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Die Piätsch-Affäre (Lösungsvorschlag)

Piätsch könnte mit Erfolg Verfassungsbeschwerde gegen die Äußerung Plappermanns und die Entscheidung des BVerwG einlegen, wenn die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet wäre.

A) Zulässigkeit

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.

I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "jedermann")

Piätsch kann Grundrechtsträger sein und ist damit "jedermann" i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG.

II. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Akt der öffentlichen Gewalt")

Verfassungsbeschwerden können sich nur gegen einen "Akt öffentlicher Gewalt" richten. Gemeint sind damit alle Maßnahmen von vollziehender, gesetzgeberischer und rechtsprechender Gewalt. Piätsch will hier sowohl die Äußerungen Plappermanns wie das Urteil des BVerwG angreifen. Für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde auch gegen die seiner Klage stattgebenden Urteile des Verwaltungsgerichtes und des Oberverwaltungsgerichtes Berlin besteht demgegenüber kein Anlass (insoweit würde es auch an der Beschwerdebefugnis fehlen)[1].

Während das Urteil des BVerwG unzweifelhaft als ein "Akt der öffentlichen Gewalt" anzusehen ist, ist dies bezüglich der Äußerungen Plappermanns nicht so eindeutig, da in Literatur und Rechtsprechung die Existenz justizfreier Hoheitsakte, die keine "Akte der öffentlichen Gewalt" – (weder) i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (noch i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG) – darstellen sollen (letztlich aus Gründen der Staatsraison), jedenfalls in den Anfangsjahren der Bundesrepublik durchaus bejaht worden ist.immer wieder bejaht worden ist.

1. Antwort auf Parlamentarische Anfrage als Regierungsakt?

Zu diesen justizfreien Hoheitsakten wurden insbesondere Akte der Regierung gezählt,[2] wobei unter Regierungsakten nur die staatsleitenden Akte oberster Staatsorgane verstanden werden (siehe hierzu M. Schröder, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 106 Rn. 4 ff.; ferner BVerfG, 2 BvE 2/14 v. 16.12.2014, Abs. 39 = NVwZ 2015, 209 Abs. 39): Die Maßnahme muss damit gegenständlich auf den Verfassungsrechtskreis bezogen sein und sich durch gubernative Gestaltungsfreiheit auszeichnen. Sie muss dementsprechend auch nicht notwendig durch die Regierung im organisatorischen Sinne vorgenommen werden: Regierungsakte sind vielmehr auf Bundesebene zwischen Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Bundespräsident geteilt. Ebenso wenig sind alle von der Regierung im organisatorischen Sinne getätigten Maßnahmen Regierungsakte, sondern stellen teilweise Verwaltung im materiellen Sinne dar (z.B. die Beamtenernennung durch den Ministerpräsidenten).

Auch wenn sich nach diesen Grundsätzen Regierungsakte nicht (trennscharf) definieren, sondern allenfalls auflisten, ordnen und typisieren lassen, besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass (auf Bundesebene) zu den Regierungsakten jedenfalls zu zählen sind:[3]

- die Wahrnehmung aller sich aus der Verfassung ergebenden Kompetenzen des Bundestages und der Bundestagsverwaltung, soweit sie keine Gesetzgebungskompetenzen sind,

- die Wahrnehmung aller Kompetenzen der Bundesregierung und ihrer Mitglieder und des Bundespräsidenten im Verhältnis zum Bundestag und den übrigen obersten Verfassungsorganen,

- die Wahrnehmung der Kompetenz zur Formulierung der Richtlinien der Politik nach Art. 65 GG,

- die Wahrnehmung von Außenkompetenzen der Bundesregierung und des Bundespräsidenten nach Art. 23, Art. 32 und Art. 59 GG, die Entscheidung der Bundesregierung, von den ihr im inneren und äußeren Notstand zugewiesenen Kompetenzen Gebrauch zu machen (Art. 35 Abs. 2 und 3, Art. 87a Abs. 3 und 4, Art. 91 Abs. 2, Art. 115a Abs. 1 Satz 2, Art. 115f, Art. 115i GG),

- der Abschluss von verfassungs- und staatsrechtlichen Verträgen zwischen Bund und Ländern und die Wahrnehmung der Kompetenzen staatsleitender Planung (Art. 53a Abs. 2, Art. 91a Abs. 4, Art. 91 b, Art. 104a Abs. 4, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, Art. 109 Abs. 3, Art. 110 GG).

Dementsprechend kann auch die Beantwortung parlamentarischer Anfragen durch die Regierung als Regierungsakt angesehen werden. Zum Teil wird jedoch danach differenziert, ob die Anfrage in Verbindung mit Verwaltungsangelegenheiten (wie hier in Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge) erfolgt oder ob sie staatsleitende Regierungstätigkeit betrifft.[4] Das erscheint indes als gekünstelt – zutreffend dürfte vielmehr sein, die Beantwortung von Anfragen immer als Regierungsakt anzusehen, weil sie mit dem in Art. 43 Abs. 1 GG verankerten Kontrollrecht des Parlaments im engsten Zusammenhang steht.[5]

2. "Justizfreiheit" von "Regierungsakten?

Aus der Tatsache, dass die Antwort auf eine Kleine Anfrage ein Regierungsakt ist, folgt jedoch nicht notwendig, dass sie nicht mit der Verfassungsbeschwerde rügbar wäre.[6]Vielmehr unterwirft Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG alle Maßnahmen der öffentlichen Gewalt der Kontrolle durch das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde. Gerade Regierungsakte bilden einen typischen Ausfluss staatlicher Gewalt, so dass es nahe liegt, sie als justitiabel anzusehen.

Demgegenüber wird teilweise eingewandt, aus dem Gewaltenteilungsprinzip ergebe sich, dass Regierungsakte nicht gerichtlich überprüfbar sein sollten, und auch aus dem "politischen" oder "hochpolitischen" Charakter der Regierungsakte folge notwendig ihre Herausnahme aus den Garantien des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (und des Art. 19 Abs. 4 GG). Das vermag jedoch nicht zu überzeugen; denn Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG (Organstreit) lässt z.B. deutlich erkennen, dass Maßnahmen der Bundesregierung durchaus nicht von vornherein der Kontrolle durch die Gerichte entzogen sind. Der Aspekt der Gewaltenteilung, d.h. die Einräumung eines Gestaltungsfreiraums an die Regierung, mag eine inhaltliche Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle gebieten. Doch kann der sicherlich vom Grundgesetz gewollte weite Entscheidungsspielraum der staatlichen Führungsorgane bei Regierungsakten angesichts des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (und des Art. 19 Abs. 4 GG) nicht dazu führen, derartige Maßnahmen völlig von einer gerichtlichen Nachprüfung auszuschließen. Auch lässt sich nicht übersehen, dass das Moment des Politischen kein spezifisches Kriterium von Regierungsakten ist. Jeder staatliche Akt kann "politisch" oder "hochpolitisch" bedeutsam werden - die Ausweisung eines bestimmten Ausländers oder die Genehmigung einer Gentechnikanlage ebenso wie die schlichte Inbetriebnahme eines umweltpolitisch problematischen Kohlekraftwerks. Darüber hinaus zeigt gerade die Entscheidung des Grundgesetzes (und mehrerer Landesverfassungen) für die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit, dass von Verfassungswegen politische Akte nicht a priori einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sein sollen. Der Aspekt des Politischen kann – ebenso wie der der Gewaltenteilung und eines daraus abgeleiteten Gestaltungsfreiraums der Regierung – im Hinblick auf die ausdrückliche Regelung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG (und des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) lediglich eine inhaltliche Beschränkung, nicht aber einen völligen Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle von Regierungsakten rechtfertigen.

Anmerkung: Dieses Ergebnis macht die Unterscheidung zwischen Regierung und Verwaltung im materiellen Sinne nicht bedeutungslos, vielmehr bleibt sie in anderen Bereichen wichtig, z.B. bezüglich der Frage des Anwendungsbereichs der Verwaltungsverfahrensgesetze, welche nur für die Verwaltungstätigkeit gelten (vgl. § 1 Abs. 1 VwVfG, § 1 Abs. 1 SGB X, § 1 Abs. 1 BVwVfG).[7]

Indes gibt es keinen gesetzesübergreifend allgemein gültigen Inhalt des Begriffs der "Regierung" gegenüber dem Begriff der "Verwaltung". Soweit die Abgrenzung bei der Auslegung einzelner Gesetze von Bedeutung ist, ist vielmehr auf den jeweiligen Gesetzeszweck abzustellen: Deutlich zum IFG: BVerwG, 7 C 4/11 v. 3. 11. 2011, Abs. 10 ff. = NVwZ 2012, 251, Abs. 10 ff. (wo hinsichtlich des Verwaltungsbegriffs des § 1 Abs. 1 IFG von einem Verständnis ausgegangen wird, das auch Maßnahmen der Regierung einschließt; hierzu Assenbrunner, DÖV 2012, 547 ff.; Dalibor, DVBl. 2012, 933 ff.; Heuner/Küpper, JZ 2012, 801 ff.; Roth, DÖV 2012, 717 ff.; Schoch, NVwZ 2012, 254 ff.).


3. Ausschluss der Verfassungsbeschwerde durch Art. 46 Abs. 1 GG?

Jedoch könnte vorliegend Art. 46 Abs. 1 GG als Spezialnorm zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG einer Verfassungsbeschwerde gegen die Äußerung Plappermanns entgegenstehen: Nach Art. 46 Abs. 1 GG darf ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen einer Äußerung, die er im Bundestag getan hat, gerichtlich verfolgt werden, d.h. für derartige Verfolgungen ist der Rechtsweg – auch der Verfassungsrechtsweg – nicht eröffnet. Der Parlamentarische Staatssekretär Plappermann müsste die umstrittene Aussage also als Abgeordneter im Bundestag getätigt haben. Auf den ersten Blick ist diese Voraussetzung erfüllt: Plappermann ist als Parlamentarischer Staatssekretär notwendigerweise Abgeordneter.

Anmerkung: Siehe hierzu § 1 Abs. 1 Halbsatz 2 ParlStG: Eine Ausnahme ist nur möglich bei Parlamentarischen Staatsekretären im Bundeskanzleramt.

Die Äußerung, durch die sich Piätsch in seinen Rechten verletzt fühlt, hat Plappermann auch im Bundestag getan. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Plappermann sich nicht als Abgeordneter, sondern als Parlamentarischer Staatssekretär äußerte. In dieser Eigenschaft ist er zwar nicht Angehöriger der Bundesregierung (arg. Art. 62 GG), aber er ist ein im Regierungsbereich angesiedelter Vertreter und Gehilfe eines Bundesministers (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung: Vertretung im Parlament), so dass er sich bei Beantwortung der Kleinen Anfrage als Angehöriger der Exekutive geäußert hat. Die beiden Funktionen – Abgeordneter und Ministervertreter – lassen sich auch ohne weiteres trennen, so dass keine Bedenken bestehen, sie rechtlich unterschiedlich zu behandeln.[8] Im Übrigen wird Plappermann hier nicht persönlich zur Verantwortung gezogen oder gerichtlich in Anspruch genommen, sondern sein Verhalten ist Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde, die nicht als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet ist,[9] so dass Plappermann an diesem Verfahren nicht selbst beteiligt ist und Art. 46 Abs. 1 GG jedenfalls nicht unmittelbar angewendet werden kann.

In der Literatur wird z.T. jedoch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf sämtliche Reden im Parlament angenommen, weil Art. 46 Abs. 1 GG generell dem Schutz der parlamentarischen Redefreiheit diene.[10] Damit soll zum einen die freie Willensbildung, zum anderen die Information der Öffentlichkeit gewährleistet werden. Dies ließe sich, so wird argumentiert, nur erreichen, wenn alle an der parlamentarischen Erörterung Beteiligten (Abgeordnete, Minister, Staatssekretäre) sicher sein könnten, dass sie nicht für eine Äußerung juristisch zur Verantwortung gezogen würden.[11] Diese Argumentation klingt einleuchtend, nur lässt sie sich mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht in Einklang bringen. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass es heute angebracht sei, einen umfassenden Schutz für parlamentarische Äußerungen zu begründen, damit nicht aus Furcht vor juristischen Konsequenzen wichtige Informationen unausgesprochen bleiben, stellt doch Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG eindeutig allein auf den Abgeordneten ab. Eine erweiternde Auslegung, die Minister und Staatssekretäre einbezöge, würde contra legem erfolgen. Im Übrigen könnte selbst eine analoge Anwendung der Bestimmung nicht darüber hinweghelfen, dass hier ein persönliches Privileg des sich Äußernden statuiert ist. Eine Ausweitung dieses Privilegs auf Regierungsakte mit der Folge, diese schlechthin der gerichtlichen Überprüfung zu entziehen, lässt sich mit Auslegung wohl nicht mehr begründen.

4. Ergebnis zu II

Dementsprechend ist sowohl die Entscheidung des BVerwG als auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage gegenüber dem Bundestag als "Akt der öffentlichen Gewalt" und damit als tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde anzusehen.

III. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")

Piätsch muss behaupten können, durch die angegriffenen Akte der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten verletzt zu sein.

1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch die Äußerung Plappermanns

Die Äußerung Plappermanns könnte Piätsch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. Jedoch ist fraglich, ob sie hierzu überhaupt geeignet ist, da es ihr insoweit an einer Rechtswirkung gerade gegenüber Piätsch fehlen könnte. Ein Verhalten, das keine Rechtswirkungen auslösen kann, kann aber auch keine (Grund-)Rechte verletzen, so dass es insoweit an einer Beschwerdebefugnis fehlt.[12] Bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage im Bundestag könnte es sich dementsprechend um einen rein parlamentsinternen Vorgang ohne rechtliche Außenwirkung handeln, durch den Rechte Piätschs von vornherein nicht beeinträchtigt werden können.[13] Dem steht jedoch entgegen, dass Art. 1 Abs. 3 GG die öffentliche Gewalt umfassend an die Grundrechte bindet und damit weder für Regierungsakte allgemein noch für parlamentarische Vorgänge eine Ausnahme zulässt. Auch faktisch lässt sich die Außenwirkung einer in öffentlicher Parlamentssitzung erfolgten Äußerung nicht leugnen, zumindest, wenn – wie hier – eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerügt wird.[14] Somit steht die Berufung auf die parlamentarische Natur der Äußerung der Annahme einer Grundrechtsbeeinträchtigung ebenso wenig entgegen wie etwa die Erwägung, es handele sich um einen politischen Akt, weil der politische Charakter einer Maßnahme nicht geeignet ist, eine Grundrechtsverletzung auszuschließen. Die durch die Äußerung Plappermanns mögliche Grundrechtsverletzung trifft Piätsch auch selbst, unmittelbar und zudem gegenwärtig: Sie liegt zwar schon einige Zeit zurück, dauert aber an, solange die Bundesrepublik Deutschland den Bestechungsvorwurf nicht widerruft und dadurch die Ehre von Piätsch wiederherstellt.[15]

2. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung des BVerwG

Fraglich ist, inwieweit die Entscheidung des BVerwG Grundrechte Piätschs verletzen kann. Da es den Rechtsweg gegen die Äußerung Plappermanns von vornherein nicht für eröffnet hielt, hat es selbst zu der Behauptung Plappermanns nicht Stellung genommen und sich damit auch etwaige Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch diese Äußerung nicht zu eigen gemacht. Jedoch kann Piätsch eine selbständige Grundrechtsverletzung durch das BVerwG rügen, nämlich eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, da das BVerwG den Rechtsweg gegen die Äußerung Plappermanns schlechthin (und nicht nur zu den Verwaltungsgerichten) nicht für gegeben hielt. Insoweit ist Piätsch auch gegenüber der Entscheidung des BVerwG beschwerdebefugt.

3. Ergebnis zu III

Damit ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass Piätsch durch die Äußerung Plappermanns und die Entscheidung des BVerwG in seinen Grundrechten verletzt ist, so dass er auch beschwerdebefugt ist.

IV. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und "Subsidiarität"

Piätsch hat im vorliegenden Fall den Verwaltungsrechtsweg bis hin zum BVerwG beschritten, so dass der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft ist. Piätsch kann auch nicht vorgeworfen werden, wegen der geltend gemachten Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG durch das BVerwG keine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO erhoben zu haben.

Zwar gehört auch die Erhebung der Anhörungsrüge zum "Rechtsweg" i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfG.[16] Jedoch wäre eine derartige Anhörungsrüge auch gegen die Entscheidung des BVerwG nicht statthaft gewesen: Mittels der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO können nur Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG gerügt werden (die hier nicht erkennbar sind), nicht aber die Verletzung anderer (Prozess-)Grundrechte (vgl. BVerfG, 2 BvR 2101/09 v. 9. 11. 2010, Abs. 29 ff. = NJW 2011, 2417; BVerfG, 1 BvR 3007/07 v. 28. 4. 2011, Abs. 17 = NJW 2011, 2276).

Es ist auch keine weitere sonstige Möglichkeit erkennbar, wie Piätsch, außer durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde, sein Recht noch durchsetzen könnte, so dass der Verfassungsbeschwerde auch nicht der Grundsatz ihrer "Subsidiarität" entgegensteht.

Anmerkung: Nach dem - vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG "gefundenen" - Grundsatz der "Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" (hierzu allgemein Peters/Markus, JuS 2013, 887 ff.)   hat der Beschwerdeführer neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen (Sperlich, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 90 Rn. 127).


V. Form und Frist (§§ 23, 92, 93 BVerfGG)

Die Verfassungsbeschwerde müsste unter Beachtung der Form des § 23 Abs. 1 BVerfGG innerhalb der Frist des § 93 BVerfGG (1 Monat) eingelegt werden: Dabei bewirkt § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, dass die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG – anders als der Wortlaut dies nahe legt – erst mit Zustellung, Verkündung oder Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung zu laufen beginnt, so dass – auch für die Verfassungsbeschwerde gegen die Äußerung Plappermanns – die Frist erst mit Verkündung der Entscheidung des BVerwG beginnt.[17] Gemäß § 92 BVerfGG muss der Beschwerdeführer in der Begründung das vermeintlich verletzte Recht und die angegriffene Entscheidung bezeichnen.

VI. Ergebnis zu A

Werden die o.g. Frist- und Formerfordernisse beachtet, ist die Verfassungsbeschwerde insgesamt zulässig.

B) Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Äußerung Plappermanns und die Entscheidung des BVerwG Grundrechte Piätschs verletzen. Dies ist der Fall, wenn sie in den Schutzbereich seiner Grundrechte eingreifen, ohne durch deren Schranken gedeckt zu sein.

I. Grundrechtsverletzung durch die Äußerung Plappermanns

Piätschkönnte durch die wahrheitswidrige Äußerung Plappermanns in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt worden sein, aus dem das Recht Piätschs auf Respekt seiner persönlichen Ehre abzuleiten ist.[18]

Anmerkung: Vgl. zum Verhältnis zwischen der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit und dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht z.B. Pieroth/Schlink, Rn. 391 ff.

Eine solche Rechtsverletzung ist nach dem oben Gesagten (A III 1) nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich um einen parlamentsinternen Vorgang handelt. In das Recht auf Ehre Piätschs ist auch durch die wahrheitswidrige Äußerung Plappermanns eingegriffen worden, ohne dass insoweit eine gesetzliche Rechtfertigung ersichtlich wäre:

Anmerkung: Siehe zu Fällen, in denen eine Ehrverletzung gerechtfertigt sein kann, den Peepshow-Fall.

Die Regierung ist auch bei Beantwortung parlamentarischer Anfragen an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebunden. Hieraus – und auch aus dem Sinn und Zweck parlamentarischer Anfragen als Kontrollinstrumente des Parlaments gegenüber der Regierung – ergibt sich, dass die Regierung parlamentarische Anfragen wahrheitsgemäß beantworten muss.[19] Hiergegen hat Plappermann verstoßen. Dass Plappermann von der Richtigkeit seiner Ausführungen überzeugt war, ändert hieran nichts. Ein Fall der Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. § 193 StGB) liegt nicht vor, da es hier nicht um Werturteile, sondern um Tatsachenbehauptungen geht, die – wenn sie geeignet sind, einen anderen verächtlich zu machen – erweislich wahr sein müssen, um nicht rechtswidrig zu sein (vgl. § 187 StGB).

Dementsprechend ist der Eingriff in das Recht der persönlichen Ehre nicht durch eine Grundrechtsschranke gedeckt, so dass die Verfassungsbeschwerde gegen die Äußerung Plappermanns begründet ist.

II. Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung des BVerwG

Die Abweisung der Klage Piätschs durch das BVerwG könnte gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen. Eine solche Verletzung kann im vorliegenden Fall nicht auf der Anwendung verfassungswidrigen Rechts beruhen, sondern allein darauf, dass das BVerwG bei Anwendung des Verwaltungsprozessrechts die Bedeutung und Reichweite des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verkannt hat, also in Auslegung des Verwaltungsprozessrechts einen Rechtssatz aufgestellt hat, der – wäre er vom Gesetzgeber erlassen worden – wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG verfassungswidrig wäre. Diese Grundrechtsverletzung könnte darin bestehen, dass das Gericht dem Betroffenen jeglichen Rechtsschutz gegen die Äußerung eines Parlamentarischen Staatssekretärs aufgrund der Annahme verwehrt, diese Maßnahme sei jeglicher Überprüfung durch die Gerichte entzogen oder unterfalle der Indemnität.

Rechtsschutz gegen die Äußerung ist freilich nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur garantiert, wenn es sich um eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Vorschrift handelt. Die Äußerung Plappermanns ist zwar kein Verwaltungsakt, aber eine Maßnahme schlicht-hoheitlicher Natur. Plappermann hat auch nicht als Privatmann gehandelt, sondern als Organwalter für die Bundesrepublik Deutschland, so dass eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt vorliegt. Teilweise wird Art. 19 Abs. 4 GG jedoch insoweit restriktiv ausgelegt, als Regierungsakte – zu denen die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zu zählen sei, als justizfreie Hoheitsakte jeglicher gerichtlichen Kontrolle entzogen sein sollen. Diese Ansicht ist aber aus denselben Gründen abzulehnen, mit denen bereits oben (siehe oben A II 2) abgelehnt wurde, dass solche Maßnahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle im Wege der Verfassungsbeschwerde entzogen seien. Ein Akt "öffentlicher Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG lag somit vor.

Somit war der Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffnet, was das BVerwG verkannt hat. Hierdurch wurde auch in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eingegriffen, da das BVerwG Piätsch Rechtsschutz gegen die Äußerung Plappermanns verweigert hat. Dieser Eingriff ließ sich auch nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen: Nach dem oben Gesagten stand nämlich auch Art. 46 Abs. 1 GG einer Klage Piätschs nicht entgegen, da sich Plappermann einerseits nicht als Abgeordneter im Bundestag geäußert hat und es andererseits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren um einen Widerspruchsanspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ging, Plappermann also nicht persönlich in Anspruch genommen wurde (s.o. A II 3).

Dementsprechend hat die Entscheidung des BVerwG Piätschs Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

III. Ergebnis zu B

Sowohl die Äußerung Plappermanns wie die Entscheidung des BVerwG verletzt Piätsch somit in seinen Grundrechten, so dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt begründet ist.

C) Ergebnis

Eine Verfassungsbeschwerde Piätschs wäre daher sowohl gegen die Äußerung Plappermanns als auch gegen das Urteil des BVerwG zulässig und begründet und hätte damit Aussicht auf Erfolg.

Das BVerfG wird gem. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG feststellen, dass die Äußerung Plappermanns Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und das Urteil des BVerwG Art. 19 Abs. 4 GG verletzt hat. Jedoch kommt gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG nur eine Aufhebung der Entscheidung des BVerwG in Betracht, da die Äußerung Plappermanns als bloßer Realakt nicht sinnvoll "aufgehoben" werden kann: Von ihm gehen zwar noch faktische, nicht aber durch die Aufhebung der Entscheidung vernichtbare Rechtswirkungen aus. Darüber hinaus wird das BVerfG die Sache zur erneuten Entscheidung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG an das BVerwG zurückverweisen, da es nicht selbst den von Piätsch ursprünglich begehrten Rechtsfolgenausspruch – Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland zum Widerruf der Äußerung Plappermanns – aussprechen kann: Ein Verpflichtungsausspruch ist im BVerfGG nicht vorgesehen.[20]


hierzu die Gerichtsentscheidungen, der der Fall nachgebildet ist: VGH Kassel, II OE 59/67 v. 6.3.1968 = DÖV 1968, 574 ff.; OVG Münster, II A 16/65 v. 4.1.1966 = DÖV 1967, 571; VG Köln, 1 K 2078/62 v. 24.9.1964 = DVBl. 1965, 882 ff.;

•          weitere Gerichtsentscheidungen zur Abgrenzung von Regierung und Verwaltung und zur "Jusitzfreiheit" von Regierungsakten aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik: BVerwG, 7 C 6.62 v. 12.10.1962 = BVerwGE 15, 63 ff.; VGH Freiburg, 13/53 v. 15.2.1954 = DÖV 1954, 375 ff.; OVG Münster, VII B 682/58 v. 23.9.1958 = DVBl. 1959, 294 f.

•          aus der Literatur zur Frage jusitzfreier Hoheitsakte: Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 306 ff. (Bearbeitung 2009).

•          vgl. auch die Fallbearbeitung bei Kisker/Höfling, Fälle zum Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl. 1996, S. 30 ff.


[1] Vgl. U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 406.

[2] BVerwGE 15, 63, 65; VGH Freiburg DÖV 1954, 375, 376; VGH Kassel, II OE 59/67 v. 6.3.1968 = DÖV 1968, 574, 576; OVG Münster DVBl. 1959, 294 f.; OVG Münster DÖV 1967, 571 f.; VG Köln DVBl. 1965, 882, 885; von Mangoldt/Klein, Art. 19 Anm. VII 6 b.

[3]  Siehe hierzu Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 220 [Bearbeitung 2009]; Stern II, S. 685 ff.

[4] So OVG Münster DÖV 1967, 571 f.

[5] Vgl. VGH Kassel, II OE 59/67 v. 6.3.1968 = DÖV 1968, 574, 576; Schenke, in: Bonner Kommentar, 2009, Art. 19 Abs. 4 Rn. 307 a.E.

[6] Siehe zum folgenden Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 309 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürg, Art. 19 Abs. 4 Rn. 81 ff. [Bearbeitung 2003]; M. Schröder, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 106 Rn. 14; Stern II, S. 691 f.; jeweils m.w.N.

[7] Siehe hierzu Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 1 Rn. 186 ff.

[8] OVG Münster DÖV 1967, 571, 572 f.

[9] Hierzu Benda/Klein, Rn. 468 f.

[10] Siehe hierzu Magiera, in: Bonner Kommentar, Art. 46 Rn. 31 m.w.N. [Bearbeitung 1981].

[11] So Arndt DVBl. 1965, 954; Helle, NJW 1961, 1896, 1900.

[12] Pestalozza, § 12 Rn. 34; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 93 Rn. 500 ff. [Bearbeitung 1982].

[13] So VG Köln DVBl. 1965, 882, 883.

[14] OVG Münster DÖV 1967, 571, 574; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 93 Rn. 502 [Bearbeitung 1982].

[15] Vgl. BVerwGE 38, 336, 345 f.; BVerwGE 59, 319, 325 f.

[16] BVerfG, 1 BvR 848/07 v. 25. 11. 2008, Abs. 30 = BVerfGE 122, 190, 198.

[17] U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 410.

[18] BVerfGE 54, 208, 217.

[19] OVG Münster DÖV 1967, 571, 573.

[20] Stark, in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 95 Rn. 68.

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jan-Peter Wiepert

Stand der Bearbeitung: Oktober 2014


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