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Wolfsgehege (Lösungsvorschlag)

Die Klage des Brückmann gegen die Baugenehmigung hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

 

A. Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO gegeben sind.

 

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

 

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40 VwGO)

Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist nicht einschlägig. Der Verwaltungsrechtsweg ist grundsätzlich eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Vorliegend sind insbesondere die öffentlich-rechtlichen Normen der §§ 29 ff. BauGB für die Streitentscheidung maßgeblich, die auf der einen Seite lediglich Träger öffentlicher Gewalt berechtigen und verpflichten, so dass insgesamt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt und der Verwaltungsrechtsweg somit eröffnet ist. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht gegeben.

 

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich bei verständiger Würdigung der Rechtslage darstellt (§ 88 VwGO). Es ist also das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln.[1] Brückmann will hier gegen die vom Bezirksamt Mitte erteilte Baugenehmigung vorgehen (nicht gegen die tatsächliche Errichtung des Wolfsgeheges durch die Zoologischer Garten Berlin AG). Da es sich bei der angegriffenen Baugenehmigung nach § 60 Abs. 1 BauO Bln um einen Verwaltungsakt i. S. d. des § 35 S. 1 VwVfG handelt,[2] wird diesem Begehren die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gerecht, Die Anfechtungsklage ist somit die statthafte Klageart.

 

 

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktcharakter der Baugenehmigung ausführlich: Lindner/Struzina, JuS 2016, 226.

 

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO müsste Brückmann geltend machen können, durch die der Zoologischer Garten Berlin AG erteilte Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt zu sein.

 

1. Mögliche Verletzung drittschützender Vorschriften

Es muss die Möglichkeit bestehen, dass Brückmann in seinen Rechten verletzt wurde. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die der Zoo AG erteilte Baugenehmigung rechtswidrig ist, sondern nur dann und soweit, wie die Baugenehmigung gerade wegen eines Verstoßes gegen solche Vorschriften rechtswidrig ist, die zumindest auch Brückmann schützen sollen.

 

Anmerkung: Grob falsch wäre es daher bei diesem Drittanfechtungsfall, bezüglich der Klagebefugnis auf die Adressatentheorie zurückzugreifen. Siehe hierzu diesen Hinweis.

 

Nach der herrschenden Schutznormtheorie muss die Norm, um drittschützend in diesem Sinne zu sein, zumindest auch dem Schutz der Interessen des Antragstellers dienen. Insoweit kommen vorliegend als möglicherweise verletzte drittschützende Normen nur solche des Bauplanungsrechts nach den §§ 29 ff. BauGB in Betracht. Bei dem Bau des Wolfsgeheges, das eine erhebliche Größe aufweist und dessen späterer Betrieb mit Emissionen einhergeht, handelt es sich um ein Vorhaben, das erhebliche „bodenrechtliche“ bzw. „städtebauliche“ Relevanz aufweist, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet sind, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.[3] Diese §§ 29 ff. BauGB sind demnach auch grundsätzlich anwendbar, Da das Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Tiergarten West“ verwirklicht werden soll, der sowohl Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung enthält, richtet sich seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 1 BauGB.

 

a) Drittschützende Wirkungen der Bebauungsplanfestsetzungen

Die in § 30 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a Nr. 1 lit. a BauGB i. V. m. den Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung im BebauungsplanTiergarten West“ getroffenen Festsetzungen zielen auf den Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte und verbinden damit die Nachbarn zu einer Opfer- und Nutzungsgemeinschaft bzw. einer bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft i.S. eines „Austauschverhältnisses“.[4] Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können.[5] Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass sich das Grundstück Brückmanns zwar im Geltungsbereich desselben Bebauungsplans „Tiergarten West“ befindet, nicht jedoch in demselben Baugebiet. Vielmehr ist für das Zoogrundstück ein Sondergebiet „Zoo“ festgesetzt worden, während sich Brückmanns Grundstück in einem (benachbarten) Gebiet befindet, das als „reines Wohngebiet“ ausgewiesen ist. Nach Auffassung der Rechtsprechung wirkt die nachbarschützende Wirkung jedoch grundsätzlich nicht über das jeweilige Baugebiet hinaus. Es bestehe grundsätzlich kein für ein Plangebiet typisches wechselseitiges Verhältnis zwischen Grundstücken, die in unterschiedlichen, wenn auch benachbarten Plangebieten liegen, da sie eben nicht in einem Plangebiet zu einer bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen werden. Daher fehle es an dem spezifischen bauplanungsrechtlichen Grund, auf dem der nachbarschützende – von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige – Gebietserhaltungsanspruch als Abwehrrecht beruhe.[6]

Ein gebietsübergreifender Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet – unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen – lässt sich daher allenfalls dann rechtfertigen, wenn der Wille des Satzungsgebers erkennbar wurde, dass Gebietsausweisungen auch dem Schutz der jenseits der Gebietsgrenze liegenden Bebauung dienen sollen.[7] Es müssen sich daher im Rahmen einer einzelfallbezogenen Auslegung des Bebauungsplanes Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Plangeber außerhalb des Plangebiets bestehende Belange nicht nur in die planerische Abwägung einbeziehen, sondern darüber hinaus selbstständig durchsetzbare subjektive Rechte schaffen wollte.[8] Maßgeblich ist insoweit der Wille des Plangebers, der sich in dem Bebauungsplan, der zugehörigen Begründung oder sonstigen amtlichen Verlautbarungen objektiviert hat. Es muss letztlich eine baugebietsübergreifende „konzeptionelle Wechselbezüglichkeit“ der Grundstücksnutzungen bestehen.[9] Vorliegend wurde die Nachbarschaft des Sondergebiets „Zoo“ zu dem „reinen Wohngebiet“ gerade mit dem jeweiligen Ruhebedürfnis beider Nutzungsarten, das sich dementsprechend gut ergänze, begründet. Daher besteht hier ausnahmsweise ein baugebietsüberschreitender „Gebietserhaltungsanspruch“ der Nachbarn, sodass den Festsetzungen des Bebauungsplans drittschützende Wirkung zukommt. Sie sind möglicherweise verletzt worden.

 

b) Drittschützende Wirkung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO

Ferner könnten möglicherweise auch § 30 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a Nr. 1 lit. a BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO, verletzt sein, da § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO – auch im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans[10] – im Einzelfall eine Prüfung bezüglich der Frage verlangt, ob ein grundsätzlich zulässiges Vorhaben aufgrund der konkreten Verhältnisse unzumutbare Belästigungen oder Störungen im Baugebiet oder in dessen Umgebung verursacht. Das Wort „unzumutbar“ macht deutlich, dass in dieser Norm das baurechtliche Rücksichtnahmegebot verankert ist; die Norm hat also partiell drittschützenden Charakter. Da Brückmann unmittelbarer Grundstücksnachbar zu dem geplanten Vorhaben ist, ist eine Verletzung seines subjektiv-öffentlichen Rechts aus § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO möglich und nicht von vornherein ausgeschlossen.

 

c) Zwischenergebnis

Brückmann kann daher sowohl im Hinblick auf die Einhaltung der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung des Sondergebiets „Zoo“ als auch im Hinblick auf das baurechtliche Rücksichtnahmegebot geltend machen, dass ihn die erteilte Baugenehmigung möglicherweise in seinen Rechten verletzt.

 

2. Keine Einwendungspräklusion nach § 70 Abs. 1 S. 3 BauO Bln

Unabhängig von der Frage der Reichweite und Anwendbarkeit des neugeschaffenen § 70 Abs. 1 S. 3 BauO Bln auf den vorliegenden Sachverhalt, ist bereits durch die Bauaufsichtsbehörde vorliegend das entsprechende Verfahren angewandt worden. Somit ist Brückmann mit seinen Einwendungen jedenfalls nicht präkludiert.

 

3. Zwischenergebnis

Brückmann ist daher klagebefugt, soweit er eine Verletzung drittschützender Bebauungsplanfestsetzungen und des baurechtlichen Rücksichtsnahmegebots geltend macht.

 

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Das gemäß § 68 Abs. 1 VwGO erforderliche Vorverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt.

 

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen das Land Berlin zu richten.

 

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung des § 78 VwGO diesen Hinweis.

 

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§ 61 f. VwGO)

Brückmann ist gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO, das Land Berlin gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig.

 

Das Land Berlin handelt im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO durch seine gesetzlichen Vertreter.

 

Anmerkung: Siehe zum Behördenbegriff des § 61 Nr. 3 VwGO diesen Hinweis.

 

VII. Notwendige Beiladung (§ 65 VwGO)

Da die beantragte Aufhebung der Baugenehmigung die Zoologischer Garten Berlin AG als Betreiber des Zoos unmittelbar betrifft, muss sie nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendigerweise zu dem Verfahren beigeladen werden, ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig und handelt im Prozess gemäß § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter.

 

VIII. Ergebnis zu A.

Die Klage wurde zudem form- und fristgerecht (§§ 74, 81 f. VwGO) erhoben und ist daher insgesamt zulässig.

 

 

B. Begründetheit

Die Klage ist gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, soweit die Baugenehmigung rechtswidrig ist und Brückmann dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Dies ist nur möglich, wenn die erteilte Baugenehmigung Normen verletzt, die gerade die Interessen Brückmanns schützen sollen, so dass sich die Prüfung auf die Frage der Vereinbarkeit des Vorhabens mit solchen Vorschriften beschränken kann. Dabei muss Ausgangspunkt sein, dass nach § 71 Abs. 1 BauO Bln die Baugenehmigung zu erteilen ist, wenn ihr keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtsrechtlichen Verfahrens zu prüfen sind. Insoweit kommt nach dem bisher Gesagten nur eine Verletzung drittschützender „Elemente“ des § 30 Abs. 1 BauGB in Betracht (s.o. A.III), die Gegenstand der Prüfung jedes Baugenehmigungsverfahrens sind (vgl. §§ 63 S. 1 Nr. 1, 64 S. 1 Nr. 1 BauO Bln).

 

Anmerkung: Bei dem hier vorliegenden Fall einer Drittanfechtungsklage ist also der angegriffene Verwaltungsakt nicht insgesamt auf seine Rechtswidrigkeit hin zu überprüfen, sondern nur insoweit, als es um die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des klagenden Dritten geht.[11] Daher ist hier deshalb weder auf die Frage einzugehen, ob gegenüber dem Bauherrn das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, noch etwa darauf, ob das Vorhaben überhaupt i. S. d. §§ 61, 62 und 77 BauO Bln genehmigungsbedürftig ist (hier wäre zu diskutieren, ob das Errichten eines Wolfsgeheges die Errichtung oder Änderung eines Sonderbaus darstellt; dazu Beschluss des OVG Sachsen, 1 B 388/09, v. 10.09.2009 (Erdmännchenanlage)). Siehe hierzu auch den „Seniorenresidenz“-Fall. Allgemein zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts siehe diesen Hinweis.

 

I. Überschreitung der zulässigen Art der baulichen Nutzung?

Die Baugenehmigung für das Wolfsgehege könnte gegen §§ 30 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1, 9a Nr. 1 lit. a BauGB, § 1 Abs. 3 S. 1 BauNVO verstoßen, wenn sie ein Vorhaben genehmigte, das seiner Art nach in dem festgesetzten Plangebiet nicht zulässig wäre. Da die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung im konkreten Fall auch baugebietsübergreifend drittschützend sind, käme insoweit auch eine Verletzung von Brückmanns Rechten in Betracht.

 

Anmerkung: Aufgrund der Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der Bebauungsplan wirksam ist, so dass sich eine Überprüfung des Bebauungsplans erübrigt. Siehe allgemein zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bebauungsplans diesen Hinweis.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt der Bebauungsplan „Tiergarten West“ entsprechend der aufgrund des § 9a Nr. 1 lit. a BauGB ergangenen Baunutzungsverordnung hinsichtlich des Plangebietes, auf dem sich Brückmanns Grundstück befindet, ein reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO fest. In einem solchen Gebiet könnte ein Wolfsgehege allenfalls als Nebenanlage i. S. d. § 14 BauNVO zulässig sein. Zu diesen gehören aber nach § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO nur solche der Kleintierhaltung und auch dies nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet und und ungefährlich sind und den Rahmen der für die Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nach Art und Anzahl der Tiere nicht sprengen.[12]

 

Dies könnte jedoch im vorliegenden Fall ohnehin nicht entscheidend sein. Das geplante Wolfsgehege soll nämlich nicht im Wohngebiet selbst, sondern auf den Zoogrundstücken errichtet werden, bezüglich derer der Bebauungsplan ein Sondergebiet „Zoo“ festsetzt. Da ein Zoogebiet (auch wenn der Besuch eines Zoos für viele der Erholung dienen mag) mit den in § 10 BauNVO – allerdings nicht abschließend – aufgezählten Nutzungsarten nicht vergleichbar ist und zoologische Gärten auch nicht ausschließlich der Erholung, sondern darüber hinaus der Züchtung, Forschung und Bildung dienen, handelt es sich bei diesen um ein Sondergebiet i. S. d. § 11 BauNVO. Dementsprechend bestimmt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 BauNVO nach den Festsetzungen im Bebauungsplan, der hier die Errichtung von Käfigen, Zwingern, Schuppen und Freiluftgehegen gerade zulässt. 

 

Somit verstößt das Vorhaben nicht gegen die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplan, so dass insoweit auch eine Verletzung von Brückmanns Rechten nicht in Betracht kommt.

 

II. Verstoß gegen § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO?

Eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Brückmann könnte sich aber aus einem Verstoß gegen das in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO normierte – grundsätzlich drittschützende (s.o. A.III) –   Gebot der Rücksichtnahme ergeben. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO ist insoweit als Beschränkung der nach den §§ 2 ff. BauNVO zulässigen Nutzungsarten zu verstehen, obwohl diese Vorschrift nicht ausdrücklich in § 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO genannt ist. Da § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO für die Frage der Unzumutbarkeit nicht nur auf die Belästigungen und Störungen innerhalb des betroffenen Baugebietes (hier dem Zoogebiet), sondern auch auf dessen Umgebung abstellt, kann Brückmann als Zoonachbar ebenfalls aus § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO Rechte gegen das Vorhaben herleiten, allerdings nur dann, wenn das Vorhaben gerade für ihn unzumutbar ist. Eine eventuelle Unzumutbarkeit für die sonstige Umgebung hat also außer Betracht zu bleiben. Eine Verletzung von Brückmanns Rechten ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn eine Abwägung zwischen den Interessen des Brückmann und denen des Zoobetreibers ergibt, dass das Wolfshaus an dem geplanten Standort durch die von ihm ausgehenden Belästigungen gerade für Brückmann unzumutbar ist.[13]

 

1. Generelle Unzumutbarkeit der Tierhaltung neben reinem Wohngebiet

Bei der Anwendung des § 15 BauNVO im Anwendungsbereich eines (wirksamen) qualifizierten Bebauungsplans ist zu berücksichtigen, dass in Bezug auf die betroffenen Grundstücke die Abwägung der widerstreitenden Belange schon bei der Aufstellung des Bebauungsplans mit der Festsetzung der einzelnen in der BauNVO vorgesehenen Baugebiete stattgefunden hat, die Unzulässigkeit einer bestimmten Nutzungsart also nicht mit allgemeinen Erwägungen, sondern nur ganz konkret bezogen auf das in Frage stehende Vorhaben begründet werden kann. Es ist m.a.W. ausgeschlossen, unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme an sich nach der BauNVO zulässige Nutzungsarten generell für unzulässig zu erklären. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt sich hier nicht schon daraus, dass Tierhaltung neben einem reinen Wohngebiet generell störend wirken kann. Da im Zoogebiet ausweislich des Bebauungsplans Tierhaltung grundsätzlich zulässig ist, kann sich somit im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO allenfalls daraus ergeben, dass gerade das Halten von Wölfen an der Zoogrenze für Brückmann unzumutbar wäre.

 

2. Unzumutbarkeit von Raubtiergehegen an der Grundstücksgrenze

Die Unzumutbarkeit des Vorhabens könnte sich demnach daraus ergeben, dass das Wolfshaus an der Grenze zu einem Wohngebiet errichtet werden soll und der dort wohnende Brückmann durch das Wissen um gefährliche Tiere in seiner Nähe (und die Gefahr ihres Ausbruchs) einem unerträglichen psychischen Druck ausgesetzt wird. So sind beispielsweise unter diesem Aspekt das private Halten von Löwen bzw. Geparden auf einem Grundstück innerhalb eines Wohngebiets als für die Nachbarschaft unzumutbar angesehen worden.[14] Hier geht es jedoch nicht um die private Haltung von Wölfen, sondern um deren Unterbringung in einem Zoo, in dem sie sicher eingefriedet sind. Insoweit kann nicht von einem erheblichen psychischen Druck durch die Anwesenheit der Wölfe in der Nähe gesprochen werden. Zusätzlich muss bei der Abwägung berücksichtigt werden, dass im Zeitpunkt der Errichtung des Wohnhauses Brückmanns der Zoo bereits lange bestanden hat. Brückmann hat sich bewusst neben dieser legalen Belästigungsquelle angesiedelt. Hieraus folgt eine besondere Duldungspflicht Brückmanns gegenüber der Tierhaltung auf Nachbargrundstücken, die deutlich über das übliche Maß hinausgeht,[15] sodass keine Unzumutbarkeit aufgrund unerträglichen psychischen Drucks gegeben ist.

Brückmann kann sich auch nicht darauf berufen, er habe annehmen dürfen, weiter neben Enten und Störchen, Gänsen und Flamingos wohnen zu können: Er hat keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung des status quo; andernfalls würde man dem Zoo jede Entwicklungsmöglichkeit nehmen, was durch den Erlass des Bebauungsplans, welcher auf dem gesamten Zoogebiet Tierhaltung (und damit auch Raubtierhaltung) zulässt, gleichfalls abgesichert werden sollte.

Hieraus ergibt sich auch, dass die von Wölfen ausgehende Geruchsbelästigung ebenfalls nicht geeignet ist, eine Unzumutbarkeit des Vorhabens für Brückmann zu begründen, da Wölfe nach dem Sachverhalt nicht mehr stinken als die meisten sonstigen Raubtiere und ein generelles Verbot des Haltens von Raubtieren an der Zoogrenze die Entwicklungsmöglichkeiten des Zoos entgegen den Vorgaben im Bebauungsplan zu sehr eingrenzen würde.

 

3. Unzumutbarkeit wegen Wolfsgeheul

Die Unzumutbarkeit des Wolfshauses an dieser Stelle könnte aber durch die von den Wölfen ausgehende Lärmemission gegeben sein.[16] Wie im Sachverhalt dargestellt, ist das Wolfsgeheul durch seine spezifische Tonfolge und die Tonhöhe für das menschliche Gehör unangenehm und wird als äußerst störend empfunden.[17] Aber auch bei diesem Einwand muss die Situationsvorbelastung des Grundstücks des Brückmann berücksichtigt werden. Zum Zeitpunkt des Baus seines Hauses war das Wolfsgehege nur 200 m weiter entfernt so untergebracht, dass das Wolfsgeheul mit fast der gleichen Intensität zu ihm dringen konnte. Eine wesentliche Verschlechterung bringt die Umsiedlung der Wölfe für ihn daher nicht mit sich; andererseits wäre nach dem Sachverhalt mit einer Verlagerung der Wölfe in einen ganz anderen Teil des Zoos auch keine wesentliche Verbesserung verbunden. Die einzige Möglichkeit der Besserstellung Brückmanns wäre somit der völlige Verzicht des Zoos auf die Haltung von Wölfen. Diese Konsequenz würde jedoch letztlich der Festsetzung des Zoogeländes als Zoogebiet widersprechen, zumal nicht nur Wölfe, sondern auch sonstige Tiere (unangenehme) Geräusche von sich geben. Auch die Lärmbelästigung durch die Wölfe kann daher keine Unzumutbarkeit des Vorhabens für Brückmann begründen.

 

4. Ergebnis zu II

Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO wird also durch die Baugenehmigung für das Wolfshaus nicht verletzt.

 

Anmerkung: Eine andere Ansicht ist hier ebenfalls gut vertretbar. Voraussetzung für ein gutes Ergebnis ist hier – wie bei jeder Abwägung – allein die sachverhaltsbezogene Argumentation, die sich nicht in Allgemeinplätzen verlieren darf.

 

III. Ergebnis zu B

Da sonstige subjektiv-öffentliche Rechte Brückmanns, die durch die Baugenehmigung verletzt werden könnten, nicht erkennbar sind, ist die Klage unbegründet.

 

C. Gesamtergebnis

Die zulässige Klage ist unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

 

 

Siehe

 

- die Entscheidung, die als Vorbild des Falles diente: OVG Saarlouis, 2 R 349/83 v. 14.5.1986 = AS RP SL 20, 442 ff.; ähnlich der Fall: OVG Magdeburg, 2 M 151/13 v. 22.1.2014 = NVwZ-RR 2014, 417;

 

- zum "Gebietserhaltungsanspruch" des Nachbarn und seinen Grenzen: BVerwG, 4 C 28.91 v. 16.9.1993  = BVerwGE 94, 151 ff.; BVerwG, 4 B 55/07 v. 18.12.2007 = NVwZ 2008, 427 ff.; OVG Hamburg, 2 Bs 38/16 v. 9.5.2016 = NVwZ-RR 2016, 854 ff.; OVG Koblenz, 1 B 10480/13 v. 2.7.2013 = NVwZ-RR 2014, 30 ff.; VGH Mannheim, 5 S 634/16 v. 23.6.2016 = NVwZ-RR 2016, 725 ff.; OVG Münster, 8 A 2710/13 v. 28.11.2016 = BauR 2017, 1144 ff.

 

- ferner allgemein zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Raub- und Wildtiergehegen: OVG Lüneburg, 4 LA 371/08 v. 18.11.2009 = NdsVBl. 2010, 77, 78; VGH München, 21 B 81 A.1353 v. 22.6.1982 = BayVBl. 1983, 212; OVG Münster, 10 B 205/06 v. 5.5.2006 = NVwZ-RR 2006, 774 ff.; OVG Münster, 2 B 1196/13 v. 8.1.2014 = NVwZ-RR 2014, 376 ff.; VG Berlin, 13 A 152/83 v. 27.6.1983 = NJW 1984, 140 f.

 

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Fußnoten

[1] BVerfG [K], 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37.

[2] Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

[3] Vgl. Stollmann, Öff. BauR, 10. Aufl. 2015, § 13 Rn. 7 ff.; Muckel/Ogorek, Öff. BauR, 2. Aufl. 2014, § 7 Rn. 14 ff.; ausführlich Schedler, ZfBR 2016, 116, 117 ff.

[4] Siehe hierzu BVerwG, 4 C 28.91 v. 16.9.1993, Abs. 12 = BVerwGE 94, 151, 155; Brohm, § 18 Rn. 25; Muckel/Ogorek, Öff. BauR, 2. Aufl. 2014, § 10 Rn. 28.

[5] Siehe hierzu BVerwG, 4 C 28.91 v. 16.9.1993, Abs. 12 = BVerwGE 94, 151, 155; BVerwG, 4 B 55.07 v. 18.12.2007, Abs. 5 = NVwZ 2008, 427, Abs. 5; Muckel/Ogorek, § 10 Rn. 28.

[6] BVerwG, 4 B 55.07 v. 18.12.2007, Abs. 6 = NVwZ 2008, 427, Abs. 6.

[7] OVG Koblenz, 1 B 10480/13 v. 2.7.2013, Abs. 7 ff. = NVwZ-RR 2014, 30 f.; VGH Mannheim, 5 S 634/16 v. 23.6.2016, Abs. 4 f. = NVwZ-RR 2016, 725 f.

[8] OVG Münster, 8 A 2710/13 v. 28.11.2016, Abs. 13 = BauR 2017, 1144, 1145.

[9] OVG Hamburg, 2 Bs 38/16 v. 9.5.2016, Abs. 13 = NVwZ-RR 2016, 854 Abs. 13.

[10] BVerwG, 4 C 96.79 v. 5.8.1983, Abs. 20 ff. = BVerwGE 67, 334, 337; BVerwG, 4 C 14.87 v. 6.10.1989, Abs. 12 = BVerwGE 82, 343, 345.

[11] So sehr deutlich und daher lesenswert: OVG Münster, 13 A 476/08 v. 19.3.2009, Abs. 17 ff. = NVwZ 2009, 1383 f.

[12] Vgl. OVG Münster, 2 B 1196/13 v. 8.1.2014, Abs. 11 = NVwZ-RR 2014, 376, 377; VG Berlin, 13 A 152/83 v. 27.6.1983, Abs. 4 = NJW 1984, 140, 141.

[13] Vgl. zum Folgenden: OVG Saarlouis, 2 R 349/83 v. 14.5.1986, Abs. 3 ff. = AS RP SL 20, 442 ff.

[14] Vgl. OVG Lüneburg, 4 LA 371/08 v. 18.11.2009, Abs. 8 = NdsVBl. 2010, 77, 78 = DVBl. 2010, 128 f. (Leitsätze); VGH München, 21 B 81 A.1353 v. 22.6.1982, Abs. 37 ff. = BayVBl. 1983, 212.

[15] Siehe hierzu auch OVG Magdeburg, 2 M 151/13 v. 22.1.2014, Abs. 10 = NVwZ-RR 2014, 417.

[16] Vgl. auch OVG Magdeburg, 2 M 151/13 v. 22.1.2014, Abs. 10 = NVwZ-RR 2014, 417.

[17] Vgl. auch OVG Münster, 10 B 205/06 v. 5.5.2006, Abs. 21 = NVwZ-RR 2006, 774, 775.


© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Jannik Bach, Michael Feldner
Stand der Bearbeitung: Februar 2020