehe oben Fn. 5.

[28] Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 38. Auflage 2022, Rn. 186 ff. sowie (allgemein zur Prüfungssystematik innerhalb des Art. 72 GG) Rn. 201.

[29] BVerfGE 106, 62, 145; Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 72, Rn. 16.

[30] Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 112 ff. m.w.N. (auch zu den einzelnen Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgebots).

[31] Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 154.  Aus der Rspr des BVerfG z.B. E 93, 213, 238.

[32] Vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 5, Rn. 129.

[33] Knies, Fn. 7, aaO; vgl. auch BVerfGE 75, 369, 377; 81, 278, 291.

[34] BVerfGE 83, 130, 139; Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 187; Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 49; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 406 ff., 449. 

[35] BVerwGE 39, 197, 203 ff.; Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar, 20.  Lfg. (1977), Art. 5 Rn. 25 a.E.

[36] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1174 ff.

[37] Siehe oben Fn. 18.

[38] Wieland in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 14, Rn. 90 ff.; Schmidt, Grundrechte, 6. Auflage 2004, Rn. 423 ff. 

[39] Wieland aaO, Rn. 77. Insbesondere zur Einziehung ebenda Rn. 83 m.w.N.

[40] aaO, Rn. 74.

[41] Zum Prüfungsaufbau vgl. Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 1042 ff.

[42] Siehe oben Fn. 30.

[43] Kunig/Kämmerer in von Münch/Kunig, Grundgesetz – Kommentar, 7. Auflage 2021, Bd. 1 (Art. 1-69), Art. 2 Rn. 156.


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Fußnoten

[1] Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1461 ff.

[2] Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 37 ff.

[3] Ruppert in Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Auflage, 2005, § 90 Rn. 76 ff.

[4] BVerfGE 103, 44, 58 f.; 116, 69, 79.

[5] Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1521 ff.

[6] Siehe dazu Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 36 ff.; Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 182 ff.; Wendt in von Münch/Kunig, Grundgesetz – Kommentar, 7. Auflage 2021, Bd. 1 (Art. 1-69), Art. 5 Rn. 139 ff.; Kobler, Grundfälle zu Art. 5 III GG, JuS 2006, 593, 695. 

[7] Begründet von Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967, S. 214 ff. Dazu Hoffmann, Kunstfreiheit und Sacheigentum – Bemerkungen zum „Sprayer“- Beschluss des BVerfG, in NJW 1985, 237.

[8] Ipsen, Staatsrecht II, Grundrechte, 24. Auflage 2021, Rn. 502.

[9] BGH NJW 1975, 1882, 1884; Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar, 20.  Lfg. (1977), Art. 5 Abs. 3, Rn. 25.

[10] F. Müller, Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, in JZ 1970, 87, 89 m.w.N.; siehe auch BVerfGE 67, 213, 227

[11] Henschel, Die Kunstfreiheit in der Rechtsprechung des BVerfG, in NJW 1990, 1937, 1939.

[12] Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 37; siehe auch Lerche, Ausgewählte Fragen der Kunstfreiheit nach deutschem Verfassungsrecht, in Berka u.a. Kunst und Recht, im In- und Ausland, 1994, S. 1 ff.

[13] Grundlegend BVerfGE 30 173, 188 f. (Mephisto-Beschluss); aus neuerer Zeit: BVerfGE 83, 130, 138. Kritisch Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte? 1980, S. 27; E. Denninger, HStR VI, § 146, Rn. 8.

[14] BVerfGE 67, 213, 226 f. („Anachronistischer Zug“) mit Verweisen auf die im Schrifttum vertretenen Meinungen; vgl. auch E. Denninger, aaO, S. 11 ff.; Lerche (Fn. 1), S. 4 ff.

[15] BVerfGE 67, 213, 228 ff.; 75, 369, 376; 81, 278, 291 ff.

[16] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 833; Rolf Schmidt, Grundrechte, 26. Auflage 2021, Rn. 523; Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 41 ff. m.w.N.

[17] Vgl. Kingreen/Poscher, aaO, Rn. 835.

[18] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 835 ff.

[19] Vgl. BVerfGE 105, 279, 300; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 17. Auflage 2022, Vorb. vor Art. 1, Rn. 27.

[20] Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 188.

[21] Ganz h.M.: BVerfGE 119, 1, 23 f.; 122, 89, 107; 126, 1, 24; 128, 1, 41; 30, 173, 191-193; 67, 213, 228; 83, 130, 139; Sodan, Grundgesetz, 4. Auflage 2018, Art. 5 Rn. 50; Rolf Schmidt, Grundrechte, 26. Auflage 2021, Rn. 536.

[22] BVerfG 30, 173, 193; Sodan aaO.

[23] Vgl. Lange, Wissenschaft zwischen Verfassungsgarantie und Staatszielbestimmung – Ein Beitrag zur grundgesetzlichen Verankerung des Tierschutzes, KritV 2004, 171.

[24] BVerfGE 77, 170, 230 f.; 98, 218, 251; 101, 1, 34; BVerwGE 68, 69, 72; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 71.

[25] BVerfGE 83, 130, 142; 108, 282, 297, 303; Jarass aaO, Art. 20 Rn. 70 sowie Vorb. vor Art. 1 Rn. 40 ff., 48 ff.

[26] Zum Prüfungsaufbau vgl. Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 56 ff.

[27] Siehe oben Fn. 5.

[28] Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 38. Auflage 2022, Rn. 186 ff. sowie (allgemein zur Prüfungssystematik innerhalb des Art. 72 GG) Rn. 201.

[29] BVerfGE 106, 62, 145; Sodan, Grundgesetz, 2009, Art. 72, Rn. 16.

[30] Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 20 Rn. 112 ff. m.w.N. (auch zu den einzelnen Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgebots).

[31] Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 154.  Aus der Rspr des BVerfG z.B. E 93, 213, 238.

[32] Vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 16. Auflage 2020, Art. 5, Rn. 129.

[33] Knies, Fn. 7, aaO; vgl. auch BVerfGE 75, 369, 377; 81, 278, 291.

[34] BVerfGE 83, 130, 139; Bethge in Sachs, Grundgesetz – Kommentar, 9. Auflage 2021, Art. 5 Rn. 187; Wittreck in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 5 III Rn. 49; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 406 ff., 449. 

[35] BVerwGE 39, 197, 203 ff.; Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar, 20.  Lfg. (1977), Art. 5 Rn. 25 a.E.

[36] Kingreen/Poscher, Grundrechte, Staatsrecht II, 39. Auflage, 2023, Rn. 1174 ff.

[37] Siehe oben Fn. 18.

[38] Wieland in Dreier, Grundgesetz – Kommentar, 3. Auflage, 2013, Bd. 1 (Art. 1-19), Art. 14, Rn. 90 ff.; Schmidt, Grundrechte, 6. Auflage 2004, Rn. 423 ff. 

[39] Wieland aaO, Rn. 77. Insbesondere zur Einziehung ebenda Rn. 83 m.w.N.

[40] aaO, Rn. 74.

[41] Zum Prüfungsaufbau vgl. Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht I, 8. Auflage, 2018, Rn. 1042 ff.

[42] Siehe oben Fn. 30.

[43] Kunig/Kämmerer in von Münch/Kunig, Grundgesetz – Kommentar, 7. Auflage 2021, Bd. 1 (Art. 1-69), Art. 2 Rn. 156.