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Sitzung am 24.05.2017: Strafverteidigung – Grundlagen und Selbstverständnis (Ulrich von Klinggräff)

News vom 24.05.2017

Selbstverständnis der Strafverteidigung: Im Interesse des Mandanten

Die erste Sitzung mit einem Strafverteidiger eröffnete den Blick in eine Welt, deren Dreh- und Angelpunkt anders als in unserem Alltag nicht in Dahlem, sondern in der Moabiter Turmstraße liegt: vor dem dortigen Amts- und Landgericht werden in Berlin Strafsachen verhandelt. Hier vertritt Ulrich von Klinggräff seit über 20 Jahren Mandantinnen und Mandanten in Strafverfahren. Nicht Elfenbeinturmdasein, sondern das pralle Leben bedeutet für ihn Strafverteidigung. Dabei prägend ist der Kontakt zu den Menschen mit den verschiedensten sozialen, kulturellen und nationalen Hintergründen, auf die sich der Verteidiger immer wieder von Neuem einstellen muss, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Schon bald konzentrierte sich die Diskussion auf moralische Fragen: Kann – oder gar: muss – man als Verteidiger einen Freispruch anstreben, auch wenn man sicher weiß, der Mandant ist einer schweren Straftat schuldig, auf die Spitze getrieben: schuldig und „gemeingefährlich“? Man könnte meinen, als „Organ der Rechtspflege“ stehe der Verteidiger im Dienst der Wahrheitsfindung und müsse auf ein „gerechtes“ Ergebnis hinarbeiten. Doch kann er als interessensgebundener Vertreter des Beschuldigten auch nur diesem – und damit nicht notwendig der Wahrheit oder Moral – verpflichtet sein. Nur der Mandant ist es schließlich auch, der ihn bezahlt. Alles andere, z.B. eine Verteidigung mit durch moralische Bedenken angezogener Handbremse, die sich auf den Strafrahmen beschränkt, wäre mehr Verurteilungsbegleitung als vollwertige Verteidigung. Als rechtsstaatlicher Standard steht eine solche indes selbst Schwerstkriminellen gleichermaßen zu.

Um im Spannungsverhältnis von eigenem Gewissen und guter Verteidigung die Oberhand zu behalten, ist es wichtig, von vornherein klare Grenzen zu setzen und an diesen festzuhalten. So kann man Mandate, die mit dem eigenen Gewissen oder der eigenen Identität nicht vereinbar sind, frühzeitig ablehnen. Denn ein Mandat einmal anzunehmen, bedeutet, konfliktbereit und „mit Haut und Haaren“ für alle Rechte und Interessen des Mandanten zu kämpfen. In der Praxis ist dies allerdings häufig auch eine wirtschaftliche Frage.