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Scheunenabbruch (Kurzlösung)

A) Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Streitentscheidend sind Normen des Verwaltungsvollstreckungsrechts.

=>  Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

 

II. Statthafte Klageart

Kostenbescheid ist ein Verwaltungsakt

=>  Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO

 

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

(+), Adressatentheorie

 

IV. Passive Prozessführungsbefugnis

(+, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO)

 

V. Beteiligtenfähigkeit

(+, § 61 Nr. 1 VwGO)

 

VI. Prozessfähigkeit

(+, § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VwGO)

 


VII. Ergebnis zu A)

Da auch das Vorverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO form- und fristgerecht durchgeführt und die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO eingehalten wurden, ist die Klage insgesamt zulässig.

 

B) Begründetheit

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Bescheid rechtswidrig ist und Rita Rüstig dadurch in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

 

I. Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Zahlung des Zwangsgeldes

Aufforderung zur Zahlung ist Teil der Beitreibung nach §§ 1 ff. VwVG.

Diese ist rechtmäßig, wenn sie den Voraussetzungen der §§ 1 ff. VwVG genügt.

 

1. Zuständigkeit

(+), nach § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 1, 2, 4 ASOG als Annexkompetenz zu Nr. 15 Abs. 1 ZustKat Ord, hilfsweise aus Nr. 37 Abs. 2 letzte Variante ZustKat Ord.

 

2. Rechtsnatur des Schreibens

Auf Zwangsgeldfestsetzung nach § 14 VwVG folgende Aufforderung zur Leistung.

 

3. Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids

Formelle Mängel nicht ersichtlich.

Materiell ist er rechtmäßig, wenn der in Anspruch Genommene nach § 2 VwVG tatsächlich die geforderte Leistung schuldet.

In Betracht kommt Zahlungspflicht Rita Rüstigs aus übergegangener Pflicht nach § 1967 BGB durch vorherige Pflicht ihres Mannes Rudolf Rüstig.

Dieser könnte aus § 8 Abs. 1 S. 1 VwVfG Bln i. V. m. §§ 15 Abs. 1, 11, 13, 14 VwVG des Bundes[1] ergeben.

Dazu ist rechtmäßige Festsetzung vonnöten.

Angeordnete Abbruchverfügung ist grds. vollstreckungsfähiger (sofortige Vollziehung war angeordnet) Grundverwaltungsakt.

Fraglich ist jedoch deren Wirksamkeit.

 

a) Notwendigkeit der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes?

Zwar unterscheidet man generell zwischen dem Vorliegen eines VA und dessen Wirksamkeit.

Jedoch muss ein gegenüber einem Adressaten unwirksamer VA durch diesen grds. nicht beachtet werden. Daher ist Wirksamkeit für Vollstreckung (jedenfalls im „gestreckten“ Verfahren) vonnöten.

 

b) Wirksamwerden der Abrissverfügung gegenüber Rudolf Rüstig?

Maßgeblich grds.: § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG u. § 41 VwVfG.

Hier: Zustellung gewählt, die nach § 41 Abs. 5 VwVfG als besondere Bekanntgabeform die allgemeinen Vorschriften verdrängt.

Daher nach § 7 VwVfG[2] maßgeblich: VwZG des Bundes (insb. ist gemäß § 1 Abs. 2 VwZG dessen Anwendungsbereich eröffnet).

 

aa) Vorliegen der formellen Zustellungsvoraussetzungen?

Zustellung in der Form der Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis.

Problem: Dokument wurde nicht dem Adressaten übergeben.

Ersatzzustellung nach § 5 Abs. 2 S. 1 VwZG i.V.m. § 178 ZPO?

Grundsätzlich möglich, insbesondere auch Fall der „geistigen“ Abwesenheit erfasst.

 

bb) Rudolf Rüstig als richtiger Bekanntgabeadressat?

Aber: Zustellung wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 VwZG unwirksam?

Aufgrund der Geschäftsunfähigkeit des Rudolf Rüstig hätte nach § 104 BGB an seinen gesetzlichen Vertreter zugestellt werden müssen (§ 6 Abs. 1 VwZG).

Ehefrau ist nicht gesetzliche Vertreterin.

 

cc)Heilung nach § 8 VwZG?

Möglicherweise Heilung nach § 8 VwZG durch Entgegennahme durch Rita Rüstig.

Diese ist aber weder gesetzliche Vertreterin noch durch ihren Ehemann bevollmächtigt.

=>  Keine Heilung nach § 8 VwZG

 

dd)Besonderheiten im Gefahrenabwehrrecht?

Möglicherweise besteht ein Bedürfnis, Zustellungen von Verwaltungsakten im Gefahrenabwehrbereich über § 6 Abs. 1 VwZG hinaus.

Jedoch besteht zum einen die Möglichkeit, nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG durch das Betreuungsgericht einen gesetzlichen Vertreter bestellen zu lassen. Zum anderen kann auch ein Geschäftsunfähiger Störer im Wege des Sofortvollzugs ohne vorherigen Grundverwaltungsakt in Anspruch genommen werden, sodass kein Bedürfnis für eine Ausnahme vom Grundsatz im Gefahrenabwehrrecht besteht.

 

ee) Heilung durch Tod des Rudolf Rüstig?

Parallelität des Todesfalls zum Fall der nachträglich erteilten Vollmacht? Abzulehnen, weil die Erbschaft gerade keinen Fall der Stellvertretung darstellt und durch Todesfall keine Zustellung an Erblasser mehr möglich ist.

 

ff) Ergebnis zu b)

Bescheid nicht zugestellt, Abrissverfügung mithin nicht bekanntgegeben und somit nicht wirksam geworden.

 

c)Ergebnis zu 3.

Verpflichtung zur Zahlung des Zwangsgeldes ausgeschlossen; Leistungsbescheid ist rechtswidrig.

 

4. Sofortiger Vollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG?

Vollstreckung konnte auch nicht nach § 6 Abs. 2 VwVG ohne wirksamen Grundverwaltungsakt erfolgen, da Norm einschränkend auszulegen ist und Zwangsgeld nicht erfasst.

Geltendmachung der Zahlungsverpflichtung gegenüber Rita Rüstig ist somit rechtswidrig.

 

II. Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Zahlung der Kosten für die Ersatzvornahme

Die Aufforderung zur Erstattung der Kosten ist rechtmäßig, wenn Rita Rüstig zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet ist und diese Verpflichtung durch Verwaltungsakt festgesetzt werden kann. Eine Verpflichtung zum Ersatz der 11.797,40 Euro könnte sich aus § 10 VwVG ergeben. Grundsätzlich können nach § 10 VwVG entstandene Kosten der Ersatzvornahme mit Leistungsbescheid geltend gemacht werden.

 

1. Formelle Voraussetzungen

Zuständigkeit: § 7 VwVG i.V.m. § 79 S. 1 BauO Bln, § 58 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat Ord (die Bezirksstadträtin vertritt das Bezirksamt nach § 38 Abs. 2 BezVwG).

Verwaltungsverfahren nach den §§ 9 ff. VwVfG wurde ordnungsgemäß durchgeführt

 

2. Bestehen einer Kostenersatzverpflichtung

Notwendig ist, dass die allgemeinen Voraussetzungen für den Verwaltungszwang und die besonderen Voraussetzungen für die Ersatzvornahme gegenüber Rita Rüstig vorgelegen haben (Voraussetzungen des § 10 VwVG sind zu prüfen).

 

a) Gestrecktes Vorgehen

Gegenüber Rita Rüstig lag kein diese verpflichtender Grundverwaltungsakt vor, der hätte vollzogen werden können.

 

b) Sofortvollzug / unmittelbare Ausführung

Es kommen daher Sofortvollzug bzw. unmittelbare Ausführung in Betracht.

Sofortvollzug (§ 6 Abs. 2 VwVG) und unmittelbare Ausführung (§ 15 ASOG) werden nach dem Willen des Pflichtigen voneinander abgegrenzt. Sofortvollzug bei entgegenstehendem Willen des Pflichtigen der gebrochen wird, unmittelbare Ausführung dagegen einschlägig, falls kein Wille festgestellt werden kann (z. B. bei Abwesenheit).

Rita Rüstig teilte ihren Unwillen mit => Sofortvollzug ist einschlägig.

Voraussetzungen: der sofortige Vollzug muss zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr notwendig gewesen sein und die Behörde muss innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt haben.

 

aa) Handeln der Bezirksstadträtin „innerhalb ihrer Befugnisse“

Entscheidend: Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Grundverwaltungsaktes

 

(1) Zuständigkeit

(+), § 7 VwVG i.V.m. § 80 S. 1 BauO Bln, § 58 Abs. 1 S. 1 BauO Bln, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG, Nr. 15 Abs. 1 ZustKat Ord (die Bezirksstadträtin vertritt das Bezirksamt nach § 38 Abs. 2 S. 1 BezVwG).

 

(2) § 80 S. 1 BauO Bln als Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigungsverfügung

Beseitigung von baulichen Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können (§ 80 S. 1 BauO Bln).

In Betracht kommt Verstoß gegen durch § 12 Abs. 1 BauO Bln konkretisierten § 3 S. 1 BauO Bln, nach dem Gebäude sicher, insb. standsicher, sein müssen.

Scheune als Gebäude nach § 2 Abs. 2 BauO Bln ist bauliche Anlage i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2 BauO Bln und somit Anlage nach § 2 Abs. 1 S. 1 BauO Bln.

Abstrakte Gefahr (potenzielle Möglichkeit der Beeinträchtigung der Schutzgüter) genügt. Durch herausbrechen der Rückwand, bestand Einsturzgefahr, die insbesondere auch mögliche Passanten betraf. Daher Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 BauO Bln.

Aber: keine Änderung der Scheune im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 BauO Bln, da sie von selbst standunsicher wurde.

Daher: § 80 S. 1 Bau Bln (-).

 

(3) § 58 Abs. 1 S. 5 BauO Bln als Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigungsverfügung

Nach § 58 Abs. 1 S. 5 BauO Bln haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Unterhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass öffentlich-rechtliche Vorschriften eingehalten werden und zur Einhaltung erforderliche Maßnahmen zu treffen.

Tatbestandsvoraussetzungen liegen durch Widerspruch gegen Bauordnungsrecht vor.

Zudem ist § 80 S. 1 BauO Bln keine abschließende Spezialvorschrift, da nur die darin genannten Fälle betreffend; im Übrigen ist Rückgriff auf § 58 Abs. 1 S. 5 einschlägig.

Beseitigungsverfügung wäre darüber hinaus verhältnismäßig gewesen.

 

(4) Richtige Beseitigungspflichtige

Mangels Spezialvorschrift sind nach § 17 Abs. 2 S. 2 ASOG die allgemeinen Vorschriften der §§ 13 ff. ASOG heranzuziehen.

Rita Rüstig ist jedenfalls durch den Erbfall Besitzerin (§ 857 BGB) und Eigentümerin (§ 1922 Abs. 1 BGB) des Grundstücks geworden. Demnach hätte sie nach § 14 Abs. 1 ASOG bzw. § 14 Abs. 3 S. 1 ASOG als Zustandsstörerin in Anspruch genommen werden können.

 

(5) Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 VwVfG)

Beseitigungsanordnung wäre ermessenskonform gewesen.

(6) Ergebnis zu aa)

Ein Verwaltungsakt, der Rita Rüstig zum Abbruch der Scheune verpflichtet hätte, wäre rechtmäßig gewesen. Die Bezirksstadträtin hat somit i.S.d. § 6 Abs. 2 VwVG innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt, sodass die allgemeinen Voraussetzungen des Verwaltungszwangs hier vorlagen.

 

bb) Notwendigkeit des sofortigen Vollzugs

Der sofortige Vollzug der Beseitigung müsste nach § 6 Abs. 2 VwVG zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr notwendig gewesen sein.

Eine unmittelbar drohende Gefahr besteht, wenn die Störung jederzeit, also auch sogleich, eintreten kann (+). Da Scheune zum Zeitpunkt der Anordnung des Sofortvollzugs jederzeit einstürzen konnte und Gefahr für Leib und Leben Dritter bestand, lag diese Situation vor.

Dagegen spricht auch nicht, dass etwa zwei Monate seit Entdecken des Schadensfalles vergangen waren, da sich der bauliche Zustand seit dem 2. August drastisch verschlechtert hatte.

 

c) Ergebnis zu 2.

Dementsprechend lagen die Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 VwVG vor. Von einer Androhung des Sofortvollzugs konnte nach § 13 Abs. 1 S. 1 VwVG abgesehen werden.

 

3. Besondere Voraussetzungen des § 10 VwVG

Ersatzvornahme nach § 10 VwVG setzt voraus, dass eine Verpflichtung zu einer vertretbaren Handlung vorliegt. Wer abreißt, ist unerheblich, sodass vertretbare Handlung vorlag.

Zuständig ist die Vollstreckungsbehörde: Im Fall des § 6 Abs. 2 VwVG kann Vollstreckungsbehörde entsprechend § 7 Abs. 1 VwVG nur die Behörde sein, die den Verwaltungsakt im normalen Verfahren erlassen hätte. Dies ist hier die Bezirksstadträtin für Bauwesen. Die besonderen Voraussetzungen des § 10 VwVG liegen somit vor.

 

4. Ergebnis zu II.

Rita Rüstig ist zur Zahlung der Kosten der Ersatzvornahme verpflichtet.

 

III. Ergebnis zu B)

Soweit der angegriffene Kostenbescheid i.H.v. 11.797,40 Euro als Kosten der Ersatzvornahme festsetzt, ist der Bescheid somit rechtmäßig, hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzung i.H.v. 250,- Euro dagegen rechtswidrig. Die Klage ist folglich nur teilweise begründet.

C) Gesamtergebnis

Die Klage ist demnach insgesamt zulässig, jedoch nur bezüglich der Festsetzung der Verpflichtung zur Zahlung des Zwangsgeldes begründet. Das Verwaltungsgericht wird daher den Bescheid nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO insoweit aufheben, als das Zwangsgeld betroffen ist. Hinsichtlich der Abbruchkosten bleibt er jedoch bestehen, da beide Regelungen ohne Weiteres teilbar sind und davon ausgegangen werden kann, dass die eine Regelung auch ohne die andere getroffen worden wäre. Die Klage hat somit nur teilweise Aussicht auf Erfolg.

 

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[1] Im Folgenden wird auf den Berliner Verweis auf das VerwaltungsvollstreckungsG des Bundes verzichtet.

[2] Im Folgenden wird auf den Berliner Verweis auf das VerwaltungszustellungsG des Bundes verzichtet.


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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)


Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Dominik Steiger, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Mai 2018