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Investory (Kurzlösung)

Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land auf Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans „Blankenfelde Nord“ hat Erfolg, zulässig und begründet.

 

A. Zulässigkeit

- Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO

 

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (§ 40, § 47 Abs. 1 VwGO)

- OVG im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit

- § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, öffentlich-rechtliche Streitigkeit; danach eigentlich Verwaltungsrechtsweg für jede Kontrolle untergesetzlicher Normen eröffnet, weil Vereinbarkeit von Rechtsverordnung oder Satzung mit höherrangigem Recht sich immer nach öffentlichem Recht richtet

- § 47 Abs. 1 S. 1 VwGO schränkt nach h.M. den Verwaltungsrechtsweg ein („im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“); OVG darf nur solche untergesetzlichen Rechtsnormen auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen, auf deren Grundlage sich Streitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist; Bebauungsplan nach § 10, § 246 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 5 S. 1 AGBauGB Bln ist Rechtsverordnung, aufgrund derer es zu Streitigkeiten kommen kann, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, da für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen solche des BauGB bzw. der BauO Bln sind (+)

 

II. Statthaftigkeit (§ 47 Abs. 1 VwGO)

- Bebauungsplan ist Landesrechtsverordnung, Antrag statthaft nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 2 BauGB, § 6 Abs. 5 S. 1 AGBauGB Bln (+)

 

III. Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO)

- jede natürliche oder juristische Person, die durch Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt ist oder in absehbarer Zeit verletzt wird, sowie jede Behörde

- Gemeinde Mühlenbecker Land rügt einen Verstoß gegen das interkommunale Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB; Norm hat drittschützenden Charakter; bei § 47 Abs. 2 VwGO keine höheren Anforderungen zu stellen als bei § 42 Abs. 2 VwGO; ausreichend ist, dass Rechtsverletzung zumindest möglich ist; hier (+)

 

IV. Passive Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 S. 2 VwGO)

- (+) Antragsgegner nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO Körperschaft, die die Rechtsvorschrift erlassen hat; Bezirk Pankow handelt für das Land Berlin nach § 1, § 2 Abs.1 AZG; Land Berlin daher Antragsgegner

 

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§§ 61, 62 VwGO)

- (+) Gemeinde Mühlenbecker Land, Land Berlin sind als juristische Personen nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig, nach § 62 Abs. 3 VwGO prozessfähig

 

VI. Postulationsfähigkeit (§ 67 VwGO)

- (+) § 67 Abs. 4 S. 1 VwGO, Gemeinde Mühlenbecker Land durch RA vertreten

 

VII. Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO)

- (+) Jahresfrist (§ 47 Abs. 2 S. 1 letzter Hs. VwGO) eingehalten

 

VIII. Ergebnis zu A.

- Antrag zulässig

 

B. Begründetheit

- Normenkontrollantrag ist begründet, wenn der Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ ungültig ist (§ 47 Abs. 5 S. 2 VwGO); B-Plan ist ungültig, wenn er an einem Fehler leidet, der nicht nach §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich ist; Unbeachtlichkeit nach § 215 Abs. 1 BauGB ausgeschlossen, da einjährige Rügefrist noch nicht abgelaufen

- Normenkontrollverfahren ist objektives Beanstandungsverfahren; angegriffenen Vorschriften werden insgesamt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft und nicht nur im Rahmen der geltend gemachten Rechte

 

I. Formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans

- Zuständigkeit Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung Pankow, § 10 Abs. 1, § 246 Abs. 4 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 5 AGBauGB Bln; Verfahren (§§ 5, 6 AGBauGB) lt. Sachverhalt fehlerfrei; kein Anhaltspunkt dafür, dass Bezirk entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die Abwägungsbelange, nicht hinreichend ermittelt oder – jeweils für sich – unzutreffend bewertet hat

- Beschluss der BVV, Erlass des Bebauungsplans, könnte gegen § 11 Abs. 3 S. 1 BezVG i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 2 VwVfG, § 1 Abs. 1 VwVfG Bln verstoßen, wg. Beteiligung Eisenharts; (-) Bebauungsplan führt nicht unmittelbar zur Umsatzeinbuße, weil neue Mall erst von Kunden angenommen werden muss; (-) Ausnahme des § 20 Abs. 1 S. 3 VwVfG hier erfüllt

=> kein Verstoß gegen § 11 BezVG

 

II. Materielle Rechtmäßigkeit

 

1. Erforderlichkeit der Planung (§ 1 Abs. 3 S. 1 BauGB)

- Gemeinden müssen Bauleitpläne aufstellen, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist; ausreichend, wenn es vernünftigerweise geboten ist, die bauliche Entwicklung durch die vorherige Planung zu ordnen; private Bauwünsche können berücksichtigt werden (+)

 

2. Einhaltung der zulässigen Festsetzungen nach § 9 BauGB

- „Sondergebiet für Einkaufszentrum“ ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 9a BauGB, § 1 Abs. 2 und 3, § 11 Abs. 3 BauNVO eine zulässige Festsetzung (+)

 

3. Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan (§ 8 Abs. 2 S. 1 BauGB)

- im Flächennutzungsplan grobmaschige Planung (vgl. § 1 Abs.  1 BauNVO); Bebauungsplan muss dem Flächennutzungsplan nicht in allen Einzelheiten entsprechen; er darf aber den Grundentscheidungen des Flächennutzungsplans nicht zuwiderlaufen

 

a) Veränderung des Flächennutzungsplans in seinen Grundentscheidungen?

- Flächennutzungsplan sieht für das Gebiet Wohnbebauung / teilweise gewerbliche Nutzung vor; Entwicklung i.S.d. Grundentscheidung wäre hier Festsetzung des gesamten Gebiets als „Allgemeines Wohngebiet“ i.S.d. § 4 BauNVO oder teilweise Festsetzung als „Gewerbegebiet“ i.S.d. § 8 BauNVO in Betracht gekommen; Festsetzung als „Sondergebiet Einkaufszentrum“ i.S.d. § 11 Abs. 3 BauNVO weicht wg. starkem Verkehrsaufkommen erheblich von Grundentscheidung des Flächennutzungsplans ab; Verstoß gegen Entwicklungsgebot (+)

 

b) Unbeachtlichkeit des Rechtsverstoßes nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB

- Verstöße gegen § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB ausnahmsweise unbeachtlich, wenn die geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtigt ist; Verstoß gegen die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans macht Bebauungsplan nicht unwirksam, solange die Auswirkungen die benachbarten Baugebiete des Bezirks nicht nachteilig berühren

- benachbartes Baugebiet „Blankenfelde Süd“ ist als Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO grds. idealer Nachbar für ein Sondergebiet nach § 11 Abs. 3 BauNVO; die „Pankow-Mall“ beeinträchtigt aber die geordnete städtebauliche Nutzung im gesamten Gemeindegebiet wg. der Auswirkungen auf den innerstädtischen Handel und auf den Verkehr, der Fehler ist nicht nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unbeachtlich

 

c) Ergebnis zu 2.

- Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB ist beachtlicher Fehler

 

4. Beachtung des interkommunalen Abstimmungsgebots (§ 2 Abs. 2 S. 1 BauGB)

- Gebot, Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen; bei Konkurrenzsituation benachbarter Gemeinden darf keine von ihrer Planungshoheit rücksichtslos zum Nachteil der anderen Gebrauch machen; bedeutet nicht, dass die Interessen der Nachbargemeinde niemals im Wege der Abwägung überwunden werden könnten;  Gemeinde, die ihre eigenen Vorstellungen selbst um den Preis von gewichtigen Auswirkungen für die Nachbargemeinde durchsetzen möchte, unterliegt aber einem erhöhten Rechtfertigungszwang in der formellen und materiellen Ausgestaltung der Planung

 

a) Störung des von der Gemeinde Mühlenbecker Land geplanten „reinen Wohngebiets“

- Planung belastet einseitig die Nachbargemeinde Mühlenbecker Land; durch Verkehrsbelastung wird Planungssinn des reinen Wohnungsgebiets vereitelt, Gemeinde Mühlenbecker Land hat keine Ausweichmöglichkeit; Pankow dagegen weniger stark belastet, da das angrenzende Gebiet „Blankenfelde Süd“ ohnehin Gewerbegebiet ist

- Planung Pankows berührt daher wichtige Belange der Gemeinde Mühlenbecker Land

 

b) Abwerben der Kunden aus der Schildower Innenstadt

- führt zur Beeinträchtigung des innerstädtischen Einzelhandels; nach § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB sind zentrale Versorgungsbereiche bei der interkommunalen Abstimmung ausdrücklich zu beachten; auch hier wichtiger Belang der Gemeinde Mühlenbecker Land betroffen

- da lt. Sachverhalt keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen und kein Versuch einer gemeinsamen Lösung, liegt auch in beiden Fällen ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB vor

 


c) Beachtlichkeit des Fehlers

- e.A. Verstöße gegen § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB sind „Mängel der Abwägung“ i.S.d. § 214 Abs. 3, § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB

- a.A. Verstöße gegen § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB sind eigenständig; (+) „Mängel der Abwägung“ i.S.d. § 214 Abs. 3 nach Wortlaut eher nur solche des allgemeinen Abwägungsverbots nach § 1 Abs. 7 BauGB; Mängel nach § 2 Abs. 2 BauGB daher immer beachtlich

- Streit kann dahinstehen, da jedenfalls die Nichtberücksichtigung des interkommunalen Abstimmungsgebots offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist (§ 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB)

 

d) Ergebnis zu 4.

- Verstoß gegen § 2 Abs. 2 BauGB ist beachtlicher Fehler

 

5. Ordnungsgemäße Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB)

- gerechte Abwägung der öffentlichen und privaten Belange (§ 1 Abs. 6, § 1a BauGB), wobei Planungsermessen des Bezirks zu beachten ist

- solche materiellrechtlichen Abwägungsfehler werden weder von § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB noch von § 215 Abs. 1 BauGB erfasst, sind damit immer beachtlich; Fehler sind insbesondere gegeben, wenn der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, der zu ihrer objektiven Gewichtung außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität)

- darüber hinaus sind materielle Abwägungsfehler (nur) noch solche Fehler im Abwägungsvorgang, die nicht (nur) die Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials nach § 2 Abs. 3 BauGB betreffen; diese Fehler werden nicht von § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB, sondern nur von § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB erfasst; welche Fehler „übrige Fehler im Abwägungsvorgang“ sind, ist unklar, da Begriff des „Bewertens“ i.S.d. § 2 Abs. 3 BauGB und damit Reichweite des § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB unklar sind;

- nach hier vertretener Ansicht ist dies gegeben, wenn überhaupt keine Abwägung stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn sich ernsthaft aufdrängende Planungsalternativen von vornherein nicht berücksichtigt werden, wenn objektiv nicht abwägungsrelevante Belange in die Abwägung mit eingestellt werden („Fehleinstellung von Belangen“) und bei Fehlgewichtung von Belangen, wenn also die konkret abwägungsrelevanten Belange nicht mit dem ihnen im konkreten Fall zuzumessenden Gewicht in die Abwägung mit eingestellt werden

 

a) Abwägungsfehler wegen Vorabbindung gegenüber der Schwartz-Bau GmbH

- kein Abwägungsausfall, weil zumindest noch Diskussion der Belange im letzten Beschluss

- Übereinkunft ist keine nach § 1 Abs. 3 S. 2 BauGB verbotene vertragliche Bindung

- faktische Bindung könnte jedoch zu Abwägungsdisproportionalität geführt haben; angesichts praktischer Notwendigkeit solcher Absprachen sind nach der Rspr. solche Vorabsprachen aber unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

(1) teilweise Vorwegnahme der Entscheidung ist sachlich gerechtfertigt,

- hier (+) wg. Interesse des Bezirks an Investor

(2) bei der Vorwegnahme muss die planungsrechtliche Zuständigkeitsordnung gewahrt bleiben

- hier (+) weil die zuständige Bezirksstadträtin gehandelt hat und Pankower Bezirksamt gebilligt hat

(3) vorgezogene Entscheidung darf sachlich nicht zu beanstanden sein, d.h. sie muss insbesondere die Anforderungen erfüllen, die an eine abschließende Abwägung gestellt werden

- hier (+) stärkere Gewichtung des Belangs „Wirtschaft und Arbeitsmarkt“ i.S.d. § 1 Abs. 6 Nr. 8 lit. a und c BauGB gegenüber dem Belang „Wohnbedürfnisse“ i.S.d. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB ist Ausdruck der planerischen Gestaltungsfreiheit

 

b) Abwägungsfehler wegen Vernachlässigung des vorgeschlagenen Kompromisses zwischen Einkaufsmöglichkeiten und Wohnraumbedarf

- Bezirksamt hat es versäumt, die vorgeschlagene Kompromisslösung eines Mischgebietes nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO in Erwägung zu ziehen; weil die relevanten Interessen abgewogen wurden, ist dies kein Fehler im Abwägungsergebnis sondern nur im Abwägungsvorgang, der nicht  von § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB, sondern von § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB erfasst ist

- nach dem mit st. Rspr. restriktiv auszulegenden § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB müsste der Fehler offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sein; offensichtliche Fehler sind solche, die auf objektiv erfassbaren Umständen beruhen; von Einfluss auf das Planungsergebnis sind Fehler, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne sie das Abwägungsergebnis anders ausgefallen wäre

- Fehler war offensichtlich, da das Anliegen überall dokumentiert wurde; es bestand aber keine andere Möglichkeit der Planung für die Realisierung des Projektes; damit hat der Fehler im Abwägungsvorgang das Ergebnis nicht beeinflusst

 

6. Ergebnis zu II.

- Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ leidet damit an materiellrechtlich beachtlichen Fehlern bzgl. des Entwicklungsgebots nach § 8 Abs. 2 BauGB (B. II. 3.) und des interkommunalen Abstimmungsgebots nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB (B. II. 4.)

 

III. Ergebnis zu B.

- Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land begründet, da Bebauungsplan „Blankenfelde Nord“ mit höherrangigem Recht unvereinbar ist

 

C. Gesamtergebnis

- Antrag der Gemeinde Mühlenbecker Land zulässig und begründet

- hat somit Aussicht auf Erfolg; 

- OVG wird Bebauungsplan für unwirksam erklären


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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: Mai 2017 (Aufhebung des § 47 Abs. 2a VwGO ist jedoch bereits berücksichtigt)