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Abgeflammt (Kurzlösung)

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

- öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, weil streitentscheidende Norm (§ 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln) öffentlichem Recht angehört

II. Statthafte Klageart

- Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO, wenn Vorbescheid nach § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln ein VA i.S.d. § 35 VwVfG

e.A.: Vorbescheid ist Zusicherung i.S.d. § 38 VwVfG und kein VA

h.M.: Vorbescheid ist VA; (+), hat Regelungscharakter, weil er bzgl. bestimmter baurechtlicher Fragen eine abschließende und verbindliche Entscheidung trifft

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

- Anspruch aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln kommt in Betracht

IV. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

- Vorverfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

- § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Land Berlin

VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit (§ 61 VwGO)

- Hubert-Hölzl-KG beteiligtenfähig; KG ist keine juristische Person; kann aber im eigenen Namen klagen oder verklagt zu werden (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 124 HGB); Land Berlin nach § 61 Abs. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig

- KG und das Land Berlin handeln im Prozess nach § 62 Abs. 3 VwGO durch ihre gesetzlichen Vertreter

VII. Ergebnis zu A.

- Klage zulässig

B. Begründetheit

- Klage ist begründet, wenn die Versagung des Bauvorbescheides rechtswidrig ist und die Hubert-Hölzl-KG dadurch in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 VwGO)

- Rechtswidrig ist die Versagung, wenn Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheids bestand, der die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich Art der baulichen Nutzung feststellt

- Anspruch besteht, wenn das Vorhaben überhaupt genehmigungsbedürftig und hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung mit den §§ 29 ff. BauGB vereinbar ist

I. Genehmigungsbedürftigkeit

- wg. des Wortlauts des § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln („vor Einreichung des Bauantrags“) kann ein Vorbescheid nur ergehen, wenn das Vorhaben genehmigungsbedürftig ist; Genehmigungsbedürftigkeit nach § 59 Abs. 1 BauO Bln; geplante Fabrikhalle ist bauliche Anlage und somit Anlage gemäß § 2 Abs. 1 BauO Bln; Ausnahmevorschriften (§§ 60 - 62, 76, 77 BauO Bln) greifen nicht ein

II. Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

- bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB; Vorhaben berührt die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen; (+) für große Fabrikhalle mit Lärmemissionen

III. Vereinbarkeit mit § 34 Abs. 2 BauGB

- lt. Sachverhalt befindet sich das Baugrundstück in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, für den kein Bebauungsplan besteht

- die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach Art der baulichen Nutzung richtet sich nach BauNVO, wenn die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete entspricht; entscheidet sich grundsätzlich allein nach dem faktischen und sichtbaren Zustand des Gebietes

1. Zulässigkeit des Vorhabens nach dem heutigen faktischen und sichtbaren Zustand

- nicht realisierte Vorhaben des Gießerei- und Kunstschmiedebetriebes und abgebrannte Fabrikhalle sind nicht zu berücksichtigen

a) Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4a BauNVO

- nach Rspr. verweist § 34 Abs. 2 BauGB aber nicht auf § 4a BauNVO, da die Besonderheit dieses Gebietes gerade in der von der Gemeinde (bzw. Bezirk) noch zu bestimmenden Entwicklung liegt; ohne Bebauungsplan aber keine planerische Absicht erkennbar

b) Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO

- alle genannten Nutzungsarten zulässig: Wohnhäuser (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO); Kapelle (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO); Läden und kleine Schusterwerkstatt (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO); Asylbewerberheim (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO oder § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO)

- in allgemeinem Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO wäre die Errichtung der Fabrikhalle nach § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB grds. bauplanungsrechtlich ausgeschlossen, weil sie in einem solchen Gebiet nicht allgemein zulässig wäre; keine ausnahmsweise Zulässigkeit nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, da die Fabrik kein nicht störender Gewerbebetrieb ist

c) Ergebnis zu 1.

- Vorhaben wäre nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO unzulässig, könnte allenfalls im Wege der Befreiung nach § 34 Abs. 2 Hs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB genehmigt werden, auf die jedoch kein Anspruch besteht

2. Maßgeblichkeit des früheren faktischen und sichtbaren Zustands des Gebiets für die Zulässigkeit des Vorhabens?

- zweifelhaft, ob Ergebnis dem Sachverhalt gerecht; vor Brand mit zulässigerweise errichteter Fabrikhalle ein störender Gewerbebetrieb ansässig

a) Zulässigkeit des Vorhabens nach dem früheren faktischen und sichtbaren Zustand des Gebiets

aa) Wortlaut des § 6 BauNVO (Mischgebiet)

- Wohnhäuser (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO); Läden (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO); Kapelle (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO); kleine Schusterwerkstatt (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO); Asylbewerberheim (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 oder § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO)

- Fabrikhalle ist wg. jahrelanger beschwerdefreier Produktion ein nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO); Neuerrichtung wäre nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig gewesen

bb) Hinreichende Durchmischung

- implizite Voraussetzung für Mischgebiete: von Nutzungsarten (Wohnen, nicht störendes Gewerbe) darf nicht eine ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen; wg. Größe der Anlagen hinreichende Durchmischung

cc) Fremdkörpercharakter der Fabrikhalle

Rspr.: singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen, sind als Fremdkörper für die Bestimmung des Gebietscharakters unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden

a.A.: diese wertende Entscheidung ist nicht mit § 34 Abs. 2 BauGB vereinbar

- hier egal, weil keine homogene Bebauung vorliegt (Wohnungen neben Läden, Schusterei); selbst wenn diese bejaht wird, muss man der Anlage wg. ihrer Größe und ihres Alters eine beherrschende Stellung zubilligen

dd) Ergebnis zu a)

- Wiedererrichtung wäre nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig

b) Verlust der Prägung der Umgebung durch die Vernichtung der Fabrikationsanlagen in Folge des Brandes

aa) Eigentumsverfestigte Anspruchsposition der Hubert-Hölzl-KG?

BVerwG (1974): im Außenbereich aus Art. 14 Abs. 1 GG Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, wenn sich die Baulandqualität eines Grundstücks schon zu „Eigentum“ i.S.d. Art. 14 GG verfestigt habe (sog. „eigentumsverfestigte Anspruchsposition“); immer dann, wenn Bebauung einmal zulässig war,vorzeitig zerstört wurde und Verkehrsauffassung das Gebäude geradezu vermisse; hier eher (-)

bb) Abschließende einfachrechtliche Regelung der Baurechte durch das BauGB?

BVerwG (1998): Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nur nach Maßgabe des einfachen Rechts, das am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG zu messen ist; Wertungen des Gesetzgebers sind zu beachten; hier: § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB, allgemeiner Rechtsgedanke, der auch auf den Innenbereich übertragbar ist

- Vorhaben wäre danach zulässig

cc) Bedeutung der Einführung des § 34 Abs. 3a BauGB durch das EAG-Bau

e.A.: da sich § 34 Abs. 3a BauGB ausschließlich auf § 34 Abs. 1 BauGB bezieht und damit nicht gilt, wenn und soweit § 34 Abs. 2 BauGB einschlägig ist, kann hieraus die Wertung entnommen werden, dass für die Bestimmung des Gebietscharakters im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB ausschließlich die tatsächlich vorhandene Bebauung maßgeblich ist

abzulehnen; keine Einschränkungen, mit § 34 Abs. 3a BauGB sollten die Möglichkeiten der Zulassung von Anlagen, die einem Betrieb dienen, erweitert, nicht jedoch die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB eingeschränkt werden

dd) Rechtsfolgen der fortwirkenden Prägung des Gebiets durch die abgebrannten Fabrikationsanlagen

- bei Beurteilung des Gebietscharakters nach § 34 Abs. 2 BauGB muss die Situation vor dem Brand einbezogen werden; Halle war zulässigerweise errichtet worden und genoss daher Bestandsschutz; Gebäude in funktionsfähigem Zustand; keine Anzeichen dafür, dass sich die Nutzung des Gebäudes ändern würde; seit Brand noch nicht einmal ein Jahr verstrichen

- Voraussetzungen des Rechtsgedankens des § 35 Abs. 4 Nr. 3 BauGB erfüllt

ee) Ergebnis zu b)

- Gebiet wird noch durch die abgebrannte Fabrikhalle geprägt

c) Ergebnis zu 2.

- Baugebiet ist als Mischgebiet i.S.d. § 6 BauNVO zu qualifizieren

3. Ergebnis zu III.

- Wiedererrichtung der Fabrikhalle gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO der Art der baulichen Nutzung nach zulässig

Anmerkung: a.A. vertretbar; dann Befreiung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB prüfen; wg. Rechtsgedanken des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB muss Ermessensreduzierung auf Null erwogen werden.

IV. Ergebnis zu B.

- Vorhaben ist bauplanungsrechtlich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässig; Hubert-Hölzl-KG hat Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheides gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln; Versagung war daher rechtswidrig und verletzte das Recht der Klägerin aus § 75 Abs. 1 S. 1 BauO Bln

C. Gesamtergebnis

- Klage wäre zulässig und begründet und hätte daher Aussicht auf Erfolg


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© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

Bearbeitung für Hauptstadtfälle: Georg Hellmich, Jannik Bach
Stand der Bearbeitung: November 2016 (Änderungen des Dritten Gesetzes zur Änderung der BauO von Berlin sind jedoch bereits eingearbeitet)